IV. Für das Bildnis des Monarchen, der sich ...

IV. Für das Bildnis des Monarchen, der sich in seinen Aufzeichnungen erinnert, einige Schnellzugslinien gebaut zu haben, die Frankfurt umgehen, ist in den Nischen des Kaisersaales im Römer kein Platz mehr gewesen. Die zweiunddreißig Nischen sind mit den Bildern und dunkeln Wahlsprüchen der Kaiser gefüllt, das Kapitel der neuen Geschichte, das 1806 begann, ist erst im Anfang. Dem Kaiser, der nicht mehr das Symbol eines majestätischen Deutschland war, bereitete das moderne Frankfurt die Huldigung in der glasüberwölbten Festhalle, im fleischfarbenen Gewimmel der Köpfe, im Schwarzweiß der befrackten Gesangvereine, das den hohlen Schall erzeugte. Ist nicht diese Stadt immer der Angelpunkt, die feste Pforte des Reiches gewesen? War nicht für Bismarck, den preußischen Gesandten, der hier widerwillig lebte, Frankfurt ein Ort der Qual, doch auch der inneren Schulung zu dem Werk des preußisch-deutschen Baues, so wie einst für Friedrich die Küstriner Gefangenschaft? An der Mündung des Mains, der stark genug daherfließt, um selbst den Rhein auf ein Stück in seinen Weg zu zwingen, teilt sich die Linie des Rheines in die beiden nach Norden weisenden Senken; die eine setzt sich im Strome fort, die trockene weist nach Hamburg, die bildet die dichteste Reihe der Hochschulen in Deutschland. Um den bedeutenden Landstrich der fränkischen Erde, in dessen Mitte Frankfurt liegt, wandelten die Sitze der Reichsmacht wie die Monde um den Planeten; das alte Worms, das üppige Mainz, das mächtige Köln und Aachen, das strenge Goslar, das fernwirkende stolze Wien und das befehlende Berlin drückten Frankfurt niemals zu den Schatten nieder. Städte, die einst mit Frankfurt wetteiferten, sind in den Hintergrund getreten. Jüngere, größere Städte als Frankfurt, sichtbarer am Weltgeschehen, werden von bedrohlicheren Wandlungen ergriffen. Das Frankfurt der Bankhäuser und der Zeitung, die für seine Interessen typisch ist, das vom proletarisch-kleinbürgerlichen Gürtel eingeschlossene, von den Dämpfen der Industrien umlagerte Frankfurt vollzieht jetzt an sich selbst den Umschwung in einen neuen, Hamburg verwandten Charakter; unzerstörbar in seinem sachlichen Ausdruck, tritt es zugleich in die Reihe jener neuen Städte mit alten Namen, die ihren Zusammenhang verstärken, zu Rotterdam, Köln und Basel. Frankfurt war Großstadt durch seine Beziehung zu den weltbestimmenden Dingen, als noch die enggestellte Schar seiner Häuser im Kranz der elf Bastionen Platz fand. Ohne jemals der Sitz einer Dynastie gewesen zu sein, hat diese Stadt mehr politisches Getriebe in ihren Mauern gesehen als irgendeine Stadt des inneren Europa, sie hat Kriege überdauert, ohne zerstört zu werden, sie war Wechselplatz und sammelte ihren Reichtum im Wechsel der Epochen. Europäische Veränderungen haben die Bedeutung des Rheintales geändert, das Rheintal war einst der Weg der römischen Bildung in den Norden, es beginnt heute als die Verbindung des Weltmeeres mit dem Binnenlande verstanden zu werden. An der großen nordsüdlich gerichteten Kulturstraße tut Frankfurt seinen Dienst. Im Absterben der Messe und des großen Bücherhandels, im Verfall des Reiches, im Aufstieg des kapitalistischen Zeitalters retteten Kaufleute durch ihre Geschicklichkeit, Bankherren durch ihre Fürsprache, Dichter durch die inneren Kräfte dieses Bodens immer wieder der Stadt ihre Freiheit. Als die Frankfurter Börse aufhörte, die oberste des Festlandes zu sein, hielten neue Formen des Fernhandels, des Metallgeschäftes, der Industriebeteiligungen, zuletzt die spätgegründeten eigenen Industrien die Bedeutung der Handelsstadt auf breiteren Feldern lebendig. Man hat eine neue Messe gegründet; dieses Wiedererstehen rechtfertigt das Erinnern an die alte, die durch Jahrhunderte aus dem juristischen Vorzug des kaiserlichen Privilegs neben dem geographischen ihre Gewinne zog. Die werkbundmäßigen Gebäude dieser Messe, ihre Plätze und Höfe, auf Turmhäuser und Säulengänge eingerichtet, beginnen dem Gesicht der Stadt einen neuen Zug einzufügen, dessen Geheimnis der Wettstreit der schwarzen und der weißen Kohle ist; Frankfurt liegt auch hier auf der Linie des Übergangs. Neue Probleme sind aufgeworfen und verkünden neue Schöpfungen. Ist nicht das Rheinland wieder zur europäischsten Landschaft geworden, ganz von Tragik durchdrungen? Kündet sich hier nicht neues nationales Leben an, begleitet von neuen internationalen Beziehungen! Geschäftsstadt ohne City, deren steinerne Kontore an ruhigen Straßen und im Grünen liegen, politische Stadt ohne Amt, Stadt der Besitzenden und Informierten, deren Aufmerksamkeit auf das Geld ebenso unerschütterlich ist wie ihre Bereitschaft, sich in Neuyork und London wie auf dem eigenen Boden zu bewegen, seltsames Gewächs der fränkischen Erde, als ein Sitz bedeutender Arbeit und Unternehmung zugleich die Mitte zwischen einigen zwanzig Universitäten, Hochschulen, Akademien und Sammlungen der Kunst im westlichen Deutschland, doch ohne die Kriegstaten und Leidenschaften der territorialen Staaten, wuchtig in seiner Passivität, seinem Ausgleich und seiner Dauer, Reichsort, der aus dem Opfer, das Preußen einer neuen Länderordnung im Westen des Reiches wird bringen müssen, und im künftigen Bündnis der Großstädte das Maß der Freiheit wiederfinden kann, dessen jede wahre Stadt bedarf. Die Mächte der Zeit ringen in dieser Stadt unsichtbar miteinander, sie gestalten ihren Demos. Geldmarkt und Fabrikmacht sind hier verbündet, aber in stillen Lehrhäusern, Erlebnissen und Begegnungen zieht sich schärfer als anderswo zusammen, was über das wirtschaftliche Prinzip hinaus seinen Weg in das europäische Schicksal sucht. Die Innenstadt, die sich schmückt und reinigt, verkündet die Besinnung. Wuchs nicht ein großes Unglück der Welt aus dem Mangel an Gastlichkeit, aus tausend Erschwerungen des Reisens? Vielleicht werden doch die Städte, deren beste Luft der Friede ist, dieses Unglück besiegen. Wären große Staaten dem Beispiel des alten Stadtstaates gefolgt, der Frankfurt hieß, wir würden in der Sinfonie der Stimmen weniger von dem Waffenlärm und dem Wehklagen hören, das sich im europäischen Antlitz so unwirsch widerspiegelt.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Frankfurt - Ein anachronistisches Bild