Vorrede (Fortsetzung)

In dieser langen Zeit lassen sich bei ihnen in zunehmendem Maße künstlerische und gelehrte Neigungen beobachten, bis schließlich mein Vater sich ganz der Künstlerlaufbahn als Musiker gewidmet hat. Unter den Arbeiten aus ihrer Feder befinden sich auch zwei, welche auf Frankfurts Geschichte Bezug haben.

Mein Urgroßvater, der Advokat Dr. Johann Nikolaus Hektor Dietz, welcher am 1. Januar 1811 das Amt als Erster Beigeordneter seiner Vaterstadt antreten sollte, wurde einen Tag vorher zur ewigen Ruhe bestattet. Die fortgesetzten Aufregungen als Verleger des Frankfurter Journals hatten frühzeitig seine Lebenskraft erschöpft.


Mein Großvater, welcher durch das Schicksal als Kaufmann nach Marburg a. d. Lahn verschlagen worden war, veranlasste seine drei Söhne, sich wieder in seiner Geburtsstadt niederzulassen, und starb selbst auf heimischer Erde. Hier bin auch ich noch in freistädtischer Zeit geboren und in der Liebe zur alten Heimat meiner Familie erzogen worden. Soviel von meiner Person!

Was nun den Stand der deutschen handelsgeschichtlichen Forschung betrifft, so besitzen wir zwar über einzelne Abschnitte derselben Meisterwerke, wie z. B. das Zeitalter der Fugger von Professor Richard Ehrenberg und die Geschichte des mittelalterlichen Handels zwischen Westdeutschland und Italien von Professor Aloys Schulte. Aber eine große, deutsche Handelsgeschichte, aufgebaut auf den vielen, zerstreuten Einzelforschungen der letzten Jahrzehnte, muss noch geschrieben werden. Noch immer ist der, vor einem halben Jahrhundert in zwei Bündchen erschienene Abriss von Dr. Johannes Falke das Beste seiner Art, und selbst die vor 120 Jahren erschienene Handelsgeschichte von Friedrich Christoph Jonathan Fischer und die Geschichte des Nürnberger Handels von Pfarrer Roth sind heute noch unentbehrliche Hilfsmittel.

Eine Frankfurter Handelsgeschichte gibt es vollends nicht, ja nicht einmal den Versuch zu einer solchen, gerade als ob der Handel nicht ebenso der Lebensnerv unserer Stadt gewesen wäre, wie bei anderen deutschen Reichsstädten! Wie in der deutschen Geschichtsschreibung überhaupt, stand auch hier das Interesse an der politischen Geschichte ganz im Vordergrund. Weiterhin mag der Umstand mitgewirkt haben, dass die alten Frankfurter Geschichtsforscher meistens nicht aus den Kreisen der Kaufleute hervorgegangen sind: sie waren stolze Patrizier oder gelehrte Juristen und Geistliche, keine dem Erwerbsleben nahestehende Persönlichkeiten. Und doch, wie viel wertvolle handelsgeschichtliche Nachrichten liegen zerstreut und versteckt in ihren Arbeiten! Wie viel Namen von hiesigen Großkaufleuten ersehen wir z. B. aus den in der Lersner'schen Chronik mitgeteilten Grabinschriften des Peterskirchhofs!

Eine rühmliche Ausnahme macht nur der hochgelehrte, unermüdliche Forscher Dr. Johannes Philipp Orth, ein Mitglied der Patriziergesellschaft Frauenstein, welcher uns in seinen sechsbändigen Anmerkungen zur Frankfurter Reformation, dem hiesigen Gesetzbuch, und namentlich in seiner Abhandlung von den zwei Reichsmessen ein reiches handelsgeschichtliches Material hinterlassen hat. Sein Satzbau und seine Ausdrucksweise sind aber so schwerfällig, dass ein längeres Lesen in seinen dickleibigen Bänden eine qualvolle Anstrengung bildet. Daraus erklärt sich auch wohl die Tatsache, dass der Verfasser neben Lersner und Fichard nicht die Beachtung gefunden hat, welche er wohl verdiente. Sein Fleiß und seine Gründlichkeit sind bewunderungswürdig. Der erste Forscher, welcher in neuerer Zeit seine besondere Aufmerksamkeit der Kultur- und Wirtschaftsgeschichte unserer Stadt gewidmet und eine Reihe hervorragender Arbeiten auf diesem Gebiet verfasst hat, ist und bleibt der Stadtarchivar Dr. Kriegk.

Trotz dieser Vorarbeiten besitzen wir jedoch für Frankfurt keine, diese Einzelforschungen zusammenfassende neuere Darstellung von Handel und Gewerbe wie sie z. B. Ernst Hasse für die Leipziger Messen, Dr. Geering für Basel oder Otto Nübling für Ulm bietet. Die wenigen Worte, mit welchen Professor Bücher in seinem bevölkerungsstatistischen Werke den mittelalterlichen Handel unserer Stadt abfertigt, können den Frankfurter Geschichtsfreund nur mit aufrichtigem Bedauern erfüllen. Bücher hat der Versuchung nicht widerstanden, von seinem Thema in dieses ihm fremde Gebiet abzuschweifen, und infolgedessen ein Urteil über das mittelalterliche Frankfurt in Umlauf gesetzt, welches von der Wahrheit weit entfernt ist und das geschichtliche Ansehen der von ihm wenig geliebten Stadt schwer schädigt. Weitere Ausführungen muss ich mir für die folgende Darstellung vorbehalten.

Das vorliegende Werk beruht ganz auf urkundlicher Grundlage. Über die Methode, nach welcher der Stoff gesammelt und verarbeitet worden ist, bemerke ich folgendes:

Jedes Geschichtswerk empfängt unwillkürlich sein Gepräge durch die vorhandenen Quellen und falls diese sehr mannigfaltig sind, durch die unter ihnen getroffene Auswahl; so lässt jede Seite der Basler Handels- und Gewerbegeschichte von Dr. Geering den fast erdrückenden Reichtum an Zunftnachrichten und den in dieser Stadt herrschenden Zunftgeist erkennen; der freie Warenhandel ringt sich unter diesem Druck nur mühsam durch. In starkem Gegensatz hierzu hat in Frankfurt infolge der beiden großen Reichsmessen mit ihrer weitgehenden Handelsfreiheit ein ganz anderer Geist geherrscht. Die Kaufleute waren hier nicht dem Zunftzwang unterworfen, sondern verschwinden im Mittelalter m der freien Gemeinde oder in den Patriziergesellschaften, ohne dass sie durch eine berufliche Bezeichnung als solche erkennbar gewesen wären. Aus dieser Eigentümlichkeit ergab sich für mich die erste, äußerst schwierige Aufgabe, die vorhandenen Kaufleute auf Umwegen nach Namen und Zahl allmählich festzustellen.

Aus den Waren, welche auf Reisen geraubt, auf der Stadtwage gewogen, in Läden und Gewölben aufgespeichert, bei Gericht ausgeklagt, inventarisiert oder bei der Behörde versteuert wurden, vermochte ich deren Besitzer als Kaufleute zu erkennen. Hierbei blieb ich aber nicht stehen, sondern ergänzte das Bild des einzelnen Individuums zu einer abgerundeten, wirtschaftlichen Einheit durch Erforschung seiner Familie, seines Wohnsitzes, seines Vermögens und seiner gesamten Handelstätigkeit. Zur Erreichung dieses Zieles musste eine mühselige Kleinarbeit verrichtet und alle diejenigen Quellen durchgearbeitet werden, welche geeignet waren, über das Einzelwesen in wirtschaftlicher Hinsicht volles Lieht zu verbreiten.

An gedrucktem Stoff kamen für das Mittelalter kaum mehr wie das von Dr. Lau neubearbeitete Böhmer'sche Urkundenbuch und die vier Bände Inventare in Betracht, unter welcher Bezeichnung die von dem Stadtarchivar Dr. Kriegk mit unendlichem Fleiß angefertigten Urkundenauszüge von seinen Amtsnachfolgern Dr. Grotefend und Dr. Jung veröffentlicht worden sind. Das namentlich in den letzteren enthaltene reiche handelsgeschichtliche Material ist zum erstenmal von mir zusammengesucht und verarbeitet worden.

Was die ungedruckten Quellen betrifft, so bot namentlich Fichards Geschlechtergeschichte für das Mittelalter eine ungeahnte Fülle von handelsgeschichtlichen Nachrichten. So viel sie im einzelnen benutzt wird, so scheint sie bisher niemals als Ganzes durchgearbeitet worden zu sein. Auf ihrer Grundlage wurde meine Ansicht zur Gewissheit, dass die bisher abgeleugneten mittelalterlichen Kaufleute in den Kreisen der Patrizier zu suchen sind, ja dass die Patriziergesellschaft des Hauses Frauenstein ursprünglich eine Standesvereinigung von Kaufleuten, eine Kaufleutegesellschaft, gewesen ist. Dieses Bild wird durch den Inhalt der alten Schöffengerichtsprotokolle vervollständigt, welche auf jeder Seite die wichtigsten Beiträge nicht nur zur Frankfurter, sondern auch zur allgemeinen deutschen Handelsgeschichte liefern.

Um das Jahr 1500 beginnen die Quellen, meist gerichtlichen Ursprungs, viel reicher zu fließen. Von dieser Zeit an kommen insbesondere die vollständigen Prozessakten des Schöffengerichts aus dem 16. Jahrhundert, alle auf Frankfurt bezüglichen Akten des Reichskammergerichts, die Gewaltbücher, in welche Vollmachtserteilungen, Rechtshilfegesuche und andere Erklärungen protokolliert wurden, und sodann als wichtigste, unerschöpfliche Quelle die bei Todesfällen, Konkurseröffnungen und sonstigen Gelegenheiten vom Gericht aufgenommenen Vermögensinventare, etwa achtzehntausend an Zahl, hinzu. Abgesehen von vereinzelten Stücken sind alle diese zuerst von mir seit dem Jahre 1896 zusammenhängend durchgearbeitet worden. Die verstaubten und vergilbten Prozessakten befanden sich noch unangetastet in ihren ursprünglichen Verschnürungen, die so inhaltsreichen Gewaltbücher, aus welchen wir so viele Namen und Geschäfte hiesiger und fremder Kaufleute ersehen können, sind bis zum heutigen Tage noch nicht beachtet worden und die zahllosen Vermögensinventare, auf deren Durchsicht ich mehrere Jahre verwenden musste, haben erst später die allgemeine Aufmerksamkeit der Forscher auf sich gelenkt. Die in ihnen enthaltenen genauen Nachrichten über die Warenvorräte, Kapitalien, Forderungen und Schulden der Frankfurter Kaufleute haben mich sogar zuerst auf den Gedanken gebracht, auf dieser sicheren Grundlage eine Frankfurter Handelsgeschichte aufzubauen. Durch die Inventare war ich insbesondere auch in den Stand gesetzt, die Kapitalkraft der hiesigen Kaufleute zu ermitteln und am Schlüsse dieses Werkes das wichtige Verzeichnis der großen Frankfurter Vermögen seit 1500 zu bringen.

Gerade dadurch, dass ich mich bei meinen Forschungen auf dem hiesigen Archiv, welches ich seit 23 Jahren besuche, nicht auf die als Handelssachen bezeichneten Akten beschränkt, sondern insbesondere auch die Gerichts-, Handwerker-, Münz-, Zoll- und andere Akten durchsucht habe, ist es mir geglückt, viele versteckt liegende, sonst verlorene Nachrichten über den Frankfurter Handel ans Tageslicht zu ziehen.

Einen besonderen Wert dürfte das Werk dadurch erlangt haben, dass es mir auf Grund persönlicher Verbindungen geglückt ist, alles, was an Geschäftsbüchern, Teilungsabschieden, Verträgen, Aufzeichnungen und Bildern in Privatbesitz noch vorhanden ist und vielfach versteckt und unbeachtet seinem Untergang entgegensah, ausfindig zu machen und zur Verwertung zu erhalten, sodass manche Abschnitte nur diesem gütigen Zusammenwirken der Altfrankfurter Familien zu verdanken sind. Herr Baron Simon Moritz von Bethmann hatte die Freundlichkeit, für mich aus seinen alten Geschäftsbüchern ein Verzeichnis der Anleihen und sonstigen Beteiligungen seines Bankhauses seit 1748 anfertigen zu lassen. Ein Gleiches taten für die neuere Zeit die Bankiers Sulzbach und Seligmann; der Handelskammerpräsident Geheimrat Petsch-Goll gestattete mir, bei unseren regelmäßigen Zusammenkünften im Garten seiner Villa auf dem Mühlberg dasjenige aus seinen Erzählungen, was ich für beachtenswert hielt, aufzuschreiben. Die alten Geschäftspapiere der erloschenen Familien von Barckhausen und von Wiesenhütten entdeckte ich bei Herrn Oberstleutnant von Kummer in Trier und konnte sie während eines Besuches in diesem gastlichen Hause in aller Ruhe verarbeiten. Leider lebt keiner von den genannten Gönnern des Werkes mehr. Die Geschäftsbücher der zwei ältesten und größten Schnupftabakfabriken der Gebrüder Bolongaro in Höchst und der Gebrüder Bernard in Offenbach, der Weinhandlungen Mappes & Schulz und Manskopf-Sarrasin standen mir durch die Güte ihrer jetzigen Inhaber zur Verfügung. Mein lieber, väterlicher Freund, Freiherr Allesina von Schweitzer in Jugenheim, Herr Heinrich de Bary-Jeanrenaud und sein Basler Vetter, der k. k. Feldmarschall-Leutnant von Bonn in Graz, Herr Dr. Delosea, Herr August von Doerr zu Smilkau, General von Herff zu Seeheim, Kammerherr Baron von Leonhardi in Großkarben, Kapitänleutnant Freiherr Fritz von Malapert zu Dornheim, die Herren Stadtrat von Metzler, Meyer-Petsch, Müller-Stern, Pfeiffer-Belli, Otto Zickwolff in Mainz und viele Andere gestatteten mir bereitwilligst die Verwertung ihrer Familienbilder und Geschäftspapiere; Herr Baron Emil von Erlanger in Paris arbeitete für meine Zwecke eine Lebensgeschichte seines Vaters aus und Frau Tilla Schwert geb. von Guaita scheute
nicht einmal die Mühe einer Reise nach Frankreich, um ein Bildnis des hiesigen Großkaufmannes Anton Maria Guaita ausfindig zu machen. Allen diesen sei mein aufrichtiger Dank für ihre gütige Unterstützung ausgesprochen.

Nur von dem größten Frankfurter Geschäftshaus, M. A. Rothschild & Söhne, dessen Geschäftsbücher sich in Brüssel befinden, waren trotz aller Bemühungen keine Mitteilungen zu erlangen. Diesen Mangel konnte ich jedoch insofern etwas ersetzen, als ich das Nachlassinventar des Begründers, Mayer Amschel Rothschild, aus dem Jahre 1812 fand.

Bei der Ausarbeitung des Werkes ist mein Augenmerk stets darauf gerichtet gewesen, der Frankfurter Handelsgeschichte für alle Zeiten eine feste, tatsächliche Grundlage zu geben und hierbei in erster Linie die inneren wirtschaftsgeschichtlichen Vorgänge, wie die Personen der Kaufleute, die Art ihrer Warengeschäfte, ihre Handelstechnik, Handelsbeziehungen und Kapitalkraft festzustellen. Diese Arbeit ist eine wichtigere und auch unendlich schwierigere, wie die heutzutage so stark betonte Erforschung der politischen und der verfassungsrechtlichen Seiten des Handels. Letztere bilden gewissermaßen nur den Rahmen zu dem eigentlichen Bilde. Die Handelspolitik unserer Stadtverwaltung ist stets darauf gerichtet gewesen, „den Commerzien ihren freien Lauf zu lassen", ihnen möglichst wenig innere Schranken aufzuerlegen und nur nach außen in vorsichtiger Weise Schutz angedeihen zu lassen. Die Rücksicht auf den hier vereinigten Handel der Messefremden verbot jede kräftigere Sonderpolitik der Stadt.

Von dem Bestreben ausgehend, die Vorgänge in Frankfurt nicht als vereinzelte Erscheinungen zu betrachten, sondern stets mit denjenigen anderer Städte und Zeiten zu vergleichen und diese Forschungen möglichst an Ort und Stelle zu machen, habe ich viele Reisen in Deutschland und im Ausland unternommen und in fremden Archiven manche wertvolle Nachricht über Frankfurts Handel gefunden. Auf diese Weise habe ich namentlich die belgischen, französischen, italienischen, österreichischen und schweizer Städte kennen gelernt und manchen Tag in den Archiven zu Köln, Straßburg, Basel, Nürnberg, Wien, Leipzig zugebracht.

Bei der Begründung meiner Ansichten über die handelsgeschichtlichen Vorgänge habe ich mir weitgehende Zurückhaltung auferlegt und es möglichst vermieden, mich auf wissenschaftliche Streitfragen oder gar auf persönliche Auseinandersetzungen mit Gegnern einzulassen und den sonst üblichen Ballast von Anmerkungen und gelehrten Zitaten zu bringen.

Die Frankfurter Handelskammer hat die Veröffentlichung dieses Werkes dadurch wesentlich gefördert, dass sie sich verpflichtete, eine größere Anzahl Exemplare fest zu übernehmen. Gegenüber ihrer eigenen Festschrift, welche sie bei ihrer Jahrhundertfeier im Mai 1908 herausgab, wurde der Stoff vertraglich dahin abgegrenzt, dass ich die geschichtliche Entwicklung Frankfurts bis zum Jahre 1815 mit Ausläufern bis zum Jahre 1866 zu behandeln habe. In dem Werk wollte ich möglichst der Einteilung der preußischen Handelskammerberichte folgen, und es demgemäß in folgende Abschnitte einteilen:

                              I. Allgemeiner Teil enthaltend:

01. Geschichtliche Einleitung
02. Messehandel
03. Wochenmärkte
04. Ständiger Handel
05. Handelspolitik
06. öffentliche Handelseinrichtungen, wie Kaufhäuser, Wagen, Kranen, Makler
07. Handelspolizei und Handelsrecht
08. Zollwesen
09. Münz-, Maß- und Gewichtswesen
10. Handelsstand, in seiner Zusammensetzung, Vereinigung, Vertretung
11. Handelsbetrieb, wie Handelsgesellschaften, Buchführung, Personal, Geschäftszeit
12. Handelsverkehr, wie Verkehrswege, Verkehrsmittel u. Verkehrsumfang (Handelsbeziehungen).

                                II. Besonderer Teil enthaltend:

die Geschichte der einzelnen Handelszweige.

Dieser erschöpfende Plan, welcher neben der allgemeinen Darstellung jeden einzelnen Gegenstand in selbständiger, abgerundeter Form gebracht hätte, erwies sich vorerst nicht als durchführbar, wenngleich ich gerade die Geschichte einzelner Handelszweige, wie des Vieh- und Fleischhandels, des Pferdemarktes, des Weinhandels, längst fertiggestellt hatte. Um trotzdem ein einheitliches Werk zu liefern, verarbeitete ich das Wesentlichste der vorgesehenen einzelnen Abschnitte an einer geeigneten Stelle der Gesamtdarstellung, namentlich in dem grundlegenden Zeitraum von 1585 — 1630. Eine Fortsetzung und Vollendung des Werkes nach dem ursprünglichen Plane war auf diese Weise immer noch möglich und wird, wie ich bestimmt hoffe, auch noch zustande kommen.

Bei der ausschlaggebenden Bedeutung, welche der Handel stets für unsere Stadt gehabt hat, bietet dessen Geschichte das Wesentlichste aus der ganzen Frankfurter Geschichte oder beleuchtet sie wenigstens aus diesem Gesichtspunkte. Ich hohe hierbei zuversichtlich, meiner Vaterstadt den ihr nicht immer zuerkannten Ehrenplatz unter den großen Handelsstädten des deutschen Reiches dauernd gesichert zu haben. Frankfurt war zwar klein, aber nicht kleinlich; als Reichsstadt gehörte es zu den vielen kleinen staatlichen Lebewesen, deren Kraftentfaltung und kunstvollen inneren Ausbau wir aufs höchste bewundern müssen. Bis zur Erstarkung und wirtschaftlichen Ausbildung der Landesherrschaften waren nicht diese, sondern die Reichsstädte und deren Bürgerschaft die wichtigsten Träger der deutschen Kultur. Unter diesen ist Frankfurt in zunehmendem Maße neben Nürnberg eine Hauptstütze des deutschen Kaisertums außerhalb der österreichischen Erblande gewesen und hat diesem auch nach der Auflösung des Reiches im Jahre 1806 noch lange Zeit eine große persönliche Anhänglichkeit bewahrt.

Frankfurt hat sein inneres Gepräge durch seine Eigenschaft als wirtschaftliche Hauptstadt der Wetterau, durch die zwei großen Reichsmessen und seit der Reformation durch die starken Bevölkerungsbestandteile der Juden und Ausländer erhalten. Seine Handelspolitik war in erster Linie eine Messehandelspolitik, gerichtet auf den Fremdenschutz, die Straßensicherheit, die Wahrung der Handelsfreiheit und die Pflege guter Beziehungen zu den Regierungen der Messefremden. Die größte Vorsicht und Zurückhaltung war geboten und eine stärkere politische Betätigung, wie wir sie bei Nürnberg finden, nicht am Platze. Namentlich musste man auf Frieden mit den benachbarten Landesfürsten als den Geleitsherren der Messfremden, sehen und alle Reibungspunkte vermeiden. Daher hat sich auch die Frankfurter Territorialpolitik in den engsten Grenzen bewegt und keine Versuche gemacht, sich durch einen Kampf mit dem Dynasten von Hanau den Besitz aller 19 Ortschaften der unsere Stadt umschließenden Reichsgrafschaft des Bornheimer Berges oder im Jahre 1418 nach dem Aussterben des Falkensteiner Dynastengeschlechtes den größten Teil des Reichsforstes Dreieich zu verschaffen. Infolgedessen war das der Stadt gehörige Landgebiet verhältnismäßig viel kleiner wie bei den meisten deutschen oder gar bei den Schweizer Städten.

Frankfurt war im inneren Deutschland der Berührungspunkt zwischen den Handelsgebieten der Hanseaten und der Oberdeutschen. Der Frankfurter Kaufmann wurde demgemäß in Lübeck als Hanseat behandelt und im Deutschen Haus zu Venedig an der Frankentafel zugelassen. Köln und Lübeck im Norden, Straßburg, Ulm, Augsburg und Nürnberg im Süden sind diejenigen Städte gewesen, welche mit ihren Kaufleuten und Waren den hiesigen Messeverkehr beherrscht haben. Unter allen diesen ist aber Straßburg, die Hauptstadt des weinreichen Elsass, seit dem Jahre 1280 vier Jahrhunderte lang unsere beste und treueste Freundin gewesen, bei welcher wir uns in allen schwierigen Fällen Rats erholt haben.

Bei einer Vergleichung von Einstens und Jetzt können wir aus der Geschichte sehr wichtige, lehrreiche Gesichtspunkte gewinnen. In politischer Hinsicht war Frankfurt eine freie Reichsstadt, die alte Wahlstadt der deutschen Kaiser, der Sitz der oberrheinischen und der kurrheinischen Kreisregierungen und seit 1815 der Bundesregierung, in wirtschaftlicher Hinsicht von 1300 bis 1700 unbestritten der erste deutsche Messehandelsplatz, seit 15S5 durch drei Jahrhunderte der erste deutsche Geld- und Börsenplatz und im achtzehnten Jahrhundert neben Hamburg überhaupt der erste deutsche Handelsplatz. Keiner dieser Ruhmestitel steht Frankfurt heute trotz seiner Menschenmenge zur Seite. Eine Anzahl deutscher Städte haben uns seit einem halben Jahrhundert den Rang abgelaufen oder halten mit uns gleichen Schritt.

Wenngleich wir Frankfurter uns längst an den Gedanken gewöhnt haben, dass der Verlust unserer Selbständigkeit unvermeidlich gewesen sei, so wäre es doch verkehrt, diese Frage lediglich von großdeutschem oder gar preußischem Standpunkt aus zu beurteilen. Mit dem kostbaren Gute unserer Selbständigkeit haben wir unendlich viel verloren. Außerhalb der Stadt wird das viel eher eingesehen wie in ihr selbst. Die Börse büßte mit der Verlegung des Sitzes der deutschen Zentralregierung nach Berlin die für sie unentbehrliche, nahe Fühlung mit der hohen Politik ein. Von den vielen Millionen Staatssteuern, welche die Bürgerschaft seit 1866 Jahr aus Jahr ein aufbringen musste, fand nur ein kleiner Bruchteil Verwendung für die Stadt. Während früher die besten Kräfte durch die eigenen Bedürfnisse der Stadt nach Verwaltungs- und Justizbeamten sowie nach leitenden Männern hier meistens festgehalten wurden, verschwanden und verteilten sie sich in dem großen preußischen Staatsgebiete und fremde Elemente wurden dafür zur Leitung der städtischen Angelegenheiten hierher berufen. Seit dem Tode des Herrn von Mumm im Jahre 1880 ist kein Frankfurter mehr Oberbürgermeister gewesen. In Sitte und Anschauungsweise der Bürgerschaft vollzogen sich ebenso große Wandlungen, wie in dem äußeren Ansehen der Stadt, und die größten Anstrengungen wurden und werden noch gemacht, der Stadt Ersatz für verlorene Güter zu schaffen und das alte Ansehen derselben in der Kulturwelt zu erhalten. Hierbei tritt die Bedeutung des jüdischen Bevölkerungsbestandteiles immer mehr in den Vordergrund.

Die eigentliche Frankfurter Geschichte hat mit dem Jahre 1866 ihr Ende erreicht. Durch den Wert der über sie geschriebenen Werke wird das geschichtliche Ansehen unserer Stadt bedingt sein. Es ist zu befürchten, dass unser früheres kleines Staatsgebilde zu viel von dem heutigen nationalen Standpunkt und zu wenig aus seiner Zeit und aus sich heraus beurteilt und auch in dieser Hinsieht von Verlusten bedroht sein wird. Ich würde mich glücklich schätzen, wenn ich dazu beigetragen hätte, dies hinsichtlich der Handelsgeschichte verhütet zu haben.

Wie bereits erwähnt, verdanke ich die glückliche Vollendung des Werkes in seiner vorliegenden Gestalt der gütigen Mitwirkung zahlreicher Altfrankfurter Familien. Außer den bereits genannten Personen sind es noch viele Andere, welchen ich zu Dank verpflichtet bin. Der vom Schicksal schwer geprüfte Verlagsbuchhändler Wilhelm Rommel fertigte in den letzten Jahren seines Lebens unverdrossen tausende von Abschriften und Auszügen aus den reichen Beständen des Stadtarchivs für mich an, bei welcher Arbeit ihn später Herr Gustav Mori ablöste, Herr Heinrich Stiebel und Herr Carl Abt stellten mir bereitwilligst ihre Schätze an Frankfurter Ansichten und Bildnissen zur Verfügung, Frau Knocke geb. Schwedes nahm mir die mühevolle Arbeit des Registers ab und Herr Emil Padjera ließ sich keine Mühe verdrießen, alle Korrekturbogen durchzusehen. Die Wappen sind mit Ausnahme der belgischen und französischen, welche ich der kunstfertigen Hand des Herrn Adolf von den Velden zu Weimar verdanke, von Herrn Karl Kiefer gezeichnet, die photographischen Aufnahmen mit gewohnter Sorgfalt von Herrn Hermann Maas und von Herrn C. Böttcher, die meisten Clichés von der Kunstanstalt F. Guhl & Co. geliefert worden.

Auch die Vorstände der hiesigen und fremden Archive, Bibliotheken und Museen sind mir nach Kräften behilflich gewesen. Den größten Dank schulde ich aber der Frankfurter Handelskammer und ihrem Präsidenten, Herrn Geheimen Kommerzienrat Jean Andreae.

So wandere denn dieses neueste Kind meiner Muse in die Welt und lege Zeugnis von dem ab, was die Kaufmannschaft der freien Reichsstadt Frankfurt a. M. einst geleistet hat.

Jugenheim a. d. Bergstraße im September 1910.

          Dr. jur. Alexander Dietz
          Rechtsanwalt.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Frankfurter Handelsgeschichte. Band 1