Wahl, Wahlfähigkeit und Wahlen

Um in das Unterhaus zu gelangen, und die jüngeren Söhne der großen Familien haben immer diesen Ehrgeiz gehabt, war es das einfachste, einen Sitz zu kaufen. Der Gebrauch war alt und schon 1701 hatte Daniel Defoe seine Stimme gegen ihn erhoben.

Die rotten boroughs, von denen oben die Rede war, machten das Kaufen leicht, wenn auch nicht gerade billig. Parlamentssitze wurden ganz öffentlich gehandelt und waren ebenso bequem zu kaufen wie ein Theaterbillet. Zu Zeiten Robert Walpoles wurden sie an der Londoner Börse zu 1.000 Lstrl. gehandelt, aber sie stiegen rasch im Preise. Am 19. Dezember 1767 schrieb Lord Chesterfield an seinen Sohn, denselben, dem er durch seine Briefe zu einer so passiven Berühmtheit verholfen hat, da er durchaus den Wunsch habe, ihn im Unterhaus zu sehen, so habe er Lord Chatham gebeten, doch dafür zu sorgen, der ihm auch das Versprechen gegeben habe. „Seit der Zeit,“ fährt er fort, „habe ich aber nichts mehr davon gehört und so hielt ich es für geraten, mich nach einem käuflichen Burgflecken umzusehen. Ich sprach also mit einem Händler und bot 2.500 Lstrl. für einen sicheren Sitz, aber er lachte mir ins Gesicht und sagte, für diesen Preis könne man jetzt keinen Burgflecken mehr bekommen, denn die reichen Nabobs aus Ost- und West-Indien legen für sich Beschlag auf dieselben und zahlen mindestens 3.000 Lstrl., viele 4.000, und zwei oder drei, die ihm bekannt seien, hätten sogar 5.000 Lstrl. angelegt.“ Dreißig Jahre später war der gewöhnliche Preis eines Sitzes im Unterhause auf 4.500 bis 5.000 Lstrl. hinaufgegangen.


Das war noch nicht einmal teuer, denn man hört, dass eine regelrechte Wahl noch viel höher zu stehen kam. Selbst die Besitzer und Eigentümer von Wahlflecken scheinen die Wahl, die sie auf sich oder einen ihrer Angehörigen zu lenken pflegten, nicht umsonst gehabt zu haben. „Von den Familien-Burgflecken,“ schreibt der Earl of Shelburne, später erster Marquis of Lansdowne, „nimmt man an, dass sie nichts kosten;“ aber, fügt er hinzu, das ist ein großer Irrtum, denn sie seien sogar noch viel teurer, weil man genötigt sei, die wahlberechtigten Einwohner dauernd zu bestechen, fortwährend Beiträge zu allen möglichen Stiftungen, Bauten und dgl. zu leisten.

So habe Mr. Dashwood in seinem Wahlflecken Wycombe einem Huf-Schmied für seine Stimme 700 Lstrl. geben müssen, und die Stimme zweier Armen sogar mit 2.000 Lstrl. erkauft. George Bubb Dodington verausgabte für seine Wahl in Eastbury im Jahre 1754 3.400 Lstrl., und hatte schließlich noch den Verdruss, dass ein wahrscheinlich bestochener Kommissar 15 für ihn abgegebene Stimmen für ungültig erklärte und seine Wahl dadurch zunichte machte. Richard Brinsley Sheridan, der 1784 wieder für Stafford gewählt wurde, notiert in einem Überschlag seiner Wahlunkosten: 248 Wähler, von denen jeder 5.5.0 Lstrl. erhält, macht 1.302 Lstrl., und schlägt die gesamten Unkosten, die ihm während der 6 Jahre Vertretung des Ortes im Parlament erwachsen, auf insgesamt 2309.14.6 Lstrl. an, wobei die direkten Ausgaben für die Wahl selbst nicht inbegriffen sind. 1780 ließ sich William Wilberforce in Hull wählen, ein Vergnügen, das ihm zwischen 8.000 und 9.000 Lstrl. kostete. Für jede einzelne Stimme hatte er 2 Lstrl. zu zahlen und für die Reisen etwa abwesender Wähler, wenn sie von London herüber kamen, noch 1 Lstrl. extra. 1 780 schrieb der Public Advertiser, die augenblicklich in Colchester stattfindende Wahl scheine dem Gewählten höher zu stehen zu kommen als irgendeine der früheren. Mr. Thomton habe schon 16.000 Lstrl. ausgegeben, aber es sei leicht möglich, dass sie im ganzen 20.000 Lstrl. machen werde.

Die Krone, die sich unter Georg III. mit Leidenschaft in den Parteikampf stürzte, hat Unsummen ausgegeben, um Wahlen in ihrem Sinne zu erzielen. Am ersten Tage der neuen Regierung gab Lord Bute für Stimmenkauf 25.000 Lstrl. aus. Aus der Korrespondenz, die der König mit Lord North führte, geht hervor, dass die Zivilliste 1779, 1780 und 1781 72.000 Lstrl. ausgab, um die Wähler zu beeinflussen. Die Krone geriet durch diese Ausgaben so in Schulden, dass das Parlament mehr wie einmal helfend einspringen musste, um die Verhältnisse der Zivilliste wieder in Ordnung zu bringen. 1777 wurden vom Lande 618.000 Lstrl. und schon 1782 abermals 276.000 Lstrl. bezahlt. Der Civil List Act vom Jahre 1782 machte diesem Verfahren ein Ende, indem er es dem König unmöglich machte, seine Bestechungen fortzusetzen. Er entkleidete zugleich die Steuerbeamten des parlamentarischen Wahlrechts und nahm der Krone damit 70 Sitze aus der Hand, über die sie mit Hilfe dieser Beamtenklasse verfügt hatte.

Eine Wahl selbst war ein Vorgang, dessen ganze Scheußlichkeit man sich jetzt kaum noch vorstellen kann. Sie war eigentlich nicht mehr und nicht weniger als ein kleiner Volksaufstand, begleitet von all den Szenen von Unordnung, Trunkenheit, Ausschweifung, Rohheit, die einzutreten pflegen, wenn der Pöbel sich selbst überlassen ist, oder wie man heute sagen würde, „wenn das Volk berufen wird, sein Geschick in die eigenen Hände zu nehmen.“ Seit die Wahlen von 1710 die Whig-Mehrheit in eine der Tories verwandelt hatten, zur unliebsamen Überraschung der Betroffenen, nahmen sie einen unglaublich stürmischen und leidenschaftlichen Charakter an. Daran trug sowohl die parteipolitische Heftigkeit schuld, die alle Vorkommnisse und Ereignisse des Tages aufgriff, tendenziös auf die Spitze trieb und entstellte, als auch die ganz allgemein gegebene Möglichkeit sich bei einer solchen Veranlassung einmal so recht von Herzen austoben zu dürfen. Die Parteien spekulierten auf alle Instinkte der Masse, die guten wie die schlechten. Sie beschimpften und verdächtigten einander ohne Rücksicht auf Wahrheit und Wahrscheinlichkeit und überboten einander in dem Bemühen, die Bevölkerung aufzureizen, um gefügige und willige Gefolgschaften zu finden. Dass die gröberen Mittel, Bestechung durch Bargeld und Freibier nicht gespart wurden, versteht sich von selbst. Wie man das anfing und welcher Kunstgriffe man sich dabei bediente, das enthüllt ein satirischer kleiner Artikel, der am 27. Januar 1715 in der Flying Post erschien und angeblich die Kostenrechnung aufstellte, welche die letzte Wahl im Westen den Tories verursacht habe. Sie lautet:

Imprimis:
einen Mob zusammenbringen 20
Item für viele Schleifen auf ihre Hüte 30
Scharen von Hurraschreiern 40
Für Schreier von „Kirche“ 40
Für eine Anzahl Schreier „Keine Rundköpfe“ 40
Mehrere Gallonen Tory Punsch auf Grabsteinen 30
Für Knüttel und Branntweinflaschen 20
Glockenläuten, Fiedler und Packträger 10
Kaffeehausschwätzer 40
Außerordentliche Ausgaben für Stoffe und schöne
Hüte, um bei Umzügen den Mob zu blenden 50
Leute, die den Dissenters fluchen 40
Demolieren von 2 Häusern 200
Zwei Aufstände 200
Geheime Unterstützung der Aufständischen 40
Ein Dutzend Falschschwörer 100
Wagen nach Gloucester bezahlt 50
Für zerbrochene Fenster 20
Für das Verhauen von Aldermen 40
Für notorische Lügner 50
Für Ale Flaschenbier 100
Gerichtsunkosten 300
......................................................................................................
Lstrl. 1460

Seit die Wighs zu ihrem Schaden bemerkt hatten, wie wichtig es sei, die Wähler rechtzeitig zu bearbeiten, begannen sie mit dem Bewerben um die Wahlstimmen schon lange vor dem eigentlichen Termin. Dieses „Canvassieren“ geschah, wie es den Anschein hat, zum erstenmal im Jahre 1722, wenigstens haben sich damals die Zeitungen der in der Opposition befindlichen Tories heftig über dies Verfahren ihrer Gegner beschwert. Am 6. Januar 1722 Rest man in Applebee's Original Weekly Journal: „Obgleich wir denken, dass die Anberaumung von Generalversammlungen der Grafschaftswähler, um Verabredungen über die Ernennungen neuer Parlamentsmitglieder zu treffen, ehe die Session abgelaufen ist, gradezu skandalös und ein offenbares Zeichen von Korruption ist, so sehen wir doch, dass sie täglich geübt wird. Nicht nur das ; was noch schlimmer ist, sie werden sogar öffentlich bekannt gemacht, besonders in Surrey, wo die Namen der Kandidaten angeschlagen sind und man die Wähler in gedruckten Schriftstücken zu ihren Gunsten bearbeitet.

Dasselbe geschieht in Buckinghamshire und wir hören, dass es auch in andern Grafschaften geübt wird.“ Nichts wurde unterlassen, um den Kandidaten der Gegenpartei zu diskreditieren; was immer in seinem Leben bisher vorgefallen sein mochte, es gab den willkommenen Vorwand ihn zu verhöhnen, zu beschimpfen und unmöglich zu machen. Die Szenen von Trunksucht und Unordnung aller Art, die dabei vorfielen, hat Hogarth in seinen köstlichen Blättern, die den Wahlen von 1754 galten, für die Nachwelt festgehalten. Man scheute keineswegs vor offener Gewalt zurück, Prügeleien im allergrößten Maßstabe gehörten in der Zeit der Wahl zu den gewöhnlichsten Vorkommnissen, aber man ließ es sich auch angelegen sein, die Wähler der Gegenpartei durch List an der Ausübung ihres Rechtes zu hindern. Man machte sie betrunken, sperrte sie ein und suchte sich ihrer in jeder Weise zu entledigen. Als Andrew Robinson Bowes in Newcastle gewählt werden sollte, ließ er die in London ansässigen, in Newcastle wahlberechtigten Bürger in einem Schiff, dass er eigens gemietet hatte, kommen, sein Opponent aber war noch gerissener, er bestach den Kapitän des Schiffes, der mit der ganzen Gesellschaft nach Ostende segelte und erst in Newcastle landete, als die Wahl vorüber war.

Noch Dickens hat die Szenen, die sich bei einer englischen Wahl alten Stiles ereigneten, in den Pickwick Papers mit seinem köstlichen Humor geschildert; sie waren im 18. Jahrhundert ganz ebenso, nur vielleicht noch etwas roher und brutaler. Berüchtigt waren die Wählen in Nottingham und Leicester. In diesem letzteren Orte war es schon 1751 und 1768 zu so unglaublichen Szenen von ausgelassener Wildheit gekommen, dass die streitenden Parteien, als sie 1790 wieder miteinander auf den Kampfplatz traten, ein Kompromiss untereinander abgeschlossen, indem sie sich über die Verteilung der Sitze gütlich einigten. Der Pöbel aber, der in den Zeiten der Wahl gewohnt war, sich straflos jede Ungesetzlichkeit erlauben zu dürfen, war wütend darüber, dass die goldene Zeit der Gesetzlosigkeit ein Ende haben sollte. Er begann die Stadt zu plündern, das Rathaus und die Börse zu zerstören, Akten und Bücher auf die Straße zu werfen usw. Zu den berühmtesten weil stürmischsten Wahlen des ganzen 18. Jahrhunderts gehörten die, die 1768 in Middlesex um Wilkes stattfanden, und jene 1784 in Westminster, bei der Fox gegen den Hof kandidierte. Beide Male kam der Mob zu seinem vollen Recht, und da das Fenstereinwerfen noch das mildeste dieser Privilegien war, die der Londoner Pöbel bei solchen Gelegenheiten für sich in Anspruch nahm, so kamen wenigstens die Glaser auf ihre Rechnung.

Die Wahl in Westminster, bei der Fox gegen den Kandidaten des Ministeriums Lord Hood stand, hat in ihrer vierzigtägigen Dauer eine moralische Erschütterung ohnegleichen hervorgerufen. Fox brachte die Londoner Mietkutscher und die Kohlenträger der Themseschiffe auf die Beine, Lord Hood, der Admiral war, die Matrosen der Flotte, der Mob wurde förmlich organisiert und lieferte sich täglich Schlachten. Der König und der Hof taten für den Kandidaten der Regierung was nur in ihren Kräften stand, Georg III. betrachtete es geradezu als eine Ehrensache, dass Fox, den er persönlich verabscheute, durchfallen müsse. Der Prinz of Wales, der Thronfolger, trat dagegen ganz offen für Fox ein, zu dessen Gunsten auch die schönsten und elegantesten Damen der Aristokratie, die Herzogin von Devonshire, die Gräfinnen Carlisle und Derby, Lady Beauchamp, Lady Duncannon kanvassierten. Von der Herzogin von Devonshire, der von den malenden Zeitgenossen so gern portraitierten bildschönen Georgiana Spencer, wollte man wissen, dass sie die Wähler durch Küsse bestochen hab
Dieses Kapitel ist Teil des Buches England im 18. Jahrhundert
013. Wahlvergnügen 1 Nach dem Stiche von Hogarth. 1755

013. Wahlvergnügen 1 Nach dem Stiche von Hogarth. 1755

014. Wahlvergnügen 2 Nach dem Stiche von Hogarth. 1755

014. Wahlvergnügen 2 Nach dem Stiche von Hogarth. 1755

015. Wahlvergnügen 3 Nach dem Stiche von Hogarth. 1735

015. Wahlvergnügen 3 Nach dem Stiche von Hogarth. 1735

016. Wahlvergnügen 4 Nach dem Stiche von Hogarth. 1753

016. Wahlvergnügen 4 Nach dem Stiche von Hogarth. 1753

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