Wilkes

In all diese Aufregung und Missstimmung fiel die Affäre Wilkes wie glimmender Zunder in ein Pulverfass. Die Ungeschicklichkeit der Regierung und die Würdelosigkeit des Unterhauses wirkten einträchtig zusammen, um diese Angelegenheit nicht zur Ruhe kommen zu lassen, und während eines Zeitraumes von 18 Jahren der Opposition stets neuen und willkommenen Stoff der Agitation zu liefern. John Wilkes wäre an und für sich durchaus nicht die Persönlichkeit gewesen, um eine große politische Rolle zu spielen, und wenn sie ihm trotzdem zufiel, so verdankte er das der blöden Kurzsichtigkeit der Regierung Georgs III.

Wilkes gehörte seit 1757 dem Unterhaus an, das er, wie so viele vor ihm und nach ihm, zum Sprungbrett einer großen Karriere benutzen wollte. Er hoffte, Gesandter in der Türkei, mindestens aber Gouverneur von Quebec zu werden und gründete, als seine Erwartungen fehlschlugen, im Jahre 1762 die Zeitschrift „The North Briton“, um sich an dem Minister Lord Bute, den er für seine Enttäuschung verantwortlich machte, zu rächen. Die Gelegenheit ließ nicht auf sich warten. Am 19. April 1763 wurde das Parlament mit einer Thronrede geschlossen, in der das Kabinett die Stirn hatte, den König mit großer Befriedigung von den Friedensverhandlungen sprechen zu lassen, die eben den siebenjährigen Krieg beenden sollten.


Das war ein starkes Stück, denn alle Welt wusste, wie erbärmlich die Rolle war, die England dabei gegen den alten Verbündeten, Friedrich den Großen, spielte. Wilkes ergriff diese Äußerung mit Vergnügen und veröffentlichte am 23. April in der berühmt gewordenen Nr. 45 seines Blattes einen Artikel, in dem er mit dem Ministerium abrechnete. „Die vergangene Woche,“ so schreibt er, „hat dem Publikum das ausschweifendste Beispiel amtlicher Frechheit gegeben, das jemals der Menschheit geboten wurde. Die Ministerrede vom letzten Dienstag ist ohne Beispiel in den Annalen dieses Landes. Ich zweifle, ob an dem Monarchen oder an der Nation ärger gesündigt worden ist.... Die schauerliche Verlogenheit ist für jedermann sichtlich.... Dem König von Preußen, diesem hochherzigen Fürsten, ist kein Vorteil irgendwelcher Art aus unseren Unterhandlungen erwachsen, im Gegenteil, er ist schmählich verlassen worden, durch den schottischen Premierminister von England usw.“

Die Schärfe des Tones erbitterte das Ministerium ebenso wie die Berechtigung der Vorwürfe; es suchte sich an dem Schreiber zu rächen und fand den König auf seiner Seite. Lord Bute hatte sich zurückziehen müssen und man schrieb seine Abdankung zum guten Teil den bissigen Angriffen zu, die Wilkes gegen ihn gerichtet hatte. Der Kampf der Minister gegen den einzelnen Zeitungsschreiber wurde mit allen Mitteln der Macht, aber mit keinem des Rechtes geführt. Wilkes kam in den Tower und es wurde ihm sogar die Erleichterung versagt, sich einen Anwalt wählen zu dürfen. Als das Parlament am 15. November wieder zusammentrat, kam der Prozess Wilkes zur Verhandlung. Er fand den Lord Oberrichter Pratt auf seiner Seite, gegen Mehrheit und Minister, aber die illoyalen Mittel seiner Gegner trugen den Sieg davon. Wilkes hatte mit Thomas Potter zusammen eine obszöne Parodie auf Popes „Versuch über den Mann“ unter dem Titel „Versuch über die Frau“ geschrieben und in 12 Exemplaren mit Anmerkungen drucken lassen, die die Autoren frech genug waren, dem Bischof Warburton zuzuschreiben. Die kleine Auflage war nur unter die Intimen eines ausgewählten Kreises verteilt worden, unter der selbstverständlichen Annahme des strengstens Geheimnisses, einer der Freunde aber, es war Lord Sandwich, verriet die Verfasser und brachte die kleine Schrift vor das Unterhaus. Ob erlaubt oder unerlaubt, anständig oder nicht, hatte die Schrift keinesfalls etwas mit dem Fall des North Briton zu tun, sie sollte nur dazu dienen, Wilkes zu diskreditieren. Im Parlament gaben die von der Zivilliste besoldeten „Königsfreunde“ den Ausschlag, Wilkes wurde nicht nur aus dem Unterhaus ausgestoßen, sondern sogar für vogelfrei erklärt. Er brachte sich nach Paris in Sicherheit. Unermesslich war die Popularität, die der Prozess ihm einbrachte. Lord Temple zahlte seine Prozesskosten, ein Pächter vermachte ihm in seinem Testament 5.000 Lstrl. Er hielt sich mehrere Jahre außer Landes auf, aber er blieb daheim unvergessen. Er kehrte 1768 nach London zurück und wurde sofort der Mittelpunkt der inneren Politik.

Er wurde in Middlesex für das Unterhaus aufgestellt und gewählt. Die Aufregung über seine Angelegenheit, das Parlament verurteilte ihn wegen Abdrucks der Nr. 45 und des „Versuchs über die Frau“ zu 22 Monaten Gefängnis, und 1.000 Lstrl. Strafe, war ungeheuer. Der Gerichtshof der Kings Bench erklärte die Ächtung, die ihn getroffen hatte, für ungesetzlich. Nach der Verhandlung spannte das Volk die Pferde seines Wagens aus und zog ihn im Triumph ins Gefängnis zurück. „45“ und „Wilkes und Freiheit“ wurden das Feldgeschrei der Opposition. „Ich ging letzte Nacht nach Winchester,“ schreibt Franklin am 16. April 1768 an seinen Sohn, „und bemerkte, dass 15 Meilen im Umkreise von London längs des ganzen Weges kaum eine Tür oder ein Fensterladen zu sehen war, worauf man nicht „Wilkes und Freiheit“ und „Nr. 45“ gelesen hätte, und das setzte sich beinahe bis Winchester fort, das doch 64 Meilen entfernt ist.“ Die Willkür, mit der die Regierung gegen Wilkes handelte, wurde nur durch die Ungerechtigkeit übertroffen, mit der das Parlament gegen sein eigenes Mitglied vorging. Am 3. Februar 1769 stieß es Wilkes aus dem Unterhaus aus. Er wurde am 16. Februar und am 16. März wieder in Middlesex gewählt und als er, nachdem seine Wahl immer aufs neue für ungültig erklärt worden war, zum viertenmal mit 1.143 Stimmen gegen den Kandidaten der Regierung, Col. Luttrell, der nur 296 erhalten hatte, durchgedrungen war, erkannte das Unterhaus, Oberst Luttrell sei der rechtmäßig gewählte Vertreter für Middlesex. Am gleichen Tage schrieb Georg III. an Lord North hocherfreut über den rühmlichen Ausgang der Debatte: „Das Haus der Gemeinen hat seine Privilegien mit geziemender Würde gewahrt.“

Der König hatte alle Veranlassung, sich seines Triumphes zu freuen; er hatte der Zivilliste gegen 100.000 Lstrl gekostet. Dem Unterhaus kostete der Prozess mehr, nämlich den Rest seines öffentlichen Ansehens. Er gab der demokratischen Bewegung einen kräftigen Impuls. 1769 wurden in ganz England die ersten Meetings abgehalten, in denen man versuchte, den gemeinen Mann über seine politischen Rechte aufzuklären, d. h. man ermunterte ihn dazu, solche zu verlangen. Wilkes Rolle war mit seiner Verurteilung durchaus nicht ausgespielt, England konnte über den Mann und das krasse Unrecht, das man ihm zugefügt hatte, nicht zur Ruhe kommen. Er saß noch im Gefängnis, da wurde er zum Alderman der City erwählt und 1774 wurde ihm sogar die Ehre zuteil, von seinen Mitbürgern zum Lordmayor von London ernannt zu werden. Wilkes war ein überaus geschickter Demagoge, mit dem die Gegner nicht fertig wurden; er verstand es, mit dem Strom der öffentlichen Meinung zu schwimmen und brachte 1776 einen Gesetzentwurf ins Unterhaus, der eine gerechte und gleichmäßige Vertretung des englischen Volkes im Parlament sicher stellen sollte. Statt das Feuer zu löschen, hatte die Regierung es erst recht angeblasen, denn die Reformbewegung kam nicht wieder zur Ruhe. Nach einer Reihe von Jahren musste das Ministerium nachgeben und zustimmen, dass 1782 alle Verordnungen, die gegen Wilkes vom Unterhaus erlassen worden waren, in den Büchern des Hauses gelöscht und für null und nichtig erklärt Verden.

Das ganze Verfahren gegen John Wilkes hatte nur dazu geholfen, die keineswegs sympathische Persönlichkeit dieses Mannes zum Abgott des Volkes zu machen, und es hatte andrerseits mit erschreckender Deutlichkeit gezeigt, dass das Haus der Gemeinen, das bis dahin für das starke Bollwerk der Rechte und der Freiheit des Volkes gegolten hatte, dieses Vertrauen ganz und gar nicht verdiente. Das Unterhaus war entehrt, es hatte sich blind in den Dienst der Willkür begeben und war in den Händen der Regierung zum bloßen Werkzeug der Privatrache des Königs und der Minister geworden. Dieser Umstand ließ das Verlangen nach einer Reform des Parlaments nicht mehr zur Ruhe kommen, und die starke radikale Strömung, die sich in der Öffentlichkeit dokumentierte, nötigte das Unterhaus, wenigstens manche der Positionen, in denen es sich bis dahin eifersüchtig behauptet hatte, aufzugeben. So ließ es nun geschehen, dass seine Verhandlungen und Reden veröffentlicht wurden. Vergeblich hatte es immer wieder versucht, sich in ein Amtsgeheimnis zu hüllen, das allen Außenstehenden verbergen sollte, was innerhalb des Parlaments vorging. Alle Verbote hatten nichts genutzt, alle Prozesse und Strafen waren vergeblich gewesen; seit dem Anfang der siebziger Jahre ließ es dieser Sache ihren Lauf, es war von keiner Erlaubnis die Rede, aber es wurden die alten Gesetze, die es verhindern sollten, nicht mehr in Anwendung gebracht. Damit hatte das Parlament tatsächlich anerkannt, dass es der öffentlichen Meinung gegenüber verantwortlich war und einen Schritt nach der Richtung einer wirklichen Volksvertretung hin getan.

Andere Missbräuche waren nicht so leicht abzustellen, wie der Unfug bei den Wahlen und die damit zusammenhängenden Zweifel an der Gültigkeit derselben. Das Wahlgesetz Henry Grenvilles, das 1772 die Nachprüfung einer angezweifelten Wahl, von dem ganzen Hause, in dem sie bisher verhandelt worden war, auf ein besonderes Komitee übertrug, war wenigstens ein kleiner Schritt, wenn nicht zur Besserung des Verfahrens, so doch zu seiner Vereinfachung. Viel schwerer als diese kleinen Schönheitsfehler fielen die großen Mängel ins Gewicht: die Beschränkung des Wahlrechts, die Käuflichkeit der Sitze, die Bestechung der Abgeordneten und die ungeheuren Kosten, welche die Wahlen verursachten. Jedermann wusste darum und doch wollte niemand Hand anlegen, sie zu beseitigen, jedermann sah die Notwendigkeit der Reform ein, aber niemand wollte sie ausführen. 1770 erklärte Lord Chatham: „Ehe dieses Jahrhundert vorüber sein wird, muss die Reform von innen gekommen sein, oder sie wird mit Gewalt von außen herbeigeführt werden.“ Aber wenn ein Jurist wie Sir Samuel Romilly die Missbilligung der Käuflichkeit der Parlaments-Sitze für moralischen Aberglauben hielt, und ein Mann von dem Gewicht Edmund Burkes erklärte: „Unsere Vertretung ist beinahe so vollkommen, als die unvermeidliche Unvollkommenheit menschlicher Dinge und menschlicher Wesen es überhaupt zulässt,“ so hatten die Reformer freilich einen schweren Stand. 1779 erfolgte ein sehr energischer Vorstoß der gesamten Opposition, die sich zu diesem Zweck vereinigt hatte und eine gründliche Reform verlangte. Die berühmte große Petition von Yorkshire, die von Sir G. Savile überreicht wurde, verlangte die Abschaffung aller Sinekuren, welche den korrumpierenden Einflüssen des Hofes so großen Vorschub leisteten. 23 Grafschaften schlossen sich den Petenten an, und viele der großen Städte, die das geltende Wahlgesetz gar nicht berücksichtigte, ergriffen die Gelegenheit, an ihre Bedeutung und ihre Ansprüche zu erinnern. Charles Fox fasste die Wünsche der Opposition in der Forderung einer Wahl von 100 neuen Graf Schaftsvertretern zusammen.

1782, 1783, 1785, 1786 standen immer neue Reformvorschläge zur Debatte. Der jüngere Pitt griff die Mängel des herrschenden parlamentarischen Systems mit schonungsloser Offenheit an, und machte die verschiedensten Gründe zu ihrer Abstellung geltend. Umsonst, weder das Haus noch die Regierung hatten die ernsthafte Absicht, die Angelegenheit wirklich zu fördern, und der Verdacht, dass Regierung und Parlament die ganze Frage nur aufgriffen, um sich selbst ein Theater vorzuspielen, und der öffentlichen Meinung eine Fata morgana von Reform vorzuzaubern, gewinnt dadurch an Kraft, dass Pitt, der, solange er der Opposition angehört hatte, der eifrigste Befürworter der Reform gewesen war, mit einem Schlage zu ihrem heftigsten Gegner wurde, seit er leitender Minister geworden war. Auf Seiten der Gegner stand von Anfang an der König, der jedem Versuch, die korrupten Praktiken der Wahl und der Stimmabgabe anzutasten, entgegentrat, er fürchtete seinen Einfluss einzubüßen, wenn die Bestechungen unmöglich gemacht wurden. Georg III. befand sich dabei in schönster Übereinstimmung mit dem gefeiertsten Juristen der Zeit, mit Sir William Blackstone, der nicht nur dem Wortlaut seiner eigenen berühmten Kommentare entgegen, das Unterhaus in seinem Verfahren gegen John Wilkes bestärkt hatte, sondern der auch in der Frage der Wahlreform sich als den geschworenen Feind jeder Neuerung erwies. Ein echter rechter Jurist war er immer der Lobredner und Verteidiger des Bestehenden, wenn es die Macht auf seiner Seite hatte.

Die Reform des Parlaments aber war eine Waffe und ein Schlagwort von solcher Werbekraft, dass die Opposition sie sich nicht aus den Händen nehmen ließ, und da sie die Frage nicht in den beiden Häusern entscheiden konnte, so trug sie die Agitation in die breite Masse. Es wurde die „Gesellschaft der Volksfreunde“ gegründet, die in London ihren Sitz hatte und sich in Zweig-Gesellschaften über das ganze Land verbreitete. Sie hielt Volksversammlungen ab und verfasste Petitionen, die Charles (später Earl) Grey an das Unterhaus brachte. Der Zeitpunkt aber war nicht glücklich gewählt. Die französische Revolution war zwar auch in England von allen wirklich vorurteilslos denkenden Männern mit Begeisterung begrüßt worden, Priestley und Charles James Fox waren einig darin, dass die Eroberung der Bastille eines der größten Ereignisse der Weltgeschichte und dazu das Beste sei, ihr Verlauf aber hatte auch die größten Schwärmer ernüchtert. Als die Bewegung sich immer radikaler entwickelte, und immer gewalttätiger vorging, da verwandelte sich die Sympathie auf englischem Boden schnell in Abneigung. Wie lange war es her, dass Burke von dem Volk als dem Herrn gesprochen hatte, nun nannte er es die „schweinische Menge“, und seine Betrachtungen über die französische Revolution, die im November 1790 erschienen und sich misstrauisch und feindselig über sie aussprachen, waren nicht nur in jedermanns Hand, sondern auch in jedermanns Kopf. England war durchaus nicht revolutionär gesinnt, die Unruhen unter der Industrie-Bevölkerung und die wachsende Unzufriedenheit hätten darüber nicht täuschen dürfen, und so fiel die Motion, die Grey 1793 einbrachte, glatt unter den Tisch. Pitt unterdrückte die Agitation, welche die Opposition trieb, mit eiserner Hand, er hat seine Gegner schließlich so gereizt, dass sie sich 1797 dazu hinreißen ließen, das Unterhaus zu verlassen und unter Führung von Lauderdale und dem Herzog von Bedford auf jede Anteilnahme an den Verhandlungen verzichteten. Sie setzten sich selbst matt. Die so lang erstrebte Reform beider Häuser ist erst 1832 durchgeführt worden.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches England im 18. Jahrhundert
021. John Wilkes. (in der Mitte) mit Serjeant Glyn und John Horne Tooke 1769

021. John Wilkes. (in der Mitte) mit Serjeant Glyn und John Horne Tooke 1769

022. John Wilkes. 1763 Radierung von Hogarth

022. John Wilkes. 1763 Radierung von Hogarth

023. Charles Grey. Schabkunst von W. Dickinson nach dem Bilde von Lawrence. 1794

023. Charles Grey. Schabkunst von W. Dickinson nach dem Bilde von Lawrence. 1794

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