Abschnitt. 1

Die von den Franzosen 1803 erfolgte Besetzung Hannovers hat über das Land, neben den gewöhnlichen Drangsalen feindlicher Besetzungen, noch Unglücksfälle neuerer Art gebracht.

Einen Hauptstoß erlitt dasselbe durch Trennung der südlichen und eines Theils der westlichen Provinzen, welche vorerst mit dem neu errichteten Königreich Westphalen vereinigt worden.


Ein zweiter erfolgte bald darauf durch die Verschenkung der Cammer- Güter und Übergabe des ganzen Landes an Westphalen, wodurch das Churfürstenthum aus der Reihe selbstständiger Völkerschaften ausgestrichen worden.

Um die, diese Umwälzungen begleitenden Umstände der Erinnerung aufzubewahren, die doch in ihren Einzelheiten der Vergessenheit anheim fallen würden, ehe noch ein halbes Menschenalter über die Gegenwart hinweggeschritten sein dürfte, soll der Zweck gegenwärtiger Schrift sein.

Die hier eingeschalteten Episoden können auf den Charakter der handelnden Personen einiges Licht mehr werfen, als es ohne dieselben der Fall sein möchte.

Die Zurückhaltung der dem König von Westphalen bereits traktatmäßig zugesagt gewesenen Provinz Lauenburg hat wichtigere Folgen nach sich gezogen, als zu vermuthen war, und in sofern gewinnt die Occupation Hannovers in der Geschichte eine hervorragende Wichtigkeit, welche die wirksame Theilnahme seiner Söhne an der Entfesselung Deutschlands und der vom Grafen von Münster auf die Souveraine Englands, Rußlands und andere wichtige Männer zu gleichem Zweck benutzte Einfluß, nicht wenig erhöhet.

Die hier berührten Ereignisse, die sie entwickelten Motive und Springfedern, sind nur, theils aus officiellen, theils aus den glaubwürdigsten Quellen geschöpft, die dem Verfasser dieser Erinnerungen in seiner Stellung zugänglich waren.

Die Ersteren selbst waren nur Resultate von Napoleon’s Willen, zu dessen Ausführung seine Auserwählten nur in seinem Sinne beitrugen, wenn sie gleich manchmal, mit seinen Ansichten nicht ganz einverstanden, ihn auf Maaßregeln lenkten, die ihren persönlichen Interessen mehr zusprachen, oder denselben weniger abhold sein konnten.

Der Partheigeist neuerer Zeiten, der, unter allen Außenformen, der Politik, Religion, Staatenverwaltung, die Richtung nach seinen Wünschen zu geben sich abmüht, und dazu alle Federn in Bewegung zu setzen weiß, war zur Zeit Napoleon’s mächtig niedergehalten.

Die seiner Einwirkung nicht untergordneten öffentlichen Blätter wurden durch die strengsten Vorkehrungen vom großen Publikum entfernt, und so konnte demnach auf die öffentliche Meinung näch seinem Willen eingewirkt werden, bis der Russen Winter und Waffen Deutschland vorerst von seiner Oberherrschaft befreiten.

Persönliche Beziehungen, wobei über die Betheiligten nur Nachtheiliges hätte gesagt werden müssen, sind hier meist mit Stillschweigen übergangen.

Den 8. März benachrichtigte Georg III. das Parlament von der Nothwendigkeit eines Krieges gegen Napoleon.

Am 16. Mai erfolgte die Kriegserklärung.

Dies beunruhigte Hannover nicht wenig. Man suchte aber Trost im Vertrauen auf die deutsche Reichsverfassung. Selbst als eine französische Armee gegen Ventheim anrückte, schien man zuversichtlich zu erwarten, daß das bei allen Gelegenheiten so erprobte hannöversche Militär die ersten Anfälle siegreich abwehren und dadurch dem heiligen Römischen Reiche Veranlassung geben werde, seinen Mitstand vor einer feindlichen Besetzung zu bewahren.

Die Mobilisirung des Mortier’schen Armeecorps in Frankreich war so unbeachtet, seine Intention auf Hannover so unerwartet, daß, außer dem eigentlichen Schatz und Silbergeschirr, fast nichts in Sicherheit gebracht worden.

Der Herzog ließ beinahe Alles in seinem Palais zurück, und mehre Einwohner der Stadt vermauerten, vergruben, versenkten in Brunnen, aus Furcht vor Plünderung, ihre besten Sachen, nur wenige Tage vor Ankunft der Franzosen.

Zu wirklicher Vertheidigung entschlossen, fand in Hannover am 16. Mai ein, allgemeines Aufgebot statt, wovon sich kein Stand ausgeschlossen hat. Man versah sich, stürmend, mit Waffen aus dem Zeughause.

Die regulären Gruppen wurden eiligst, so gut es anging, completirt und gegen die bedrohte Grenze in Bewegung gesetzt.

Aber in Sulingen wurde mit dem Chef, General Leutenant Mortier, eine Convention geschlossen, welche das ganze Land bis an die Elbe seiner Disposition überließ und ihn am 6. Juni in die Hauptstadt brachte, die der Herzog von Cambridge am 3ten verlassen hatte.

Am 12. Juni (23. Prairial An XI.) machte Mortier bekannt, daß das Landes - Deputations -Collegium provisorisch die Stelle der alten Landes-Regierung einnehmen werde, er sich jedoch vorbehalte, die Ausgaben zu bewilligen, ohne welche Bewilligung keine gemacht werden sollen.

Der General Leutenant Berthier kam als Chef des General-Stabs und der Bürger Michaux als Commissaire-Ordonateur der Armee, der Bürger C. F. Dürbach (Schwager des Mortier) als Disponibler, in die Hauptstadt.

Das hannöversche Aufgebot war mißmüthig und mit lauten Äußerungen der Unzufriedenheit auseinander gegangen.

Die regulären Gruppen zogen mit Waffen und Bagage auf das jenseitige Ufer der Elbe, wo sie Posto faßten. Indeß wurde eine Convention unterhandelt, und am 5. Juli auf einem Prahm, mitten auf der Elbe, (welche neutral erklärt war) zwischen dem Feldmarschall Grafen Walmoden und Mortier, im Beifein beiderseitiger Offiziere und Civil-Beamten, unterzeichnet.

Ein Vorfall hätte beinahe Alles vereitelt.*)

Fast im Augenblicke der Unterzeichnung schoß der Artillerie-Hauptmann Rennekamp aus dem hannöverschen Lager mitten auf den Tisch, worauf die Akten lagen und um welchen die bei der Unterzeichnung Betheiligten herumstanden, eine Kanonenkugel mit solch vorher verkündigter Präcision, daß sie niemanden beschädigte, die Dinte aber weit umherspritzte und die Papiere umherflogen.



*) Rennekawp’s Schuß kann als ein Seitenstück zu dem Schusse aus der Feldschlange angesehen werden, welcher aus der Festung Spielberg dem belagernden Schwedenkönig das zum Gesundheit-Trinken emporgehobene Glas aus der Hand wegschoß, ohne zu verwunden, worauf die Belagerer bald abzogen; nur daß Rennekamp blos seine, und damit die Geschicklichkeit der ganzen hannöverschen Artillerie, zeigen wollte.