Handelspolitik und Handelskriege

Der Umsturz der englischen Verfassung, der zur Verbannung Jakobs II. führte, war zwar gewaltsam, aber er vollzog sich in wenig gewalttätiger Weise, der Aufstieg Englands zur Weltmacht erfolgte so unmittelbar darauf und schien in so innigem Zusammenhang mit dem inneren Gefüge des Reiches zu stehen, dass alle die, welche der schnellen und glänzenden Entwicklung des englischen Staatswesens folgten, fast notgedrungen zu seinen Lobrednern werden mussten.

Als Jakob II. nach Frankreich floh, war England ein Staat, der an politischer Bedeutung weit hinter Frankreich zurückstand, ein Staat, der nur versteckt mit Spanien rivalisierte und in der europäischen Politik nur eine sehr untergeordnete Rolle spielte. Ein Vierteljahrhundert später stand es ebenbürtig neben dem blutarmen Frankreich, das der unersättliche Ehrgeiz seines Monarchen beinahe tödlich geschwächt hatte, war es ihm gelungen, in Gibraltar festen Fuß zu fassen und sich damit im Lebensmark seines gefährlichsten Konkurrenten anzusiedeln.


Es folgt ein Jahrhundert erbitterter und langwieriger Kämpfe, ein stiller Handelskrieg, der mit zäher Energie und so unerbittlich geführt wird, dass die Schlachten, die ihn hier und da unterbrachen, ganz bedeutungslos erscheinen. Grade hundert Jahre nach der Einnahme Gibraltars entscheidet der glänzende Seesieg bei Trafalgar die Vorherrschaft Englands zur See, und als ein Jahrhundert nach dem Tode Ludwigs XIV. sein größerer Nachfolger von dem Schauplatz der Geschichte verschwindet, ist Großbritannien im unbestrittenen Alleinbesitz der Meere. Diese Entwicklung hat sich im Laufe des 18. Jahrhunderts vollzogen, das von der Auseinandersetzung zwischen England und Frankreich erfüllt ist, einer Auseinandersetzung, die ganz von selbst zu der mit Spanien führen musste, das ja seit der Thronbesteigung Philipps V. und den Familien Verträgen unter den Bourbons im französischen Fahrwasser segelte.

Das geschah nicht gewollt und bewusst, nicht nach lang überlegtem Plan der leitenden Staatsmänner, sondern aus dem Zwang der Umstände heraus. Die Verhältnisse waren stärker wie die Menschen. Die Hauptabsicht Englands war, seinen Handel auszudehnen und den Produkten seiner Industrie neue Märkte zu erschließen. Dieses Streben, das zur Ausdehnung bereits bestehender Kolonien und zur Erwerbimg neuer führen musste, hat mit Notwendigkeit eine Rivalität mit den Mächten, die auf diesem Gebiete mit dem Inselvolk konkurrierten, hervorgerufen. Da Holland aus dem internationalen Wettbewerb schon im 17. Jahrhundert ausgeschaltet war, blieben nur Frankreich und Spanien übrig, mit denen England bei jedem Schritte, den es über Meer tat, zusammenstoßen musste, mit dem einen in Ost- und Westindien, mit dem andern in Mittel- und Südamerika. „Wir sind ein handeltreibendes Volk, wir machen keinen Anspruch auf fremde Besitzungen und streben nicht nach Eroberungen,“ erklärte der Verfasser einer Flugschrift, die 1740 in London erschien.

Es mag sehr wohl sein, dass der Schreiber mehr als nur eine individuelle Ansicht zum Besten gab, aber als er schrieb, war dem friedliebendsten Premierminister, den England im 18. Jahrhundert am Ruder sah, eben ein Krieg mit Spanien grade zu mit Gewalt aufgenötigt worden, ein Krieg, der aus Handelsdifferenzen entstanden war und leicht hätte vermieden werden können, wenn die Kapitalisten der Londoner City sich nicht ein gutes Geschäft von ihm versprochen hätten. Dieser Krieg brachte zwar keineswegs den erwarteten Gewinn, aber er eröffnete die Ära der großen Eroberungen, 1740 war Robert Clive 15 Jahre alt und Warren Hastings 8, und sie sollten ihrer Heimat, ehe sie nur ein graues Haar auf dem Kopfe zählten, ein ungeheures Reich erworben haben.

Es war nicht die überlegene Weisheit weitblickender Staatslenker, die England auf den Pfad wies, der es zur Weltmacht werden ließ, nicht die raffinierten Künste der Diplomaten, die ihm in fein geflochtenen Netzen die halbe Welt gewannen, es waren die Konsequenzen einer skrupellosen Gewinnsucht, die es Schritt für Schritt vom Frieden in den Krieg nötigten, wenn es die Vorteile wahren wollte, die es seinem Handel über See errungen hatte. Man übertreibt nicht, wenn man sagt, dass England, wenn es im 18. Jahrhundert Welteroberer wurde, es dies in ausgesprochenem Gegensatz zum Willen seiner Bevölkerung und fast immer seiner Regierung geworden ist. Es konnte auf dem Wege der Ausdehnung seines Handels und Gewerbefleißes nicht stehen bleiben und musste, indem es fortschritt, seine Rivalen beseitigen oder selbst unterliegen. Die Tüchtigkeit seiner Rasse und die mannigfaltigen Vorzüge, die die Regierungsart Englands vor der seiner Gegner voraus hatte, haben es als Sieger aus dem langen und schweren Kampfe hervorgehen lassen.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches England im 18. Jahrhundert
005. Harewood House in Yorkshire. Erbaut von Carr 1760 Aus Reginald Bloomfield. History of Renaissance architecture in England. London 1897

005. Harewood House in Yorkshire. Erbaut von Carr 1760 Aus Reginald Bloomfield. History of Renaissance architecture in England. London 1897

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