1. Die Situation nach dem Pressburger Frieden.

Fortsetzung:

... Es verbreitete sich zuerst ein Gerücht, das bald nachher auch bestätigt wurde, dass die Bocca di Cattaro Russland abgetreten würde. Der österreichische General Ghiselieri, hiess es, habe sie dem Befehlshaber der russischen Flotte im Adriatischen Meere übergeben. Das war natürlich ganz vertragswidrig. So fasste es auch Napoleon auf. Er verlangte sofort eine Erklärung Oesterreichs darüber. Oesterreich sollte, das war seine Forderung, in Petersburg Schritte tun, welche die Herausgabe der Bocca ermöglichen könnten. Wollte Russland nicht nachgeben, so sollte Oesterreich seine Mitwirkung zur Eroberung der Bocca nicht versagen. Es sollte in dem Falle auch seine Häfen den englischen und russischen Schiffen verschliessen, worauf es Napoleon am meisten ankam, da er diese feindlichen Flotten um jeden Preis aus der Adria vertrieben sehen wollte. Sein Hintergedanke war, Oesterreich mit Russland zu entzweien und somit den Dreibund zu sprengen. Würde ihm dies gelingen, sagte er sich, so wären alle seine Pläne der Verwirklichung nahe, andernfalls aber hätte er einen Grund, an Oesterreich noch härtere Forderungen zu stellen. Denn ohnehin reute es ihn, bei dem Pressburger Vertrag das Litorale nicht genug berücksichtigt zu haben. Wiederholt erklärte Larochefoucauld nach den Instruktionen Napoleons dem Grafen Stadion, dass Braunau so lange im Besitz der Franzosen bleiben werde, als die Bocca ihnen nicht übergeben würde. Das war aber nicht alles. Er drohte mit Besetzung von Fiume und Triest. Das war viel schlimmer. Schliesslich drohte Napoleon mit dem Krieg. Und das war für Oesterreich das Schlimmste.


In Wien glaubte man, dass Napoleon nun einen Anlass zu neuer Bekriegung Oesterreichs suche. Dies zu vermeiden und den Frieden aufrecht zu erhalten, war aller, besonders aber Kaiser Franz' und Stadions Wunsch. Letztere machten eine Vorstellung in Petersburg in bezug auf die Bocca und die Forderungen Napoleons. Inzwischen schrieb Franz an Napoleon eigenhändig betreffs der Bocca, ihre Herausgabe an die Russen sei ohne sein Wissen und Wollen erfolgt, eine Untersuchung habe er gegen den General Brady, den Befehlshaber in Dalmatien, eingeleitet und die Verhaftung Ghiselieris anbefohlen. Die Sperrung der Häfen für die russische Flotte werde erfolgen, sobald Russland eine ausweichende Antwort geben werde. In demselben Sinne hatte sich auch Stadion La Rochefoucauld gegenüber geäussert.[3]

Trostlos und fast verzweifelt stand Oesterreich da, weil zwei mächtige feindliche Heere seine beiden Grenzen bedrohten, das französische im Südwesten, das russische im Norden. In Wien wurde nun die Frage aufgeworfen: Mit wem von beiden Mächten soll es Oesterreich halten? Man war in der Beantwortung dieser Frage nicht einig. Erzherzog Karl, Trauttmansdorf, Metternich und viele andere waren der Meinung, man müsse den französischen Forderungen sich widersetzen und, wenn eben möglich, eine Allianz mit Frankreich anstreben. Zur Illustration der Meinung dieser Mehrheit, wie auch der Situation, in welcher sich Oesterreich damals befand, sei hier einiges aus dem Briefe Karls an den Kaiser angeführt:«... Ich glaube meine Aufmerksamkeit vorzüglich auf zwei Fälle richten zu müssen, von welchen der eine oder andere Eurer Majestät unausweichlich bevorzustehen scheint. Der erste und unglücklichste für den Staat wäre ohne Zweifel jener, wenn wir durch unsere unglückliche Lage in einen neuen Krieg mit dem einen oder anderen der beiden Kolosse, die uns bedrohen, verwickelt würden. Von beiden stehen mächtige Armeen an unseren Grenzen, mit beiden würden die ersten Feindseligkeiten den Krieg in das Herz der Monarchie führen, mit beiden würde der erste Ausbruch des Krieges uns ganze Provinzen entreissen, beide würden einen Teil der Erbstaaten beherrschen, ausplündern und verheeren, ehe wir imstande wären, eine Armee, der es an allem, sogar an Gewehren fehlt, in Ungarn versammeln zu können. Sollte jedoch zwischen diesen beiden grossen Uebeln eines gewählt werden müssen, so bietet der Krieg mit Frankreich noch unendlich schrecklichere Resultate dar, als jener mit Russland. Meine innere Ueberzeugung entreisst mir das traurige Geständnis: Ein neuer Krieg mit Frankreich und seinen Alliierten ist das Todesurteil für die österreichische Monarchie ... Nicht so ganz ohne alle Rettung erscheint der Krieg mit Russland.»[4]

Stadion hingegen war entschieden gegen die Allianz mit Frankreich. «Es würde,» sagte er, «Oesterreich Frankreich untertan werden; und ein solches Verhältnis bezeichnet man als Allianz.»[5] Für den Fall eines Bündnisses mit Frankreich aber stellte er seinen Rücktritt in Aussicht.

Keineswegs besser war die Situation in Petersburg. Alexander hatte einen Krieg zur Befreiung der Völker von der Macht Napoleons unternommen. Mit unermesslicher Zuversicht und unzähligen Hoffnungen ging er in den Kampf. Der «Austerlitzblick» aber machte ihn zu einem gebrochenen und ratlosen Mann. Ein schrecklicher Wirrwarr herrschte an seinem Hofe und in seinem Kopfe. Mannigfaltige Gährungen, mannigfaltige Richtungen kreuzten sich im Volke wie in den Parteilagern. Jedermann versuchte seine eigene Haltung gleich seiner Vergangenheit zu rechtfertigen. Und jedem gelang es natürlich. An der Niederlage Russlands war also niemand im Lande schuld. Die früheren Ratgeber des Kaisers, die ihm vorher so viel Ruhmvolles von einem Krieg gegen Napoleon vorgespiegelt hatten, schoben jetzt alle Schuld an dem Misserfolg Oesterreich zu. Die altrussische Partei predigte entschieden den Bruch des Bündnisses mit Oesterreich. Man beschuldigte es sogar eines Verrates. Die Leute der Opposition gegen das Regiment Czartoryskis gewannen jetzt grossen Einfluss auf den Kaiser und das Volk. Ihre Parole war nun, Russland solle nur noch die eigenen Vorteile im Auge behalten, seine Verbündeten ihrem Schicksal überlassen und sich nicht mehr zwecklos und sinnlos in einen weiteren Kampf stürzen.

Eine friedliche Stimmung beherrschte ganz und gar die öffentliche Meinung in Russland. Man verdächtigte aber den Zaren, er beschäftige sich auch weiterhin mit Kriegsplänen. Allerlei Beschwerden gegen den Kaiser und insbesondere gegen Czartoryski wurden laut und lauter. Der österreichische Botschafter in Petersburg, Merveldt, teilte sogar dem Wiener Hof mit, dass die tiefgehende Gährung der Gemüter die Möglichkeit eines Thronwechsels bezeugte.[6] Wenn die Friedenspartei schliesslich die Oberhand in Petersburg gewann, so verdankte sie dies auswärtigen Ereignissen; Pitt starb und sein Nachfolger neigte zum Frieden.

Mit Ungeduld wartete man in Wien auf einen Entschluss Russlands, d.h. auf die Antwort in bezug auf die Frage der Bocca di Cattaro. Endlich kam der langersehnte Bescheid. Rasumovski erschien am 26. Mai bei Stadion und teilte ihm mit, Russland sei bereit, Cattaro mit der Bocca herauszugeben. Allein die Räumung Cattaros seitens der Russen sei eine Sache, die nicht sofort erledigt werden könnte. Der russische Agent in Cetinje und in der Bocca habe die Bevölkerung der Bocca stets der russischen Protektion versichert. Diesem Versprechen könne sich Russland jetzt nicht entziehen, ohne den Unwillen seiner slavischen Brüder in dieser Gegend sich zuzuziehen. Die Russen wollten die Bocca den Oesterreichern, und diese könnten sie dann den Franzosen übergeben. Es brauche aber Zeit, bis die Bevölkerung zur ruhigen Hinnahme des unabwendbaren Beschlusses vorbereitet wäre. Also sprach Rasumovski.

Graf Stadion besprach mit dem französischen Gesandten die Sachlage und verlangte Verschiebung der Hafensperre, die Napoleon so dringend forderte. Larochefoucauld gab sich mit dieser Erklärung nicht zufrieden. Er forderte sofortige Hafensperre. Bei diesen Erklärungen und Gegenerklärungen, bei diesem beständigen Hin- und Herschwanken verlief viel Zeit, ohne dass man zu irgend einem positiven Resultat zu gelangen vermochte. Inzwischen aber bahnte sich langsam der Weg für die Friedensverhandlungen, die zuletzt zu Oubrils Vertrag führten.

So hielt die Angelegenheit der Bocca ganz Europa ein halbes Jahr in höchster Spannung: Der Friede Europas stand auf dem Spiel, wenigstens für den Augenblick. Aber auch nach Ablauf dieser Zeit war die Frage wegen der Bocca di Cattaro nicht endgültig gelöst; die Entscheidung stand nur auf dem Papier. Nicht einmal der Tilsiter Vertrag brachte eine befriedigende Lösung. Eine solche erfolgte erst, als alle anderen durch Napoleon auf die Tagesordnung gebrachten Fragen der europäischen Politik ihren Abschluss fanden, d.h. im Jahre 1814.

Wenden wir uns nun dem Lande zu, das für einen Augenblick als Schlüssel der politischen Situation Europas galt und der Uebermacht des siegreichen französischen Gewalthabers so lange trotzte und seinen Weltplänen sich in den Weg setzte, indem es um nichts anderes als um seine Freiheit und Unabhängigkeit mutig und aufopfernd kämpfte.[7]