Fahrsamen

Autor: Ueberlieferung
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Vor vielen Jahren diente ein Eschelbacher in Waldangelloch. Der hatte sich vom Teufel Fahrsamen verschafft und konnte deshalb fahren, wie und wohin er wollte. Oft jagte er mit schwer beladenem Wagen und vier Pferden stelle Berghänge hinab, und wenn dabei das Gefährt auch ganz auf die Seite hing, so stürzte es doch niemals um. Einst kam er mit einem Wagen Frucht in die Scheuer, und da er niemand fand, der ihm beim Abladen geholfen hätte, fuhr er einfach die senkrechte Leiter hinauf auf die Obertenne und warf dort die Frucht ab. Währenddessen kam der Bauer in die Scheuer, sah den Wagen oben stehen und ging entsetzt und schweigend wieder hinaus. Der Knecht fuhr die Leiter wieder hinab, ging zu seinem Herrn und sagte zu ihm: »Das war ein Glück, daß Ihr in der Scheuer kein Wort gesprochen habt, sonst wäre ich mit Roß und Wagen von der Obertenne gefallen.«

Einst bat ein Freund diesen Knecht, ihm auch Fahrsamen zu beschaffen. Beide begaben sich hierauf um elf Uhr in der Christnacht auf einen Kreuzweg. Dort machte der Knecht einen Kreis auf den Boden, stellte sich mit dem anderen hinein und ermahnte ihn, ja nicht zu sprechen, es möge kommen was da wolle. Dann zog er ein Büchlein hervor und fing an, still darin zu lesen. Gegen zwölf Uhr hörten sie ein Getöse, als ob das wilde Heer in Anmarsch wäre. Der Lärm hörte aber wieder auf, und über ihren Köpfen sahen sie nun einen Mühlstein an einem dünnen Faden hängen, der jede Sekunde auf sie herabzustürzen drohte; aber der Stein störte sie ebensowenig wie eine heranrasselnde vierspännige Kutsche, deren Führer sie vergeblich um die Entfernung nach dem nächsten Orte fragte. Zum Schluß kam jemand in einer großen Holzschüssel mühsam herbeigerutscht und fragte: »Kann ich die Kutsche noch einholen?« Da mußte der Freund des Knechtes laut lachen, und sogleich erhielt er von dem Knecht eine Ohrfeige mit den Worten: »Dummkopf! Jetzt hast du dich mit deinem Gelächter um den Fahrsamen gebracht!«