Dritte Fortsetzung

Auch die Popularität hat ihre Steckbriefe. — Ich glaube nicht, dass die Verehrer Fritz Reuters — selbst der phantasiereiche weibliche Teil derselben — beim ersten Begegnen mit diesem sich durch seine Erscheinung überrascht oder enttäuscht fühlen werden. Und doch sieht Fritz Reuter gar nicht aus wie ein Poet oder etwas dergleichen. Weder sein Gesicht, noch seine Kleidung, noch sein Behaben zeigen etwas von „der Sekte prahlerischer Tracht". Er ist eben ein leibhaftiger Mecklenburger in Lebensgröße. Wenn er uns, eine kurze Pfeife im Munde und Stock in der Hand, auf einem Gutshofe oder einem Feldwege begegnete, würden wir ihn für einen Pächter oder Inspektor halten. Die Statur gedrungen, etwas zum Embonpoint neigend; dem vollen, runden, von einem blond und grau gemischten Vollbarte eingefassten Gesichte ist das Gepräge grundehrlicher Offenheit aufgedrückt. Um den Mund spielt ein Zug, dem man die Neigung zum Lachen ansieht; aber die gutmütig milden, blauen Augen haften dafür, dass aus Fritz Reuter nur der wahrhaft menschliche Humor lacht.

Darf der Dichter der „Olle Kamellen" anders aussehen? Tritt er uns nicht in dieser Gestalt aus jeder Zeile seiner Schriften entgegen, im innigen Verkehr mit dem Volke, das er so wahr und warm zu schildern weiß? Ist er uns, auch wenn wir ihm zum ersten Male die Hand drücken, nicht bereits ein alter lieber Bekannter? — Wer sich Fritz Reuter anders gedacht hat, der hat ihn auch nicht verstanden und wird ihn nimmer verstehen.
Wie im Äußern, so ist Fritz Reuter auch in seiner Unterhaltung schlicht und ungezwungen. Er liebt es nicht, viele Komplimente zu hören oder zu machen. Aber feinfühlig und taktvoll ist er weit von jener rüden Ungeniertheit entfernt, die der Welt zumutet, den Mangel an Lebensart, ja geradezu die Flegelei, als Ausdruck bieder germanischer Offenherzigkeit anzuerkennen. — Es verkehrt sich gar bequem mit Fritz Reuter. Eine durchaus gesellige Natur, liebt er es, bei der Flasche, im Kreise von Bekannten und Freunden heiter sich zu ergehen. — Fritz Reuter hat eigentlich nicht die Gabe des Witzes, ebensowenig in seiner Unterhaltung, wie in seinen Schriften. Die Pointe, das Schlagwort, das Aperçu stehen ihm nicht zu Gebote. Ich möchte sagen, er ist zu human, um witzig zu sein. Um so mehr weiß er, wie in seinen Büchern, so auch im Leben, das eigentlich komische Element den Menschen und den Dingen abzusehen und abzufühlen. Statt kurzer scharfer Einfälle gibt er gleich ganze ergötzliche Gestalten und Erzählungen, welche die heitere Aufmerksamkeit seiner Zuhörer zu fesseln wissen.


Fritz Reuter liebt es, aus seinen Schriften vorzulesen; meistens kommt er dem Wunsche der Gesellschaft damit entgegen.

Es ist dieses etwas sehr Bedenkliches. Mich wenigstens überläuft es stets kalt, so oft ich einen Autor — ich nehme selbst berühmte nicht aus — Miene machen sehe, aus einem Manuskript oder einem seiner gedruckten Werke vorzutragen. Denn abgesehen davon, dass Schriftsteller gewöhnlich schlechte Vorleser sind, spricht sich fast immer bei solcher Gelegenheit eine unerquicklich krankhafte Selbstüberschätzung, jener Unsterblichkeitsappell aus, an dem selbst Autoren leiden, die bedeutend genug sind, um bescheiden sein zu dürfen. Mit dem viel zitierten Worte: „Nur die Lumpe sind bescheiden!" hat Goethe viel Unheil angerichtet.

Dieses peinlichen Gefühls sind wir bei Fritz Reuter enthoben.
Allerdings liest auch er mit sichtlichem Behagen. Aber es drückt sich nicht darin das eitle Sichgernhören, das Bespiegeln in dem eigenen Machwerke aus, sondern die Lust und Freude an den Gestalten seiner Feder, mit denen der Humorist aufs Innigste verwachsen ist, die ein Stück seines Wesens sind. Wer missgönnt dem Schöpfer die Freude an seiner Schöpfung? Dazu klingt in dem volltönenden biegsamen Organe Reuters das Mecklenburger Original-Platt so gar zutunlich, dass man mit Freuden länger zuhört, als es sonst ein Vorleser beanspruchen darf.

Es wäre aber auch schlimm, wenn die Gäste, die Fritz Reuter bei sich sieht, sich an seinem Vorlesen satt hören könnten. Niemand würde darüber mehr verstimmt sein, als Frau Luise Reuter, nicht sowohl aus Eifersucht auf den Autorenruhm ihres Galten, als auf die Leistungen ihrer Küche.

Ich weiß, Frau Reuter wird fraulich schüchtern erröten, dass auch ihrer hier öffentlich Erwähnung geschieht. Aber als eines „Preisters Döchting" muss sie wissen, dass die Frau nun einmal berufen ist, Leid und Freud mit dem Manne zu teilen. Eines Poeten Weib vor Allein muss sich's schon gefallen lassen, dass einige Blätter aus dem Lorbeerkranze ihres Gatten auch auf sie fallen. — Wie Fritz Reuter seine plattdeutschen Penaten, so hat Frau Luise vom häuslichen Herde in Mecklenburg das gastliche Feuer nach dem Thüringer Walde getragen, um daran die heilige Flamme der fernen Heimat wieder zu entzünden. Prosaisch ausgedrückt heißt das, dass neben der patriarchalischen mecklenburgischen Gastlichkeit bei Reuters auch noch die mecklenburgische Küche zu Hause ist. Und wer diese kennen gelernt, weiß, dass ihre Leistungen nirgend in Deutschland, selbst in Hamburg nicht, übertroffen werden. Das mecklenburgische Volk hat ja bis heute keine andere Magna charta, als sein Kochbuch! Diese Charte ist eine Wahrheit. — Aber auch jeder Winkel der Reuter'schen Wohnung zeugt von dem feinsinnigen Geschmacke der Hausfrau, die mit geistvoller Lebendigkeit sich an dem Gespräche der Männer beteiligt, ohne eine Spur von jener wirtlich geschäftigen Hast zu zeigen, die den Fremden, der sich als Gegenstand der hausfraulichen Sorgen weiß, eher beunruhigt als befriedigt. Das Gesellschaftszimmer, vor dessen Fenstern und Altane sich das bereits geschilderte anmutige Landschaftspanorama aufrollt, und die daran stoßenden offenen Gemächer sind mit einem Komfort eingerichtet, der bei aller Anspruchslosigkeit doch an die Grenzen des Luxus streift. Das elegante Pianino, die hinter den Spiegelscheiben des Bücherschrankes dichtgereiten Prachtbände der Hausbibliothek, die Kupferstiche und Ölbilder an den Wänden und auch alle die kleinen Überflüssigkeiten, mit denen die ordnende weibliche Hand das Haus zu schmücken liebt, Alles deutet auf eine behagliche, wohlhäbige Häuslichkeit hin.

Nicht ohne Grund verweile ich bei diesen anscheinenden Äußerlichkeiten.

Das deutsche Publikum war bisher gewöhnt, sich das vaterländische Schriftstellertum als eine Art Proletariat vorzustellen und diesem ein Mitleid zu schenken, das nicht immer frei von Geringschätzung ist. „Hätt' er was gelernt, braucht' er nicht zu schreiben Bücher!" wie der selige Salomon Heine von seinem Neffen Henri sagte. Dem Dichter vor Allein gehört die Dachstube und die Misere eines dürftigen Erdenwallens. Lässt ja auch Schiller seinen Poeten erst erscheinen, nachdem alle Erdengüter bereits verteilt waren und ihm nichts mehr offen stand, als der Himmel, auf den bekanntlich irdische Manichäer, und sollten sie auch noch so fromm sein, nicht die kleinste Anweisung annehmen. Nein, unsere Zeit ist wahrlich darum nicht prosaischer geworden, dass sie dieses alte Vorurteil von der prädestinierten Dürftigkeit deutscher Dichter und Schriftsteller zu zerstören beginnt. Es schadet der himmlischen Göttin Poesie nicht an ihrem Rufe, wenn sie ihre Poeten auch mit Butter versorgt. Und ich denke, es gereicht ebenfalls der deutschen Nation zur Ehre, dass sie — was Engländer und Franzosen schon längst getan — ihre Lieblingsdichter und Schriftsteller nicht nur nach Verdienst ehrt, sondern auch honoriert und zwar dadurch, dass sie Bücher kauft, statt sie, wie bisher, aus Bibliotheken oder sonst wie leihweise, sogar vom Autor selbst, zu entnehmen.

Reuter verdankt seinen Wohlstand lediglich seiner Feder. Er hat in diesem Jahre von den neuen Auflagen seiner Schriften nicht weniger als 7.000 Thaler eingenommen; ein Honorar, das sich mit Ehren neben dem populärer englischer Autoren sehen lassen kann, besonders wenn man bedenkt, dass die kleinere Hälfte der deutschen Nation — die plattdeutsche — dasselbe aufgebracht hat. —

Diese sichtlich sorglose Lebenslage lässt den Besucher bei Reuters die herzige Gastlichkeit, die ihm entgegenkommt, besonders wohltuend empfinden.

Aber zu der Heiterkeit, die im thüringischen Mecklenburg zu Hause ist, trägt Lisette gewiss nicht das Wenigste bei. Wie Fritz Reuter dem französischen Chansondichter das Wort nachsprechen darf: „le peuple c’est ma muse“, so hat er gleich diesem auch eine Lisette, und in der Tat eine französisch parlierende, nur dass diese weit entfernt ist von der etwas frivolen Anmut und Koketterie, welche Beranger an seinem echt französischen Mädchen aus dem Volke in lustigen Liedern besingt. Um so mehr können wir über Reuters Lisette lachen.

Ich brauche wohl dem Leser kaum noch zu sagen, dass Lisette Niemand anders ist, als das Gallion, das uns die Türe geöffnet. Es gibt keine glücklichere Figur für einen komischen Roman.

Lisette ist von Geburt ein Dorfmärchen aus dem Großherzogtum Sachsen-Weimar. Sie hütete in ihrer Jugend die Gänse der Dorfgemeinde, wie Johanna die Schafe ihres Vaters hütete in dem Flecken Dom Remi, der in dem Kirchspiele liegt von Toul. Und wie Johanna ward sie berufen zur „Jungfrau von Orleans". — Nichts Geringeres als die französische Februarrevolution von 1848 griff gestaltend in das Leben Lisettens ein. Der Thron Louis Philipps musste zertrümmert werden, um dem thüringischen Bauernkinde eine ungeahnte Laufbahn zu eröffnen. Bekanntlich war in Folge jener politischen Katastrophe die Herzogin von Orleans mit ihren beiden Kindern, dem Grafen von Paris und dem Herzog von Chartres, nach Eisenach geflüchtet, wo sie das oben erwähnte großherzogliche Palais auf dem Marktplatze, der Georgenkirche gegenüber, als Residenz bezog. Monsieur Hubert, der Intendant der Herzogin, der mit seiner Familie seiner Gebieterin nach Deutschland gefolgt war, hatte eine im Hausgesinde entstandene Lücke auszufüllen, und Lisette wurde — ich weiß nicht durch wen empfohlen — als Dienstmagd von ihm engagiert. So kam sie an den Hof der Herzogin von Orleans. Ihre häuslichen Verrichtungen brachten sie täglich mit der hohen Frau und den kindlichen Prinzen, von denen der erstgeborene Prätendent der französischen Königskrone war, in Berührung, die sich durch Lisettens thüringische Unbefangenheit, welche sie auch in der Hofsphäre behauptete, zu einer intimen gestaltete. Tüchtig und brav, wie sie war, verharrte sie in dieser Stellung bis zum Tode der Herzogin. Sie begleitete dieselbe auf ihren Reisen. So hielt sie sich mit den Orleaniden längere Zeit bei dem exilierten greisen Königspaare in Claremont auf, dem englischen Landsitze des Königs der Belgier, den dieser bekanntlich seinem Schwiegervater Louis Philipp eingeräumt hatte. Auch in Paris ist Lisette mit Monsieur Hubert gewesen, der vermutlich in geheimer Mission dort mit den Orleanisten beratschlagt hatte. So hat Lisette in den höchsten Kreisen der Gesellschaft die große Welt gesehen, die dauernde Eindrücke in ihren Erinnerungen zurückließ. Sie schwärmt noch heute für die Herrlichkeiten der Champs Elysees, die sie natürlich „Schamps Elise" spricht. — Überhaupt liebt Lisette es, ihr wohlerworbenes Französisch nicht unter den Scheffel zu stellen, besonders wenn Gäste bei Reuters sind. Das Wort „Ja!" scheint sie sich ganz abgewöhnt zu haben, sie sagt nie anders als: fui, Matam! fui, Mussiö!; sie würde gewiss auch am Traualtar, falls ein etwas verspätetes Liebesglück sie noch einmal dahin stellen sollte, die Frage des Priesters beim Ringwechsel statt mit „Ja!" mit einem herzhaften fui! beantworten. So pflegt sie auch die Anordnungen der Hausfrau bei Tische laut ins Französische zu übersetzen. „Lisette, ein Teller!" „Fui Matam, une assiette!“ „Lisette, ein Glas Wasser für den Herrn!" „Foilà! Öng ferr d’o pour Mussiö!“ Beim Präsentieren der Schüssel wird sie selten das „plöt, i?“ (plaît-il?) vergessen, sowie sie auch der Unterhaltung bei Tische von Zeit zu Zeit mit einem für sich gesprochenem c'est ça, zu folgen pflegt. — Weit drolliger aber als ihr Französisch ist ihr Deutsch, das gar nichts von thüringischem Dialekt und thüringischer Ausdrucksweise an sich hat. Es scheint, als hätte sie sich dasselbe aus dem gebrochenen Deutsch der französischen Dienerschaft der Herzogin von Orleans angeeignet. Die Komik dieser eigentümlichen Sprechweise wird noch erhöhet durch die unbegreiflichen Redensarten, welche Lisette mit lakonischer Sicherheit überall anzubringen weiß, wo solches nur möglich und unmöglich erscheint. So z. B. dass sie den Fremden „in dieser Hinsicht" anmeldet. Ich hörte von ihr den Ausdruck: „in dieser Hinsicht ist das eine Betrachtung!" „fui, das ist so Gebrauch von die Ordnung!" etc. — Zu diesen abgelegten Hofredensarten besitzt Lisette noch mehrere abgelegte Hofkleidungsstücke. So erscheint sie an hohen Festtagen in einer Robe, welche weiland die Frau Herzogin von Orleans getragen. Wie viele treue Orleanisten könnte sie mit kleinen ordensbandgroßen Fetzen dieser Reliquie glücklich machen! Natürlich passt zu dieser Gewandung keine Crinoline, die Lisette ohnedies als eine Erfindung der neuen französischen Kaiserära verabscheut, wie sie überhaupt Napoleon III, als Feind des Hauses Orleans hasst. Als vor einiger Zeit bei Reuter die Zeitung vorgelesen wurde, in welcher von einer Erkrankung Kaisers Napoleon die Rede war, sagte Lisette, welche während einer Beschäftigung im Zimmer aufmerksam zugehört hätte: „Wenn der schterbt, dann trauer ich rot!"

Dass Lisette durch ihr Leben am Hofe etwas Aristokratin geworden ist, darf uns nicht wundern. Sie weiß es sehr zu schätzen, gegenwärtig wieder in Diensten einer Herrschaft zu stehen, die, nach mancherlei Aufmerksamkeiten zu schließen, deren sich dieselbe erstellt, eine hervorragende Bedeutung haben muss, obwohl Lisette das Ding nicht recht zu begreifen vermag. Aber sie ist gar nicht damit zufrieden, dass die Fremden so ohne alles Zeremoniell Zutritt zu der Herrschaft finden. Nicht selten daher trifft sie im Hause auf eigene Hand Anordnungen, die der Hausordnung am Hofe der Herzogin von Orleans entnommen zu sein scheinen und die zu beseitigen es der ganzen entschiedenen Intervention der Frau Reuter bedarf. —

Ob die Liebe in Lisettens Leben eine Rolle spielt, möchte ich aus Erwägungen, die zu verlautbaren ungalant wäre, bezweifeln. Indes das Wort „unmöglich" ist aus dem Lexikon des menschlichen Herzens gestrichen, und so auch wohl aus dem Lisettens.

In der Tat scheint Fritz Reuter ein besonderer Günstling des Zufalles zu sein, der ihm eine Figur wie diese gerade in den Weg geworfen hat. Für den Humor unseres Dichters dürfte Lisette ein prächtiges Seitenstück zu der unvergleichlichen Mamsell Westfalen sein, wenn erstere auch keine mecklenburgische Faser an sich hat. Denn auch das ist das Eigentümliche, ich möchte sagen der Humor von Fritz Reuters Humor, dass dieser — so untunlich es ist, ihn selbst aus dem Mecklenburgischen in eine andere Sprache und ein anderes Verständnis zu Übersetzen — doch wiederum alles Fremdartige mit großer Leichtigkeit, sprachlich und sozial ins Mecklenburgische übersetzt. Die Heimat ist dem Humor Fritz Reuters der enge Rahmen zu dem Spiegel, aus dem die Welt in ihren bunten Erscheinungen mikrokosmisch uns entgegenstrahlt. — So bin ich überzeugt, dass die Reise, welche Reuter mit seiner Gattin im vergangenen Frühling, auf einem Dampfer des österreichischen Lloyd, nach Griechenland, Konstantinopel und Smyrna gemacht hat, gar wundersam verplattdeutscht und vermecklenburgt den Fritz Reuter-Lesern durch die Hinstorsf’sche Hofbuchhandlung vorgeführt werden wird. — Warum sollte z. B. unser guter lieber Entspekter Bräsig, „bürtig aus Mekelborg-Schwerin", nicht von irgend einem strebsamen Gutsbesitzer, behufs Ankaufs edler Zuchtböcke, zu einer Reise nach dem Morgenlande engagiert werden, wie er seiner Zeit von Moses Löwenthal aus Wahren zu einer Reise nach dem Berliner Wollmarkte engagiert worden ist, um demselben, nämlich dem Moses Löwenthal, „als kenntnisreicher Mann in Wullsachen, zu helfen beis Geschäft, natürlich gegen 'ne Provision". Eine Reise, auf welcher der arme Bräsig gar grausame Abenteuer erleben musste, wie ein Jeder solche in Reuters „Schurr-Murr", von Seite 49 bis Seite 134, nachlesen kann.

Dass der Humor in Mecklenburgisch-Thüringen durch sympathische Heimatsklänge angefrischt werde, dafür sorgt ganz besonders Fritz Reuters „olle Fründ de Cannedat", oder auch „Avkat Rein". In Wirklichkeit ist das Niemand anders, als der wackere charakterfeste und doch so kindlich weiche Reinhardt, ein Landsmann Reuters, früher als Theologe und Pädagoge in Mecklenburg fungierend, jetzt, des leidigen Amtes ledig, in Coburg an der Presse beschäftigt, der aus naher Nachbarschaft von Zeit zu Zeit unter Reuters Dach einkehrt. Reinhardt, manchem Leser als Mitglied des Frankfurter Parlaments bekannt, ist, wie sein Landsmann, ein geborener Humorist von dem Scheitel bis zur Zehe — wenn er auch seine sprühenden Einfälle mehr der Gesellschaft hingibt, anstatt sie produktiv mit der Feder zu verarbeiten. „'Ne Gschicht von min olle Fründ Rein", die Reuter in seinen „Läuschen un Rimels" erzählt, ist in der Tat eine dem Leben Reinhardts entnommene wahre Geschichte. Am treuesten nach dem Original aber lernt der Leser Reinhardts trockne humoristische Schelmerei kennen in der Schilderung einer Versammlung des Reform Vereins zu Rahnstädt. in welcher „Avkat Rein" als Präsident den Vorsitz führt. Dies wahrhaft klassisch zu nennende Meisterstück des Humors findet der Leser im dritten Bande von „Ut min Stromtid", der soeben die Presse verlassen hat.

Indem ich hier meine Skizze beende, fühle ich, wie das nun einmal immer der leidige Fall ist, zu spät, welche Gefahren ich mit derselben für das Thüringische Mecklenburg heraufbeschworen. Man kann volkstümlichen Persönlichkeiten kaum einen schlimmeren Dienst erweisen, als wenn man deren Liebenswürdigkeit und Gastlichkeit öffentlich durch die Presse denunziert, besonders wenn diese Persönlichkeiten, wie Fritz Reuter, an einem Karawanenwege wohnen. Gar leicht könnte meine Schilderung von Fritz Reuters thüringischer Hüsung Tausende seiner Verehrer, die allsommerlich den Weg durch Thüringen nehmen, der Versuchung aussetzen „selbst zu sehen", wie Yorik Sterne auf seiner sentimentalen Reise. — Brauche ich die Folgen eines solchen Kultus weiter auszuführen?

Mögen daher die geneigten Leser und Leserinnen meine unvorsichtige Denunziation durch ihre eigne diskrete Erwägung unschädlich machen und sich mit einem Blick über das Gartenpförtchen, das zu Mecklenburg in Thüringen führt, und meiner Schilderung begnügen. Der Verzicht auf die persönliche Bekanntschaft Fritz Reuters wird ihnen weniger schmerzlich fallen in dem Gedanken, dass des Dichters Zeit eine edle sei und dass sein Humor den Tisch für viele Hunderttausende unsres Vaterlandes zu decken habe.

Fritz Reuter aber möge am Fuße der sagenreichen Wartburg, von wannen Heinrich von Osterdingen einst auszog, um die blaue Blume der Romantik zu suchen, noch recht lange mecklenburgische „Olle Kamellen" pflücken! —