Erste Fortsetzung

Ist Gott der Schöpfer der Welt, so ist er auch ihr Erhalter und Regierer. Und ist der Mensch frei, so dass er seinem Tun diese oder jene Richtung geben kann, so ist er auch sittlich verantwortlich: beides bestätigt unser Bewusstsein. Ebendeshalb aber, weil es freie Wesen gibt, kann die Weltgeschichte nicht nach gleichen Gesetzen verlaufen, wie der wechselvolle Fortbestand der Naturwelt. Es gibt eine naturgesetzliche Weltordnung und eine höheren Gesetzen folgende sittliche Weltordnung. Das Verhalten der Menschen zu Gott ist bestimmend für das Verhalten Gottes zu den Menschen. Und weil die in Irrsal der Gottentfremdung und in Verderben der Sünde versunkenen Menschen sich selber zu retten außerstande sind, so greift Gott, welcher nicht allein der Gerechte, sondern vor allem der Barmherzige und Gnädige ist, in die Geschichte ein und kommt den Menschen mit Veranstaltungen zu, ihrer Rettung entgegen und lässt Gnade für Recht über alle diejenigen ergehen, welche seine rettende Hand nicht von sich stoßen.

Eine solche Veranstaltung war die Ausführung Abrams aus abgöttischer Umgebung, um ihn zum Propheten des Einen lebendigen Gottes für sein Haus und alle Welt zu machen. „Zieh hinweg — lautete die Gottesstimme, die er in Haran vernahm 1. Mos. 12 — aus deinem Lande und deiner Heimat und deinem Vaterhause in das Land, das ich dir zeigen werde. Und ich werde dich zu einem großen Volke machen und dich segnen, und will groß machen deinen Namen, und werde Segen!" Abraham wird berufen, ein Mittler des Segens, ein Brunnwnquell weithin ausströmenden Segens zu werden. Aber um gesegnet zu werden, muss man sich segnen lassen. Ob man des Segens teilhaft wird, dessen Träger Abraham ist, hängt von der Stellung ab, die man zu ihm einnimmt, wie dort Vers 3 die Gottesstimme fortfährt: „Und ich will segnen, die dich segnen, und den, der dich schmähet, werde ich verfluchen, und segnen werden sich in dir alle Geschlechter des Erdbodens." So war Gottes Wille, Gottes Plan, Gottes Verheißung, die von Abraham auf Isaak und Jakob und das von ihnen stammende Volt überging. Die Patriarchen waren nicht ohne sündliche Schwächen und das Volk Israel hatte seiner Natürlichkeit nach immer einen heidnischen Zug, welchem die Masse durch Aneignung der abgöttischen Kulte der Nachbarvölker nachgab. Aber insoweit Israel und seine Ahnen sich in Wahrheit als Diener und Organe des Einen lebendigen Gottes und seines Ratschlusses und Willens erwiesen, forderte Gott, der die Geschichte nach seinem Heilsplan gestaltet, für diese seine menschlichen Werkzeuge von allen denjenigen, in deren Gesichtskreis sie traten, glaubensgehorsame Anerkennung ihrer göttlichen Sendung.


Auf die patriarchalische Gestalt der Offenbarungsreligion ist die mosaische gefolgt und auf die mosaische die christliche. Als Jesus von Johannes sich im Jordan taufen ließ und als er auf dem Berge verklärt ward, fiel eine Stimme aus der Wolke, die sprach.: Dieser ist mein lieber Sohn, den sollt ihr hören (Luk. 9, 35). Das göttliche Zeugnis erklärt ihn für den Propheten gleich Mose, welcher 5. Mos. 18, 19 mit der ernst drohenden Mahnung verheißen wird: „Wer meine Worte nicht hören wird, die er in meinem Namen reden wird, von dem will welchem Gott im Worte der Weissagung (Jes. 42, 1) sagt: „Siehe, das ist mein Knecht, ich erhalte ihn, und mein Auserwählter, an welchem meine Seele Wohlgefallen hat — ich habe ihm meinen Geist gegeben, er wird das Recht unter die Heiden bringen", d. h. er ist es, den Gott ersehen hat. dass durch ihn die Religion Israels zur Weltreligion werde. Er ist der Sohn, von welchem in Ps. 2 gesagt wird: „Küsset den Sohn, dass er (Gott der Herr) nicht zürne und ihr umkommet auf dem Wege." „Denn der Vater hat den Sohn lieb — wie wir im vierten der vier Evangelien lesen (Ioh. 3, 35. 36) — und hat ihm alles in seine Hand gegeben. Wer an den Sohn glaubet, der hat das ewige Leben; wer dem Sohne nicht glaubet, der wird das Leben nicht sehen, sondern der Zorn Gottes bleibet über ihn." Und er selbst in seiner Bergpredigt fordert Glauben, lebendigen Glauben, Bekenntnis des Herzens und Lebens, denn er wird an jenem Tage zu allen, die sich nur äußerlich und nicht innerlichst ihm untergeben haben, richterlich entscheidend sprechen (Matth. 7, 23): „Ich habe euch noch nie erkannt, weichet alle von mir, ihr Übeltäter!"

Das sind gewaltige Worte, welche auch den jüdischen Hörer nicht gleichgültig lassen sollten. Ist dieser Jesus nicht doch etwa eine von Gott auf dem Schauplatz der Geschichte in die Menschheit hineingestellte Persönlichkeit, durch welche die von Abraham begonnene und von Mose fortgesetzte Mittlerschaft des Heils zur Vollendung kommen sollte? Von Erfolgen, welche diese Verkündigung des Einen wahren Gottes über Abrahams eigenes Haus hinaus gehabt hätte, lesen wir nichts; in Ägypten und Philistäa vereitelte er selbst den Erfolg durch die sittlichen Blößen, die er sich gab. Und auch Mose und das Volk des durch ihn vermittelten Gesetzeshaben für die Bekehrung der Heidenwelt von ihren toten Götzen zu dem lebendigen Gott nichts Erhebliches geleistet. Selbst unter den Propheten ist nur einer, nämlich Jona, welcher nach Ninive, der Weltstadt, geht, um das Gericht zur Buße zu predigen, aber er tut es, göttlicher Nötigung folgend, mit Widerstreben. Dagegen hat die von jenem Jesus ausgehende apostolische Predigt das Heidentum des römischen Weltreichs gestürzt, so dass Julianus Apostata vergeblich ihm wieder aufzuhelfen suchte. Und zwar hat die Mission des Christentums in den folgenden Jahrhunderten nicht gleichen Schritt gehalten mit den ersten, in denen die von Jesus ausgegangenen uranfänglichen Impulse nachwirkten, und das Christentum selbst hat die ihm innewohnende Energie durch allerlei Entartungen gelähmt. Aber doch haben alle folgenden Jahrhunderte Erfolge in der Heidenwelt aufzuweisen, denen das Judentum nichts auch nur einigermaßen Ähnliches an die Seite zu stellen hat. Und überall, wo das Christentum Eingang fand, hat es das Geistes- und Gesellschafts- und Staatsleben mit Kräften des Fortschrittes durchdrungen und eine neue Zeit geschaffen, eine neue Weltgeschichtsära eröffnet.

In eurem Talmud aber wird dieser Jesus als ein von einem gewissen Pandera mit Maria in Ehebruch erzeugter Bastard beschimpft, und wird gefabelt, dass er mit Josua ben Perachja, der aber ein Jahrhundert früher gelebt hat, in Ägypten war und dort sich unwürdig benommen habe, so dass er feierlich exkommuniziert wurde. Seine Wunder werden daraus erklärt, dass er in einem Einschnitt seines Fleisches Zauberformeln aus Ägypten eingeschmuggelt habe. Statt der zwölf Apostel werden fünf Jünger aufgezählt und jedem mit Anspielung auf seinen Namen der Denkzettel der Todeswürdigkeit angehängt. Jesus selbst — so wird erzählt — sei in Lydda als Volksverführer gehängt worden und befinde sich seitdem verdientermaßen in noch ärgerer Pein als Bileam, indem er — es ist haarsträubend zu sagen — in dem Pfuhle geschlechtlicher Sekretionen gesotten werde. Wendet nicht ein, dass ihr nichts dergleichen im Talmud gelesen hättet — die Zensur hat diese Stellen gestrichen, aber es gibt Bücher, in welchen das, was in diesen Zensurlücken stand „gleich Edelsteinen und Perlen" gesammelt und der Vergessenheit entrissen ist.

Muss in diesem talmudischen Judentum, dessen Seele solcher Jesushass ist, nicht etwas faul sein? Sollte nicht vielleicht auch von Jesus gelten, was von Abraham: „Ich will segnen, die dich segnen und verfluchen, die dich verfluchen"? Jene Beschimpfungen lauten wie Irrereden solcher, die vom Kelch göttlichen Zorns getrunken.

Wendet nicht ein, dass diese Herabsetzung der Person Jesu darin ihren Grund habe, dass er sich Gottes Sohn genannt und sich in ein mit der Einheit Gottes unverträgliches Verhältnis zu Gott gestellt habe. Immer bleibt doch seine sittliche Reinheit, seine geistige Größe, seine welterneuernde Wirksamkeit, vor denen auch die größten Geister der Neuzeit trotz ihres freidenkerischen Standpunkts sich beugen. „Ich halte die Evangelien — sagte Goethe am 11. März 1832 — für durchaus echt, denn es ist in ihnen ein Abglanz einer Hoheit wirksam, der von der Person Christi ausging und die so göttlicher Art, wie nur je auf Erden das Göttliche erschienen ist. Fragt man mich, ob es in meiner Natur sei. ihm anbetend Ehrfurcht zu erweisen, so sage ich: durchaus! Ich beuge mich vor ihm als der höchsten Offenbarung des höchsten Prinzips der Sittlichkeit." Und Carlyle, nichts weniger als ein Christ im strengen kirchlichen Sinne, sagt einmal: „Wenn du mich fragst, bis zu welcher Höhe die Menschheit in der Religion gestiegen, so sage ich: Schaue auf unser göttlichstes Symbol, Jesus von Nazareth, und sein Leben und die Geschichte seines Lebens. Höher ist der menschliche Geist noch nicht gekommen."

Es gibt auch Edle in Israel, welche annäherungsweise ähnlich urteilen. Wir begegnen in den Schriften von Leopold Kompert und Karl Emil Franzos lieblichen Anerkennungen der reinen, hehren Menschlichkeit Jesu, nur dass sie nicht die Schlussfolgerung ziehen, dass das Christentum eine höhere Religionsstufe sei als das Judentum. Wir freuen uns auch schon dieser Annäherung. Wer ihm nicht flucht, ist nahe daran, ihn zu segnen und von dem Gott, dessen Schechina er ist, gesegnet zu werden.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Ernste Fragen an die Gebildeten jüdischer Religion
Ostjüdisches Antlitz

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Ostjude

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Der greise Jude

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Bärtiger Jude

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Alter Jude

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Lesender Jude

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Meditierender Ostjude

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Ostjude vor seinem Gebetbuch

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Jude beim Lesen eines Buches

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Jude bei der Arbeit

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Ostjude beim Studium

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Typisches Gesicht eines Ostjuden

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Kohle schleppender Jude

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Der Ostjude und sein Hobby

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