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Endlich ist zu erwähnen, daß Thor’s heilige Flamme nicht nur an der Wiege des Neugebornen brannte, um ihn gegen die Macht der bösen Geister zu schützen, nicht nur den lebendigen Leib von bösen Krankheiten reinigte, sondern auch nach dem Tode die ihm geopferte Leiche in Asche verwandelte, die der Erde zurückgegeben ward, während die befreite Seele mit der lodernden Flamme zu den höheren Göttern hinauf wallte. Thor selbst aber segnete den Scheiterhaufen mit seinem heiligen Hammer, wie er einst die Ehe gesegnet hatte. Diese Sitte des Leichenbrandes ist zwar längst der christlichen Beerdigung der Todten gewichen, aber die Erinnerung scheint noch fortzuleben in der Sorgfalt, womit man Haare, Nägel und dergleichen abgelösete Theile des Körpers verbrennt, um sich vor Schaden zu sichern; denn wenn z. B. ein Sperling mit dem abgeschnittenen Haare sein Nest bauen sollte, würden anhaltende Kopfschmerzen die unausbleibliche Folge sein. Blut wird dagegen der Erde oder dem Wasser anvertrauet.

Viel schwächer sind bei uns die Spuren der Heiligkeit des Wassers und der Luft und deren Beziehung auf den Thorcultus. Die Luft ist ursprünglich Othinisches Element. In der jüngeren Edda heißt es bei Aufführung der Güter, die Othin seinen Söhnen verleihet, unter anderm auch: „Wind verleih’t er den Schiffern“. Neben ihm war die Herrschaft der Winde dem Niördhr und seinem Sohne Freyr anvertrauet, so daß Thor, als allgemeiner Gott des Wetters, speciell in Bezug auf dies Element wohl schon im Alterthum ziemlich im Hintergrunde stand. In unserer Heimath aber sind überhaupt abergläubische Meinungen, welche auf eine besondere Verehrung eines Gottes der Stürme hinwiesen, sehr selten, was in einem Küstenlande ziemlich auffallend ist. Zu erwähnen ist indeß der Glaube, daß heftige Winterstürme für das kommende Jahr Krieg verkünden. Den Wirbelwind (Küsel) hält das Volk für ein Werk des Teufels. Er wird sogar „lêve Herr Düvel“ angeredet und man opfert ihm, um ihn zu besänftigen, etwas von seinen Kleidungsstücken. Beides weis’t mehr auf Othin hin, als auf Thor. - In Bezug auf die Verehrung des Wassers und dessen Verwandtschaft mit dem Feuerdienste ist die Bemerkung Grimm’s interessant, daß die Wörter Brunnen von brennen (prinnan), Sôt von sieden (siodan) und Welle von wallen (wallan) abzuleiten seien, eine gewiß merkwürdige Ideenverknüpfung, welche die ursprüngliche mythische Einheit dieser Elemente unter dem Donnergotte, dem Herrn des himmlischen Feuers wie des himmlischen Wassers (Jupiter tonans und Jupiter pluvius) beweis’t. Völlig entscheidend aber ist die merkwürdige Verehrung des Sees am Berge Helanns, dem das Volk Opfer bringt, um den Gott des Sees zur Sendung eines befruchtenden Gewitters zu bewegen (Gr., S. 337). Auch die mythischen Wirkungen des Wassers sind denen des Feuers fast ganz gleich. Dahin gehört namentlich die Heilkraft des Wassers. So setzen unsere Bauern z. B. dem Kranken ein Gefäß mit Wasser unters Bett, damit er sich nicht wund liege, wobei sichtlich nicht von einer natürlichen Eigenschaft des Elementes, sondern von dem dem Wasser inwohnenden göttlichen Geiste Hülfe gehofft wird. Andere hieher gehörige Gebräuche werden wir bei Beschreibung der Oster- und Johannisfeste kennen lernen. - Wie das Feuer, ward ferner bekanntlich auch das Wasser bei den Ordalien gebraucht, indem man den Angeklagten, besonders weiblichen Geschlechts, in den Strom oder in den See warf, wobei jedoch merkwürdiger Weise das naturgemäße Untersinken als Beweis der Unschuld galt. Diese Wasserprobe war im Mittelalter auch in Meklenburg bekannt und ward namentlich in den Hexenprozessen noch im 17. Jahrhunderte häufig angewendet.


Daß Thor, der Sommergott, von welchem Gesundheit oder Siechthum der Thier- und Pflanzenwelt abhing, auch in diesen Naturreichen, gleich Othin, seinen Anhang hatte, versteht sich von selber. Unter den ihm gehörigen Säugethieren weiß ich aber kein wildes zu nennen, denn daß der Fuchs trotz seines Beinamens „Waldthor“ wahrscheinlich zu Othin’s Sippe gehörte, ist schon oben bemerkt. Wahrscheinlich waren aber das starke Elch oder Elen und der Hirsch Thor’s Thiere, ja unter den mythischen Böcken, die den Donnerwagen ziehen, sind ursprünglich vielleicht zwei Elche zu verstehen. Unter den Hausthieren gehört dagegen vor allen die Ziege und namentlich der Bock hieher, das Sinnbild männlicher Zeugungskraft, welcher bei allen Völkern dem Donnergotte geweih’t war. Früher schrieb man verschiedenen Theilen des Bockes ungemeine Heilkraft zu. Mit dem Horne und den Haaren wurde in Pestzeiten geräuchert, auch um Ohnmächtige und Epileptische (aus der schweren Noth) zu wecken. Das Blut innerlich gegen Gift, Epilepsie, besonders aber gegen den Stein zu gebrauchen; man schrieb dem Bocksblute eine solche Kraft zu, daß man selbst den Diamant damit aufzulösen vermöge, zumal wenn das Thier mit gewissen Pflanzen genährt sei; äußerlich gegen Geschwulst. Die Milz äußerlich, oder indem man sie bloß auf dem Ofen verdorren ließ, gegen Milzkrankheiten. Das Mark kräftigend. Die Milch gegen Schwindsucht und Auszehrung. Die Steine im Magen und in der Galle schweißtreibend. Der Harn und die Harnblase wider den Stein und Harnkrankheiten. Der Koth wider Pest, Beulen und andere Geschwüre. Ein Decoct aus der Haut mit der Asche der Haare blutstillend. Die Galle gegen das Fieber, äußerlich stimulierend. Ganz ähnliche Wirkungen schrieb man dem Horne, dem Blute, Geburtstheilen, Testikeln und andern Theilen des Hirsches zu, namentlich auch dem sogenannten Hirschkreuzbein, einem angeblichen Gewächse am Herzen des Thieres, welches z. B. auch gegen Melancholie schützte; eben so dem in dem Magen und dem Herzen gefundenen Steine. Noch höher stand die Heilkraft des Elen, namentlich des Horns und der Klaue, welche innerlich als Brandpulver genommen, oder äußerlich, indem man ein Stück in das linke Ohr steckte oder als Amulet trug, als das sicherste Mittel gegen die schwere Noth galten. Endlich wurden auch verschiedene ausländische Bockarten ganz in derselben Weise benutzt: z. B. der sogenannte Bezoarstein, aus dem Magen des capricervus orientalis, und der Moschus, welchen man gleichfalls einer Bocksart zu verdanken glaubte und dem man insbesondere eine Gedächtniß stärkende Kraft zuschrieb 1). - Zahlreiche Pflanzen und niedere Thiere sind nach dem Bocke genannt, der hier öfter fast als der Stellvertreter Thor’s erscheint, wie der Wolf als Stellvertreter Othin’s. Höchst merkwürdig ist aber die Rolle, welche der Bock bei den Hexenfahrten auf dem Blocksberge spielt. Der hier verehrte Bock ist der Teufel selbst; er ist schwarz von Farbe, zwischen seinen Hörnern brennt eine Flamme, und am Ende des Festes brennt er sich selbst zu Asche (Gr., S. 557 u. 605). Es liegt nahe, in diesem Teufel in Bocksgestalt den Thor zu erkennen; aber das Zauberwesen ging nicht von ihm, sondern von Othin aus. Ich hege daher die Vermuthung, daß hier, wie in zahlreichen andern Fällen, vielmehr der nordische Loki, Vater der Todesgöttin Hel (Hölle), mit dem christlichen Teufel, dem er überhaupt am nächsten verwandt war, zu einem Wesen verschmolzen ist. Wahrscheinlich war auch ihm, dem wilden Feuergeiste, gleich dem Thor, ein Bock geweiht, der sich durch seine schwarze Farbe auszeichnen mogte. Dafür spricht, daß nach der Aussage unserer Hexen der Teufel mitunter auch in Gestalt eines schwarzen Pferdes auf dem Blockberg erschien. Ein schwarzer Hahn verkündete in der Unterwelt den letzten Morgen, und Hel selbst war halb schwarz, halb weiß. - Daß auch der kräftige, den Pflug ziehende Stier dem Gotte des Ackerbaues geweiht war, wie die Kuh seiner Gattin, der Mutter Erde, ist zwar aus dem Alterthume nicht nachzuweisen, darf aber mit Sicherheit vorausgesetzt werden, und wird durch die Rolle, welche er in unserm Pfingstfeste spielt, vollkommen bestätigt. Ueberhaupt rechne ich alle männlichen Hausthiere, namentlich die gehörnten, hieher. Das Horn ist Zeichen männlicher Kraft und Thor selbst war gleichsam gehörnt, wie Jupiter Ammon, indem ein Steinsplitter, den ein Riese auf ihn schleuderte, in seinem Haupte stecken blieb. Auf jene Bedeutung des Horns bezieht sich das Hörnertragen des betrogenen Ehemannes, eine Ironie, die sich noch bitterer wiederholt, wenn man dem entmannten Hahn seinen Sporn auf die Stirn setzt.




1) Vgl. Joh. Schröder pharmacopoeia universalis. Nürnberg 1748.