Fortsetzung

Unsere Mitteilungen aus den Memoiren des kurländischen Politikers, der seinen Herzog nach Petersburg begleitet hatte, um in dessen Auftrag die Verhandlungen über die Unterwerfung Kurlands unter das russische Zepter zu betreiben, blieb bei einem Zeitpunkt stehen, der für die Absichten Peter Birons besonders günstig schien. Es war alle Aussicht da, dass man mit dem Herzog und nicht mit jener Partei verhandeln werde, welche die unbedingte Unterwerfung der Ritterschaft betrieb, um dadurch für sich Vorteile zu gewinnen und Russland in die Lage zu versetzen, Preußen jede Kompensation für den neuen Machtzuwachs zu versagen.

Aber bald und ungeahnt trat eine Wendung ein, Herr v. Howen, den wir als Führer der in das russische Interesse gezogenen Partei kennen und der mit Subow, dem Günstling Katharinas, im Einverständnis war, ließ durch seine Freunde darauf hinwirken, dass eine beträchtliche Adelspartei sich für direkte Verhandlungen der kurländischen Ritterschaft mit der russischen Regierung aussprach und die Mitwirkung des Herzogs vollständig ausgeschlossen sehen wollte. Dabei wurde geltend gemacht, dass mit dem Aufhören des polnischen Staats auch die Autorität des Herzogs, der ja Vasall der Krone Polen war, verwirkt sei und dass die Ritterschaft nunmehr frei über sich und das Land zu verfügen habe. Der Herzog geriet auf diese Nachricht hin in die äußerste Bestürzung und ließ den kaiserlichen Ministern ein Memoire überreichen, welches in höchst energischer Weise gegen jede Verletzung der herzoglichen Prärogative protestierte, Howen's Verfahren als „conduite criminelle" bezeichnete und mit den „idées revolutionaires" in Verbindung brachte, welche, von Frankreich ausgehend, in der ganzen Welt spukten. Graf Ostermann antwortete Namens der Kaiserin mit der ziemlich zweideutigen Phrase, „dass Ihre Majestät die Hoffnung hege, die in Kurland genommenen Maßregeln würden den Charakter der Einigkeit und verfassungsmäßigen Legalität tragen." Der Herzog schrieb sodann Ostermann und Subow, dass er einen Landtag zum Ausgleich der obschwebenden Frage nach Mitau einberufen, aber darauf bestehen werde, Howen und dessen Anhänger von der nach Petersburg abzusendenden Deputation ausgeschlossen zu sehen. Graf Subow, der unabhängig von den Ministern agierte, ließ dem Herzog mitteilen, er sei bereit, mit dessen Ministern zu verhandeln; als diese dem kaiserlichen Günstling die Instruktionen mitteilten, welche der Herzog ihnen in seine Hauptstadt mitgeben wollte, erklärte Subow sich mit Allem einverstanden. „Als aber", fährt unser Memoirenschreiber fort, „die Herren v. Wolfs und v. Schöppingk (eben die herzoglichen Minister) auf ihrer Reise in Riga eintrafen, erfuhren sie daselbst, der dortige Generalgouverneur Pahlen habe von Subow den Auftrag erhalten, selbst nach Mitau zu gehen und dahin zu wirken, dass Howens Plan der unbedingten Unterwerfung angenommen und dieser an die Spitze der nach Petersburg abzusendenden Deputationen gestellt werde." —


„Um dieselbe Zeit (Heißt es weiter in unseren Memoiren) erhielt ich eine Estafette der Piltenschen Ritterschaft, welche mich beschwor, der Ritterschaft confidentiell meine Gedanken über die Maßregeln mitzuteilen, welche unter den gegenwärtigen Umständen genommen werden müssten, um zu einer glücklichen Zukunft zu gelangen; gleichzeitig wurde ich ersucht, das Amt eines Vertreters von Pilten für die Unterwerfungsangelegenheit anzunehmen*). In einem Privatschreiben wurde mir gleichzeitig mitgeteilt, dass es in der Piltenschen Ritterschaft einige Personen gebe, welche zu Preußen neigten; ich wurde gebeten, die Gründe, welche für eine Unterwerfung unter Russland sprächen, in einem motivierten Memoire auseinanderzusetzen und gleichzeitig alle zu befolgenden Schritte anzugeben. Ich nahm nach eingeholter Erlaubnis des Herzogs das mir angetragene Amt eines Piltenschen Deputierten an, indem der Oberrat v. Korff, der sofort nach Petersburg kam, mein Kollege war."

*) Obgleich zu Kurland gehörig, besaß das Stift Pilten eine gesonderte Verfassung und ritterschaftliche Vertretung; erst neuerdings hat eine vollständige Verschmelzung mit Kurland stattgefunden.

So friedlich der Piltensche Landtag verlaufen war, so stürmisch ging es dagegen auf dem Kurländischen zu. Indigniert durch Howens Verhalten forderte Herr v. Wolf (herzoglicher Kanzler) denselben zum Zweikampf heraus; aber statt sich zu stellen, führte Howen bei der Regierung und beim russischen Gesandten Beschwerde. Um sich aus dieser schwierigen Affäre zu ziehen, behauptete Herr v. Wolf jetzt, Herrn v. Howen sei durch seine Furchtsamkeit eine durchaus andere Auffassung des Billets eingegeben worden, welches er (Wolf) ihm geschrieben. In der Tat war die Einladung dahin ergangen, sich an einem einsamen Ort in der Nähe Mitaus (dem sogenannten Rom) einzufinden und daselbst „unter vier Augen über kurländische Landesaffären zu verhandeln." Ausdrücke wie Degen und Pistolen kamen in dem Schreiben nicht vor, und Wolf fügte ironisch hinzu, er habe keine andere Absicht gehabt, als die, Herrn v. Howen bei dieser Gelegenheit seine Hochachtung zu beweisen,

Howen erhob ein lautes Geschrei darüber, dass man ihm zu Leibe wolle, weil er Russland ergeben sei, und fügte hinzu, dass wenn er die an ihn ergangene Einladung zur Zeit noch nicht annehme, er dies nur unterlassse, um vorher das Werk zu beenden, welches das Glück seines Vaterlandes sichern werde, — In der Folge wusste Pahlen diese Sache auszugleichen und zu seinem Vorteil auszubeuten, damit Howen nicht das alleinige Verdienst der Unterwerfung habe.

Howens Intrigen behielten auf dem kurländischen Landtage die Oberhand. Er wurde zum Führer einer aus sechs Personen bestehenden Deputation ernannt, welche in Petersburg eintraf, nachdem die Ritterschaft ein Manifest erlassen hatte, welches die herzoglichen Rechte und die herzogliche Würde so empfindlich kränkte, dass die herzoglichen Oberrate Wolf und Schöppingk ihre Unterschrift verweigerten, wofür Howen sie beim russischen Hof als Feinde des Vaterlandes anschwärzte. Der Herzog aber teilte die Deklaration dieser beiden Männer Ostermann und Subow mit, ein Aktenstück, das ihren Prinzipien ebenso viel Ehre machte wie ihrem Charakter.

„Die kurländische Ritterschafts-Deputation hatte den Auftrag, sich en corps zum Herzog zu begeben und ihm zu erklären, dass die durch den Eid befestigten Bande zwischen Herzog und Ritterschaft durch die Gewalt der Umstände gelöst seien und dass die Vernichtung der Selbständigkeit Polens auch die Existenz des fürstlichen Vasallen aufgehoben habe. Nachdem der Herzog von dieser empörenden Erklärung vorläufige Kunde erhalten hatte, beschloss er, derselben zuvorkommen; er trug mir auf, eine Abdankungs-Erklärung aufzusetzen, welche er der Kaiserin ohne Verzug übersenden wollte."

Wir übergehen den Wortlaut dieses Aktenstücks. Nachdem der Herzog dasselbe gebilligt, las er es den Gliedern seines Rats vor. Einer der Anwesenden, Namens Krook, erbot sich, dasselbe der Kaiserin durch Vermittlung Ostermanns zu überreichen. Aber der Herzog lehnte das ab, indem er unseren Memoirenschreiber zum Überbringer dieser wichtigen Botschaft ernannte. Krook, nach dem Lohne lüstern, der dem sicher war, der Kurland in die Hände Katharinas lieferte, eilte sofort zu Ostermann, um diesen vor der Entgegennahme der herzoglichen Botschaft zu warnen, indem er angab, dass dieselbe keine unbedingte und rückhaltlose Unterwerfung ausspreche. Als unser Memoirenschreiber darauf zum Vizekanzler kam, fand er diesen kalt und zurückhaltend. Auch nach Durchlesung der Abdankungsurkunde zeigte er sich misstrauisch, obgleich dieselbe eine „Unterwerfung ohne Bedingungen" aussprach. Ostermann sandte seinen Sekretär Wedemeyer zum Herzog und ließ denselben ersuchen, den Ausdruck „ohne Bedingungen" in „unbedingt" zu verwandeln, weil Katharina — aus der uns bekannten Rücksicht auf Preußen — eben diesen Ausdruck gewünscht hatte. Nachdem diese Abänderung vorgenommen worden war, wurde das Aktenstück, welches die Abdankung enthielt, der Kaiserin durch den Vizekanzler Ostermann überreicht.

„Soweit war diese Angelegenheit beendet", heißt es weiter in unserm Memoirenwerk, „als ich ein Billet Howens erhielt, der mich ersuchte, in meiner Eigenschaft als Oberstallmeister den Herzog zu ersuchen, Seine Hoheit wolle eine Stunde festsetzen, in welcher die kurländische Deputation ihm eine letzte Huldigung darbringen und zugleich konstatieren könne, dass die bisherigen Beziehungen zwischen S. H. und dem Herzogtum aufgelöst seien. — Als ich dem Herzog die bezügliche Mitteilung machte, wechselte er die Farbe, sagte dann aber mit fester Stimme: „Sagen Sie, dass ich diese Deputation morgen um zehn Uhr empfangen werde." Inzwischen tat ich Schritte, um vorläufig zu erfahren, was Howen sagen werde, und nachdem ich das wusste, teilte ich die mir gewordene Antwort des Herzogs mit.

„Mit einer Kaltblütigkeit, die ich nur bewundern konnte, traf der Herzog alle Anordnungen für das Empfangs-Zeremoniell. Dem Kammerherrn v. Derschau und seinem Adjutanten v. Driesen erteilte er den Auftrag, der Deputation bis an die Treppe entgegen zu gehen; zwei Pagen öffneten die Flügeltüren und die Deputation trat ein.

„An einen Marmortisch gelehnt, stand der Herzog da, ihm zur Rechten der Oberrat v. Firks, links stand ich. Trotz seiner sonstigen Keckheit wurde Howen blass und seine Verlegenheit war so groß, dass er einiger Augenblicke bedurfte, ehe er wieder zu sich kam. Dann trug er seine Rede mit erregter Stimme vor und schloss dieselbe, indem er dem Herzog erklärte, die Vernichtung der politischen Existenz Polens habe die Verhältnisse Kurlands verändert. Die Ritterschaft habe sich dem Zepter I. M. der Kaiserin unterworfen, indem sie davon überzeugt gewesen sei, dass Seine Hoheit dieselben Gesinnungen hege, diesen Entschluss billige und dem Beispiel desselben folgen werde.

„Während dieser Rede zeigte der Herzog eine Miene, in der sich Stolz und Verachtung aussprachen; er zog das Papier hervor, welches die Antwort enthielt, und las dieselbe um so nachdrucksvoller ab, als er sie auswendig kannte. Dann sagte Howen in deutscher Sprache: „Erlauben Em, Hoheit, dass wir Ihre Hand, als die unseres vormaligen Herzogs zum letzten Male küssen." Der Herzog entzog sich dem nicht und grüßte die sechs Deputirten mit einer Verbeugung. Niemals hat er seine Stellung besser repräsentirt, als in dem Augenblick, wo er sie niederlegte.

„Unterdessen hatte Howen seine Fassung wiedergewonnen und eine ruhige Haltung angenommen. Statt sich zu entfernen, begann er eine leichte Konversation — der Herzog aber trat einen Schritt zurück, grüßte die Herren und zwang sie dadurch, sich zurückzuziehen. Der Herzog aber sandte seinen Adjutanten v. Driesen an den Grafen Ostermann, indem er eine Abschrift seiner Abschiedsrede übersandte und sagen ließ, er wolle dadurch allen Verleumdungen, welche sich an diese letzte Handlung, die er als Herzog vorgenommen, haften könnten, vorbeugen.

„Die nächsten Tage vergingen mit vermögensrechtlichen Verhandlungen zwischen dem Herzog und der Kaiserin; am 15/26. April 1715 fand endlich die Zeremonie der Unterwerfung Kurlands und Piltens unter das russische Zepter statt. Mit jener Pedanterie und Kleinlichkeit, welche deutscher Mittelalterlichkeit eigentümlich zu sein scheint, auch wo dieselbe, wie im vorliegenden Fall, sich selbst zu Grabe trägt, wurde daran festgehalten, dass die beiden getrennten Ritterschaften ihre Unterwerfung einzeln aussprachen. Von sechsspännigen Staatskarossen abgeholt und von sämtlichen in Petersburg anwesenden Landsleuten begleitet, erschienen die beiden Deputationen in einem Saal des Sommerpalais, wo die Kaiserin, mit der Krone auf dem Haupt und von den höchsten Würdenträgern umgeben, dasaß. Howen hielt im Namen der Kurländischen Ritterschaft die „Harangue" in deutscher Sprache, während der Sekretär Nergerius die Unterwerfungsakte auf einem samtenen Kissen überreichte. Dann sprach v. Korff im Namen der Ritterschaft des Stiftes Pilten, und deren Sekretär Voigt überreichte die Urkunde. Howen hatte die Liebedienerei so weit getrieben, sich am Schluss seiner Rede auf ein Knie niederzulassen, und Korff blieb nichts übrig, als widerstrebend diesem Beispiel zu folgen. Dann antwortete Ostermann Namens der Kaiserin in russischer Sprache und es fand die Zeremonie des Handkusses statt. Die „Deklaration", mit welcher Ostermann Namens der Kaiserin antwortete, lautet wie folgt in deutscher Übersetzung:

„I. M. die Kaiserin hat mit Wohlgefallen dem feierlichen Akte zugesehen, den die Ritterschaften von Kurland und Semgallen und von Pilten soeben vollzogen haben. I. M. sieht in demselben den freiwilligen Ausdruck unbegrenzten Vertrauens in die beständige und unerschütterliche Fürsorge, welche sie jeder Zeit für das Glück und die Wohlfahrt dieser Provinzen bekundet hat. Indem I. M. ihre (scil. der Ritterschaft) Wünsche und Bitten wohlwollend genehmigt, nimmt sie diese Provinzen unter ihre Herrschaft auf, nicht um die Grenzen ihrer ausgedehnten Staaten zu erweitern und ihre Macht zu vermehren, sondern um auf diejenigen, welche zu ihrem Schutze Zuflucht genommen haben, die Wohltaten auszudehnen, welche sie stets ihren Untertanen zugewandt. Möchten diejenigen, welche I. M. heute aufnimmt mit den alten Untertanen in Eifer, Anhänglichkeit und Gehorsam wetteifern, und dadurch den wohlwollenden und wahrhaft mütterlichen Intentionen der Souveränin entsprechen, welche sie zu Kindern desselben Vaterlandes aufnimmt, indem sie sie als Kinder desselben Vaterlandes adoptiert und dem Reiche einverleibt, welches sie mit ebenso viel Weisheit und Großmut beherrscht. In dieser Überzeugung und im Vertrauen auf die bekannten Eigenschaften und die Einsicht dieser Provinz, erwartet I. M. von ihnen alles Gute, das sie zu tun im Stande sind. I. M. versichert sie wie die gegenwärtig an den Stufen ihres Thrones versammelten Deputierten ihres kaiserlichen Wohlwollens und ihrer mütterlichen Gesinnung."

In der Folge erschien noch ein Manifest, welches, die Aufrechterhaltung der Verfassung und der Rechte, Privilegien und Vorzüge Kurlands und seiner Ritterschaft für alle Zeiten bestätigte. Unser Memoirenschreiber tut desselben keine Erwähnung. Als echter Sohn des 18. Jahrhunderts ist er vollständig in die Freude versenkt, sein Vaterland einem großen monarchischen Staate einverleibt und die Staatsgewalt an die Stelle ständischer Gerechtsame getreten zu sehen. Freilich muss er selbst gestehen, dass er mit dieser Auffassung sehr isoliert dastand, dass die meisten Kurländer die neue Wendung der Dinge nur ungern sahen und mit dem Modus, unter welchem dieselbe durch Howens Intrigen zu Stande gekommen, beklagten. Immerhin war der Fortdauer der alten Verfassung durch das kaiserliche Manifest eine rechtsgültige Garantie geboten.

Am Schlimmsten fuhr der Herzog, dessen persönliches Ungeschick mit dem seiner Umgebung wetteiferte. Nur sehr mangelhaft entschädigt zog er sich nach Deutschland zurück; seine Räte schlugen die ihnen angebotenen russischen Dienste aus.

So endete die kurländische Autonomie, schon seit einem halben Jahrhundert durch die Widersinnigkeit der Feindschaft zwischen Adel und Herzog und die Intrigen der Nachbarmächte angefressen. Die nächsten Generationen des kurländischen Adels haben sich ungleich mannhafter und selbständiger gezeigt, als ihre angeblich selbständigen, aber durch Ränkesucht und durch das Beispiel Polens korrumpierten Väter.
Moskau - Armenküche

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Moskau - Basilius-Kathedrale

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Moskau - Bettler und Obdachlose wärmen sich am Feuer

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Moskau - Die Börse

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Moskau - Der Kreml

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Moskau - Die Zaren-Glocke

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Moskau - Die Zaren-Kanone

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Moskau - Glockenspieler

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Moskau - Kaiser-Proklamation

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Moskau - Roter Platz

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