Schanghai — Tiëntsin — Peking.

4. September. Schanghai. Schanghais Straßen sind seit meinem letzten Besuch bedeutend verbessert, macadamisiert und mit Abzugskanälen versehen worden; es herrscht nicht mehr der alte Schmutz. Der Bund ist erweitert und hat Steinmauern erhalten; mehrere neue Häuser sind entstanden, darunter der englische Klub. Ferner ist eine Straße nach Si ka wei*) gebaut, der Race course verlegt und verschönert worden. Auch die chinesische Stadt hat sich durch europäische Spekulation bedeutend erweitert, aber die Häuser stehen zum großen Teil leer: die Kapitalanlagen haben sich nicht bezahlt gemacht. Mehrere der Spekulanten gingen als reiche Hausbesitzer im Jahre 1862/63 nach Europa und lebten von ihrer Rente, mussten dann aber wegen Entwertung ihres Grundbesitzes gebrochen zurückkehren. Jetzt ist das Geschäft nicht gerade blühend, keine Gelegenheit mehr zu großen Spekulationen, aber mehr ein solider Handel. Die deutschen Häuser stehen zum Teil gut. — Versuche, Informationen über die Forschungen in China während der letzten Jahre zu erhalten, scheiterten. Niemand hat dafür Interesse!

*) Die berühmte Station der Jesuitenmission bei Schanghai.


17./20. September. Wir verließen Schanghai früh 9 Uhr an Bord der „Manchu" für Tiëntsin. Der Wind wehte frisch aus Nord, die Wellen rollten auf dem seichten Grund des Gelben Meeres, das Schiff rollte und schlingerte, die ganze Gesellschaft außer mir wurde seekrank im äußersten Grade. Am 18. setzte dieser Zustand fort. Die Tiefen waren nur 5 bis 10 Faden, die Wellen kurz, und das Schiff schwankte unmäßig. Das Elend in der Kajüte war jammervoll. — Wir fuhren sehr langsam; schwache Maschine, Gegenwind und Gegenstrom vereinigten sich, um uns aufzuhalten. Sonntag früh kam das Schantung-Kap in Sicht. Schon Sonnabend war das Wetter wieder gut geworden, und der Sonntag war ein vollkommen klarer Tag bei kühler NO-Brise; das Meer war jetzt vollkommen ruhig und alle Patienten wiederhergestellt.

Der erste Anblick der Ostküste von Schantung, deren einzelne Vorsprünge die Formen von Inseln annehmen, erinnerte überraschend an die Küsteninseln Kaliforniens, und die Ähnlichkeit des kontinuierlichen Landes mit der kalifornischen Küste war nicht geringer. Die Berge sehen kahl aus, haben zum Teil zackige Kämme und steile Abfälle, aber keine schroffen Wände und Mauern. An allen flachen Stellen sind Dörfer: von ihnen aus erstreckt sich der Feldbau terrassenförmig an den Hügeln hinan. Bäume gibt es nur in vereinzelten Gruppen. Wir warfen abends 9 Uhr Anker vor Tschifu. Die Mondsichel verschwand eben hinter den Hügeln über der Stadt, die Luft war lau, und es war ein Genuss, an Deck zu sein.

21. September, Tschifu. Tschifu liegt an einer schönen nach NO geöffneten Bai. Auch nach dieser Seite lagern sich einige Inseln vor. Hügel von 2 — 300 m umgeben die Bai. Die Stadt liegt auf einer Verflachung an deren Fuß. Ihre Lage ist günstig und schön. Es fehlt nur Laubholz, um der Bai einen hohen landschaftlichen Reiz zu verleihen. Die chinesische Stadt ist unbedeutend; das fremde Settlement besteht nur aus einigen Häusern, von etwa 50 Weißen bewohnt. Im Sommer ist dies ein Lieblingsaufenthalt für die Leute von Schanghai, da Luft und Wasser gut sind. Die Häuser sind hier aus Stein und schwarzen Ziegeln gebaut. Ersteres Material waltet bedeutend vor und gibt der chinesischen Stadt ein wohlhabenderes Aussehen, als man es sonst findet. Die Fremden bauen aus Stein wegen der kalten Winter. Ich besuchte Reverend A. Williamson, der viel im nördlichen China gereist ist und mir in kurzer Zeit mehr wertvollen Aufschluss über das Land geben konnte als alle Fremden in Schanghai zusammen. Seine Reisewege in Schantung, Tschili, Schansi und in der Mandschurei sind sehr umfassend, und er hat heim Reisen gesehen und beobachtet. Interessant sind seine Landkarten, auf denen er die Funde von Kohle, Eisen, Metallen, sowie die Verbreitung der Kultur von Seide, Baumwolle usw. verzeichnet hat. Er ist mit der Beschreibung seiner Reise beschäftigt.

Tschifu ist im Halbkreis von mehreren Kilometern mit einer 1 m hohen Mauer umgeben, die zukünftigen Generationen wohl ein Rätsel sein wird. Der Tautai des Distrikts baute sie im vorigen Jahr, als die Rebellen*) in der Nähe waren, angeblich zum Schutze gegen diese, in Wirklichkeit, um eine sehr hohe Summe als Kostenberechnung vom Gouvernement zu beziehen, die wahrscheinlich mehr als das Zehnfache der wirklichen Kosten betrug. Derselbe Tautai berechnete seiner Regierung im vorigen Jahr, als 120 englische und 80 französische Soldaten zum Schutz der Europäer in der Stadt waren, tägliche Kosten für 200 Extra -Soldaten. Zum Lohn für diese und ähnliche Defraudationen ist er jetzt zum Kommandeur der von fremden Offizieren ein exerzierten chinesischen Truppen avanciert. Dies ist ein ganz gewöhnliches Beispiel chinesischen Beamtenwesens.

*) Hier wie noch an vielen anderen Stellen auf die Taiping-Rebellion bezüglich, die 1851 — 65 gewaltige Verheerungen in einem großen Teil Chinas anrichtete. Verf. hat die Wirkungen dieser Rebellion noch in vielen Gegenden eingehend beobachten können, wovon die Tagebücher zeugen.

22. September, auf See. Abends gingen wir 15 km oberhalb der Taku-Forts im Pai h? vor Anker. Vor der Barre lag nur ein Schiff. Die Barre war jetzt, bei Flut, fast 4 m unter Wasser; bei Ebbe ist nur 1 m Wasser. Die „Manchu" konnte gerade durch den Schlamm gehen, da dieser weich ist. Der Fluss selbst hat tiefes Fahrwasser. Wir fuhren noch mit dem Flutstrom hinauf. Die Taku-Forts sind teilweise zerstört. Der Hauptteil bleibt der Nachwelt als Denkmal für chinesische Perfidie überliefert.

                                    Tiëntsin.

23. September. Wir fuhren nun den vielgewundenen Pai h? hinauf nach Tiëntsin, einer dicht bevölkerten Stadt in dicht angebauter Gegend. Der Grundbesitz ist in kleine Parzellen verteilt, und die Felder sind nirgends in ausgedehnten Flächen mit denselben Getreidearten bebaut. Alles ist mehr gartenartig. Die Häuser sind aus Hirsestengeln und Erde erbaut (Adobes) und stehen in Dörfern dicht zusammengedrängt. Ein einziges besser gebautes Haus liegt an dem ganzen Wege: es ist ein Leihhaus. Überall Fleiß und Industrie, Bewässerung durch Schöpfen des Wassers für die Felder und Verteilung in Kanälen. Angebaut werden Hirse, Mais, Bohnen, Buchweizen, Baumwolle, kein Korn, kein Weizen, kein Reis. In den Gärten sieht man Kraut, Salat, Zuckerrüben, weiße Rüben, Zwiebeln, Knoblauch, roten Pfeffer usw., ferner Äpfel, Birnen, Trauben, Pfirsiche usw.

Der europäische Teil von Tiëntsin ist tot. Die Häuser sind solide gebaut, die Straßen breit, der „Bund" besser als an den anderen Hafenorten, aber kaum ein Mensch ist auf den Straßen zu sehen. Der Handel blühte nach 1860 schnell auf, hauptsächlich durch die kurz vorher eingetretene Unbrauchbarkeit des Großen Kanals, ist aber jetzt größtenteils in die Hände der Chinesen übergegangen.

24. September. Die Vorbereitungen zur Weiterreise nahmen den größten Teil des Tages in Anspruch. Die Offiziere eines amerikanischen Kanonenbootes, die schon gestern Abend ihr Bestes getan hatten, um uns durch eine Negro minstrel-Aufführung zu unterhalten, machten sich auch dabei verdient. Nachmittags war unser Pai h?-Geschwader ausgerüstet, und wir verließen den europäischen Teil von Tientsin. Zunächst passierten wir die chinesische Stadt. Tausende von Dschunken drängten sich in buntem Gewirre zu beiden Seiten des schmalen Gewässers und zeigten die Wichtigkeit des Handelsplatzes an. Die Stadt selbst besteht aus halbverfallenen Adobe-Häusern und würde weder Reichtum noch Wichtigkeit verraten. Sie ist aber sehr ausgedehnt. Am linken Ufer zieht sich für wenigstens 1 ½ km die kaiserliche Salzniederlage hin. Das Salz liegt in langen Haufen, von Matten dicht bedeckt. Die Vorräte sind ungemein bedeutend — zum ersten Mal ein Zeichen einer vorsorglichen Regierung.

Durch Stoßen und Ziehen mit eisernen Haken winden sich unsere Schiffe mit großer Geschicklichkeit durch das Gewirre der Dschunken hin gegen den Strom, da Ebbe und Flut nur bis Tiëntsin reichen. Das Interessante der Szenerie und die Art zu reisen wird durch unästhetische Szenen unbeschreiblicher Art und durch die schlechten Gerüche vielfach gestört. Schamgefühl existiert hier nicht, und Schmutz ist das Element, in dem sich die Bewohner am meisten zu Hause zu fühlen scheinen. Das Ende des Dschunkengewirres war durch eine Schiffbrücke bezeichnet, oberhalb deren nach Westen hin der Große Kanal mündet; er ist jetzt beinahe wasserleer. Die Stadt erstreckt sich noch weit darüber hinaus. Wir ankerten eine kurze Strecke oberhalb der letzten Häuser und beschlossen den Tag mit einem Spaziergang an Land.

25./28. September. Diese Tage werde ich stets zu den angenehmsten Episoden meiner Reisen rechnen. Wir waren auf eine beschwerliche und strapaziöse Zeit vorbereitet worden und erlebten ganz das Gegenteil. Hier zeigte sich der Unterschied zwischen dem Alleinreisen und einem Leben in angenehmer Gesellschaft. Das Geschwader bestand aus 6 Passagierbooten und einer gleichen Anzahl für das Gepäck. Jedes Boot hatte einen langen Oberbau mit Kajütenraum für 2 oder 3 Personen. Voran ging „Sweet Potato" (die „Süße Kartoffel") mit H. (Kommandant und Dolmetscher) und W., Kommandant in spe der chinesischen Truppen. Dann folgte „Maxe Island" („Stuten-Insel") mit Frls. M. und N. B. nebst Zofe; als Nr. 3 „Föng schui" mit Frl. P., mir selbst und unserm Koch, als Kr. 4 „Tschóu-tschóu", das Koch- und Speiseboot der Familie B. mit Dienern, Nr. 5 „California", ein großes Boot, mit B. und Frau und den Kindern, endlich das sechste Boot mit Sp. B. und Frau.

Wir brachen um 4 Uhr morgens auf, waren bei Sonnenaufgang in Toilette, gingen spazieren, besuchten uns gegenseitig auf unsern Booten, luden einander zu Mahlzeiten ein und ankerten nach Sonnenuntergang. Dann folgten noch lange Spaziergänge in Paaren bei Mondschein. „Föng schui" und „Mare Island", in gegenseitiger anregender Freundschaft und lebhaftem Verkehr, haben wohl den nachhaltigsten Genuss von dieser Reise gehabt. Denn der Verkehr mit einem reinen unverdorbenen weiblichen Wesen mit tiefer, edler Empfindung und regem Geist kann uns wohl nie wohltätiger entgegentreten als in einer Umgebung, für die wir nie sympathisch empfinden können.

Der Fluss strömt 50 — 60 m breit zwischen flachen Ufern. Die Boote werden an langen Leinen stromaufwärts gezogen, und die Trecker haben entlang beider Ufer auf dem weichen Boden bequeme Pfade ausgetreten, auf denen es sich sehr angenehm geht. Der Boden besteht aus braunem glimmerigem Alluvium, aus dünnen Schichten aufgebaut.

Auch jetzt noch scheinen Überschwemmungen in der Regenzeit vorzukommen, da sämtliche Dörfer (und es gibt zahllose) auf zum Teil künstlich erhöhtem Boden erbaut sind. In früherer Zeit waren wahrscheinlich die Überschwemmungen weit bedeutender. Darauf weisen alte Dämme hin, die zum Teil dem Fluss parallel sind, zum Teil aber, infolge einer Änderung seines Laufes in früherer Zeit, von dem Fluss durchschnitten worden sind. Diese Dämme dienen ganz besonders zu Verkehrswegen und als Plätze für Dörfer. Üppiger Baumwuchs, besonders von Weiden, zeigt die Lage der letzteren an. Das ganze Land ist reich angebaut. Erst am dritten und vierten Tag kamen wir zu sandigen Strecken mit geringerer Fruchtbarkeit, sogar zu Sanddünen.

An Provisionen war in so reich angebauter Gegend kein Mangel, und wir lebten vortrefflich. Besonders gut waren die Weintrauben, denen nur die besten kalifornischen gleichkommen. Das schnelle Verschwinden ganzer Körbe von Trauben erregte die Bewunderung der Chinesen. Der Fluss ist sehr stark gewunden, besonders im oberen, westöstlichen Teil seines Laufes. Das Land mit seinem reichen und in kleine Parzellen verteilten Ackerbau, die Lehmhütten unter Weidengebüschen, die Raine, die weichen Pfade durch die Felder und am Fluss entlang, dazu der allgemeine Charakter der Vegetation und ein in dieser Jahreszeit herrliches Klima weckten heimatliche Erinnerungen. — Die meisten Glieder unserer Gesellschaft waren in Deutschland gewesen, und jeder bemerkte die Ähnlichkeit mit dem Kulturland der deutschen Ebene. Es fehlten nur die saftigen Wiesen, die frischen Quellen und Bäche, die Singvögel, das Vieh und vor allem eine entsprechende Bevölkerung.

Am 28. langten wir in Tung tschóu an, einem großen Orte, von wo eine Straße und ein Kanal nach Peking führen. Hier verlässt man die Boote. Die Entfernung ist 20 km. Der Landungsplatz liegt an einer schmutzigen Verebnung in Front der Stadt, unter einem Gewimmel von Dschunken, unschön und unästhetisch im Extrem; die Stadt ist schmutzig und hässlich. Nichts war vorhanden, um das Üble des Eindrucks zu vermindern.

29. September. Große Packerei bis Mittag. Die Damen wurden in Sänften untergebracht, W. und Sp. bildeten die Eskorte zu Pferde. B., P. und ich folgten in Karren. Zuerst ging es durch die engen Gassen der Stadt auf ausgefahrenen Granitquadern, durch tiefe Löcher und über Steine. Wir kamen ohne Knochenbrüche, wiewohl in fortdauernder Gefahr, hindurch. Eine breite, mit ausgefahrenen Granitquadern gepflasterte Straße führt weiter von Tung tschóu bis Peking. Wir verließen sie und gingen auf Feldwegen. Hier und da waren Dörfer in den Feldern zerstreut. Nichts verriet die Nähe einer der größten Städte der Welt, am wenigsten unsere schauerliche Fahrgelegenheit. Und wenn man sich vergegenwärtigt, dass dies der Einzug eines amerikanischen Gesandten in die Hauptstadt des ältesten und größten Reiches der Erde war, zu einer Zeit überdies, da die Nachricht von dem feierlichen Empfang der B. sehen Gesandtschaft in Amerika eben hierher gedrungen sein musste, so konnte einem dies Land der eingebildeten und hochnäsigen Mandarine wohl verächtlich erscheinen.

                                    Ankunft in Peking

Nie hatte ich einen jämmerlicheren Eindruck von dem Kulturzustand Chinas erhalten, und er verminderte sich nicht bei der Einfahrt in Peking. Wir kamen erst durch eine mit Quadern gepflasterte Straße, zwischen der Ostmauer der chinesischen Stadt und einer Vorstadt entlang, gingen dann durch das Osttor der ersteren und kamen in die Tartarenstadt durch das östlichste ihrer drei Südtore. Es regnete die ganze Nacht hindurch. Wir verbrachten diese erste Nacht in Cambalu,*) der großen Stadt des Kublai Khan, sehr unbehaglich. Welcher Unterschied mit dem früheren Einzug in Yeddo!

So endete die genussreiche zweimonatliche Reise von San Francisco nach Peking. Hoffentlich folgt eine erfolgreiche Tätigkeit auf die schöne Zeit der Ruhe.

*) = Khanbalik („Stadt des Khan"), der Name, den die Mongolenkaiser (1280 — 1368) der Hauptstadt des von ihnen eroberten Reichs beilegten. Kublai Khan, der Enkel von Tschingis Khan, war der erste und mächtigste Herrscher dieser Dynastie auf dem chinesischen Thron.