Kapitel

Nordamerika erklärt sich, und wird, frei; neuer Umschwung der Dinge; Geist der Emanzipation in Europa wie in Südamerika rege gemacht; Mirandas Versuche; förmlicher Aufstand, der Spanisch - Amerikanischen Provinzen.

Der vierte Julius des Jahres 1776 bezeichnet den Eintritt einer neuen Periode der Weltgeschichte. Nicht durch einen unerträglichen Druck tyrannischer Gewalt zum Widerstand gereizt, sondern durch den tief gefühlten Schmerz edler Gemüter über willkürliche Eingriffe in wohlerworbene und bis dahin offenkundig anerkannte Rechte erbittert, erklärte an jenem ewig denkwürdigen Tage das Volk der vereinigten Staaten von Nordamerika sich für unabhängig von der im Ganzen milden und wohltätigen Herrschaft des britischen Inselstaates, zu welchem es bisher als Kolonie in einem Verhältnisse, zwar nicht der sklavischen Unfreiheit, aber doch auch nur der halben Mündigkeit unter väterlichem Schutze, gestanden hatte.


England, das auf eine Linie des gleichen Rechtes mit seinen bisherigen Schützlingen zu treten, und seine lange behauptete Vormundschaft aufzugeben verschmähte, verlängerte den Kampf, so lange noch Hoffnung zum Gelingen übrig war, und zog das übrige Europa für oder wider die Sache der Unabhängigkeit mit in den häuslichen Zwist. Der angezündete Funken, solchergestalt nach diesseits des Ozeans verschleppt, hatte auch hier leicht brennbaren Zunder gefunden, und ein Geist der Untersuchung der Rechte und des Strebens nach gesetzlicher Selbstständigkeit, mithin nach Staatseinrichtungen, die gegen Willkür beschützen sollten, hatte sich von jenseits her der besseren Köpfe bemächtigt, und fast unmittelbar an den Pariser Frieden, (1783 den 20sten Januar) der Nordamerika als einen freien Staat dem alten Völkerbunde beigesellte, reihte sich der Ausbruch der französischen Währungen, welche mehr oder minder ganz Europa elektrisierten. — Der neugeschaffene Freistaat konstituierte sich *) nach Grundsätzen, die dem Bunde Erweiterung und Konsistenz, nicht durch Eroberung untertäniger Provinzen, sondern durch den Beitritt neuer Staaten versprachen, welche sich auf dessen weitem Gebiete bei zunehmender Volksmenge in Kurzem bilden mussten. Dieser Erfolg trat früher und in größerem Maße ein, als die kühnste Erwartung vorausgesetzt hatte; und Amerika zeigte bald, dass es nicht bloß für sich als Staat existieren, sondern auch in den Welthandels der bisher dem europäischen Staatenbund vorbehalten war, und dadurch in das System der europäischen Politik mit Nachdruck eingreifen wolle.

*) Durch die Grundverfassung der vereinigten Staaten von Nord-Amerika vom 17ten September 1787.

Schon im Jahre 1803 wehte seine Kriegsflagge im mittelländischen Meere, und züchtigte den Raubstaat von Tripolis, und zwanzig Jahre nach Errichtung einer festen Konstitution *), entzündete Großbritanniens Eifersucht den ersten Kriegsfunken, der, wieder aufgeregt aus der Asche durch den Angriff auf den englischen Cutter little Belt **) in helle Flammen ausbrach, denen erst drei Jahre später der Friede ***) zu Gent ein Ziel setzte.

Durch diese Begebenheiten, welche wir hier im schnellen Flug berühren, hatte der Nord-Amerikanische Freistaat seine Starke erprobt, seine Würde durch das Zurückweisen unbefugter Anmaßungen gerettet, und sein Recht, als tätiges Bundesglied eine Stimme zu führen in den großen Angelegenheiten der zivilisierten Welt, kräftig erwiesen und behauptet. Von diesem Augenblicke an kommt der Impuls zu einem neuen Umschwung der Begebenheiten nicht mehr allein her vom alten Kontinent; er dürfte vielleicht bald ganz auf das neue hinübergehen.

Denn nicht müßig hatte dessen südlicher Teil den neuen Schöpfungen auf der nördlichen Hemisphäre zugesehen; das Gelingen derselben hatte auch hier Hoffnungen erregt, und Ansprüche entwickelt, die zu gleichen Erfolgen führen mussten.

*) Angriff der Britten auf die Fregatte Chesapeak am 20ten Juli 1807.
**) Am 16ten Mai1811
***) Am 24sten Dezember 1814.


Unter dem Mutterstaate konnten die spanischen Niederlassungen im Norden und Süden des Isthmus von Darien nur langsam und kärglich aufblühen; aber sie waren dennoch im wachsenden Gedeihen, und es war keineswegs das Joch einer schwerlastenden Despotie, das die Verzweiflung abzuschütteln versucht hatte. Die spanische Regierung hatte nach und nach das drückende Handelsmonopol erweitert *); Reichtum und Wohlleben herrschte in den größeren Städten, und selbst die Härte der Sklaverei war durch menschlichere Gesetze gemildert. Aber die Reibung der verschiedenen Kasten, von denen die Eingeborenen aus gemischten Rassen mit neidischem Auge auf die Vorrechte der echten Spanier hinblickten, der erweckte Trieb auf die Schicksale des eignen Vaterlandes selbstbestimmend einwirken zu wollen, der Mangel von Entgegenkommen abseits der sich in den hergebrachten Formen schwer und langsam bewegenden Regierung, vor allem aber das glänzende Beispiel Nordamerikas brachte anfänglich Versuche zur Emanzipation — welches Wort, als andeutend das Auflehnen des sich erwachsen Fühlenden gegen die gewohnte Bevormundung, und die Selbstübernahme der eignen Angelegenheiten, wohl den seit 1776 hervorgetretenen und über die neue wie die alte Welt verbreiteten Zeitgeist am passendsten ausdrücken möchte — zum Vorschein, die nach kurzer Zeit in förmlichen fast allgemeinen Aufstand ausschlugen.

*) Man sehe hierüber: Tableau de l’Espagne moderne par J. Fr. Bourgoing 4m2. Edition à Paris 1807, Tom. II. Pag. 188 sq.

Schon in 1806 hatte der kühne Don Francesco Miranda sein Vaterland der spanischen Oberherrschaft zu entreißen versucht, ohne für jetzt noch hinreichende Teilnahme zu finden, um sich gegen die Übermacht halten zu können. Inzwischen blieb der ausgestreute Samen nicht ohne Frucht. Die später erfolgte Revolution im Mutterstaate gab der Neuerungssucht den erwünschten Vorwand, und einen wenigstens sehr scheinbaren Rechtstitel. Das unkluge Benehmen der an die Stelle der resignierten Dynastie getretenen Zentraljunta, und die Unmöglichkeit einer kräftigen Einwirkung abseiten des dem Namen nach über Spanien und beide Indien neu eingesetzten, in der Tat auf Madrid und dessen Umgebungen beschrankten, Herrschers, zusammentreffend mit den Bewegungen der gegen Ausgang von 1807 aus Europa nach Brasilien eingewanderten portugiesischen Regierung, welche, vielleicht unbewusst über einem Vulkane thronend, dennoch, statt auf Befestigung, schon an Erweiterung des schönen Königreiches gedachte, vollendete den Ausbruch. Im Laufe des Jahres 1810 erhoben Carraccas, Qvito, la Plata und Mexico das Panier der Unabhängigkeit, und, im Triumphe zu Guaira empfangen, war im folgenden Jahre Miranda zurückgekehrt, um sich aufs neue einem Kampfe zu widmen, in dem er freilich unterlag, aber ohne seine Sache mit ins Verderben zu ziehen. Die seit dem 19ten März 1814 wieder in ihre Herrschaft eingesetzte rechtmäßige Regierung fand die Sache zu weit gediehen, und die Kräfte des Reiches zu sehr erschöpft, auch der Beschäftigungen und Unruhen im Mutterlande zu viele, um den Fortschritten der insurgierten Kolonien einen hinreichenden Damm entgegensetzen zu können.

Wir dürfen heute wohl nach der zur öffentlichen Kunde gelangten Lage der Dinge als entschiedenes Resultat annehmen, dass, wenn auch Spanien glücklich genug sein sollte, seine westindischen Inseln in der alten Abhängigkeit zu erhalten, dennoch das Südamerikanische Festland über kurz oder lang sich derselben entziehen möchte, und dass im Kurzen wenigstens mehrere große Freistaaten in den großen Völkerbund der zivilisierten Welt eintreten werden. Dass ein enges Band diese neuen Staaten nur der großen Nordamerikanischen Föderation verknüpfen werde, ist bei der Gleichheit der konstituierenden Formen und der des Interesse gegen Europäische Attentate zu vermuten, und wenn etwa ein Viertel-Säkulum verging, bis das nördliche Amerika kräftig nach außen hin zu wirken begann, so dürften bei größeren Mitteln und einer älteren Kultur die jungen Staaten des südlichen in kürzerer Zeit erstarken. — Es ist dem menschlichen Forschungsgeiste angemessen, und dürfte kein unnützes Unternehmen sein, einen spähenden Blick in die Zukunft zu senden, und die Grundzüge der neuen Gestaltung der zivilisierten Welt, welche der angedeutete Zeitgeist aus diesem Resultate entwickeln möchte, im Allgemeinen zu entwerfen. Wie aber die Intelligenz in ihrem Wirken überall an den gegebenen Stoff gebunden ist, und die künftigen Bildungen nur durch das Ergreifen der vorliegenden entwickeln kann, so wird, soll eine Untersuchung dieser Art nicht in leeres Phantasiespiel ausarten, die Schilderung der Lage der kultivierten Welt beim Eintritte des neuen Umschwunges der Dinge, als notwendige Prämisse, der beabsichtigten Darstellung vorausgehen müssen.