Ukermark, Mirow, Wredenhagen, Kuhn, Donnerrer, Erntegebrauch, Wodansopfer, Oldenburgischen.

Derselbe Gebrauch findet sich in der ganzen Ukermark und den angrenzenden meklenburgischen Aemtern, z. B. in Mirow und Wredenhagen. Die Puppe jedoch, welche entweder auf dem letzten Fuder jubelnd heimgebracht oder von der letzten Binderin feierlich in das Dorf getragen wird, hat hier allgemein den eben so bezeichnenden Namen des Alten, de Oll’ (K. u. Sch. S. 396 - 397 und 399). Zwar glaubt Kuhn diesen Namen auf Thor beziehen zu müssen, welchem demnach auch das Opfer gebracht wäre, allein abgesehen davon, daß der Name selbst bei weitem besser auf Wodan paßt, als auf den männlich kräftigen Donnerer, so weis’t die Vergleichung mit dem beschriebenen, durchaus gleichen Erntegebrauch bei Bützow und die dortige Benennung der Puppe zu entschieden auf den Zusammenhang der Sitte mit dem schon im 16. Jahrhundert beschriebenen Wodansopfer hin, als daß man denselben verkennen könnte. Eben so entschieden spricht dafür der ganz ähnliche Gebrauch im Oldenburgischen unter Anrufung des Waud, und im Schauenburgischen, wo in den noch jetzt üblichen Weihversen der Empfänger unter dem Namen Wold gradezu als himmlische Gottheit und zwar als der aus seinem Throne (Hlidskialf) sitzende Othin geschildert wird: Häven-Hüne weit wat schüt, jümm hei dal vom Häven süt (Gr. S. 105 und 2te Ausg. S. 106).
Auch im Hannoverschen kennt man den Gebrauch, nur daß das Opfer hier der Fru Gauen dargebracht wird, deren Identität mit unserer Fru Goden nicht zweifelhaft ist. Die Namen sind nur dialectisch verschieden, da man in dortiger Gegend z. B. auch Fauer statt Foder-Futter, Raue statt Rode -- Ruthe, und de gaue statt de gode- die gute spricht. Höchst interessant aber ist es, hier die in Meklenburg schon im 16. Jahrhundert gebräuchlichen Verse mit geringer Abweichung und auf die Frau Goden angewendet, wiederzufinden 1). Eben so tritt auch in der Altmark die Fru Gode in die Stelle ihres Gemahls, indem die Opferähren hier das ver 2) Goden deel genannt und ihr als Strauß geweihet werden. Auch das Erntefest selbst heißt dort hin und wieder Vergodendêl (K. u. Schw. S. 394).
Endlich ist derselbe Gebrauch auch in Schonen, Blekingen und andern nordischen Gegenden nachgewiesen; wie früher in Meklenburg wird hier noch jetzt die letzte Garbe, theilweise unter feierlichem Gesang und mit Anzündung eines Freudenfeuers, dem Othin dargebracht, oder vielmehr seinem Pferde (Gr. S. 104 und 529 - 530), eine Bestimmung, welche nicht zu übersehen ist, da der Gott selber blutige Opfer forderte. Doch ward ihm in einigen Gegenden des Nordens bei dem fröhlichen Gelage nach vollendeter Ernte ein Trankopfer gespendet, woran vielleicht auch bei uns noch der alte Name dieses Gelages, des heutigen Erntebiers, erinnert. Nach Franck a. a. O. ward dasselbe nämlich früher Wodelbier genannt, ein Ausdruck, welchen auch Mantzel zu kennen scheint, wenn er neben Gilden, Ahrenklazen und andern Gelagen auch der Weddelbiere gedenkt 3). Nach Mantzel (Thl. 24, S. 65) soll übrigens das Erntefest früher feststehend am Bartholomäustage (24. Aug.) gefeiert sein, wobei es Sitte gewesen, aus einem Roggen-Brote allerlei Figuren und symbolische Bilder zu schneiden. Darauf soll der Vers Bezug haben:

  De mi minen Teller snitt,
  ut minen Kes maket ên Schipp,
  ênen Bartelmäus ut min Brod,
  den heff ick in min Hus unnoth!


Was nun die Bedeutung dieses Opfers betrifft, so halte ich es ganz entschieden für einen Irrthum, wenn selbst Grimm, und nach ihm alle neueren, dasselbe als ein Dankopfer auffassen und dem zufolge den Todesgott Wodan, den greisen Herrscher im Reiche des Winters, zugleich zu einem Gotte der Fruchtbarkeit stempeln, der den Erntesegen verleihe. Wie ich schon oben angedeutet habe, entspricht dies Opfer nach meiner Ueberzeugung vielmehr dem alten nordischen blôt at fagna tha vetri, zum Empfange des Winters; es war ein Sühnopfer, dem herannahenden Todesgotte dargebracht, damit er die künftige Saat nicht verderbe. Er war es nicht, der den Segen der Ernte verlieh, aber er konnte ihn zum voraus vernichten. Darum ward die ihm geweihete Garbe von dem Winterkorn genommen und für das nächste Jahr die Verdoppelung derselben verheißen. Diesen Sinn, welcher bei einem andern, gleich zu erwähnenden Aberglauben rücksichtlich des Flachsbaues noch deutlicher hervortritt, hat schon Franck, gewiß nach den Berichten seiner Gewährsmänner, richtig erkannt und eben so wird derselbe in den Berichten über die ähnlichen nordischen Gebräuche bestimmt ausgesprochen, z. B. in Bezug auf das Kornopfer für das Pferd des wilden Jägers auf Mön und des sogenannten Jöde zu Upsala (Gr. S. 529 und 530). In dem gleichen Sinne endlich opfert man in Norwegen am Julabende selbst den Sperlingen eine Garbe Korn (Gr. S. 106), eine Sitte, welche sich gleichfalls auch auf dem Festlande, in einigen Gegenden Hannovers wiederfindet, wo man den letzten, unabgeschnittenen und mit einem Strohbande zusammengebundenen Kornbüschel den Vogelzehnten (vågeltejen) nennt (K. u. Schw. S. 395).
Aber auch das zweite, und gewiß das Hauptopfer in dem Erntefeste des Nordens, das blôt til ars, wird auf dem heidnischen Festlande nicht gefehlt haben. Wenn gleichwohl die Nachweisung desselben schwieriger ist, so liegt der Grund davon einfach darin, daß das christliche Ernte-Dankfest unmittelbar in dessen Stelle getreten ist und deshalb die alten heidnischen Gebräuche in diesem Falle vollständiger verdrängt hat. Doch scheint auch davon immer noch Einiges übrig geblieben zu sein. Nicht bloß das Ende der Ernte, sondern auch der Anfang derselben, das Anmähen, wozu die Schnitter und Binderinnen noch jetzt mit bunten Bändern festlich geputzt auf das Feld hinausziehen, ward in früheren Zeiten viel feierlicher begangen als jetzt, ja es ward sogar im ganzen Lande (nicht bloß bei Mirow, K. und Schw. S. 398) kirchlich durch das Läuten der Glocke geweihet. Im Heidennthume aber ward wahrscheinlich schon jetzt das erste Dankopfer gebracht, wodurch es sich zu erklären scheint, daß in einzelnen Gegenden, z. B. in der Prignitz, das übliche Kornopfer nicht aus der letzten, sondern aus der ersten Garbe, welche schlechthin Austgarbe heißt, genommen wird (K. Und Schw. S. 397), was unverkennbar auf ein ursprünglich doppeltes Opfer hinweis’t. Vielleicht ward die große Krone, aus Aehren und Blumen gewunden und mit seidenen Bändern und Knittergold reichlich geschmückt, welche man bei uns überall beim Erntefest aufhängt und bis zum nächsten Jahre aufbewahrt, früher gleichfalls aus dieser ersten Garbe genommen. In der Gegend von Höxter und Minden herrscht nun aber der Gebrauch, auf diese Krone einen hölzernen Hahn zu befestigen, und auch in andern Gegenden Deutschlands spielt dieses Thier eine Hauptrolle bei den Erntegebräuchen, indem bald bei Ueberbringung des Erntekranzes von der Herrschaft ein Hahn geschenkt, bald ein feierliches Hahngreifen veranstaltet wird, ja hie und da wird sogar die letzte, von den Binderinnen mit einem Kranze geschmückte Garbe, der Hahn genannt, wie bei uns der Wolf (K. u. Schw. S. 397 und 398). Der Hahn war aber Thor’s geweihetes Thier, wie der Wolf das des Wodan; jene Garbe war daher unzweifelhaft das dem Thor, dem Gotte der Fruchtbarkeit, dargebrachte Dankopfer neben dem Sühnopfer Wodan’s, obgleich der heutige Gebrauch beide nicht mehr strenge auseinanderhält.




1) Gr. S. 153, und in Bezug auf den dortigen Dialect, 2te Ausgabe, S. 434.
Die Verse lauten hier:
  Frau Gaue, halet ju Fauer!
  Düt jar up den Wagen,
  ander jar up de Kare!
Die beiden letzten Verse sind wahrscheinlich nur durch Mißverständniß umgedreht und lauteten ursprünglich vielleicht:
  Düt jar up de Kar,
  up den Wagen ander Jar!
Das „ver“ ist eine bekannte und im Mittelalter allgemein übliche Verkürzung aus Fru.
3) Mantzel (Prof. in Bützow) Bützowsche Ruhestunden 1764, Thl. 13, S. 51.