Feste des Lebens - Ein Bekenntnis
Aus: Die jüdische Bewegung. Erste Folge 1900-1914
Autor: Buber, Martin (1878-1965) österreichisch-israelischer jüdischer Religionsphilosoph und Bibelübersetzer, Erscheinungsjahr: 1901
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Juden, Judentum, Ostjuden, Einwanderung, Einwanderer, Deutschland, Russland, Polen, Progrome, Gewalt, Krieg, Vertreibung, Wohnungsnot, Gründe, Not, Elend, Arbeitsplätze, Flüchtlinge, Solidarität, Glaubensfreiheit, Religion, Nächstenliebe, Wahrheitsliebe, Berichterstattung, Medien, Wahrheit, Öffentlichkeit, Kultur, Parteien, Gerechtigkeit
Feste, leuchtend wie die junge Sonne und sehnsüchtig wie die Flut, uralte, ewig erste, unsterbliche, ich liebe euch!
Einst wandte ich mich ab von euch wie ein Kind von der Mutter, der es sich entwachsen glaubt, müde des Gleichförmigen und nach Abenteuern verlangend. Wie die Dichtung eines Gebetes wäret ihr, deren Worte das Kind wie eine Formel aufsagt, lässig, des Sinnes unkundig und von Spielen träumend. Da ging ich von euch.
Nun kehre ich zu euch zurück, wie ein Kind zur Mutter, deren unerschöpfliche Schönheit sich ihm in einem gesegneten Augenblick offenbart, wie ein Kind zur Mutter, die Welten schenkt und keinen Dank begehrt. Nun kehre ich zu euch zurück, wie ein Kind zum Dichtergebete, dessen Verse sich ihm erschließen wie Blütenknospen.
Gebet und Erbetenes seid ihr mir.
In euch bete ich zu meinem Volke. Und ich bete um euch.
Weil ich weiß, was meines Volkes Zukunft will, weil ich die unsichtbare Wende seines Geschickes kenne, bete ich zu meinem Volke um euch, wie man zu einem Gotte betet — dass er am Leben bleibe.
O verklungene Götternamen und Göttersprüche!
Aber alles gilt mir meines Blutstammes Schönheit und Glück.
Und ich weiß: die kann er nur gewinnen in seinem Volkstum.
Und ich weiß: ein Volk, das keine Heimat hat, muss durch ein lebendiges Band von gemeinsamem, bedeutungsvollem Erleben die heimatliche Einheit ersetzt sehen, wenn es ein Volk bleiben soll. Rein geistige Güter sind kein solches Band: man sieht sie nicht, hat kein Bild von ihnen, hält sie nicht. Organische Einheit kommt nur von sichtbaren, greifbaren Dingen, die in das ursprüngliche Sinnenleben des Volkes sich stark hineinweben und eine heimatliche Stimmung, ein volkstümliches Wesen erzeugen. So, nur so entstehen Gefühle der Zusammengehörigkeit, Taten der Volksbefreiung. Feindlich anstürmendes Schicksal mag sie zuletzt auslösen, werden und wachsen können sie nur in der stillen, warmen Atmosphäre der Volkssitten, unter der milden Sonne der alten, ewig neuen Feste.
Darum liebe ich euch, Feste meines Volkes!
Nicht weil euch ihm ein Gott befahl. Ich habe gelernt, ehrfurchtsvoll beiseite zu treten, wenn himmlische Satzungen des Weges einherschreiten. Aber ich liebe euch, weil mein Volk sich selbst befehlen muss, euch zu wahren.
Euch — nicht als sinnlose Zeremonien, sondern als sinnvolles Bilderschaffen, als Umsetzen der alten Erinnerungen, der alten Freuden und Martern in Kunstwerke des Lebens. Die großen Schicksale gehen durch die Jahrhunderte, um endlich auszuströmen in dieses konzentrierte zweite, symbolische Erleben; die Festtage.
In euch. Feste meines Volkes, spricht sich die einheitliche Seele der Toten und der Lebenden aus, und die Volksseele kann durch euch, in euch geschaut und geliebt, die schlummernden Keime wecken. Ihr seid ihr Körper, und sie wirkt durch euch, weil nur Körperliches unmittelbar wirken kann, aber Seele bleibt sie, und Seele ist der letzte Sinn ihres Tuns. Und so schöpft sie aus dem Leibe, den sie sich geschaffen, ewig neues Leben. Wie der Künstler aus dem Stoff der Erde sichtbare Werke schafft, in die er sein Seelenerleben legt und die im Empfangenden wieder zu Seelenerleben werden. Sitten sind Volkskunst, wie Lieder und Tänze, ,,allheilig dem, der ihre Seele sucht".
Darum liebe ich euch, Feste meines Volkes, wie ein Kind seine Mutter liebt.
Und will zu euren Füßen sitzen und euren Mären lauschen und schauen, wie euch in unseren Tagen eine neue Weihe wird und ein neuer Glanz: wie der lebendige Ährenkranz der Auferstehung auf euer Haupt gelegt wird und euer Angesicht sich verwandelt.
Und will von euren Händen das Geschenk der Kraft nehmen, die Schönheit wird, und das Geschenk der Heiligkeit, die nicht hinter den Wolken ihren Sitz sucht, sondern im Wogen des Erdentages, und das Geschenk der Reife, die Unendlichkeiten in ihrem Schöße trägt und sich doch geruhig im Gegebenen auslebt.
Und will hinausgehen und euer Reich verkünden.
Euch aber, ihr Braven, Übereifrigen, Kurzsichtigen, die ihr immer die Sache des „Fortschritts“ gefährdet sehet, wenn ein Traum von großer Lebenskunst auftaucht, euch sei es gesagt, dass ich nicht zurückgehen will, sondern — über euch hinaus.
Denn während ich zu den alten Festen zurückkehre, sind sie neu geworden. Nun komme ich nicht zu starren Denkmälern schützender Tradition, sondern zu jungen Weihegärten eines jungen Volkes. Nicht zu Festen toter Vergangenheit, sondern zu Festen lebendiger Zukunft.
Dies ist meinem Volke vorbehalten: das Werdende zu feiern, das künftige Erringen, die geahnte Wiedergeburt, das Jahresleben der wiedergewonnenen Fruchterde, die Geschichte des Halmes und des Weinstockes; Feste zum Gedächtnis der Bauern, die noch nicht geboren sind. Feste, deren alte Formen neuer Inhalt und Wert belebt. Feste, in denen schon neue Formen wie Olivenzweige durch die Dämmerung glühen. Feste, die die Geschichte des neuen Judenlandes an die Geschichte des alten knüpfen. Feste, die das ganze Schicksal einer Volksseele erzählen.
Einst wandte ich mich ab von euch wie ein Kind von der Mutter, der es sich entwachsen glaubt, müde des Gleichförmigen und nach Abenteuern verlangend. Wie die Dichtung eines Gebetes wäret ihr, deren Worte das Kind wie eine Formel aufsagt, lässig, des Sinnes unkundig und von Spielen träumend. Da ging ich von euch.
Nun kehre ich zu euch zurück, wie ein Kind zur Mutter, deren unerschöpfliche Schönheit sich ihm in einem gesegneten Augenblick offenbart, wie ein Kind zur Mutter, die Welten schenkt und keinen Dank begehrt. Nun kehre ich zu euch zurück, wie ein Kind zum Dichtergebete, dessen Verse sich ihm erschließen wie Blütenknospen.
Gebet und Erbetenes seid ihr mir.
In euch bete ich zu meinem Volke. Und ich bete um euch.
Weil ich weiß, was meines Volkes Zukunft will, weil ich die unsichtbare Wende seines Geschickes kenne, bete ich zu meinem Volke um euch, wie man zu einem Gotte betet — dass er am Leben bleibe.
O verklungene Götternamen und Göttersprüche!
Aber alles gilt mir meines Blutstammes Schönheit und Glück.
Und ich weiß: die kann er nur gewinnen in seinem Volkstum.
Und ich weiß: ein Volk, das keine Heimat hat, muss durch ein lebendiges Band von gemeinsamem, bedeutungsvollem Erleben die heimatliche Einheit ersetzt sehen, wenn es ein Volk bleiben soll. Rein geistige Güter sind kein solches Band: man sieht sie nicht, hat kein Bild von ihnen, hält sie nicht. Organische Einheit kommt nur von sichtbaren, greifbaren Dingen, die in das ursprüngliche Sinnenleben des Volkes sich stark hineinweben und eine heimatliche Stimmung, ein volkstümliches Wesen erzeugen. So, nur so entstehen Gefühle der Zusammengehörigkeit, Taten der Volksbefreiung. Feindlich anstürmendes Schicksal mag sie zuletzt auslösen, werden und wachsen können sie nur in der stillen, warmen Atmosphäre der Volkssitten, unter der milden Sonne der alten, ewig neuen Feste.
Darum liebe ich euch, Feste meines Volkes!
Nicht weil euch ihm ein Gott befahl. Ich habe gelernt, ehrfurchtsvoll beiseite zu treten, wenn himmlische Satzungen des Weges einherschreiten. Aber ich liebe euch, weil mein Volk sich selbst befehlen muss, euch zu wahren.
Euch — nicht als sinnlose Zeremonien, sondern als sinnvolles Bilderschaffen, als Umsetzen der alten Erinnerungen, der alten Freuden und Martern in Kunstwerke des Lebens. Die großen Schicksale gehen durch die Jahrhunderte, um endlich auszuströmen in dieses konzentrierte zweite, symbolische Erleben; die Festtage.
In euch. Feste meines Volkes, spricht sich die einheitliche Seele der Toten und der Lebenden aus, und die Volksseele kann durch euch, in euch geschaut und geliebt, die schlummernden Keime wecken. Ihr seid ihr Körper, und sie wirkt durch euch, weil nur Körperliches unmittelbar wirken kann, aber Seele bleibt sie, und Seele ist der letzte Sinn ihres Tuns. Und so schöpft sie aus dem Leibe, den sie sich geschaffen, ewig neues Leben. Wie der Künstler aus dem Stoff der Erde sichtbare Werke schafft, in die er sein Seelenerleben legt und die im Empfangenden wieder zu Seelenerleben werden. Sitten sind Volkskunst, wie Lieder und Tänze, ,,allheilig dem, der ihre Seele sucht".
Darum liebe ich euch, Feste meines Volkes, wie ein Kind seine Mutter liebt.
Und will zu euren Füßen sitzen und euren Mären lauschen und schauen, wie euch in unseren Tagen eine neue Weihe wird und ein neuer Glanz: wie der lebendige Ährenkranz der Auferstehung auf euer Haupt gelegt wird und euer Angesicht sich verwandelt.
Und will von euren Händen das Geschenk der Kraft nehmen, die Schönheit wird, und das Geschenk der Heiligkeit, die nicht hinter den Wolken ihren Sitz sucht, sondern im Wogen des Erdentages, und das Geschenk der Reife, die Unendlichkeiten in ihrem Schöße trägt und sich doch geruhig im Gegebenen auslebt.
Und will hinausgehen und euer Reich verkünden.
Euch aber, ihr Braven, Übereifrigen, Kurzsichtigen, die ihr immer die Sache des „Fortschritts“ gefährdet sehet, wenn ein Traum von großer Lebenskunst auftaucht, euch sei es gesagt, dass ich nicht zurückgehen will, sondern — über euch hinaus.
Denn während ich zu den alten Festen zurückkehre, sind sie neu geworden. Nun komme ich nicht zu starren Denkmälern schützender Tradition, sondern zu jungen Weihegärten eines jungen Volkes. Nicht zu Festen toter Vergangenheit, sondern zu Festen lebendiger Zukunft.
Dies ist meinem Volke vorbehalten: das Werdende zu feiern, das künftige Erringen, die geahnte Wiedergeburt, das Jahresleben der wiedergewonnenen Fruchterde, die Geschichte des Halmes und des Weinstockes; Feste zum Gedächtnis der Bauern, die noch nicht geboren sind. Feste, deren alte Formen neuer Inhalt und Wert belebt. Feste, in denen schon neue Formen wie Olivenzweige durch die Dämmerung glühen. Feste, die die Geschichte des neuen Judenlandes an die Geschichte des alten knüpfen. Feste, die das ganze Schicksal einer Volksseele erzählen.