Ferdinand II. und die Juden

Nach Aktenstücken in Archiven der k. k. Ministerien des Innern und des Äußeren
Autor: Wolf, Gerson (1823-1892) Pädagoge und Geschichtsforscher
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Juden, Judentum, Österreich, Ferdinand II, Geschichte der Juden,
Menschen und Dinge wollen von einem gewissen Standpunkte aus betrachtet sein, wenn sie gehörig gewürdigt und anerkannt oder verdammt und verbannt werden sollen. Wie Bilder wollen sie ein gewisses Licht haben, um den gehörigen Effekt hervorzubringen. Die Geschichte muss auch den Umständen Rechnung tragen. „Wenn die reiche Ernte der Missetat in vollen Halmen steht, dann wird ein Schnitter sonder Beispiel gefordert,“ und die Geschichte kann nicht umhin, dem Manne die Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, dass er das getan, was seines Amtes war. Persönlichkeiten, die über alle Zeiten und Geschlechter glorreich hervorragen, weil sie für alle segenreich gewirkt, gibt es nur sehr wenige, und die Namen dieser Männer, welche die Geschichte aufbewahrt, lassen sich an den Fingern abzählen.

Je nach dem Standpunkte des Historikers, erscheint die Bedeutung Ferdinand II., welcher den Beinamen „der Katholische“ trägt. Während Katholiken ihn mit einem Glorienschein umgeben und ihn bis zu den Sternen erheben, haben protestantische Schriftsteller ihn verurteilt und sein Angedenken gebrandmarkt. Wir sind nicht so anmaßend und haben auch nicht die Absicht ein endgültiges Urteil über Ferdinand II. feststellen zu wollen; wir behandeln bloß die Frage: Wie war Ferdinand II. gegen die Juden?

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Jene Zeit hat sich nicht damit beschäftigt die Judenfrage zu studieren. Was waren auch die Juden, dass man sich mit ihnen hätte beschäftigen sollen! Spott und Verachtung war ihr Los. Wenn man ihrer oder ihres Geldes bedurfte, hat man rechtmäßig, auf gesetzlichem Wege, oder unrechtmäßig sich ihres Besitzes habhaft gemacht. Um den Schatz der Glaubenswahrheit und der Gemütsinnigkeit kümmerte man sich nicht, den verstand man nicht zu würdigen. Wir wollen hiermit ein Schlaglicht auf diese Zeit fallen lassen und setzen die Kenntnis der Verhältnisse im Ganzen und Großen voraus.

Die Rechtszustände der Juden in Deutschland zu jener Zeit, wenn wir sie so nennen dürfen, denn vom Menschenrechte war nicht die Rede, sind kurz zusammengefasst: Die Juden waren Kammerknechte und als solche dem jeweiligen Kaiser untertänig, zu gleicher Zeit waren sie auch Untertanen jener Regierung und jener Obrigkeit in deren Land oder Besitz Juden sich aufhielten. Sie waren also doppelt untertänig und hatten zwei Herren, die nicht immer die mildesten waren, zu dienen. So trübselig aber auch diese Zustände waren, so glauben wir darin mit eine Ursache zu erblicken, welche die wunderbare Erscheinung erklärt, dass die Juden trotz des furchtbaren Druckes nicht erdrückt wurden; dass alle Verheerungen und Zerstörungen nicht vermochten, Juden und Judentum zu vernichten.

Es kam nämlich den Juden zu statten, dass die beiden Herren nicht stets Eines Sinnes und Geistes waren, und dass der Eine oder der Andere den Nutzen, welchen die Juden boten, nicht aufgeben wollte. — Wie sehr auch die Juden verhasst sein mochten, wie fanatisch man auch gegen das Judentum verfuhr — die Juden zahlten Steuern, Kontributionen, liehen und verschafften Geld, zu einer Zeit, wo man dessen sehr bedurfte — und wenn die Bedrückung am härtesten wurde, fanden sie bei dem einen oder bei dem andern Herrn, der ihre Dienste in Anspruch nahm, Schutz. Es kam daher auch nicht selten vor, dass sich zwischen dem Kaiser und den Reichsfürsten und Städten Streit erhob, wem die Berechtigung zustehe diese Einnahmequelle ausschließlich zu benutzen. Karl IV. z. B. hatte die Juden in Frankfurt a/M. der Stadt verkauft; bei den Türkenkriegen unter Kaiser Matthias erhob sich ein Streit, ob der Verkauf als rechtsgültig anzusehen sei, da der Wert der Juden bedeutend höher geworden als die Verkaufssumme. Der Streit fand dadurch Nahrung, dass das Original des Verkaufsbriefes nicht vorhanden war und bloß eine jüdische Abschrift desselben in den Händen eines Juden Sogen Seligman sich befand. — Während des Streites der herrschenden Parteien fanden die Juden bei der einen oder der andern Schutz, und sie waren vor gänzlichem Untergange gesichert.

Allerdings besaßen die Juden von den Kaisern seit den ältesten Zeiten gewisse Rechte und Gesetze, aber wer kennt nicht die Ordnung im heiligen römischen Reiche? Wer kümmerte sich um Recht und Gesetz, und insbesondere um die Rechte und Gesetze, die von den Kaisern für die Juden gegeben wurden? Wer wachte darüber, dass diese Gesetze in vollem Masse zur Geltung kommen sollten?— Das Rechtsbewusstsein wächst in dem Masse beim Volke, als es zur Einsicht kommt, dass dasselbe im Leben vollkommen zur Geltung gebracht wird. Gesetze, die bloß auf dem Papiere stehen und nicht zur Ausführung kommen, führen den Nachtheil herbei, dass das Ansehen der Gesetze im Ganzen leidet. Das Volk hat auch gewissermaßen den Instinkt zu wissen, welche Gesetze strenge durchgeführt werden und welche bloß eine Bereicherung der legislativen Produktionskraft sind. Wir haben in neuester Zeit mannigfache Belege dazu. In England hat ein einfacher Policeman das Ansehen und den Einfluss wie anderswo eine große Anzahl von Gensd'armen, und der Stab des Friedensrichters hat eine immense Bedeutung: weil das Volk weiß, dass hinter diesen England steht, und ihnen Anerkennung zu verschaffen bereit ist. Ein Gentleman wird das unbedeutendste Gesetz beachten, selbst wenn er sich unbewacht von Seite der Behörde weiß; in andern Staaten hingegen ist die Achtung vor dem Gesetze eine bei weitem lockerere. Jeder hält sich berechtigt die Gesetze zu kritisieren und nach eigenem Gutdünken zu handeln.

Die Judenverfolgungen zu allen Zeiten, sowie Verfolgungen überhaupt geben Zeugnis, dass sie nur gegen den stattgefunden, den man für schutzlos hielt, der außerhalb des Gesetzes stand, oder zu dessen Gunsten die Gesetze nicht in Anwendung gebracht wurden. Wie Kinder ihr Gespötte und ihren Muthwillen gegen Personen treiben, die ein Gebrechen haben, bei welchen sie keine Gegenwehr voraussetzen; so treibt auch das Volk seinen Mutwillen mit denjenigen, die es gleichsam als geächtet betrachtet. Ein Simson, wenn er geblendet ist, muss durch Späße den „süßen Pöbel“ erheitern. Das Gefühl des Mitleides beim Anblicke der Schwäche, das Gefühl der Teilnahme vor einer gefallenen Größe, besitzen nur die Bessern, deren Zahl nicht groß ist. Der Menge gilt „der lebende Hund mehr als der tote Löwe.“

Der Glaubensfanatismus, welcher bei den Judenverfolgungen mitspielte, in Verbindung mit der Rechtlosigkeit der Juden haben jene Monstruositäten erzeugt, über welche Liebe, Gerechtigkeit und Menschlichkeit trauern, und welche die Geschichte der Menschheit beflecken.

Dass wir für diese „schreckliche Zeit“ nicht die deutschen Kaiser verantwortlich machen wollen, ergibt sich von selbst. Es ist bekannt, dass die Kaiser selbst ohnmächtig und öfters von ihren Vasallen abhängig waren. Deutschland war zu jener Zeit bloß ein geographischer Begriff. Was wir aber hervorheben müssen, ist: dass Ferdinand II. die Rechte der Juden, so weit sie, wenn auch bloß der Form nach bestanden, nicht verkümmert hat. Er konfirmierte die bestehenden Rechte und Gesetze, und ging in mancher Beziehung weiter als seine Vorgänger, indem er kanonische Gesetze umging. Ebenso hat er die Rechte der Einzelnen nach besten Kräften gewahrt. — Es ist nicht unsere Aufgabe zu untersuchen wie so es kam, dass Ferdinand, der eifrige Katholik, der die Protestanten so sehr bedrückte, gegen die Juden, denen die Zeit im allgemeinen nicht günstig lächelte, sehr milde gesinnt und gestimmt war. Uns genügt es zu wissen, dass er, die damaligen Verhältnisse in Rechnung gebracht, sehr günstig gegen die Juden war.

Wir werden im Verlaufe der Darstellung viele Schattenseiten aufzuzählen haben; wir beginnen daher mit einer Lichtseite jener Epoche, die in neuester Zeit da und dort sich trübte. Die Juden waren in ihren innern Angelegenheiten und insbesondere in ihren religiösen Institutionen vollkommen autonom, und haben nach eigenem Gutdünken ihre religiösen Angelegenheiten geleitet und geordnet, ohne dass sie von außen in irgend einer Weise influenziert wurden. — Wenn auch seit Konstantin dem Baue neuer Synagogen Hindernisse in den Weg gelegt wurden; um das, was in den Synagogen vorging, kümmerten sich die Behörden nicht, obschon zeitweilig Denunzianten und Überläufer Nachforschungen und Untersuchungen hervorriefen. Den Regierungen war es gleichgültig, ob die Juden gewissermaßen reformatorisch oder orthodox waren, oder wie die Schlag- und Stichwörter jener Zeit hießen. Das innere religiöse Leben war frei und unangetastet. Wir müssen diesen Punkt näher in Betrachtung ziehen, denn in neuester Zeit wurde oft dagegen gesündigt, ohne dass die Anstrengungen den gewünschten Erfolg gehabt hätten.

Wir behaupten nicht, dass das Judentum unabhängig von äußern Einflüssen ist; das Judentum hat sich nie nach außen abgeschlossen und hat stets an dem Aufschwunge und dem Streben der Zeit Teil genommen: alle Zeiten geben Zeugnis dafür. Das Judentum blieb auch nicht in seiner äußern Form und Gestalt sich stets gleich und wurde es mannigfach von der Strömung der Zeit beeinflusst. Wir erinnern nur daran, dass der Talmud bereits angibt: die Namen der Engel haben die Juden den Babyloniern abgelernt. Wie sehr das Hellenentum die Juden influenzierte ist bekannt, und haben sich griechische Namen, welche die hervorragendsten Talmudisten trugen, bis auf den heutigen Tag erhalten. Dem Kenner des römischen Rechtes wird es auf den ersten Blick klar, dass der Talmud römische Rechtsgrundsätze und Ausdrücke mannigfach adoptiert hat. Aber das Judentum hat selber stets gewählt, was es aufnehmen wollte. Wenn man ihm etwas von außen aufdrängen wollte, wenn man ihm religiöse Veränderungen befahl; war das Streben vergeblich. Ströme von Blut, tausende Opfer, die in den Gräbern ruhen, oder deren Gebeine in freier Luft gebleicht sind, bezeugen dieses. Die Zeiten der Makkabäer, des Kaisers Hadrian, die spanische Inquisition und die kleinen Nadelstiche in der neuern und neuesten Zeit zeigen zur Genüge, dass die Juden sich nichts von außen haben aufdringen lassen, was nicht im vorhinein im Judentume selbst gelegen ist, mit dem es sich amalgamierte.

Wir verkennen nicht den guten Willen der Regierungen, der Öfters bei diesen Influenzierungen obwaltet. Es sind manchmal die besten Absichten, die das Einschreiten hervorrufen; aber die Ansichten in außerjüdischen Kreisen über das Judentum sind nicht immer die richtigen, überdies wechseln sie häufig mit den Personen in deren Wirkungskreis diese Angelegenheiten fallen.

Es ist heute nicht notwendig den Beweis zu führen, dass das Judentum keine staatsgefährlichen Tendenzen habe; dass jüdische Lehre und jüdisches Gesetz auf den Grundsäulen der Welt: auf Liebe, Wahrheit und Gerechtigkeit gebaut sind. Die Behörden können also ganz ruhig über die Entwicklung im Judentume sein. Dem Judentume selber aber erwächst kein Nutzen daraus, wenn äußere Einflüsse in peremptorischer Weise sich Geltung verschaffen wollen. Es hat nie eine Stütze von außen gebraucht und bedarf sie auch heute nicht. Eine Religion, die nur durch äußere Mittel gehalten werden kann, ist verloren. Das Judentum aber hat noch die alte urwüchsige frische Kraft. Wir könnten aus unserer Zeit Beweise anführen, dass Regierungen den Versuch machten die Juden so zu sagen zur Reform oder zur Orthodoxie zu führen, (wir sagen „so zu sagen“, weil dieses bloß Begriffe sind, hohltönende Worte, die keinen Kern haben) und diese Versuche sind gänzlich misslungen. Schon darin, dass die Behörden selbst bald das Eine, bald das Andere begünstigten, zeigt sich das Schwankende. Das Judentum erkennt in vollem Masse die Gewissensfreiheit an, und wie es lehrt, dass die Frommen und Gerechten aller Völker und Nationen der ewigen Seligkeit teilhaft werden und keinen Vorzug sich selber einräumt, so wollen seine Bekenner für sich selbst die volle Gewissensfreiheit, und nach eigenem Gutdünken den Weg zum Himmel suchen und finden. Jeder fremde Eingriff erweist sich als nutzlos und bringt öfters das Gegentheil hervor.

Die den Juden gewährte Kultusfreiheit erweckte sogar den Neid der Protestanten. In einer Bittschrift derselben aus jener Zeit an den Kaiser heißt es: „die Juden, welche trotz ihren schrecklichen Lästerungen gegen den Gekreuzigten und wilden Schmähungen auf seine Hochgebenedeite Mutter, dürfen Synagogen haben.“*) Wenn auch die darin enthaltene Denunziation unangenehm berührt, muss es um so mehr erfreuen, dass sie gebührender Weise vom Kaiser unbeachtet blieb. Die Juden blieben im Besitze der Synagogen und im Jahre 1622 erhielten sie die Bewilligung zum Baue einer neuen Synagoge.

Betrachten wir nun die anderweitigen Verhältnisse wie sie zu jener Zeit bestanden.

Es ist bekannt, dass deutsche Kaiser in alter Zeit einzelnen Fürsten Privilegien gaben, in ihren Gebieten Juden wohnen zu lassen. Sie lebten also an manchen Orten wo sie früher nicht gewohnt, nachdem sie behördlich die Bewilligung dazu erhielten; an anderen Orten, wo sie bereits Jahr und Tag wohnten, verblieben sie weiter. Oft jedoch trat der Fall ein, dass, hervorgerufen durch Krämerneid, durch Hass oder durch christliche Prediger, die Juden da und dort plötzlich fortgetrieben wurden. Es sei uns erlassen, Beispiele anzuführen; sie sind massenhaft. Es müssten nur diejenigen Orte, wo diese Brutalitäten nicht verübt wurden, angegeben werden, um auf die große Mehrheit der Städte, wo die furchtbarsten Menschenhetzen und Schlächtereien stattfanden, zu schließen. Kaiser Matthias hat sie gegen solche Vorgänge durch ein Dekret schützen wollen, indem er erklärte, dass die Juden nur mit Bewilligung der jeweiligen Kaiser aus den Städten vertrieben werden dürfen. Ferdinand II. wiederholt dieses Dekret und gewährleistet den Juden aufs Neue den kaiserlichen Schutz gegen Willkür und Gewalt.*) Es blieb aber nicht bloß bei diesem Generalmandate; er stand auch bei einzelnen Fällen nachdrücklich für das Recht der Juden ein.

*) Hurter Geschichte Ferdinands II. 2/7. Bd., p. 218.

Als Beispiel diene: „die Eltisten der Hoffjudenschaft“ zu Wien nahmen sich der unglücklichen Juden zu Hanau an, mit denen sie „blutsverwandt“ waren und beklagten sich beim Kaiser darüber, dass man den Juden dort verbiete, Sonntags auszugehen etc., und zwar wie es in dem Bittgesuche heißt „aus vervrsachen derjenigen Prediger, so daselbst wohnen. So seynt auch diese Prediger in allen ihren öffentlichen Sermonen und Predigen wider die Juden also ergift, dass sie khein abscheih nehmen zu melden, dass die iezt wehrenden Kriegsleuff (aus göttlicher Straff) sich vmb deswillen erzeugen, weilen die Juden nit allein zu Hanaw sondern auch andern Orten des heyligen römischen Reichs gelitten werden.“

Kaiser Ferdinand wendet sich hierauf an den Grafen zu Hanau und verlangt, dass die Verfügung getroffen werde, „damit besagte vnter seinem gepiett wohnhaffte Judenschaft wieder Ihre Privilegien nit beschwert und keine occasion zu aufwiglung des gemainen Volkhs bey diesen ohnedies gefehrlichen Leuffen gegeben werde.“ Trotz des damals herrschenden Vorurteils, als würden die Juden den Krieg verschulden, wie man sie für Pest und Seuche verantwortlich machen wollte, nimmt sich der Kaiser der schwer Bedrängten und Bedrohten an.

[i9*) Allerdings erschien eine Generalausschaffung der Juden, welche sich nicht in den k. k. Archiven befindet, datiert vom 7. Jänner 1625; doch scheint sie bloß der Form nach gegeben worden zu sein, zur Ausführung kam sie nicht, wie so manche andere derartige Verordnung.[/i]

Bedenkt man, dass ein Kaiser, der ein glühender, eifriger Katholik war, in solcher Weise für die Rechte der Juden eintritt und gegen die Prediger, die Judenhetzen organisieren, auftritt, so wird man ihm die gebührende Anerkennung nicht versagen. Erstaunen muss es jedoch erwecken, dass trotz Ferdinand dem Katholischen die Kanzel noch öfters dazu gebraucht oder missbraucht wurde, um gegen Juden zu predigen.

Die Nahrungsquellen der Juden waren mannigfach verstopft; sie waren von allen Gewerben ausgeschlossen. Ihren Lebensunterhalt mussten sie sich durch den Handel verschaffen, welcher ebenfalls für sie sehr beschränkt war. Außerdem war es ihnen gestattet Interessen von dem Gelde zu nehmen, das sie liehen und zwar 8 % wenn ein Pfand unterlegt wurde, und 10 % ohne Pfand. Erwägt man, dass das kanonische Recht den Christen verbot Interessen zu nehmen; erwägt man ferner, dass der Handel zu allen Zeiten des Geldes bedurfte, so ergibt sich daraus der Nutzen, welchen die Juden dem Handel im Allgemeinen brachten. Bekanntlich wurden Juden auch nach Venedig berufen (1366) um Leihbanken daselbst zu eröffnen.

Die Klagen wegen Wucher der Juden brauchen nicht eines weitern widerlegt zu werden. Wie man heutzutage die Drachen bloß von der Sage kennt und Hexenprozesse Staunen und Verwunderung erregen; so wird man eines Tages über die Beschuldigung staunen, dass die Juden gewuchert haben. Die Wissenschaft hat es bereits zur Genüge bewiesen, dass Wucher nicht existiert und diese Theorie fängt bereits an im praktischen Leben sich Bahn zu brechen.

Wir brauchen es nicht in Erinnerung zu bringen, dass das mosaische Gesetz den Wucher aufs strengste verbietet; das Gesetz konnte jedoch nur in einem strenge ackerbauenden Staate Geltung haben, wo die national-ökonomischen Verhältnisse im Embryo waren.

Abgesehen aber davon, ist es eigentümlich, dass man den Juden jener Zeit daraus einen Vorwurf macht. In einer Zeit, wo man mordend und plündernd in die Häuser der Juden einfiel und ohne allen Rechtstitel ihnen Habe und Gut wegnahm, hält man es für ein Verbrechen, dass die Juden ihr schwer erworbenes Geld auf gute Interessen anlegen wollten, da sie überdies nicht sicher waren, dass man ihnen die Schuld bezahlen werde. Es bestand nämlich der Usus, begründet auf ein missverstandenes Gesetz, dass Schulden die länger als zwei Jahre währten, nach Ablauf dieses Termins nicht eingefordert werden können. Dass viele dieses Gesetz oder diesen Usus benutzten, die Zahlungen verschleppten und die Gläubiger von Tag auf Tag und von Monat auf Monat vertrösteten, braucht nicht bemerkt zu werden. Dem gegenüber erließ Ferdinand ein Gesetz, welches bestimmt, dass der Rechtstitel der Schuld auch nach Ablauf einer Reihe von Jahren nicht erlischt.

In derselben Weise vertrat er das Recht der Juden bei einzelnen sich ergebenden Fällen, wo man es ihnen verkümmern wollte. Wir führen zum Beleg ein Aktenstück an, in welchem der Kaiser die Stadt Worms auffordert, die Rechte des Heinzen zum Wetterhahn zu wahren und ihm nicht „das Nachsehen gelassen werde.“ Ähnliche Fälle gibt es mehr. So findet sich auch ein Brief an den Fürsten Ludwig zu Anhalt, dass der Jude Heli zu Köthen in Sachen contra Braitenbach nicht rechtlos bleibe. Dabei ist zu bemerken, dass es sich hier um eine Schuldforderung an den General Altringer handelt.

Wenn wir vorhin die Juden von der Anklage des Wuchers freisprachen, so ist es im Interesse des Staates wie der Juden zu bedauern, dass man ihnen bloß den Handel gestattete. Wie viele Kräfte sind dadurch zersplittert und vergeudet worden, die auf einem anderen Gebiete Großes und Vorzügliches hätten leisten können! Wie viele Geister die einen hohen Aufflug genommen, die Wissenschaft bereichert und ihr auf Lehrkanzeln eine weite Verbreitung verschafft hätten, sind durch diese Ausschließung versumpft oder mindestens ohne segensreiche Folgen aus dem Leben geschieden! Wie viele Arme die die Schätze des Bodens hätten lüften und heben können, sind dadurch stumpf gemacht worden!

Wenn dieser Vorwurf jedoch zur Zeit des zünftigen Kastenwesens ausgesprochen ward, so lag gewissermaßen ein Sinn darin. Gevatter Schuster und Schneider hielt sich für begabter, hervorragender in der Gesellschaft; er glaubte, dass er einen edleren Beruf habe. In einer Zeit jedoch, wo der Handel eine derartig hervorragende Rolle spielt, wie jetzt; wo die Industrie mit Stolz von den edelsten Geschlechtern des Volkes betrieben wird, Fürsten und Grafen an der Spitze von Handelsunternehmungen stehen, halten wir den Kleinhändler, der im Schweiße seines Angesichtes arbeiten muss, für eben so berechtigt und eben so ehrenvoll, wie den großen Bankier, der von seinem komfortable und elegant eingerichteten Comptoir über Millionen disponiert.

Gegenwart und Zukunft haben mannigfaches Unrecht, das gegen Juden in Gesinnungen, Wort und Tat verübt wurde, zu sühnen.

So klein der Kreis war, auf welchem die Juden ihre Kraft erproben konnten, waren sie überdies gezwungen in den Ghettis zu bleiben, und wenn sie außer denselben sich bewegten, mussten sie jüdische Abzeichen tragen. Außerhalb dieser Gesetze stand eine große Anzahl derjenigen, denen Privilegien zu Teil wurden, überdies aber die sogenannten „Hofjuden.“ Es scheint die Zahl derselben nicht klein gewesen zu sein und waren sie die Agenten der Regierung. Zur Zeit des Krieges haben sie die ersprießlichsten Dienste geleistet, denn sie waren die Säckelmeister des Staates. Diese Hofjuden genossen besondere Privilegien, die wir später näher bezeichnen werden.

Eigentümlich bezüglich des Ghetto ist die damalige Stellung der Juden in Wien. Sie wohnten bekanntlich da, wo heute der Judenplatz ist und in dessen Umgebung, wie es scheint unter der christlichen Bevölkerung. Es fehlte auch da wie anderswo nicht an Neid und Scheelsucht. Mancher Spießbürger mochte wohl glauben, dass sein Geschäft blühender dastehen würde, wenn die Juden entfernt würden. Die Regierung in Geldverlegenheit wollte dieses Moment benutzen. *) Man verlangte im Jahre 1620 von den Kaufleuten in Wien 20.000 fl. und wollte ihnen dafür die Begünstigung gewähren, die Juden auszutreiben; zu gleicher Zeit verlangte man von den Juden dieselbe Summa mit der Zusage, dass sie ferner verbleiben könnten. Die Juden verblieben weiter in Wien; wir wissen nicht, wie die Frage geschlichtet wurde, ob beide Teile oder nur einer derselben die Summa erlegt hat. Später jedoch haben die Juden selber darum gebeten in ein vollständiges Ghetto versetzt zu werden und mit Dekret vom 6. Dez. 1624, wird den Juden die Leopoldstadt, damals genannt der „untere Werd,“ als Wohnplatz eingeräumt. — Mannigfache Gründe mögen die Juden zu diesem Bittgesuche veranlasst haben. Größtenteils scheinen die sozialen Verhältnisse dieses herbeigeführt zu haben. In einem Ghetto war der Jude au sein de sa famille, wie er aus demselben trat, fröstelte es ihn mitten in der fremden Umgebung, die sich gar oft lieblos benahm. In derselben Weise, wie man sich nach außen von den Juden abschloss und ihn als Paria in der Gesellschaft betrachtete, wollten sich die Juden nach innen abschließen. Wie sehr man auch nach außen über das Judentum aus Unwissenheit spottete und dasselbe verhöhnte, der Jude wusste den Werth zu schätzen und zu würdigen, den ihm seine Religion und Glaubenslehre bietet. War er auf der Strasse und im öffentlichen Leben Kammerknecht, in seinem Hause saß er wie „ein König mitten unter seinen Getreuen.“ Während die Außenwelt ihm nichts bot, fand er im Kreise seiner Gemeinde, in seinem Hause und in seiner Familie alles was das Herz stärken, den Geist kräftigen, den Mut stählen kann. Was sollte ihn also hinauslocken? Unter solchen außerordentlichen Um- und Zuständen mussten sich auch außerordentliche Erscheinungen bilden. Der Menschenfreund wird mit Bedauern auf die Auswüchse sehen, welche diese willkürliche und unwillkürliche Ab- und Ausschließung am und im Judentume hervorgebracht haben; und nur die lebensfrische Kraft des Juden und des Judentums bewirkte, dass Eines wie das Andere in dem engen Kreise nicht stagnierte. Auch in den trübsten, düstersten Zeiten leuchtete das Licht des Glaubens und der Gesetzesforschung und diese erhellten den ganzen Gesichtskreis und eiferten die Juden an auch andere Wissenschaften zu betreiben. Insbesondere studierten sie wie seit den ältesten Zeiten Mathematik und Medizin.

Dass aber die Juden in Wien es als eine Begünstigung betrachteten abgesondert zu wohnen, geht aus dem früher erwähnten kaiserl. Brief hervor, welcher den Juden den untern Werd, die jetzige Leopoldstadt, zum Wohnsitze anweist. Deutlicher jedoch ist dieses zu lesen in der Autobiografie des R. Lippmann Heller (Verfasser der Tossefoth Jom Tob). *) Der Verfasser rühmt sich des Verdienstes, dass er während seiner kurzen Amtswirksamkeit als Rabbiner in Wien dahin gestrebt hat, die Juden zu vereinigen, dass sie nicht mehr zerstreut wohnen.

*) S. Koss Jeschuoth, Megilath Eba.

Es dürfte hier der Ort sein, ein Streiflicht auf die bekannte Verhaftnahme des R. Lippmann Heller fallen zu lassen.

Eine sehr trübe Seite des frühern jüdischen Lebens bildet das Denunziantenwesen; das wichtigste Gebet Schemono Essre enthält schon eine Strophe gegen die Verleumder und Angeber.

Politisch aufgeregte Zeiten bringen dieses Gezücht zu neuem Leben, wenn es auch sonst ganz abgestorben wäre. Dass Böhmen nach der Schlacht am weißen Berge, welche der Weltlage eine neue Physiognomie aufdrückte, tief durchwühlt war, bedarf nur der Erinnerung. Es stehen uns die amtlichen Anklageakten gegen Heller nicht zu Gebote und mögen sie auch nicht mehr vorhanden sein. Befremden muss es jedoch erregen, dass er wegen seiner Werke in Anklagestand versetzt wird, wie es in der Autobiografie angegeben ist. Der Titel des Buches „Maadane Melech“, königliche Kost (Genes. 49, 20) mag in aufgeregten Zeiten Bedenken erregen; der Inhalt des Buches zeigt jedoch sogleich die Nichtigkeit jedes Bedenkens. Wenn ferner bei einem Verhöre der Angeklagte gefragt wird, ob es ihm nicht bekannt sei, dass der Talmud auf Befehl des Papstes verbrannt wurde, und wie er es daher wagen konnte den Talmud zu preisen, so hat das Gericht weiter ausgegriffen als ihm zustand; denn wir müssen es wiederholt hervorheben, dass die Juden unter Ferdinand II. nach Innen vollkommen frei waren und ihre eigene Gerichtsbarkeit hatten, wo nach talmudischen Satzungen entschieden wurde. Das Verbot war also in Österreich nicht mehr gültig. Wir glauben jedoch den Ursprung dieser Denunziation anderswo gefunden zu haben. Die politischen Motive waren nur der Vorwand der Anklage.

Die Prager Juden hatten eine Judensteuer zu entrichten, im Jahre 1625 betrug sie monatlich 9.000 Reichsthaler.*) Der Gemeindevorstand hatte diese Summa abzuliefern und ihm lag es ob, dieselbe auf die Gemeindemitglieder zu repartieren, wobei der Rabbiner Sitz und Stimme hatte. Dieser Usus dauerte bis zum Verlöschen der Judensteuer in Österreich im Jahre 1848. Der Gemeinde stand es zu, zu ermessen, wer Steuer bezahlen sollte und die Renitenten zu bestrafen. Der Gemeinde in Prag wurde auch der Befehl erteilt die Steuern der Landgemeinden einzukassieren und wurden die Behörden ermahnt, derselben keine Hindernisse in den Weg zu legen oder etwa die Steuern zu anderweitigen Zwecken einzutreiben. So mancher Arme mochte sich beeinträchtigt glauben, indem er meinte, dass er verhältnismäßig mehr als der Reiche bezahle. Wir sind nicht in der Lage zu entscheiden, in wie ferne diese Klage gerechtfertigt war. Die Ärmeren wendeten sich klagend an den Kaiser und dieser erließ hierauf ein Schreiben an die Ältesten und den Rabbiner zu Prag der Armen zu schonen. Diejenigen, die sich in ihrem Rechte gekränkt sahen, mögen ihrem Grolle in unwürdiger Weise Luft gemacht haben. In schnöder Weise Rache übend, spielten sie die Anklage aufs politische Gebiet und denunzierten den Rabbiner, den sie für den Vorgang verantwortlich machten. Jedenfalls zeigt die Behandlung und die Art und Weise der Inhaftierung nach den Mitteilungen der Autobiografie, dass man der Stellung des Verdächtigten Rechnung getragen hat.

*) Hurter Geschichte Ferdinands II. 2/9. Bd., p. 231.

Kehren wir nun zum Wiener Ghetto zurück, so haben wir eines andern kaiserlichen Briefes zu gedenken , welcher die Jurisdiktion feststellt. Die Juden hatten ihr eigenes Gericht und stand ihnen die Fällung der Urteile über alle Zivilverbrechen, die von Juden gegen Juden ausgeübt wurden, zu; Kriminalverbrechen und höhere Staatsverbrechen standen nicht unter ihrer Jurisdiktion. In Rechtsangelegenheiten jedoch, wo Juden mit Christen im Streite waren, standen die Juden unter dem k. Hofmarschallamt oder unter den Hofgerichten. Die Juden wurden durch diese Maßregel gewissermaßen gegen die Willkür der Ortsbehörden, wo öfters die niedrigsten Interessen mit im Spiele waren, die das Urteil trübten, geschützt. Nicht bloß aber die Fällung des Urteiles, sondern auch die Bestrafung stand ihnen bei Zivilverbrechen zu, deshalb wurde ihnen eingeräumt ein Gefängnis zu halten, wo die Verbrecher die Strafe abzubüßen hatten; überdies stellte ihnen der Kaiser Militär zur Verfügung, um bei Ruhestörungen etc. Hilfe zu haben.

So sehr man auch vom Standpunkte einer erleuchteten Gesetzgebung die Verschiedenartigkeit der Gesetze in einem Staate, welche die Menschen verschiedenartig beurteilt und verurteilt, nicht gut heißen kann; so ist nicht darauf zu vergessen, dass zu jener Zeit überhaupt eine Mannigfaltigkeit der Gesetze für die verschiedenen Stände bestand, wie diese noch jetzt da und dort vorkommt.*) Der Grundsatz der heil. Schrift: „Ein Recht sei für euch Alle“ ist jetzt, in einer Zeit, die sich besonders der Erleuchtung rühmt, auch noch nicht ganz zur Geltung gekommen. Für die Juden aber mag es eine Beruhigung gewesen sein, nicht von Männern verurteilt zu werden, welche gewöhnlich im vorhinein hart über Juden und Judentum urteilten. Der Ausdruck im täglichen Morgengebete: „Rette uns vor einem harten Gerichte“ hat wohl öfters jüdische Herzen bewegt.

*) Es sei uns erlaubt hier zu bemerken: Die jüdischen Abzeichen bezüglich der Kleidung wurden bekanntlich deshalb angeordnet, damit man die Juden von den Christen unterscheide. Bei den späteren Erlässen mag vielleicht ein anderer Grund mit obgewaltet haben. Es herrschte nämlich nicht bloß eine Verschiedenartigkeit der Gesetze für die Bürger eines und desselben Staates; man verlangte auch, dass sich die verschiedenen Stände durch ihre Kleidung unterschieden. Ferdinand I. erteilte am 1. Juni 1642 eine Kleiderordnung, die nicht weniger Abnormitäten enthält, wie der gelbe Fleck und die gehörnten Hüte etc. Der exclusive Geist zeigte sich da wie dort.

Wir müssen jedoch hinzufügen, dass auch Fälle eintraten, wo Juden mit der jüdischen Jurisdiktion nicht zufrieden waren, denen es als besondere Begünstigung gestattet wurde, bei den gewöhnlichen Gerichten Recht zu suchen, wie wir dieses an einem andern Orte nachweisen werden.

Mit Bedauern heben wir auch einen kaiserl. Brief Ferdinands hervor, den wir gerne mit Stillschweigen übergangen hätten. Leider hat dieses Mandat noch heute in dem Zeitalter der Humanität, wo die „Kultur alles beleckt,“ noch Bedeutung, und ist von großer Wichtigkeit. Wir meinen nämlich jenen Brief, in welchem der Kaiser getreu seinen h. Vorgängern und nach Ausspruch der Päpste den Wahn bekämpft, als würden die Juden Christenblut gebrauchen. Wahrlich, das Gemüt ist aufs tiefste empört auch nur ein Wort der Entschuldigung vorzubringen. Einige Vorgänge in neuester Zeit, worüber die Engel der Menschlichkeit und Barmherzigkeit mit tiefer Wehmut das Gesicht verhüllen, legen die Pflicht auf, dieses Briefes eines Monarchen, welcher der Katholische genannt wird, zu gedenken.

Es hat den Juden und dem Judentume nie an Feinden gefehlt und die Klageschriften gegen sie füllen eine bedeutende Bibliothek. Wir muten nicht allen diesen Gegnern zu, ihre ultima ratio sei: dass Judenblut vergossen werde und Szenen sich erneuen, wie sie zur Zeit der tiefsten Barbarei vorfielen. Es waltet manchmal auch der fromme Wahn ob, man hebe die eigene Partei, je mehr man die andere beschimpft. Wir wollen dieses nicht weiter untersuchen. Was aber an den Wortführern dieser Partei als sträflich anerkannt werden muss, ist: dass sie gegen das Judentum sprechen und schreiben ohne es zu kennen. Was würde man wohl von Jemanden sagen, der die Kirchenväter oder irgend ein beliebiges profanes Werk, bloß aus der Übersetzung einer Anthologie kennend, die vom Parteistandpunkte angefertigt wurde, beurteilen und verurteilen würde? Und ein solcher Vorgang findet gegen jüdische Schriften statt. Es ist notorisch, dass der größte Teil dieser Berserker die Bibel in der Ursprache schwer lesen und kaum verstehen; den Talmud aber gar nicht kennen. Der Talmud hat wiederholentlich die Feuerprobe bestanden. Wäre das Werk von dem Geiste erfüllt, welchen die Gegner aus Unkenntnis demselben zumuten; wahrlich, es wäre längst von all den Folianten kein Blatt mehr übrig. Wenn das Werk allen Anfeindungen zum Trotze bis auf den heutigen Tag sich erhalten hat und jetzt wie vor Jahrhunderten ungeschwächt seine Macht auf Geister und Gemüter übt; so liegt schon darin die Bürgschaft, dass der Talmud nicht jene schauderhaften Lehren und Grundsätze enthält, die ihm seine Feinde mit überschwänglicher Fantasie andichten.

Wenden wir uns von der unerfreulichen Erscheinung ab und kehren wir uns wieder der Wirksamkeit Ferdinands II. für die Juden zu.

Der Friede war zu jener Zeit geschwunden, der dreißigjährige Krieg wütete. Der Krieg wurde durch den Krieg geführt. Die neueste Zeit hat trotz ihrer Humanitätsprinzipien den Krieg um nichts menschlicher gemacht. Die Waffen sind fürchterlicher geworden und das Requisitionssystem nicht milder. In dieser Zeit dachte der Kaiser daran die Rechte der Juden zu schützen und er erlies einen Brief an die Militärbehörden, dass sie von den Juden in Worms keine besonderen Kriegssteuern erheben, sie nicht mit Einquartierungen belästigen etc. Hätten wir auch sonst keine Nachrichten über Ferdinand, wie er gegen die Juden gesinnt und gestimmt war, als dieses Aktenstück allein: es würde hinreichen von der humanen Gesinnung Ferdinands um so mehr Zeugnis abzulegen, wenn man die damaligen Zeitverhältnisse dabei mit in Rechnung bringt.

Die Juden selber haben sich bei den Kriegen lebhaft beteiligt und in patriotischer Weise zum Heile des Vaterlandes gewirkt. Die Juden haben es verstanden, zu einer Zeit wo Geld sehr selten war, dem Staate Geld zu verschaffen. Der Kaiser erkennt dieses an in einem Dekret, in welchem er den Familien Marburger, Gradisch, Ventura Parente und Pinkherl die erhaltenen Freiheitsbriefe und Privilegien bestätigt. Diese Männer standen während des Krieges mit der Republik Venedig nicht bloß mit ihrem Gute, sondern auch mit ihrem Blute ein; Juden kämpften auch im kaiserlichen Heere. Es ist noch nicht lange her, dass man den Juden den Vorwurf der Feigheit machte. Während sonst behauptet wurde, dass der Jude in seiner Gesichtsbildung, in seinem Temperament den Typus seiner Abstammung trage; stellte man es in Abrede, als würde in seinen Adern das Blut Gideons, Davids oder der Makkabäer fließen. Jetzt ist diese Anklage freilich verstummt. In der österreichischen Armee befinden sich beiläufig 17.000 jüdische Soldaten, die gewiss um nichts feiger und erschrockener als ihre tapfern Kampfesgenossen sind. Wir müssen es auch zur Ehre Österreichs sagen, dass seit dem Erzherzoge Karl sel. Angedenkens den jüdischen Soldaten das Avancement möglich war, da in den Militärpässen die Rubrik Religion ausgelassen wurde. Beim Avancement konnte daher prinzipiell nicht Rücksicht auf das Religionsbekenntnis genommen werden. Während dem Juden die andern Wege verschlossen blieben, öffnete man ihm diesen Weg der Ehre. Es ist auch bekannt, dass die Juden in der alten Zeit, nachdem sie Reich und Land verloren hatten, als wackere Soldaten in dem Lande, wo sie lebten, für Fürst und Vaterland kämpften. So in Babylon, Persien, Griechenland etc. Schwer drückte das Mittelalter Juden und Judentum, doch erdrückt konnten sie nicht werden. Trotzdem der Jude um die Wiederkehr nach Jerusalem betete, trotzdem das Vaterland, in welchem er lebte, wo die Gräber seiner Väter waren und die Wiege seiner Kinder stand, die Faust gegen ihn ballte; hing er doch diesem Vaterlande an und opferte für dasselbe Gut und Blut „ungesparten Fleißes,“ wie Kaiser Ferdinand es bezeuget.

Überhaupt scheinen viele Juden dem Kaiser in den venetianischen Kriegen Dienste geleistet zu haben. Es wird dieses Momentes insbesondere erwähnt in den Freiheitsbriefen für Emanuel, Sohn des Samson in Bozen, dessen Ahnen ebenfalls dem Kaiser Maximilian in venetianischen Kriegen Dienste geleistet, Libermann Hebräer ebenfalls in Bozen etc. — Eben so scheinen die Juden in Prag unter Ferdinand II. in unzweideutiger Weise ihren Patriotismus kundgegeben zu haben. Nach der Schlacht am weißen Berge wurden die Juden in Folge kaiserl. Befehles von der allgemeinen Plünderung verschont.*) Zu jener Zeit wurde ein Jude Jakob Bas-Schewi in den österreichischen Adelstand erhoben mit dem Prädikate von Treuenburg.

Bezüglich der Hofjuden haben wir zu bemerken, dass sie folgende Privilegien hatten: Sie durften wohnen überall, wo Juden im deutschen Reiche wohnten oder wo man sie dulden wollte, selbst wenn sonst keine Juden daselbst wohnten. Es war ihnen gestattet Häuser zu kaufen, wo sie sich niederließen. Sie durften die Waren im Großen und im Kleinen verkaufen; Fleisch nach jüdischem Ritus schlachten und das trefa (nach jüdischem Ritus nicht erlaubte) verkaufen. Ferner konnten sie einen Rabbiner und das andere zur Synagoge notwendige Personale bestellen und einen Begräbnisplatz kaufen. Jüdische Abzeichen zu tragen war ihnen erlassen und durften sie nicht mit Maut- und Zollabgaben höher belästigt werden, als die Christen. —

*) S. Grabschriften des alten israel. Prager Friedhofes von K. Lieben. Gal Ed.

Die Hofjuden Salomo und Beer Mayer lieferten das Tuch zur Ausrüstung von vier Reiterkompanien bei Gelegenheit der Hochzeit des Kaisers mit Eleonora von Mantua.*)

Wir finden ferner als Hofjuden von Ferdinand II. aufgenommen Samuel zum Drachen und Samuel zum Straußen aus Frankfurt a/M., Selka und David Schay, Schmuel zum weißen Drachen, Simon Falkh, Clement Gutscher (Cuzer oder Kunzer, der Beiname wechselt), Medic. Dr. Elia Halfanus etc. **) Es scheint auch, dass die Vorsteher der Hofjudenschaft zu Rate gezogen wurden, wenn der Kaiser Jemanden zum Hofjuden ernannte. Über Selka und David Schay findet sich ein derartiges Gutachten vom 13. Mai 1620. Die Unterschriften sind hebräisch: David, Sohn des Pinehas Lewi Hurwiz und Moses Jeremias Gerson, Sohn des Moses Kohn sei. Angedenkens. Die Grabstätten von Dr. Halfanus und des Vorstehers Hurwiz befinden sich auf dem alten jüdischen Friedhofe in Wien. (S. Frankl Inschriften des alten jüdischen Friedhofes in Wien.)

Wir bringen in den Beilagen das Dekret der Hofjuden Samuel zum Drachen und Samuel zum Straussen; in derselben Weise beiläufig sind auch die andern abgefasst.

*) S. Hurter Geschichte Ferdinands II. 2/9. Bd., p. 187. Hurter meint auch 1/8. Bd., p. 299, dass der Münzmeister zu Wien Jesaias Jessensky unverkennbar von jüdischer Abkunft gewesen sei. Wir wissen jedoch nicht was zu dieser bestimmten Annahme berechtigt, der Beiname ist nicht jüdisch und getaufte Juden hielten wohl nicht den Namen Jesaias bei.

**) Die hiesige k. k. Hofbibliothek besitzt aus dessen Nachlass mehrere Werke. (S. Kraffts Katalog.)


Was wir dabei hervorheben müssen, ist, dass diese Privilegien für Hofjuden nicht bloß für die betreffenden Persönlichkeiten galten, sondern auch für ihre Kinder, Verwandte etc., so dass diese Begünstigungen Vielen zu Teil wurden.

Es sei hier auch eines Briefes erwähnt, welchen der Erzherzog Leopold an seinen Bruder den Kaiser Ferdinand II. schreibt, in welchem er ihm die Angelegenheit des Lewi aus Bonn empfiehlt, und auf die Verdienste desselben hinweist.

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Fassen wir das Ergebnis der gebotenen Dokumente kurz zusammen, so war die Stellung der Juden unter Ferdinand II, abgesehen von den allgemein bestehenden drückenden Gesetzen, folgende:

Die Juden waren in religiösen Angelegenheiten vollkommen autonom; nach ihrem Gutdünken konnten sie über innere Fragen urteilen.

Ohne Einwilligung des Kaisers durften sie nirgends im deutschen Reiche verjagt und vertrieben werden, und da wo sie wohnten konnten sie Synagogen haben, das betreffende Beamtenpersonal anstellen, Begräbnisplätze ankaufen etc.

Schuldner wurden verhalten die Pflichten gegen ihre Gläubiger zu erfüllen.

Es wurde nicht gestattet, dass während den Kriegszeiten die Juden mit Einquartierungen etc. belästigt wurden, eben so missbilligte es der Kaiser, dass Aufreizungen gegen die Juden stattfinden. In Übereinstimmung mit seinen Vorgängern und mit den Aussprüchen der Päpste weist er das Vorurteil zurück, als würden die Juden Christenblut gebrauchen.

Das Recht des Einzelnen wird im vollen Masse gewahrt und geschützt.

Dabei ist hervorzuheben, dass die kaiserlichen Briefe von einem wahrhaft religiösen Geist der Milde und Liebe durchweht sind. Wiederholt wird darin bemerkt, dass die Stellung der Juden eine sehr verkümmerte sei, da ihnen die Handwerke zu betreiben etc. nicht gestattet ist.

Von den allgemeinen drückenden Gesetzen waren die Hofjuden bis zu einem gewissen Punkte ausgenommen. Sie durften sich freier bewegen, konnten überall wo sie wohnten Häuser ankaufen und waren nicht mit Zöllen und Abgaben belästigt; die Judenzeichen zu tragen war ihnen erlassen.

Ferdinand II. achtet den patriotischen Eifer der Juden, die mit Gut und Blut für die Rechte des Vaterlandes einstanden.

Betrachtet man die damalige Stellung der Juden, würdigt man den Geist, der durch jene Zeit strömte; so wird man die Verdienste Ferdinands um die Juden in vollem Maße anerkennen. Die Geschichte wird diese Aktenstücke nicht übersehen und auf die Waagschale Ferdinands legen, wenn sie über ihn zu Gerichte sitzen wird.

Ferdinand II. deutscher Kaiser (1578-1637

Ferdinand II. deutscher Kaiser (1578-1637

Ferdinand II. deutscher Kaiser (1578-1637) mit Hofzwerg

Ferdinand II. deutscher Kaiser (1578-1637) mit Hofzwerg

Ferdinand II. deutscher Kaiser (1578-1637

Ferdinand II. deutscher Kaiser (1578-1637

Wiener Stadtansicht

Wiener Stadtansicht

Ansicht der Stefanskirche (nach Rudolf Alt, Heliogravüre)

Ansicht der Stefanskirche (nach Rudolf Alt, Heliogravüre)

F. G. Waldmüller, Der Nikolo (Heliogravüre)

F. G. Waldmüller, Der Nikolo (Heliogravüre)

F. G. Waldmüller, Die milde Gabe

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F. G. Waldmüller, Der Guckkastenmann

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F. G. Waldmüller, Heimkehrende Holzsammler

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F. G. Waldmüller, Badende Frauen

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Jos. Danhauser, Die Brautwerbung

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Karl Schindler, Rekruten-Aushebung

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J. V. Führich, Jakob und Rahel

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Balth. Wigand, Exerzierplatz

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Moriz v. Schwind, Ein Schubert Abend

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