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Doch genug dieser Einzelheiten, statt deren Häufung ich lieber zum Schlusse noch die einfache Schilderung des Johannisfestes in unseren nördlichen Gegenden aus der letzten Zeit des Katholicismus von unserm Nicol. Gryse mittheilen will. „Wenn S. Johannisdach in Landt kümpt vnd vorhandten ys“, sagt der würdige Priester in echt protestantischem Eifer über das heidnische Unwesen, „so geidt man dem sülven under Ogen mit stinkenden Loddeken 1), drifft sine Aperye mit Byvoth und sine Gökelye mit S. Johannis-Blode, sampt velen anderen kindischen und närrischen Alefanzeryen affgödischer Wyse, in deme men S. Johannem alse enen Godt hesst angeropen, unde under anderem gesungen: Te deposcimus, ut crimina nostra ac facinora continua prece studeas absolvere. - Ok hefft men S. Johannes-Blomen gewyhet, und de Lüde averredet, dat de sülven gewyheden Blomen gudt weren vor den Donner, dat derselve in dat Hus, dar se weren, nich slan konde. - Ock hefft men an dissem Dage gewyheden Byvoth umme sik gegordelt, edder gebunden und gesecht, dat wenn einer densulven by sik hedde, so werde he nich mode up der Reise, wen he ginge, were ock godt vor de Wehedage des Ruggens. Ja wenn men an dissem Dage um Twolffen in de Erde na syner Art gröve, unde ene Kale unter dem Byvoth fünde, so were de Kale vor dat Feber sehr gudt. - Jegen den Avendt warmede men sik by S. Johannis Lodt-unde Nodtfür, dat men uth dem Holte sagede. Solckes Für stickede men nicht an in Godes, sondern in S. Johannis Namen, lep unde rönnte dorch dat Für, spökede mit demsülven alse Urs unde Molochs-dener, richtete vele Affgaderye uth, dreff dat Vehe dar dorch, und ys dusent fröuden vul gewesen, wenn men de Nacht mit groten Sünden, Schanden unde Schaden hefft thogebracht.“
Nach dieser zusammenhängenden Schilderung des Wodans- und des Thorskultus, so weit sich derselbe aus den Sagen, Gebräuchen und Aberglauben des Volkes, verglichen mit den Ueberlieferungen der Edda, noch jetzt erkennen läßt, glaube ich nicht nöthig zu haben, meine Ansicht noch besonders gegen einzelne frühere Irrthümer zu vertheidigen. Oder wäre es nöthig, die Behauptung zu widerlegen, daß nicht nur das Herbst- und das Winteropfer zur Ehre Wodans dargebracht seien, sondern auch die Sommerfeste, namentlich die ganze schöne Frühlingsfeier, auf ihn zu beziehen sei, den man als eine allgemeine Sonnengottheit betrachtet (K. und Schw., S. 512 und 513)? Es ist schon auffallend genug, den Gott der Jagd und des Krieges zugleich als den des Ackerbaues und den Spender des Erntesegens dargestellt zu finden; wie man aber gar darauf kommen konnte, den alten Graubart zum Gotte des Frühlings zu machen, scheint in der That unbegreiflich! Allerdings ward auch Thor nicht bloß Vater, sondern auch Großvater genannt, allein das ist der Ausdruck der kindlichen Liebe, mit der er verehrt ward, zugleich mit Bezug auf die Abstammung des Menschengeschlechtes, aber ohne Anspielung auf ein hohes Alter des Gottes, der vielmehr stets in kräftigem Mannesalter erscheint. - Noch tiefer einschneidend ist aber eine Aeußerung Grimm’s, wodurch er das Verhältniß beider Hauptgottheiten kurz also bezeichnet: „Gutes von Odhinn, Böses von Thôrr“, das wenigstens sei die Ansicht des jüngeren Heidenthums gewesen (Gr., S. 693. Nachtrag zu S. 501). Dies folgert aber Grimm lediglich aus einer Erzählung der Gautrekssage, in welcher Othin das Schicksal des Jünglings Starkadhr in dem Rathe der Götter bestimmen ließ. Dieser Jüngling wird als Othin’s Pflegesohn bezeichnet, weshalb dieser ihm ein glückliches Geschick zu verleihen sucht, während Thor seiner Mutter zürnte und deren Schuld an dem Sohne, der übrigens offenbar den Sinn der Mutter geerbt hatte, rächen wollte, weshalb er demselben die von ihm kommenden Gaben entzog. Daraus die allgemeine Folgerung zu ziehen, daß von Thor nur Böses komme, scheint doch allzu rasch. Die Sage ist aber höchst wichtig für die Bestimmung der Gaben, welche der Mensch dem Othin, und welche er dem Thor verdankt. Letzterer, welcher das erste und das letzte Wort hat, verkündigte nämlich dem Jüngling, daß er niemals eignen Grund und Boden erwerben, daß sein Geschlecht mit ihm erlöschen, daß er selbst an Gedächtnißschwäche leiden und in jedem Kampfe schwere Wunden empfangen solle, daß er in jedem Lebensalter eine böse That (nîdhingswerk) begehen, von Habgier geplagt und dem Volke verhaßt sein werde. Dagegen verkündete ihm Othin langes Leben (drei Mannesalter), Tapferkeit und Sieg, die besten Waffen und Kleider, Reichthum an Geld und Gut, die Gabe der Dichtkunst, und Ruhm und Ehre bei den edelsten Männern. Damit stimmt die jüngere Edda (Hyndlul. 3) überein, wornach Othin den Kriegern Tapferkeit und Sieg, den Großen des Volkes Klugheit und Beredtsamkeit, den Dichtern Lieder, andern seiner Söhne Reichthum, und den Schiffern günstige Winde verlieh. Nach der Völuspa dagegen verlieh Othin dem ersten Menschenpaare den Geist, Hönir die Vernunft (die Sinne), Lodhr das Blut und schöne Farbe, und eben so kam nach der jüngeren Edda Geist und Leben von Othin, Vernunft und Bewegung von Wile, das Antlitz, Sprache, Gefühl und Gesicht von Ve. Darnach ist Thor später offenbar in die Stelle der fast niemals wieder vorkommenden Brüder Othin’s, Lodhr und Hönir, oder Wile und Ve (Feuer und Wasser) getreten. Von selber versteht sich übrigens, daß auch Othin jene Gaben, die er seinen Günstlingen verlieh, andern, denen er zürnte, versagte, wie umgekehrt Thor natürlich denen, die er in seinen Schutz nahm, dieselben Gaben verlieh, die er dem Starkadher absprach. Diese Thorsgaben aber finden wir ohne Ausnahme wieder unter den wunderthätigen Wirkungen, welche der heutige Aberglaube den dieser Gottheit geheiligten Thieren und Pflanzen zuschreibt, selbst das Gedächtniß und die Liebe des Volkes (Schwalbenstein) nicht ausgenommen: gewiß eine überraschende Bestätigung meiner Ansicht über das Wesen und den Charakter des Thor und sein Verhältniß zu Othin.
1) Lorrik, d. h. Lattich (Tussilago) oder die Klette (Aretium). Unter der letztern findet sich nach märkischem Aberglauben die Johanniskohle (K. und Schw., S. 393), nach Gryse und dem noch jetzt in Meklenburg verbreiteten Glauben dagegen, unter dem Beifuß (Artemisia). Das Johannisblut, an dessen Wurzel sich an diesem Tage ein Blutstropfen findet, soll Hypericum perforatum sein.
Nach dieser zusammenhängenden Schilderung des Wodans- und des Thorskultus, so weit sich derselbe aus den Sagen, Gebräuchen und Aberglauben des Volkes, verglichen mit den Ueberlieferungen der Edda, noch jetzt erkennen läßt, glaube ich nicht nöthig zu haben, meine Ansicht noch besonders gegen einzelne frühere Irrthümer zu vertheidigen. Oder wäre es nöthig, die Behauptung zu widerlegen, daß nicht nur das Herbst- und das Winteropfer zur Ehre Wodans dargebracht seien, sondern auch die Sommerfeste, namentlich die ganze schöne Frühlingsfeier, auf ihn zu beziehen sei, den man als eine allgemeine Sonnengottheit betrachtet (K. und Schw., S. 512 und 513)? Es ist schon auffallend genug, den Gott der Jagd und des Krieges zugleich als den des Ackerbaues und den Spender des Erntesegens dargestellt zu finden; wie man aber gar darauf kommen konnte, den alten Graubart zum Gotte des Frühlings zu machen, scheint in der That unbegreiflich! Allerdings ward auch Thor nicht bloß Vater, sondern auch Großvater genannt, allein das ist der Ausdruck der kindlichen Liebe, mit der er verehrt ward, zugleich mit Bezug auf die Abstammung des Menschengeschlechtes, aber ohne Anspielung auf ein hohes Alter des Gottes, der vielmehr stets in kräftigem Mannesalter erscheint. - Noch tiefer einschneidend ist aber eine Aeußerung Grimm’s, wodurch er das Verhältniß beider Hauptgottheiten kurz also bezeichnet: „Gutes von Odhinn, Böses von Thôrr“, das wenigstens sei die Ansicht des jüngeren Heidenthums gewesen (Gr., S. 693. Nachtrag zu S. 501). Dies folgert aber Grimm lediglich aus einer Erzählung der Gautrekssage, in welcher Othin das Schicksal des Jünglings Starkadhr in dem Rathe der Götter bestimmen ließ. Dieser Jüngling wird als Othin’s Pflegesohn bezeichnet, weshalb dieser ihm ein glückliches Geschick zu verleihen sucht, während Thor seiner Mutter zürnte und deren Schuld an dem Sohne, der übrigens offenbar den Sinn der Mutter geerbt hatte, rächen wollte, weshalb er demselben die von ihm kommenden Gaben entzog. Daraus die allgemeine Folgerung zu ziehen, daß von Thor nur Böses komme, scheint doch allzu rasch. Die Sage ist aber höchst wichtig für die Bestimmung der Gaben, welche der Mensch dem Othin, und welche er dem Thor verdankt. Letzterer, welcher das erste und das letzte Wort hat, verkündigte nämlich dem Jüngling, daß er niemals eignen Grund und Boden erwerben, daß sein Geschlecht mit ihm erlöschen, daß er selbst an Gedächtnißschwäche leiden und in jedem Kampfe schwere Wunden empfangen solle, daß er in jedem Lebensalter eine böse That (nîdhingswerk) begehen, von Habgier geplagt und dem Volke verhaßt sein werde. Dagegen verkündete ihm Othin langes Leben (drei Mannesalter), Tapferkeit und Sieg, die besten Waffen und Kleider, Reichthum an Geld und Gut, die Gabe der Dichtkunst, und Ruhm und Ehre bei den edelsten Männern. Damit stimmt die jüngere Edda (Hyndlul. 3) überein, wornach Othin den Kriegern Tapferkeit und Sieg, den Großen des Volkes Klugheit und Beredtsamkeit, den Dichtern Lieder, andern seiner Söhne Reichthum, und den Schiffern günstige Winde verlieh. Nach der Völuspa dagegen verlieh Othin dem ersten Menschenpaare den Geist, Hönir die Vernunft (die Sinne), Lodhr das Blut und schöne Farbe, und eben so kam nach der jüngeren Edda Geist und Leben von Othin, Vernunft und Bewegung von Wile, das Antlitz, Sprache, Gefühl und Gesicht von Ve. Darnach ist Thor später offenbar in die Stelle der fast niemals wieder vorkommenden Brüder Othin’s, Lodhr und Hönir, oder Wile und Ve (Feuer und Wasser) getreten. Von selber versteht sich übrigens, daß auch Othin jene Gaben, die er seinen Günstlingen verlieh, andern, denen er zürnte, versagte, wie umgekehrt Thor natürlich denen, die er in seinen Schutz nahm, dieselben Gaben verlieh, die er dem Starkadher absprach. Diese Thorsgaben aber finden wir ohne Ausnahme wieder unter den wunderthätigen Wirkungen, welche der heutige Aberglaube den dieser Gottheit geheiligten Thieren und Pflanzen zuschreibt, selbst das Gedächtniß und die Liebe des Volkes (Schwalbenstein) nicht ausgenommen: gewiß eine überraschende Bestätigung meiner Ansicht über das Wesen und den Charakter des Thor und sein Verhältniß zu Othin.
1) Lorrik, d. h. Lattich (Tussilago) oder die Klette (Aretium). Unter der letztern findet sich nach märkischem Aberglauben die Johanniskohle (K. und Schw., S. 393), nach Gryse und dem noch jetzt in Meklenburg verbreiteten Glauben dagegen, unter dem Beifuß (Artemisia). Das Johannisblut, an dessen Wurzel sich an diesem Tage ein Blutstropfen findet, soll Hypericum perforatum sein.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Erinnerungen an die nordische Mythologie in den Volkssagen und Aberglauben Mecklenburgs.