Zeugniß, Rostocker Prediger Nicolaus Gryse (16.Jahrh.) Im Heidendome, Aberglauben, Roggen-Ernte.
Das älteste Zeugniß für diesen merkwürdigen Gebrauch enthält der ausführliche Bericht des Rostocker Predigers Nicolaus Gryse aus dem Ende des 16. Jahrhunderts. „Im Heidendome“, erzählt derselbe, „hebben tor tydt der Arne de Meyers dem Affgade Woden umme gudt Korn angeropen, denn wenn de Roggenarne geendet, hefft man up den lesten Platz eins ydern Veldes einen kleinen ordt unde Humpel Korns unafgemeyet stan laten, dat sulwe baven an den Aren drevoldigen thosamende geschörtet unde besprenget, alle Meyers syn darumme hergetreden, ere Höde vom Koppe genamen und ere Seyßen na dersulven Wode unde geschrencke dem Kornbusche *) upgerichtet, unde hebben den Wodendüvel dremal semplick lud averall also angeropen unde gebeden: Wode, hale dinem Rosse nu Voder, Nu Distel und Dorn, Thom andren Jhar beter Korn! - Welker affgodischer gebruck im Pavestdom gebleven, darher denn ock noch an dessen orden, dar Heyden gewanet, by etlyken Ackerlüden solcker avergelovischer gebruck in der anropinge des Woden tor tydt der Arne gespöret wert“ **).
Diese Erzählung wird vollkommen bestätigt durch einen gleichzeitigen Bericht über den auf dem Lande herrschenden Aberglauben, wovon leider nur ein Bruchstück im hiesigen Archive erhalten ist. Darin heißt es: „Wan nemblich die Roggen-Ernte geendiget, lassen die Meyer auf dem letzten Stücke Ackers ein klein Plätzlein oder, wie mans nennet, Humpel roggen stehen. Densulven vnafgemeyten Roggen schurtzen sie oben an den arndten dreyfach zusammen vnd besprengen ihn mit Wasser. Wan das geschehen, stellen sie sich samptlich mit gebloßeten Heuptern in einen beschlossenen Circul oder Kreyß herumb, richten ihre Seicheln auffwerts gegen den geschrenckten Kornbusch, rufen vnd schreyen vber laut:
Ho Wode, Ho Wode, du goder,
Hale dinem Rosse nu voder,
Hale nu Disteln vnd Dorn,
Thom andern Jar beter Korn!“ ***)
Eben dieses Gebrauches erwähnt auch der Präpositus Franck zu Sternberg in der Mitte des vorigen Jahrhunderts, wobei er allerdings den Nicolaus Gryse als seinen Gewährsmann anführt, aber zugleich versichert, daß er selbst alte Leute gesprochen, welche sich dieser Feldlust noch aus ihrer Jugend erinnert hätten. Auch giebt er den Weihspruch etwas abweichend so an:
Wode! Wode!
Hahl dinem Rosse nu Boder!
Nu Distel und Dorn,
Ächter Jahr bäter Korn! ****)
Zu Franck’s Zeit war also das eigentliche Wodensopfer schon außer Gebrauch, aber gleichwohl haben sich noch bis auf den heutigen Tag unzweifelhafte Spuren desselben erhalten. Noch jetzt nämlich sind die angeführten Verse in den Dörfern der Umgegend von Rostock bekannt, wenn auch nur in dem Munde der Kinder, und noch jetzt ist es eben dort Sitte, am Ende des Feldes einen Büschel Korn stehen zu lassen, wenn man ihn auch nicht mehr in feierlichem Gesange und Tanze dem Gotte weihet. In der Gegend zwischen dem Schweriner See und der Warnow, namentlich bei Bützow, hat man das Opfer zwar eingezogen, aber allgemein scheuen sich die Schnitter, die letzte Schwade, welche der Wolf genannt wird, abzumähen, und jeder strengt seine äußerste Kraft an, um nicht der letzte zu sein. Wem aber dennoch das Loos gefallen ist, den Wolf mähen zu müssen, der muß an einigen Orten dieser Gegend mit seiner Binderin eine mit buntem Bande geschmückte Strohpuppe daraus machen, welche gleichfalls Wolf genannt, in eine Garbe gesteckt und mit dieser oben auf die letzte Hocke gepflanzt, später aber häufig mit zu Hause genommen und bei dem folgenden Erntebier aufgestellt wird. Der Wolf war bekanntlich Wodans geheiligtes Thier, und wir werden später noch öfter bemerken, daß derselbe in den Sagen und Aberglauben des Volkes gradezu die Stelle des Gottes selber vertritt, dessen Namen man zu nennen sich scheuet. Jene Wolfpuppe ist also ein wirkliches Götzenbild.
*) Offenbar ein Druckfehler statt: geschrenkedem, d. h. verschränktem, keuzweise gebundenem Büschel Korn.
**) Spegel des Antichristischen Pavestdoms und Lutherischen Christendoms, Na Ordnung der v Hovetstücke unsers H. Catechismi underscheiden dorch Nicolaum Grysen. Rostock durch Steffen Müllmann MDXCIII. dat 2. Gebot. (Bogen 1.)
***) Der Berichterstatter hat offenbar den Nicol. Gryse vor sich gehabt, und vielleicht hat dessen Ezählung eben Veranlassung gegeben, darüber Bericht einzufordern. Dadurch wird aber dem Gewichte des letzteren nichts genommen.
****) Dav. Franck A. u. N. M., 1753. B. I, S. 57.
Diese Erzählung wird vollkommen bestätigt durch einen gleichzeitigen Bericht über den auf dem Lande herrschenden Aberglauben, wovon leider nur ein Bruchstück im hiesigen Archive erhalten ist. Darin heißt es: „Wan nemblich die Roggen-Ernte geendiget, lassen die Meyer auf dem letzten Stücke Ackers ein klein Plätzlein oder, wie mans nennet, Humpel roggen stehen. Densulven vnafgemeyten Roggen schurtzen sie oben an den arndten dreyfach zusammen vnd besprengen ihn mit Wasser. Wan das geschehen, stellen sie sich samptlich mit gebloßeten Heuptern in einen beschlossenen Circul oder Kreyß herumb, richten ihre Seicheln auffwerts gegen den geschrenckten Kornbusch, rufen vnd schreyen vber laut:
Ho Wode, Ho Wode, du goder,
Hale dinem Rosse nu voder,
Hale nu Disteln vnd Dorn,
Thom andern Jar beter Korn!“ ***)
Eben dieses Gebrauches erwähnt auch der Präpositus Franck zu Sternberg in der Mitte des vorigen Jahrhunderts, wobei er allerdings den Nicolaus Gryse als seinen Gewährsmann anführt, aber zugleich versichert, daß er selbst alte Leute gesprochen, welche sich dieser Feldlust noch aus ihrer Jugend erinnert hätten. Auch giebt er den Weihspruch etwas abweichend so an:
Wode! Wode!
Hahl dinem Rosse nu Boder!
Nu Distel und Dorn,
Ächter Jahr bäter Korn! ****)
Zu Franck’s Zeit war also das eigentliche Wodensopfer schon außer Gebrauch, aber gleichwohl haben sich noch bis auf den heutigen Tag unzweifelhafte Spuren desselben erhalten. Noch jetzt nämlich sind die angeführten Verse in den Dörfern der Umgegend von Rostock bekannt, wenn auch nur in dem Munde der Kinder, und noch jetzt ist es eben dort Sitte, am Ende des Feldes einen Büschel Korn stehen zu lassen, wenn man ihn auch nicht mehr in feierlichem Gesange und Tanze dem Gotte weihet. In der Gegend zwischen dem Schweriner See und der Warnow, namentlich bei Bützow, hat man das Opfer zwar eingezogen, aber allgemein scheuen sich die Schnitter, die letzte Schwade, welche der Wolf genannt wird, abzumähen, und jeder strengt seine äußerste Kraft an, um nicht der letzte zu sein. Wem aber dennoch das Loos gefallen ist, den Wolf mähen zu müssen, der muß an einigen Orten dieser Gegend mit seiner Binderin eine mit buntem Bande geschmückte Strohpuppe daraus machen, welche gleichfalls Wolf genannt, in eine Garbe gesteckt und mit dieser oben auf die letzte Hocke gepflanzt, später aber häufig mit zu Hause genommen und bei dem folgenden Erntebier aufgestellt wird. Der Wolf war bekanntlich Wodans geheiligtes Thier, und wir werden später noch öfter bemerken, daß derselbe in den Sagen und Aberglauben des Volkes gradezu die Stelle des Gottes selber vertritt, dessen Namen man zu nennen sich scheuet. Jene Wolfpuppe ist also ein wirkliches Götzenbild.
*) Offenbar ein Druckfehler statt: geschrenkedem, d. h. verschränktem, keuzweise gebundenem Büschel Korn.
**) Spegel des Antichristischen Pavestdoms und Lutherischen Christendoms, Na Ordnung der v Hovetstücke unsers H. Catechismi underscheiden dorch Nicolaum Grysen. Rostock durch Steffen Müllmann MDXCIII. dat 2. Gebot. (Bogen 1.)
***) Der Berichterstatter hat offenbar den Nicol. Gryse vor sich gehabt, und vielleicht hat dessen Ezählung eben Veranlassung gegeben, darüber Bericht einzufordern. Dadurch wird aber dem Gewichte des letzteren nichts genommen.
****) Dav. Franck A. u. N. M., 1753. B. I, S. 57.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Erinnerungen an die nordische Mythologie in den Volkssagen und Aberglauben Mecklenburgs.