Erster Abschnitt: 1805 und 1809

Wenn ein alter Soldat hier im Begriff steht, die Erinnerungen eines langen Lebens aufzuzeichnen, in welchem er bis jetzt 58 Jahre der österreichischen Armee angehört, so werden diese Aufzeichnungen wohl wenig Anspruch haben durch das, was mich persönlich betrifft, ein allgemeines Interesse zu erregen, weil ich keine Armeen commandirt, keine Festungen erobert habe, da ich frühzeitig körperlich invalid geworden, es in etwas mehr als 31 Dienstjahren nur zum Major ad honores gebracht habe.

Demungeachtet bietet ein Zeitraum von 60 Jahren, der die denkwürdigsten Weltbegebenheiten in sich schliesst, wie vorzüglich die ersten 15 Jahre dieses Jahrhunderts sie lieferten, dem Zeitgenossen manches Bemerkenswerthe dar, und dem Veteranen, der in fünf Feldzügen zwanzig Schlachten und Treffen beigewohnt hat, wird man es aufs Wort glauben, dass er Vieles erlebt und gesehen, das, wenn er wenig oder gar nicht bekannt geworden, doch verdient hätte es zu werden, und dass er im Stande sein dürfte, manche Begebenheit, Oesterreich, seine Armee und seine Feldhern berührend, den wahren Thatsachen gemäss anders darzustellen, als die Welt sie bisher, verführt durch fremdländische, verdächtigende und verläumderische Schriftsteller zu keimen glaubte.


Glücklicherweise bin ich übrigens nicht zugleich geistig invalid geworden, und glaube von dem Zeitpunkte, wo ich das Schwert nicht mehr zu führen hatte, auf eine andere Weise meinem geliebten Adoptiv-Vaterlande, vorzüglich der tapfern österreichischen Armee gute Dienste geleistet zu haben, Dienste, die mein allergnädigster Kaiser und Herr im Verein mit den früher als Soldat geleisteten auf eine ausgezeichnete Weise in meinem hohen Alter allergnädigst über Verdienst anzuerkennen geruhte.

Dem lesenden Publikum kann es wohl ziemlich gleichgiltig sein zu wissen, wo ein Schriftsteller geboren, da ich aber Oesterreich mein Adoptiv - Vaterland genannt, so glaube ich auch mein Geburtsland nennen zu sollen. Und so ward ich am 8. Jänner 1781 zu Bonn am Rhein im ehemaligen Kurfürstenthum Köln, – jetzt Grossherzogthum Niederrhein in Preussen – geboren, und erblickte somit das Licht der Welt in einem Zeitpunkte, der als der Vorläufer jener grossen welterschütternden Bewegung angesehen werden kann, die neun Jahre später begann, hervorgerufen in Frankreich durch den Druck einer Ungeheuern Steuerlast, als Folge der unverantwortlichen Verschwendung und der unerhörten Maitressenwirthschaft der vorletzten Könige des XIV. und XV. Ludwig; eine Bewegung, die im Laufe von 25 Jahren alte Throne umstürzte und Republiken schuf, dann diese wieder zerstörte und neue Throne zum Nachtheile der rechtmässigen Besitzer errichtete; bis der Arm der göttlichen Gerechtigkeit, die bisherige Langmuth vergessend – O! möge er diese im gegenwärtigen Zeitpunkt noch einmal verläugnen – die unterdrückten Völker ermannte ihr Recht wieder zu erobern, und den noch nie dagewesenen Anmassungen eines aus dieser Bewegung hervorgegangenen glücklichen Soldaten das Ziel zu stecken.

Nach einer in unserer Familie erhaltenen Tradition stammen wir aus einem deutschen Rittergeschlechte, welches im fünfzehnten Jahrhundert noch im Nassauischen blühte, von dem der letzte Sprosse im Beginn des 16. Jahrhunderts in Holland Kriegsdienste nahm, dem alle seine männlichen Nachkommen in der nämlichen Richtung folgten, bis auf meinen Vater, der sich der diplomatischen Laufbahn widmete, und im Jahre 1778 als Legations-Secretär bei der holländischen Gesandtschaft stand, die bei den drei geistlichen Kurfürsten beglaubigt war, und in Bonn am Rhein ihren Sitz hatte.

Meine Mutter stammte aus dem Patrizier-Geschlechte der Formann in Antwerpen von ihrer Mutter Seite, aus welcher Familie Rubens zweite Gattin Helene geboren war. Ihre ausgezeichnete Schönheit, die an das Bild von Rubens Gattin mahnte, vereint mit ihrer ungewöhnlichen Geistesbildung, veranlasste meinen Vater sich um sie zu bewerben. Er verliess den holländischen Dienst, heirathete meine Mutter und trat in jenen des Kurfürsten von Köln, in welchem er zur Zeit, als die Franzosen das linke Rheinufer besezten, den Rang eines Hofkammerrathes bekleidete.

Von neun Kindern dieser Ehe blieben als Erwachsene nur fünf übrig, vier Söhne und eine Tochter, die nach dem Ausspruche des Malers Schnorr von Karolsfeld, nachmaligen Custos der Gemäldegallerie im Belvedere in Wien, 1810 wo sie sechszehn Jahre alt war, ganz dem Bilde von Rubens zweiter Gattin „la Pellice“ genannt, ähnlich sah.

Wir vier Brüder, von denen ich allein noch übrig bin, verliessen, ehe uns die französische Conscription erreichte, nach und nach unser Geburtsland und traten in die österreichische Armee. Der jüngste, 18 Jahre alt, blieb als Cadet bei Hohenzollern Chevauxlegers 1812 auf dem Schlachtfelde bei Podubny, der nächste an ihm, Cadet-Feldwebel bei Vukassovich Infanterie hatte sich 1809 vor Sandomir die silberne Tapferkeits-Medaille erworben und starb 1810 an den Folgen einer damals erhaltenen Schusswunde, der älteste nach mir, Oberlieutenant bei Kaiser Husaren, quittirte 1815 wegen schwerer, schon 1809 und 1814 erhaltener Wunden, und trat in den Civildienst, er starb 1838. Was mich betrifft, so war ich von frühester Jugend zum geistlichen Stande bestimmt, welcher Vorsatz meiner Eltern dadurch Nahrung erhielt, dass mir unser Landesherr Kurfürst Maximilian Franz von Köln nach der Krönnung Kaiser Leopolds II. eine Präcistenstelle in dem Collegiatstifte zu St. Gereon in Köln ertheilte, zu deren Antritt ich 1794 die Tonsur nehmen musste. Ich selbst hatte wohl wenig Sinn für den geistlichen Stand und würde seiner Zeit die Präbende an einen meiner Brüder abgetreten haben. Allein die Franzosen spielten das Prävenire, indem l800 alle geistlichen Stifter auf dem linken Rheinufer aufgehoben, ihre Güter und Capitalien für die Republik in Beschlag genommen wurden, die wirklichen Mitglieder erhielten Pensionen, ich aber als Canonicus in spe fiel dabei durch. Statt der Theologie, widmete ich mich dem Rechtsstudium und hatte, bevor ich in die österreischische Armee trat, auf der Universität zu Münster in Westphalen die Rechte absolvirt, war nach Wien im Jahre 1802 gereist, mit dem Wunsche in den österreichischen Staatsdienst zu treten, was ohne auf einer österreichischen Universität durch 2 Jahre zu repetiren, damals nicht möglich war. Durch Empfehlung erhielt ich die Secretairstelle bei dem unter dem Namen Graf Strengschwerdt bekannten politischen Schriftsteller Grafen Kolbielsky, der später als Staatsgefangener, wiewohl mit allem Comfort von der Staatsregierung behandelt, in der Festung Leopoldstadt bewahrt wurde, und dort als ein Greis von 80 Jahren 1829 starb. Bei diesem ausgezeichnet talentvollen höchstunterrichteten Manne war wohl viel zu lernen, allein die häuslichen Verhältnisse des Grafen waren nicht geeignet mir viel Geschmack abzugewinnen *). Während ich mich dann um eine andere Stelle umsah, traf das Herzog Albert Cürassier-Regiment im September l803 im Lager bei Münchendorf unweit von Wien ein, in welchem Regimente mein zunächst nach mir folgender Bruder als Cadet stand.

Ich besuchte ihn, und während ich mit ihm durchs Lager ging, begegnete uns der Oberst des Regiments Graf Radetzky; er hielt uns an und fragte wer ich sei. Als mein Bruder mich ihm vorgestellt hatte, nahm er mich unter den Arm und spazierte ein paarmal vor seinem Zelte mit mir auf und ab, mich genau examinirend über meine Verhältnisse. Als ich ihn dann von meiner augenblicklichen Verlegenheit um eine andere Stelle unterrichtete, sagte er. „Ei was, werfen Sie die Feder weg und greifen Sie zum Schwert, es wird so bald wieder losgehen, und dann wird es Ihnen nicht fehlen.“

Hatten mich früher die Einwürfe meines Vaters über das Geld, welches meine Studien gekostet. von der Erfüllung meiner Wünsche, die mich zum Soldatenstande hinzogen, abgehalten, so fasste ich jetzt, angespornt durch die Aufforderung des Grafen Radetzky, schnell den Entschluss meinen Vater um seine Einwilligung zu bestürmen. Er ertheilte sie mir unter der Bedingung keinen weitern Schritt zu thun, bis ich nicht wieder Nachricht von ihm erhalten habe. Diese kam und mit ihr ein Schreiben an den Erzherzog Karl, damals Kriegspräsident. Hieher gehört eine Erläuterung, wie es bei meinem Vater dazu kam, diesem höchstverehrten erhabenen Helden schreiben zu dürfen.




*) Hormaier in seinen Lebensbildern nennt Kolbielsky einen berühmten Abenteurer, der l809 in einem Complott gegen Napoleon verwickelt gewesen, an dem französische Officiere Theil gehabt, unter denen er den Oberst Meriage, Adjutant Andreossi’s, Gouverneur von Wien, und den Platz-Oberstlieutenant Schweitzer nennt. Ein Vertrauter jenes Obersten Guesniard, mehrere Subaltern-Officiere und Commissars seien deshalb auf der Schmelz erschossen worden. Dem Kolbielsky habe Meriage nach Presburg durchgeholfen, von wo er nach Totis entkommen; bald nach Napoleon`s Vermählung mit der Erzherzogin Marie Louise sei er plötzlich vorhaftet worden, er fügt hinzu: Kolbielsky habe von seinem Aufenthalt in Wien und in des Kaisers Hoflager zu Totis im September und October 1809, wie der unglückliche Dichter der Liebe sagen können: Cur aliquid vidi? cur noxia lumina feci? - Kolbielsky wusste zu viel! - Im Jahre 1823 wollte ich ihn in Leopoldstadt besuchen, wurde aber nicht zu ihm gelassen. D.V.