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Nun erst werden wir im Stande sein, die an den Festen des Gottes üblichen Gebräuche und den vielfachen daran hangenden Aberglauben zu verstehen.

Unter den Wochentagen ist dem Thor bekanntlich der 5te heilig; altnord. Thôrrsdag, angels. Thunresdag, dän. Tordensdag. Auch in Deutschland findet sich neben Donnerstag häufig eine mehr oder weniger contrahirte Form, z. B. Dornstag, in unsern älteren Acten sehr gewöhnlich, ebenso in Schlesien Dornst’g oder Durnst’g, in Thüringen Dornstig, Dorstig, Thorstig oder Thurstig, und im Hennebergischen Thorstag. Schon der heilige Eligius († 659) eiferte gegen die Feier dieses Tages durch Arbeitslosigkeit; in dem Verzeichniß der verbotenen heidnischen Gebräuche im fränkischen Reiche zur Zeit des Karlmann (um 743) wird namentlich auch der sacra und feriae Mercurii et Jovis, d. h. Wodan’s und Thor’s gedacht, und eben so erwähnt Burchard von Worms († 1024) der Feier des 5ten Wochentages zur Ehre Thor’s (in honorem Jovis). Vgl. Gr., Anhang p. XXX, XXXII und XXXVII. Noch jetzt soll in Esthland der Donnerstag heiliger gehalten werden als der Sonntag. Ebenso hält man in Schweden und Dänemark für unerlaubt, an diesem Tage zu spinnen und Holz zu hacken (Gr., Abergl. Schw. u. Dän. Nr. 55 u. 110), und auch in der Mark wagt man nicht, an demselben zu spinnen (K. und Schw., S. 132). In Meklenburg erließ der Herzog Gustav Adolph im J. 1663 eine Circular-Verordnung an alle Prediger des Landes, über den in ihrer Gemeinde herrschenden Aberglauben zu berichten, zu welchem Zwecke ihnen ein weitläuftiges „Inquisitions-Formular“ mitgetheilt ward. Das Formular war jedoch wenig zweckmäßig abgefaßt, und das ganze Examen hatte natürlich geringen Erfolg, da die Gefragten in ihren Antworten die eigentliche Frage zu umgehen suchten. Die 6te Frage lautete z. B.: „Ob, was und warumb man dieses oder jenes auf den Donnerstag, Freytage, Sonnabendt thue oder lasse?“ Darauf antwortete die Gemeinde zu Cammin: „Wo sie nicht spinnen am Donnerstage, dürfen sie am Freytage nicht haspeln“, und in Jördensdorf: „Sie hätten wohl gehört, daß man am Donnerstage nicht sollte ausmisten oder spinnen, sähen aber keinen Grund davon“. Der Herzog erließ hierauf am 11. December 1684 ein offenes Mandat an alle Beamte „zur Ausrottung des Aberglaubens, daß man am Donnerstage nicht spinnen dürfe“. Außerdem versichert Franck (A. und N. M. 1, S. 59), daß auch die Beschäftigung mit dem Hopfenbaue an diesem Tage bei dem Volke für unerlaubt galt, indem man zur Strafe der Verletzung dieses Verbots die Ausartung des Hopfens in Nesselhopfen fürchtete. - Als besonderes Donnerstag-Gericht werden Erbsen genannt (K. und Schw., S. 468, Nr. 13).


Wichtiger als diese Wochentagsfeier sind natürlich die hohen Jahresfeste des Gottes im Frühlinge und Sommer. Ursprünglich nämlich feierten ohne Zweifel alle aus Hochasien stammenden europäischen Völker jährlich vier große Feste, welche, durch die vier Phasen des scheinbaren Kreislaufs der Sonne bestimmt, religiösen Ursprungs waren, aber gewiß von Anfang an überall zugleich zu bürgerlichen Zwecken benutzt wurden, da Religion und Staat auf das Engste verbunden waren. Gleichwohl hatte Othin nach dem Berichte der Ynglinga-Saga für den skandinavischen Norden nur drei große Opferfeste angeordnet, nämlich im Herbst, Winter und Sommer, und eben so finden wir auch auf dem germanischen Festlande in den älteren Zeiten nur zwei oder drei allgemeine Volksversammlungen, mit welchen in heidnischen Zeiten natürlich die religiöse Feier verknüpft war. Wenn daher Tacitus den Germanen den Herbst, sowohl der Sache als selbst dem Worte nach abspricht, so mögte Grimm ihnen dagegen den Frühling bestreiten 1). Allein von jenen nordischen Opferfesten ward das erste, wie wir gesehen haben, im Herbste zum Empfange des Winters, das zweite in der Mitte des Winters, das dritte aber, wie gleichfalls ausdrücklich gesagt wird, zum Empfange des Sommers (tha fagna their sumari), d. h. im Frühling gefeiert, denn nach allgemeinem germanischen Sprachgebrauche bilden die Sonnenwenden, im Widerspruch mit der astronomischen Eintheilung des Jahres in unsern Kalendern, aber unsern klimatischen Verhältnissen gemäß, nicht etwa den Anfang, sondern die Mitte des Sommers oder Winters (Mittsommer und Mittwinter), während Frühling und Herbst nur Unterabtheilungen des Sommers sind, oder vielleicht nur die Scheidepunkte, den Uebergang von der einen zu der andern Hauptjahreszeit bezeichnen, gleichsam die Morgen- und Abenddämmerung des Jahres. Diesem Sprachgebrauche und dem nordischen Klima gemäß fanden wir denn auch die Feier des Herbstfestes nicht in der Tag- und Nachtgleiche, sondern schon nach beendigter Ernte, und eben so wird das Frühlingsfest von Anfang an bei dem wirklichen Beginne des nordischen Frühlings, im Mai, gefeiert worden sein. In eben diesem Monate hielten die Longobarden ihre allgemeine Volksversammlung 2). Im fränkischen Reiche ward dieselbe zwar zur Zeit der Merovinger schon am 1. März gehalten (Campus Martius, Märzfeld) 3), allein das beruhte vermuthlich auf römisch-gallischer Sitte. Als daher die deutschen Völker diesseits des Rheines mit dem fränkischen Reiche vereinigt waren, verlegte Pipin die Versammlung im Jahre 755 in den Mai (Campus Majus oder Majicampus, Maifeld), welche Neuerung ausdrücklich mit dem Erscheinen des Baiernfürsten Tassilo in Verbindung gebracht wird 4), und damit stimmte auch die Zeit der drei feststehenden ungebotenen Gerichtsversammlungen im Innern Deutschlands überein. Während nämlich das Wintergericht in der Regel im Anfang Januars, seltener im Februar gehegt ward, finden wir das Frühlingsgericht fast überall im Mai, seltener schon im April (Ostern), aber fast nie im März 5), das dritte aber zu Joannis oder Michaelis, worauf wir noch zurückkommen.




1) Tac. Germ. c. 26. - Gr. deutsche Rechtsalterthümer S. 822 und 823.
2) Paul. Diacon. 3, 35.
3) Ann. Mett. ad a. 692 (Pertz, M. G. I, 321).
4) Ann. Patav. ad a. 755 (Pertz, I, 40; Fredegar, cont. 2, app.
5) Vgl. Gr. Rechts-A. S. 823 ff. Unter 22 hier angeführten Beispielen von drei jährlichen Gerichten fiel das Frühlingsgericht 14 Mal in den Mai, 4 Mal in den April, 2 Mal auf Ostern (April) und 1 Mal auf Lätare (März). In einem Falle aber fehlt es ganz. Unsere einheimischen Nachrichten reichen nicht weit genug zurück. Ich kenne nur ein Beispiel von drei ungebotenen Gerichten, nämlich im Kloster Dargun: Weihnacht, Ostern und Michaelis (1262). Die späteren allgemeinen Bürgerversammlungen wurden in der Regel nur 1 oder 2 Mal gehalten. Ueber die Zeit der Landtage ist aus älteren Zeiten gar nichts bekannt.