4. Ragusas Uebergabe und der Kampf bei Zavtat.

Bald nachdem die Städte der Bocca den Bokelen übergeben worden waren und nachdem Montenegriner und Bokelen mit den Russen im Kloster Savina am 6. März ein grosses Nationalfest veranstaltet hatten, tauchten neue Schwierigkeiten auf. Noch am 7. März verbreitete sich im slavischen Lager bei Castelnuovo das Gerücht von dem Beschluss des ragusanischen Senats, dass Ragusa den Franzosen den Zugang nach der Bocca gestatten und ihnen sogar nötigenfalls seine Schiffe zum Heerestransport von Ston nach Ragusa anerbieten werde. Obwohl man noch keine sichere Nachricht darüber hatte, segelte Kapitän Belli nach Ston, um jeder Eventualität vorzubeugen. Der Vladika entsandte eine Truppe seiner Montenegriner an die Grenze der Republik Ragusa, um dieselbe zu bedrohen und mindestens zur Neutralität zu zwingen. Das Gerücht zeigte sich als unbegründet. Als Admiral Senjavin zum zweiten Male nach der Bocca kam, entsandte Ragusa einen Senator, um ihn zu begrüssen und ihn um den Schutz der Republik zu bitten. Einmal kam Senjavin selbst nach Ragusa. Der Senat hiess ihn willkommen und schloss mit ihm am 18. Mai den Vertrag des folgenden Wortlautes: «Sobald man hört, dass das französische Heer den Boden der Republik betreten hätte, wird die Stadt Ragusa die russische Garnison aufnehmen, und der Senat die Bürger bewaffnen, damit sie gemeinsam mit dem russischen Heer gegen die Franzosen kämpfen.» Somit glaubte man, die Sache sei endgültig erledigt. Es war aber nicht so. In den Verhandlungen mit Senjavin waren drei Mitglieder des Senats gegen einen solchen Vertrag mit dem russischen Admiral. Sie dachten, die französische Landesmacht in Dalmatien—die sie sich natürlich allzugross vorstellten—könne die Republik besser in Schutz nehmen als die russische Flotte mit der kleinen Zahl der Bokelen und Montenegriner. In nachträglichen Beratungen darüber erklärten auch die übrigen Mitglieder des Senats sich mit den drei Opponenten einverstanden. Sie hielten es also für besser, die Franzosen statt der Russen aufzunehmen. Und so geschah es.

Am 13. Mai fuhr Senjavin nach Triest. Und am folgenden Tage schon überschritt der französische General Lauriston die türkische Grenze; am 15. war er in Ragusa, das er einnahm. Niemand leistete ihm Widerstand. Er kam mit 3000 Soldaten. Nun tat er etwas, was die Ragusaner nicht träumen konnten. Am 16. Mai erliess er eine Proklamation im Namen Napoleons, in welcher es hiess, dass die Unabhängigkeit der Republik aufgehoben sei, und dass ihr dieselbe so lange nicht wiedererstattet werden solle, bis das russische Heer die Bocca und die adriatischen Inseln räumen und die russische Flotte aus der Adria sich entfernen würde. Ragusa musste also seine Freiheit einbüssen wegen der russischen Uebermacht über die Franzosen zur See. Es vermochte an der Situation nichts zu ändern, an der Situation, an welcher es am mindesten Schuld trug. Der nun unverbesserliche Fehler des Senats war, dass er den Russen und seinen übrigen slavischen Volksgenossen gegenüber wortbrüchig wurde. Hätte die Republik am ersten mit Senjavin geschlossenen Bündnis festgehalten, so wäre ihre Unabhängigkeit wahrscheinlich noch für einige Jahre aufrechterhalten und ihr Untergang auf so viele Jahre verschoben worden.


Als Vladika Peter von der Uebergabe Ragusas benachrichtigt wurde, eilte er sofort mit Montenegrinern und Bokelen den Franzosen entgegen. Mit den Franzosen waren auch die Ragusaner. Am 2. Juni stiessen die Armeen bei Zavtat zusammen. Der Kampf war nicht von langer Dauer, aber desto grösserer Erbitterung. Die Franzosen wurden mit ihren Verbündeten zurückgedrängt unter nicht unbedeutenden Verlusten. Sie liessen auf dem Kampffelde 250 Tote zurück und flüchteten sich in die Stadt Zavtat, wo sie sich einschlossen. Die Montenegriner und Bokelen hatten neun und die Russen einen Toten.

Die drei folgenden Tage setzte sich der Kampf fort. Der Vladika bekam von den Russen einige Verstärkung. Nach dem ersten Kampf aber verliessen die Franzosen nachts Zavtat und liessen vier Kanonen zurück. Der russische Major Sabjelin besetzte Zavtat. Die Montenegriner und Bokelen verfolgten den Feind auf dem Rückzug. Diesen Rückzug führten die Franzosen in bester Ordnung, aber langsam und mühsam aus, denn auf jedem Schritt mussten sie sich vor kühnen feindlichen Angriffen wehren. Als sie in die Nähe von Ragusa kamen, bemächtigten sie sich des Berges Brgat und fingen an, sich auf demselben zu befestigen.

Dieser Rückzug aber von Zavtat bis nach Brgat kam den Franzosen teuer zu stehen. Sie verloren 300 Mann, unter welchen 8 Offiziere waren. Sehr wichtig war dieser erste Zusammenstoss der verbündeten Slaven mit den Franzosen, wichtig für beide Teile. Die Montenegriner und Bokelen, die so viel von der unbesiegbaren französischen Armee hatten erzählen hören und die nicht so ganz siegesgewiss gegen die Franzosen in den Streit gezogen waren, wurden durch diese ersten Zusammenstösse sehr ermuntert und kampfesfreudig. Sie sahen ein, dass die französische Armee nicht unbesiegbar war. Sie dehnten die Bedeutung ihres Sieges aus und meinten, dieser Sieg sei ein Sieg über Napoleon. Diese Meinung tat der Grösse von Napoleons Ruhm natürlich keinen Abbruch, war aber anderseits geeignet, die Zuversicht ihrer Träger zu verstärken.

Die Franzosen lernten jetzt zum ersten Male Mut und Kriegsführung eines von ihnen so weit entlegenen und bis dahin unbekannten Volkes kennen. Das erste Begegnen mit diesem Volke machte auf sie einen unerwarteten Eindruck. Sie hofften keineswegs bei einem so kleinen Volke so viele Widerstandskraft finden zu können. Sie gingen gegen die Bocca di Cattaro vor mit festem Glauben, dass sie mit einem Schlage alles bis nach Cattaro einnehmen würden. Sie dachten, das ungeübte und ungeschickte Küsten- und Bergvolk könne nicht so gut die Waffen handhaben. Sie hofften diesem Volke sofort Furcht einzuflössen. Sie täuschten sich in allen Stücken. Sie bewunderten zuerst den Kriegsmut und die verwegene Unerschrockenheit dieses einfachen Volkes. Ja, diese Bewunderung steigerte sich fast zur Furcht: Dieses Volk flösste den Franzosen Schrecken ein, erstens einmal durch seinen Mut und dann durch seine unbarmherzige und furchtbare Behandlung der Kriegsgefangenen. Gewöhnlich erkannten die Montenegriner keine Kriegsgefangenen an und liessen feindliche Krieger, die in ihre Hände fielen, wie in den früheren Kämpfen gegen die Türken—enthaupten. Dieses Verfahren war abscheulich in den Augen der feinfühlenden Franzosen. Abscheulich war es in der Tat.

General Lauriston musste also von nun an die Sache viel ernster nehmen. Ein ungefähres Bild von bevorstehenden harten Kämpfen vermochte er schon nach dieser ersten bösen Erfahrung zu entwerfen.