Verbrechen und Strafen

Wie wenig das Parlament zu Reformen neigte, und wie gering das soziale Empfinden war, welches die Klasse beherrschte, aus der sich die Parlamentsmitglieder rekrutierten, bewies deutlicher als mancher andere Zweig der Staatsverwaltung die Justizpflege.

Ein unmenschlich zu nennendes Strafgesetz schien nur dazu da zu sein, um die Besitzenden gegen den Zugriff der Besitzlosen zu schützen, und bewies trotz seiner drakonischen Strafen, dass es dazu gar nicht geeignet war. Im Jahre 1 800 gab es noch 200 Vergehen, auf die Todesstrafe stand, und zwei Drittel von ihnen waren erst im Laufe des letzt vergangenen Jahrhunderts hinzugekommen. Ein Pferd oder ein Schaf zu stehlen, war ein todeswürdiges Verbrechen; wer aus einem Wohnhaus 40 Schilling, aus einem Laden 5 Schilling entwendete, war dem Tode verfallen, wenn er sich ertappen ließ; bei einem Taschendiebstahl genügten schon 12 Pence, um über den Täter die Todesstrafe aussprechen zu lassen. Wenn jemand auf dem Lande eine Brücke beschädigte, einen jungen Baum abschnitt, eine Banknote fälschte, wenn ein Seemann oder Soldat bettelte, ohne einen Pass zu besitzen, wenn jemand vorgab, dem Seemannshospital in Greenwich anzugehören, und es fand sich, dass er log, immer hatte er sein Leben verwirkt.


Eine Taschenuhr zu stehlen, wurde als Straßenraub mit dem Tode bestraft, wie auch der Diebstahl von Obst als Kriminalverbrechen galt, dagegen konnte man einen anderen sc schwer verwunden, dass er zeitlebens siech blieb, ohne sich mehr als eine kleine Geldbuße oder kurze Gefängnishaft zuzuziehen. Ein Haus, das einem gehörte, oder an das man Rechte nachweisen konnte, durfte man in Brand stecken, auch dann, wenn es mitten in einer dichtbewohnten Stadt lag und die Nachbarschaft gefährdete. Derjenige, der im Winter um 5 Uhr nachmittags seine Hand durch ein Glasfenster steckte, um etwas zu nehmen, was darin lag, wurde als Räuber betrachtet, auch dann, wenn er schließlich nichts genommen hatte; derjenige aber, der im Sommer um 4 Uhr früh gewaltsam in ein Haus einbrach, mit der Absicht, die Bewohner zu ermorden und zu berauben, beging ein leichtes Vergehen. 1779 wurde ein vierzehnjähriges Mädchen dazu verurteilt, lebendig verbrannt zu werden, weil es Pfennige blankgeputzt hatte, um sie als Sixpence auszugeben.

Wenn schon die verschiedene Bewertung der Verbrechen in Erstaunen setzt, so ist die Höhe und die Härte der Strafen nicht minder überraschend. In den kleineren Orten wurde der Missetäter noch mit einer eisernen Kette an eine Karre geschlossen und durch die Stadt gepeitscht; es gab noch die sogenannten „Tauchstühle“, in denen Bäcker, die schlechtes Brot oder ungewichtiges gebacken hatten, eingeschlossen und ins Wasser getaucht wurden. Diese Maschinerien waren das ganze Jahrhundert hindurch auch für Hexen in Gebrauch, und 1797 ist noch in Scarborough ein armes Weib dieser rohen Prozedur unterworfen worden. Der Pranger war eine beliebte Strafe, die für alle möglichen Vergehen verhängt wurde und besonders in Frage kam, wenn man die Verfasser von Spottschriften treffen wollte. So hat Daniel Defoe 1703 den Pranger geziert. Das Volk hat in diesem Falle dem beliebten Schriftsteller in seiner schmählichen Lage Ovationen dargebracht, in den meisten Fällen aber hat es an den wehrlosen Opfern der Straf Justiz sein Mütchen gekühlt. Ein Bombardement mit faulen Eiern und Äpfeln und Straßenschmutz war das mildeste, dem sich die Verurteilten ausgesetzt sahen; sie sind oft genug gesteinigt worden. 1732 wurde ein gewisser John Waller, der gegen Straßenräuber falsches Zeugnis abgelegt hatte, durch den Pöbel vom Pranger in Seven Dials heruntergeholt und totgetreten. Das Am-Pranger-stehen wurde gelegentlich durch Zusatzstrafen verschärft; so wurden 1731 dem Joseph Crook, der sich auch Sir Peter Stranger nannte, dabei die Ohren abgeschnitten und die Nasenflügel aufgeschlitzt. Das Geschlecht von damals hatte stärkere Nerven als das heutige, denn man hört, dass der Delinquent, nachdem er das alles hatte über sich ergehen lassen müssen, sich mit seinen Freunden in das nächste Wirtshaus begab, um bei gutem Essen und Trinken einige vergnügte Stunden zuzubringen. Brandmarken an Stirn und Wangen, Durchbohren der Zunge waren Strafen, die die Ausstellung am Pranger zu begleiten pflegten. Freilich, hatte der Verurteilte Geld, so kam es wohl vor, dass der Henker das Brennen mit kaltem Eisen vornahm. Der Pranger ist erst 1820 abgeschafft worden.

Die Strafe, die am häufigsten ausgesprochen wurde, war das Hängen; aber selbst für diese hat sich die erfinderische Grausamkeit der Zeit Verschärfungen ausgedacht, die uns fast unmöglich dünken. Der Verurteilte wurde aufgehängt, aber nicht bis er tot war, sondern man ließ ihm noch einen Funken Leben, um ihn vom Galgen fortzunehmen und ihm den Leib aufzuschneiden, die Eingeweide herauszureißen, sie vor seinen Augen ins Feuer zu werfen, imd den Mann erst dann, soweit er noch Atem in sich hatte, zu köpfen. Das geschah z. B. mit acht Offizieren, die bei dem schottischen Aufstand zur Armee des Prätendenten übergegangen waren, 1746 in Kensington Common. Diese ganz unmenschliche Bestimmung, dass die Eingeweide eines Hochverräters verbrannt werden sollen, während er noch lebte, sollte 1811 abgeschafft werden, aber das Ministerium lehnte dahinzielende Vorschläge rundweg ab. Die abgeschlagenen Köpfe wurden an den Toren, in London z. B. an Temple Bar, ausgesteckt und blieben an diesem Platz, bis sie verdorrt waren und vom Wind herabgeworfen wurden. Es geschah das zuletzt 1745 nach den Hinrichtungen, die dem schottischen Aufstand folgten. Dass das Hängen, so wie es damals ausgeübt wurde, nicht immer genügte, um den Todeskandidaten auch wirklich umzubringen, dafür fehlt es nicht an Beispielen. Ein gewisser John Duff, der wegen Postraub 1779 in Dublin gehängt worden war, wurde von seinen Freunden abgeschnitten und in das Leben zurückgebracht; ein anderer Missetäter, William Dewell, der wegen Raubmord am Galgen enden sollte, kam bei der Sektion zu sich und wurde deportiert. Die Sektion scheint manchem Galgenstrick das Leben, das er verwirkt hatte, gerettet zu haben. Ein Londoner Anatom, John Hunter, unter dessen Seziermesser das Objekt seiner Wissbegierde gegen alles Erwarten auch wieder lebendig wurde, ließ sich durch Mitleid bewegen, den Halbtoten gesund zu pflegen. Der Übeltäter bewies seine Dankbarkeit dadurch, dass er an seinem Erretter Erpressungen ausübte, die diesem nahezu sein Vermögen kosteten, bis er endlich durch einen besser funktionierenden Galgen von dem Unhold befreit wurde. Besonders waren die Matrosen darauf aus, Kameraden, die den Tod durch Erhängen erleiden sollten, möglichst rasch wieder abzuschneiden, um sie noch zu retten. So schnitten sie 1738 James Buchanan in Wapping, nachdem er fünf Minuten gehangen hatte, ab, brachten ihn wieder zu sich und schoben ihn auf ein Schiff ab, das gerade in See stach. Ein andermal hatten sie weniger Glück, der Tote blieb tot, und nachdem seine Kameraden mit der Leiche einige Stunden herumgezogen waren, ließen sie sie schließlich vor irgendeiner Tür liegen, zufälligerweise vor der seiner ahnungslosen Mutter.

Die Leichen der Gehängten verfielen der Anatomie und wurden in den meisten Fällen öffentlich seziert. Reverend John Warner, Rektor von Stounton in Wiltshire, schreibt an George Selwyn, dass er der Sektion der Leiche von Mr. Hackmann, der wegen eines Mordes aus Eifersucht hingerichtet worden war, beigewohnt habe: „Ein feiner gut gewachsener junger Mann von 24 Jahren,“ fügt er in ehrlicher Bewunderung hinzu. Hogarth hat in einem seiner Blätter eine solche öffentliche Sektion dargestellt und in seiner krassen Manier das Groteske und Grausige derselben mit der ihm eigenen Meisterschaft herausgebracht.

Die Schwierigkeit, die für Anatomen darin bestand, dass sie sich nur mit allergrößter Mühe die Leichen beschaffen konnten, die ihnen für ihre Übungen doch so notwendig waren, hatte die Verordnung hervorgerufen, die die Körper aller zum Tode Verurteilten der Anatomie überwies. Für die Todeskandidaten gab es keine wichtigere Sorge, als ihre hinterbliebenen Freunde darauf zu verpflichten, ihre Leichen nicht in die Hände der Ärzte fallen zu lassen. Es war eine besondere Gunstbezeigung, wenn einem Verurteilten gestattet wurde, seinen Sarg mit zur Richtstätte nehmen zu dürfen. Auch dann entspannen sich noch Kämpfe zwischen denen, die Anspruch auf die Leiche hatten, und denen, die sie ehrenhalber nicht herausgeben wollten. Dieser Umstand hat in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zu einer verbrecherischen Industrie geführt. Es gab eine ganze Klasse von Leuten, die sogenannten „Auferstehungsmänner“, deren Gewerbe es war, die Anatomen mit frischen Leichen zu versorgen. Manche Institute hielten sich solche, denen sie ein Gehalt von 50 Pfund Sterling zahlten und außerdem noch einen Stücklohn von 9 bis 12 Pfund für jeden Kadaver. Da wurden die Kirchhöfe ganz schonungslos geplündert, und es ist in Prozessen mehr wie einmal zur Sprache gekommen, dass die Herren Auferstehungsmänner sich nicht scheuten, energisch nachzuhelfen, wenn ihnen irgendein noch Lebender ein geeignetes Objekt für ihre Auftraggeber schien.

Die Zahlen der Hingerichteten sind von erschreckender Höhe. Von 1701 bis 1713 sind in London 242 Verbrecher gehängt worden. Am 24. August 1763 stellte das Annual Register fest, dass in den letzten sechs Wochen 150 Personen wegen Kapitalverbrechen verurteilt worden seien; 1776 hängte man in London 223 Personen; 1783 fanden in London allein 51, 1785 97 öffentliche Hinrichtungen durch den Strang statt. Der höhere Zweck öffentlicher Hinrichtungen war es wohl, abzuschrecken; lag diese Idee zugrunde, so wurde sie jedenfalls völlig verfehlt; Exekutionen wurden zu Schaustellungen der unwürdigsten und unpassendsten Art. Der französische Reisende Misson, dessen Aufzeichnungen 1719 ins Englische übersetzt und gedruckt wurden, wenn seine Reise damals auch schon eine Reihe von Jahren zurücklag, schreibt darüber: „Die erste Sorge dessen, der gehängt werden soll, ist, sich rasieren zu lassen und hübsch anzuziehen, entweder in Trauerkleidern oder wie ein Bräutigam. Ist das geschehen, so bemühen sich seine Freunde, ihm die Erlaubnis zu verschaffen, sich begraben lassen zu dürfen und zu diesem Zweck seinen Sarg mitzunehmen. Wenn sein vollständiger Anzug oder Schlafrock bereit ist, Handschuhe, Hut, Perücke, Blumenstrauß für das Knopfloch, Sarg, Flanellkleider für die Leiche gekauft sind, dann ist seine Seele zufrieden, und er denkt an sein Gewissen. Hauptsächlich studiert er eine Rede ein, die er unter dem Galgen hält, und von der er eine Abschrift dem Sheriff oder dem Geistlichen übergibt, der ihm in seinen letzten Augenblicken beisteht, mit dem Wunsche, dass sie gedruckt werden möchte. Oft begleiten ihn weißgekleidete Mädchen mit grünseidenen Schärpen, die Körbe voll Blumen und Orangen tragen, deren Inhalt sie auf dem Wege verteilen.“ Man sieht, der Missetäter bereitete sich vor, eine öffentliche Rolle zu spielen, und in der Tat war eine Hinrichtung in Tybum oder Newgate im 18. Jahrhundert ein Volksfest, dem an Bedeutung höchstens der Aufzug des Lordmayors gleichkam. Sie war ein Vergnügen, nicht etwa nur für den großen Haufen, sondern auch von der eleganten Welt außerordentlich geschätzt. Man sprach vom Tybum-Jahrmarkt, und wenn die Liebhaber von Kriminalprozessen die Möglichkeit hatten, sich für die Gerichtssitzungen in Old Bailey Billets für 1 sh. zu besorgen, so konnten sie sich bei Hinrichtungen reservierte Sitze in der ersten Reihe vornan mieten. Mutter Proctor, die das Recht besaß, Stühle hinzustellen, verdiente bei der Hinrichtung des Earl Ferrers 500 Pfund Sterling. Der Schließer im Newgate-Gefängnis, der den berühmten Straßenräuber John Sheppard vor der Exekution sehen ließ, nahm bei dieser Gelegenheit 200 Pfund Sterling ein. Damen von Rang und Stand drängten sich an solchen Tagen in die Gefängnisse, Herren der ersten Gesellschaft, wie der Herzog von Montague, George Aug. Selwyn u. a. fehlten ebenfalls nicht und wurden von ihren Freunden oft mit ihrer Leidenschaft für Hinrichtungen geneckt. Vornehme Leute hatten das Recht, in Trauerkutschen zum Schaffot zu fahren, gewöhnliche Verbrecher mussten sich mit der Gefängniskarre begnügen. Der Verbrecher, der wusste, dass bei seiner Hinrichtung halb London auf den Beinen sein würde, betrachtete diesen Tag nicht als einen der Schande, sondern als ein Fest, bei dem er sich zusammennehmen müsse, um seine Rolle mit Ehren durchzuführen. So schreibt Henry Fielding 1751 in seiner Untersuchung über die Zunahme der Verbrechen: „Wenn jede Hoffnung den Dieb verlässt, wenn er entdeckt, festgenommen, prozessiert, überführt und ihm die Gnade verweigert wird, in welcher Lage befindet er sich dann? Sicherlich sehr düster und schrecklich, ohne jede Hoffnung und ohne jeden Trost. Das mag bei den Unerfahrenen der Fall sein, bei denen, die weniger Geistesgegenwart besitzen und weniger gefährliche Spitzbuben sind, aber es gibt solche von einem ganz anderen Schlage. Der Tag, den das Gesetz für die Schmach des Diebes bestimmt, wird in seiner eigenen Meinung und der seiner Freunde zum Ruhmestag für ihn. Sein Zug nach Tybum und seine letzten Augenblicke sind ein Triumph, begleitet von dem Mitgefühl der Schwachen und Zartfühlenden, dem Beifall, der Bewunderung und dem Neid aller aufrechten und abgehärteten Seelen. Sein Benehmen in der gegenwärtigen Lage, nicht sein Verbrechen, wie schrecklich es sein mag, ist der Gegenstand der allgemeinen Betrachtung.“ Dem Umstand, dass Missetäter und Publikum die Fahrt nach Tyburn als einen Triumphzug ansehen, schreibt Fielding es auch zu, dass die Öffentlichkeit der Hinrichtungen ihren Zweck so ganz verfehlte. Reverend Thomas Somerville, ein schottischer Geistlicher, der London in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts mehrmals besuchte, ist empört über diese Vorgänge, die die Anwesenden durchaus nur wie ein Schauspiel auffassten. Wenn ein Verbrecher mit Fassung starb, war der Beifall groß: „Gut gemacht, kleiner Falschmünzer“, „Was für ein braver Kerl“ und ähnliche Zurufe ermunterten die Darsteller dieses grässlichen Theaters. John Austin war der letzte, der am 7. November 1783 in altherkömmlicher Weise in Prozession nach Tyburn gebracht und gehängt wurde, dann wurde der Umzug abgeschafft und bei der Hinrichtung die Klappe eingeführt, so dass der Verurteilte in eine Versenkung hinunterfiel. Dieser Fortschritt der Kultur war aber durchaus nicht nach jedermanns Sinn. Samuel Johnson hatte sich heftig gegen die Abschaffung der Hinrichtungen in Tyburn ausgesprochen, denn „eine Hinrichtung ohne Zuschauer verfehlt ihren Zweck“, äußerte er zu Boswell.

Ein zum Tode Verurteilter war vogelfrei und stand außerhalb des Rechtes, man machte mit ihm, was man wollte. 1721 überließ man Dr. Mead sechs Kriminalverbrecher, denen man das Leben schenkte, um sie zu impfen; zahlreiche Verbrecher, ungefähr vier Fünftel aller mit der Todesstrafe Bedrohten, wurden begnadigt, wenn sie sich zum Dienst im Heer oder in der Marine bereit fanden. 1792 bis 1794, als man nötig Soldaten und Matrosen brauchte, wurden von 822 überführten Verbrechern 696 begnadigt unter der Bedingung, dass sie Dienst nahmen.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches England im 18. Jahrhundert