Zwölftes Kapitel. - Der Hunnen Heranzug. - ...Wenn der Feind droht, rüsten; wenn er angreift, aufs Haupt schlagen, das ist so einfach, daß man eigentlich keinen drum zu fragen braucht...

„Der Alte hat recht“, sprach Frau Hadwig, als ihr Ekkehard Bericht von seiner Sendung Erfolg erstattete. „Wenn der Feind droht, rüsten; wenn er angreift, aufs Haupt schlagen, das ist so einfach, daß man eigentlich keinen drum zu fragen braucht. Ich glaube, das viele Bedenken und Erwägen hat der böse Feind als Unkraut auf die deutsche Erde gestreut. Wer schwankt, ist dem Fallen nah, und wer’s zu sein machen will, der gräbt sich selbst sein Grab: Wir rüsten!“

Die bewegte und bald gefährliche Lage schuf der Herzogin eine freudige Stimmung: so ist die Forelle wohlgemut im rauschenden Gießbach, der über Fels und Trümmer schäumt, im stillen Wasser verkommt sie. Und Beispiel, fester Entschlossenheit oben ist nie vergeblich. Da trafen sie ihre Vorbereitung zum Empfang des Feindes. Vom Turm des hohen Twiel wehte die Kriegsfahne154 weit ins Land hinaus; durch Wald und Feld bis an die fernsten in den Talgründen versteckten Meierhöfe klang das Heerhorn, die Mannen aufzubieten; nur Armut befreite von Kriegspflicht. Wer mehr als zwei Mansen LandA1 sein eigen nannte, ward befehligt, beim ersten Ruf in Wehr und Waffen sich zu stellen. Der Hohentwiel sollte der Sammelplatz sein, ihn hatte die Natur dazu gefestet. Boten durchflogen das Hegau. Das Land hub an, sich zu rühren; hinten im Tannwald standen die Köhler beisammen, den schweren Schürhaken schwang einer überm Haupt wie zum Einhauen. „Es tut sich!“ sprach er, „ich geh’ auch mit!“


An die Türen der Pfarrherrn, der Alten und Bresthaften ward geklopft; wer nicht ausziehen kann, soll beten; an alle Ufer des Sees ging die Kunde, auch hinüber nach Sankt Gallen.

Auf die friedliche Insel Reichenau ging Ekkehard; die Herzogin gebot’s. Der Gang wär’ ihm sauer gefallen, hätt’ es sich um anderes gehandelt. Er brachte dem gesamten Kloster die Einladung auf den hohen Twiel für die Zeit der Gefahr.

Dort war schon alles in Bewegung. Beim Springbrunnen im Klostergarten ergingen sich die Brüder; es war ein linder Frühlingstag; aber keiner dachte ernsthaft dran, sich des blauen Himmels zu freuen, sie sprachen von den bösen Zeiten und ratschlagten; es wollt’ ihnen schwer einleuchten, daß sie aus ihren stillen Mauern ausziehen sollten.

Der heilige Marcus, hatte einer gesagt, wird seine Schutzbefohlenen schirmen und den Feind mit Blindheit schlagen, daß er vorbeireitet, oder das Grundgewelle des Bodensees aufschäumen lassen, daß es ihn verschlinge wie das Rote Meer die Ägypter.

Aber der alte Simon Bardo sprach: „Die Rechnung ist nicht ganz sicher, und wenn ein Platz nicht sonst mit Turm und Mauern umwallt ist, bleibt Abziehen rätlicher. Wo aber noch eines Schillings Wert zu finden ist, da reitet kein Hunne vorbei; legt einem Toten ein Goldstück aufs Grab, so wächst ihm noch die Hand aus der Erde und greift danach.“

„Heiliger Pirminius!“ klagte der Bruder Gärtner, „wer soll den Kraut- und Gemüsgarten bestellen, wenn wir fort müssen?“– „Und die Hühner?“ sprach ein anderer, dessen teuerste Kurzweil in Pflege des Hühnerhofes bestund, „haben wir die drei Dutzend welsche Hahnen für den Feind ankaufen müssen?“

„Wenn man ihnen einen eindringlichen Brief schriebe“, meinte ein dritter; „sie werden doch keine solche Unmenschen sein, Gott und seine Heiligen zu kränken.“

Simon Bardo lächelte: „Werd’ ein Lämmerhirt“, sprach er mitleidig, „und trink’ einen Absud vom Kraut Camvmilla, der du den Hunnen eindringliche Briefe schreiben willst. O, daß ich meinen alten Oberfeuerwerker Kedrenos mit über die Alpen gebracht! Da wollten wir ein Licht wider den Feind ausgehen lassen, schärfer als der milde Mondschein über dem Krautgärtlein, der dem seligen Abt Walafrid155 so weiche Erinnerungen an seine Freundin in der Seele wach rief. Dort an der Landzunge ein paar Schiffe versenkt, hier am Hafenplatz desgleichen, – und mit den langen Brandröhren den Uferplatz bestrichen: hei, wie würden sie auseinanderstieben, wenn’s durch die Luft flöge wie ein feuriger Drache und seinen Naphthabrandregen aussprühte! Aber was weiß euer einer von griechischem Feuer156?! O Kedrenos, Feuerwerker Kedrenos!“

Ekkehard war ins Kloster eingetreten. Er fragte nach dem Abt. Ein dienender Bruder wies ihm dessen Gemächer. Er war nicht drinnen und auch anderwärts nicht zu finden.

„Er wird in der Rüstkammer sein“, sprach ein Mönch im Vorübergehen zu ihnen. Da führte der dienende Bruder Ekkehard in die Rüstkammer; sie war auf dem hohen Klosterspeicher, viel Harnisch und Gewaffen lag droben aufgehäuft, mit denen das Kloster seine Kriegsleute zum Heerbann ausstattete.

Abt Wazmann stand drin, eine Staubwolke verhüllte ihn dem Blick der Eintretenden, er hatte die Rüstungen von den Wänden abnehmen lassen und gemustert. Staub und Rost waren Zeuge, daß sie lange Ruhe gehabt. Beim Mustern hatte der Abt schon an sich selber gedacht; sein Obergewand lag ausgezogen vor ihm, der blonde Klosterschüler hatte ihm einen Ringpanzer umgeworfen, er reckte seine Arme, ob er ihm fest und bequemlich sitze.

„Tretet näher!“ rief er Ekkehard zu, „andere Zeiten, anderer Empfang!“

Ekkehard teilte ihm der Herzogin Aufforderung mit.

„Ich hätt’ selber auf dem hohen Twiel drum nachgesucht, wenn Ihr nicht gekommen wäret“, sprach der Abt. Er hatte ein langes Schwert ergriffen und schlug einen Lufthieb, daß Ekkehard etliche Schritte zurückwich; dem scharfen Pfeifen der Luft war zu entnehmen, daß es nicht der erste, den er in seinem Leben führte.

„‘s wird Ernst“, sprach er. „Zu Altdorf im Schussental sind sie schon eingekehrt; bald wird sich die Flamme von Lindau im See spiegeln. Wollt Ihr Euch auch einen Harnisch auslesen? Der Mit dem Wehrgehenk dort fängt Stich und Hieb so gut wie das feinste NothemdA2, das je eine Jungfrau spann.“

Ekkehard dankte. Der Abt stieg mit ihm aus der Rüstkammer hinunter. Der Ringelpanzer behagte ihm, er warf die braune Kapuze drüber um; so trat er in den Garten unter die zagenden Brüder wie ein Riese des Herrn157.

„Der heilige Marcus ist heut nacht vor mein Lager, getreten“, rief der Abt; „nach dem hohen Twiel hat er gedeutet; dorthin wollen meine Gebeine, daß keines Heiden Hand sie entweihe. Auf und rüstet euch! In Gebet und Gottvertrauen hat seither eure Seele den Kampf mit dem bösen Feind gekämpft, jetzt sollen eure Fäuste weisen, daß ihr Kämpfer seid. Denn die da kommen, sind Söhne der Teufel; Alraunen und Dämonen in asischer Wüste haben sie erzeugt; Teufelswerk ist ihr Treiben, zur Hölle werden sie zurückfahren, wenn ihre Zeit um158!“

Da ward auch dem sorglosesten der Brüder deutlich, daß eine Gefahr im Anzug. Beifällig Murmeln ging durch die Reihen, sie waren von Pflege der Wissenschaft noch nicht so weich gemacht, daß ihnen ein Kriegszug nicht als löbliche Abwechslung erschienen wäre.

An einen Apfelbaum gelehnt stand Rudimann, der Kellermeister, bedenkliche Falten auf der Stirn. Ekkehard ersah ihn, schritt auf ihn zu und wollte ihn umarmen als Zeichen, daß gemeinsame Not alten Zwist ausebne. Rudimann aber winkte ihm ab: „Ich weiß, was Ihr wollet!“ – Aus dem Saum seiner Kutte zog er einen groben härenen Faden, warf ihn auf die Erde und trat darauf. „Solang’ ein hunnisch Roß die deutsche Erde stampft“, sprach er, „soll alle Feindschaft aus meinem Herzen gerissen sein, wie dieser Faden aus meinem Gewand159; überleben wir den Streit, so mag’s wieder eingefädelt werden, wie sich’s geziemt!“

Er wandte sich und schritt nach seinem Keller zu wichtiger Arbeit. In Reih’ und Glied lagen dort den hochgewölbten Raum entlang die Stückfässer als wie in Schlachtordnung, und keines klang hohl, so man anklopfte. Rudimann hatte etliche Maurer bestellt; jetzt ließ er einen Vorplatz, wo sonst Kraut und Frucht bewahrt lag, herrichten, als wär’ das der Klosterkeller; zwei Fäßlein und ein Faß pflanzten sie drin auf. Findet der Feind gar nichts vor, so schöpft er Verdacht, also hatte der Kellermeister bei sich überlegt, – und wenn die Sipplinger Auslese, die ich preisgebe, ihre Schuldigkeit tut, wird manch ein hunnischer Mann ein bös Weiterreiten haben.

Schon hatten die Werkleute die Quadersteine gerichtet zu Vermauerung der inneren Kellertür, – noch einmal ging Rudimann hinein; aus einem verwitterten Faß zapfte er sein Krüglein und leerte es wehmütig; dann faltete er die Hände wie zum Gebet: „Behüt dich Gott, roter Meersburger!!“ sprach er. Eine Träne stund in seinen Augen ...

Rühriges Treiben ging allenthalben durchs Kloster. In der Rüstkammer wurden die Waffen verteilt, es waren viel Häupter und wenig Helme, der Vorrat reichte nicht. Auch war viel Lederwerk zerfressen und mußte erst geflickt’ werden.

In der Schatzkammer ließ der Abt die Kostbarkeiten und Heiligtümer verpacken: viel schwere Truhen wurden gefüllt, das güldne Kreuz mit dem heiligen Blut, die weiße Marmorurne, aus der einst die Hochzeitgäste in Cana den Wein schöpften, Reliquiensärge, Abtsstab, Monstranz – alles ward sorglich eingetan und auf die Schiffe verbracht. Sie schleppten auch den schweren, durchsichtig grünen Smaragd bei, achtundzwanzig Pfund wog er. „Den mögt ihr zurücklassen“, sprach der Abt.

„Das Gastgeschenk des großen Kaiser Karl? des Münsters seltenstes Kleinod, wie keines mehr in den Tiefen der Gebirge verborgen ruht?“ fragte der dienende Bruder.

„Ich weiß einen Glaser in Venezia, der kann einen neuen machen, wenn diesen die Hunnen fortschleppen160“, erwiderte leichthin der Abt.

Sie stellten das Juwel in den Schrank zurück.

Noch war’s nicht Abend worden, da stund alles zum Abzug bereit. Der Abt hieß die Brüder im Hofe zusammentreten, sämtliche erschienen bis auf einen. „Wo ist Heribald?“ frug er.

Heribald war ein frommer Bruder, dessen Wesen schon manchem den Ernst auf der Stirn in Heiterkeit verwandelte161. In jungen Tagen hatte ihn die Amme einmal aufs Steinpflaster fallen lassen, davon war ihm ein gelinder Blödsinn zurückgeblieben, eine „Kopfsinnierung“ aber er war guten Herzens und hatte an Gottes schöner Welt seine Freude, so gut wie ein Geistesgewaltiger.

Da gingen sie, den Heribald zu suchen.

Er war auf seiner Zelle. Die gelbbraune Klosterkatze schien ihm ein Leides zugefügt zu haben, er hatte ihr den Strick, der sein Gewand zusammenhalten sollte, um den Leib geschnürt und sie an einen Nagel an seines Gemaches Decke aufgehängt; in die leere Luft herab hing das alte Tier, das schrie und miaute betrüblich, er aber schaukelte es sänftlich hin und her und sprach Lateinisch mit ihm.

„Vorwärts, Heribald!“ riefen die Genossen, „wir müssen die Fusel verlassen.“

„Fliehe, wer will!“ sprach der Blödsinnige, „Heribald flieht nicht mit.“

„Sei brav, Heribald, und folg’ uns; der Abt hat’s anbefohlen.“

Da zog Heribald seinen Schuh aus und hielt ihn den Brüdern entgegen: „Der Schuh ist schon im vorigen Jahr zerrissen“, sprach er, „da ist Heribald zum Camerarius gegangen, ›gib Mir mein jährlich Leder‹, hat Heribald gesagt ›daß ich mir ein Paar Schuhe anfertige‹, da hat der Camerarius gesagt: ›Tritt du deine Schuhe nicht krumm, so werden sie nicht reißen‹, und hat das Leder geweigert, und wie Heribald den Camerarius beim Abt verklagt, hat ihm der gesagt: ›Ein Narr, wie du, kann barfuß laufen!‹ Jetzt hat Heribald kein ordentlich Fußwerk und mit zerrissenem geht er nicht unter fremde Leute162 ...“

Solchen Gründen war keine stichhaltige Widerlegung entgegenzusetzen. Da umschlangen ihn die Brüder mit starkem Arm, ihn hinabzutragen; im Gang aber riß er sich los und floh mit Windeseile hinab in die Kirche und die Treppen hinauf, die auf den Kirchturm führten. Zu oberst setzte er sich fest und zog das hölzerne Stieglein empor; es war ihm nimmer beizukommen.

Sie erstatteten dem Abte Bericht. „Lasset ihn zurück“,. sprach der Abt, „über Kinder und Toren wacht ein besonderer Schutzengel.“

Zwei große LädinenA3 lagen am Ufer, die Abziehenden aufzunehmen: wohlgerüstete Schiffe mit Ruder und Segelbaum. In kleinen Kähnen hatten sich des Klosters dienende Leute und was sonst noch auf der Reichenau hauste, mit Hab und Gut eingeschifft; es war ein wirres Durcheinander.

Ein Nachen voll von Mägden und befehligt von Kerhildis, der Obermagd, war bereits abgefahren; sie wußten selber nicht wohin, aber die Furcht war diesmal größer als die Neugier, die Schnurrbärte fremder Reitersmänner zu sehen.

Jetzt zogen die Klosterbrüder heran; es war ein seltsamer Anblick: die meisten in Wehr und Waffen, Litanei betend andere, den Sarg des heiligen Marcus tragend, der Abt mit Ekkehard und den Zöglingen der Klosterschule – betrübt schauten sie noch einmal nach der langjährigen Heimat, dann stiegen sie zu Schiffe.

Wie sie aber in den See ausfuhren, huben alle Glocken an zu tönen, der blödsinnige Heribald läutete ihnen den Abschiedsgruß; dann erschien er auf den Zinnen des Münsterturmes: „Domonus vobiscum!“ rief er mit starker Stimme herab und in gewohnter Weise antwortete da und dort einer: „Et cum spiritu tuo!“

Ein scharfer Luftzug kräuselte die Wellen des Sees. Erst vor kurzem war er aufgefroren, noch schwammen viel schwere Eisblöcke drin herum und die Schiffe hatten große Mühe, sich durchzuarbeiten.

Geduckt sahen die Mönche, die den Sarg des heiligen Marcus hüteten, etlichemal schlug die Woge zu ihnen herein, aber aufgerichtet und keck stand Abt Wazmanns hohe Gestalt, die Kapuze flatterte im Winde.

„Der Herr geht vor uns her“, sprach er, „wie er in der Feuersäule vor dem Volk Israel ging; er ist mit uns auf der Flucht, er wird mit uns sein auf fröhlicher Rückkehr! ...“

In Heller Mondnacht stieg der Reichenauer Mönche Schar den Berg von Hohentwiel hinaus. Für Unterkunft war gesorgt. In der Burg Kirchlein stellten sie den Sarg ihres Heiligen ab; sechs der Brüder wurden zu Wacht und Gebet bei ihm befehligt.

Der Hofraum ward in den nächsten Tagen zum fröhlichen Heerlager. An aufgebotenen Dienstmannen lagen schon etliche hundert oben, der Reichenauer Zuzug brachte einen Zuwachs von neunzig streitbaren Männern. Emsig ward geschafft an allem, was des baldigen Kampfes Notdurft heischte. Schon eh’ die Sonne aufstieg, weckte der Schmiede Gehämmer die Schläfer. Pfeile und Lanzenspitzen wurden gefertigt; beim Brunnen im Hofe stand der große Schleifstein, dran wetzten sie die rostigen Klingen. Der, alte Korbmacher von Weiterdingen war auch herausgeholt worden, der saß mit seinen Buben unter der Linde, die langen, zu Schilden zugeschnittenen Bretter übersponnen sie mit hartem Flechtwerk von Weidengezweig, dann ward ein gegerbtes Fell darüber genagelt: der Schild war fertig. Am lustigen Feuer saßen andere und gossen Blei in die Formen zu spitzem Wurfgeschoß für die Schleuder, – eschene Knittel und Keulen wurden in den Flammen gehärtet163: „Wenn der an eines Heiden Schädel anklopft“, sprach Rudimann und schwang den Prügel, „so wird ihm aufgetan!“

Wer früher schon im Heerbann, gedient sammelte sich um Simon Bardo, den griechischen Feldhauptmann. „Zu euch nach Deutschland muß einer gehen, wenn er seine greisen Tage in Ruhe verleben will“, hatte er scherzend zur Herzogin gesagt. Der Waffenlärm aber stärkte sein Gemüt wie alter Rheinwein und richtete ihn auf; mit scharfer Sorge ließ er die Unerfahrenen sich in den Waffen üben, des Burghofs Pflaster widerhallte vom schweren Schritt der Mönche, die in geschlossenen Reihen des Speerangriffs unterwiesen wurden. „Wände könnt’ man mit euch einrennen“, sprach der Alte Beifall nickend, „wenn ihr einmal warm geworden seid.“

Wer von den Jüngern eines sichern Auges und beweglicher Knochen sich erfreute, ward den Pfeilschützen zugeteilt. Fleißig übten sie sich. Heller Jubel klang einmal von des Hofes anderem Ende zu den Speerträgern herüber: das lose Volk hatte einen Strohmann angefertigt, eine Krone von Eulenfedern im Haupt, eine sechsfältige Peitsche in der Hand, einen roten Lappen in Herzform auf der Brust, war er ihre Zielscheibe.

„Der Hunnen König Etzel“, riefen die Schützen, „wer trifft ihn ins Herz?“

„Spottet nur“, sprach Frau Hadwig, die vom Balkon herab zuschaute; „hat ihn auch in schlimmer Brautnacht der Schlag darnieder gestreckt, so geht sein Geist fort und fort mächtig durch die Welt; die nach uns kommen, werden noch an ihm zu beschwören haben.“

„Wenn sie nur auch so scharf auf ihn schießen, wie die da unten!“ sagte Praxedis – und Halloruf klang vom Hofe herauf, der Strohmann wankte und fiel, ein Pfeil hatte das Herz getroffen.

Ekkehard kam in den Saal herauf. Er war wacker mitmarschiert, sein Antlitz glühte, der ungewohnte Helm hatte einen roten Streif auf der Stirn zurückgelassen. In der Erregung des Tages vergaß er seine Lanze draußen abzustellen. Mit Wohlgefallen sah Frau Hadwig auf ihn; es war nicht mehr der zage Lehrer der Grammatik ... Er neigte sich vor seiner Gebieterin: „Die Reichenauer Mitbrüder im Herrn“, sprach er, „lassen melden, daß sich Durst in ihren Reihen eingestellt.“

Frau Hadwig lachte. „Laßt eine Tonne kühlen Bieres im Hof aufstellen; bis die Hunnen wieder heimgejagt sind, soll unser Kellermeister keine Klage über Verschwinden seiner Fässer führen.“

Sie deutete auf das stürmische Treiben im Burghof:

„Das Leben bringt doch mannigfachere Bilder als alle Poeten“, sprach sie zu Ekkehard; – „auf solchen Wandel der Dinge wart Ihr nicht vorbereitet?“

Aber Ekkehard ließ seinem teuern Virgilius nicht zu nahe treten.

„Erlaubet“, sprach er, auf seinen Speer gelehnt, „es steht alles wortgetreu in der Änïs vorgezeichnet, als wenn es nichts Neues unter der Sonne geben sollt! Würdet Ihr nicht glauben, Virgilius sei hier auf dem Söller gestanden und habe hinabgeschaut ins Getümmel, wie er vom Beginn des Krieges in Latium sang:“

„Dort wird gehöhlt dem Haupte der Schirm – dort flechten sie wölbend
Weidener Schilde Verband – dort ziehn sie den ehernen Harnisch,
Dort hellblinkende Schienen aus zähem Silber gehämmert.
Sichel und Schar wird jetzo entehrt, und die Liebe des Pfluges
Weicht – um schmiedet die Esse verrostete Klingen der Väter.
Hornruf schmettert durchs Land und es geht die kriegerische Losung164.“

„Das paßt freilich gut“, sprach Frau Hadwig. „Könnt Ihr auch den Gang des Streites aus Eurem Heldenbuche vorhersagen?“ wollte sie noch fragen, aber in Zeiten des Durcheinander ist nicht gut über Dichtungen sprechen. Der Schaffner war eingetreten. „Das Fleisch sei aufgezehrt bis auf den letzten Bissen“, lautete sein Bericht, „ob er zwei Ochsen schlachten dürfe ...“

Nach wenig Tagen war Simon Bardos Mannschaft so geschult, daß er sie der Herzogin zur Musterung vorführen konnte. Es war auch Zeit, daß sie ihre Zeit nutzten; schon waren sie die verflossene Nacht aufgestört worden, eine helle Röte stand am Himmel fern überm See, wie eine feurige Wolke hielt sich das Brandzeichen etliche Stunden lang, es mochte weit in Helvetien drüben sein. Die Mönche stritten miteinand; es sei eine Erscheinung am Himmel, sagten die einen, ein feuriger Stern zur Warnung der Christenheit. Es brennt im Rheintal, sprachen andere: ein Bruder, der mit feinerer Nase begabt war, behauptete sogar den Brandgeruch zu spüren. Erst lang’ nach Mitternacht erlosch die Röte.

Auf des Berges südlichem Abhang war eine mäßig weite Halde, die ersten Frühlingsblumen blühten drauf, in den Talmulden lag noch alter Schnee; das sollte der Platz der Musterung sein. Hoch zu Rosse sah Frau Hadwig, bei ihr hielten wohlgerüstet etliche Edelknechte, die zum Aufgebot gestoßen waren, der von Randegg, der von Hoewen und der dürre Fridinger; der Reichenauer Abt sah stolz auf seinem Zelter, ein wohlberittener Mann Gottes165; Herr Spazzo, der Kämmerer, bemühte sich, es ihm an Haltung und Bewegung gleich zu tun, denn sein Gebaren war vornehm und ritterlich. Auch Ekkehard sollte die Herzogin begleiten, es war ihm ein Roß vorgeführt worden; allein er hatte es abgelehnt, daß kein Neid entstünde unter den Mönchen.

Jetzt tat sich das äußere Burgtor knarrend auf, und die Scharen zogen herab. Voraus die Bogen- und Armbrustschützen; lustige Klänge erschallten, ernsten Antlitzes schritt Audifax als Sackpfeifer mit den Hornisten, in geschlossenem Zug ging’s vorbei. Dann ließ Simon Bardo ein Signal blasen, da lösten sich ihre Glieder und schwärmten aus wie ein wilder Wespenschwarm und hielten Busch und Hecken besetzt.

Dann kam die Kohorte der Mönche, festen Schrittes, in Helm und Harnisch, die Kutte drüber, den Schild auf dem Rücken, den Spieß gefällt: eine sturmgewaltige Schar; hoch flatterte ihr Fähnlein, ein rotes Kreuz im weißen Feld. Pünktlich marschierten sie, als wär’ es seit Fahren ihr Handwerk – bei starken Menschen ist auch die geistige Zucht gute Vorübung zum Kriegerstand. Nur einer am linken Flügel vermochte nicht Schritt zu halten, seine Lanze ragte uneben aus der geraden Reihe der andern: „‘s ist nicht seine Schuld“, sprach Abt Wazmann zur Herzogin, „er hat in Zeit von sechs Wochen ein ganz Meßbuch abgeschrieben, da flog ihm der Schreibkrampf in die Finger.“

Ekkehard schritt auf dem rechten Flügel; wie sie an der Herzogin vorüberkamen, traf ihn ein Blick aus den leuchtenden Augen, der kaum der ganzen Schar gegolten.

In drei Haufen folgten die Dienstmannen und aufgebotenen Heerbannleute; mächtige Stierhörner wurden geblasen, seltsam Rüstzeug kam zum Vorschein, manch ein Waffenstück war schon in den Feldzügen des großen Kaiser Karl eingeweiht worden, mancher aber trug auch einen mächtigen Knittel und sonst nichts.

Herr Spazzo hatte indes scharfen Auges in das Tal hinuntergeschaut. „‘s ist gut, daß wir gerade beisammen sind, ich glaub’, ‘s gibt Arbeit!“ sprach er und deutete hinüber in die Tiefe, wo die Dächer des Weilers Hilzingen hinter hügeligen Gründen aufstiegen. Ein dunkler Streif zog sich heran ... Da hieß Herr Simon Bardo seine Heerschar halten und spähte nach der Richtung: „Das sind keine Hunnen, sie kommen unberitten“. Zu größerer Fürsicht aber hieß er seine Bogenschützen den Abhang des Berges besetzen.

Aber wie der fremde Zug näher rückte, ward auch in ihren Reihen des heiligen Benedikt Ordensgewand sichtbar, ein gülden Kreuz ragte als Standarte aus den Lanzen, Kyrie eleison! klang ihre Litanei den Berg herauf ... „Meine Brüder!“ rief Ekkehard, da lösten sich die Glieder der Reichenauer Kohorte, sie rannten den Berg hinunter mit stürmischem Jubelschrei – wie sie aneinander waren, überall freudiges Umarmen: Wiedersehen in Stunde der Gefahr ringt dem Herzen ein fröhlicher Jauchzen ab denn sonst.

Arm in Arm mit den Reichenauern stiegen die fremden Gäste den Berg empor, ihren Abt Cralo an der Spitze; auf schwerfälligem Ochsenwagen in der Nachhut führten sie den blinden Thieto mit. „Gott zum Gruß, erlauchte Frau Base“, sprach Abt Cralo und neigte sich vor ihr; „wer hätt’ vor eines halben Jahres Frist gedacht, daß ich mit dem gesamten Kloster Euren Besuch erwidern würde? Aber der Gott Israels spricht: ›ausziehen laß mein Volk, auf daß es mir getreu bleibe!‹“

Frau Hadwig reichte ihm bewegt vom Rosse herab die Hand. „Zeiten der Prüfung!“ sprach sie. „Seid willkommen!“

Verstärkt durch die neuen Ankömmlinge zog die Hohentwieler Heerschar in der Burg schirmende Mauern zurück. Praxedis war in den Hof heruntergestiegen. Bei der Linde stand sie und schaute auf die einziehenden Männer; schon waren die von Sankt Gallen alle im Hofraum versammelt, unverwandt schaute sie nach dem Tor, als müsse noch einer nachkommen; doch der, den ihr Blick suchte, war nicht unter denen, die da kamen.

In der Burg ging es an ein Einrichten und Unterbringen der Gäste. Der Raum war spärlich gemessen. Im runden Hauptturm war eine lustige Halle, dort wurde mit aufgeschüttetem Stroh für notdürftig Nachtlager gesorgt. „Wenn das so fortgeht“, hatte der Schaffner gebrummt, der bald nicht mehr wußte, wo ihm der Kopf stand, „so haben wir bald die ganze Pfaffheit Europas auf unserem Fels beisammen.“

Küche und Keller gaben, was sie hatten.

Unten saßen Mönche und Kriegsleute bei lärmender Mahlzeit. Frau Hadwig hatte die beiden Äbte und wer von edeln Gästen sich bei ihr eingefunden, in ihrem Saale vereinigt; es war viel zu besprechen und zu beraten, ein Summen und Schwirren von Frag’ und Antwort.

Da erzählte Abt Cralo die Geschicke seines Klosters166.

„Diesmal“, sprach er, „ist uns die Gefahr schier übers Haupt gewachsen. Kaum ward von den Hunnen gesprochen, so tönte der Boden schon vom Hufe ihrer Rosse. Itzt galt’s. Die Klosterschule hab’ ich in die feste Verschanzung von Wasserburg geschickt, Aristoteles und Cicero werden eine Zeitlang Staub ansetzen, die Jungen mögen Fische im Bodensee fangen, wenn’s nicht noch schärfere Arbeit gibt, die alten Professoren sind zu rechter Zeit mit ihnen übers Wasser. Wir aber hatten uns ein festes Kastell als Unterschlupf hergerichtet; wo der Sitterbach durch tannbewaldet enges Tal schäumt, war ein trefflich Plätzlein, waldabgeschieden, als wenn keine heidnische Spürnase den Pfad jemals finden sollt’, dort bauten wir ein festes Haus mit Turm und Mauer und weihten es der heiligen Dreieinigkeit – mög’ sie ihm fürder ihren Schutz leihen!“

„Noch war’s nicht unter Dach und Fach, da kamen schon die Boten vom See: ›Flieht, die Hunnen sind da!‹ und vom Rheintal kamen andere: ›Flieht!‹ war die Losung, der Himmel rot von Brand und Wachtfeuer, die Luft erfüllt vom Wehgeschrei flüchtender Leute und Knarren enteilenden Fuhrwerks. Da zogen wir aus. Gold und Kleinodien, Sankt Gallus’ und Sankt Othmars Sarg und Gebein, der ganze Schatz ward noch sicher geborgen, die Bücher haben die Jungen nach der Wasserburg mitgenommen – aber an Essen und Trinken ward nicht viel gedacht, nur schmaler Mundvorrat war in die Waldburg geschafft; eiligst flohen wir dorthin. Erst unterwegs merkten die Brüder, daß wir Thieto, den Blinden, im Winkel der Alten vergessen, aber keiner ging mehr zurück, der Boden brannte unter den Füßen. So lagen wir etliche Tage still im tannversteckten Turm, oftmals nächtlich sprangen wir zu den Waffen, als stünde der Feind vor dem Tor, aber es war nur der Sitter Rauschen oder des Windes Strich in den Tannenwipfeln. Einmal aber rief’s mit heller Stimme um Einlaß. Verscheucht und todmüd’ kam Burkard, der Klosterschüler. Aus Freundschaft zu Romeias, dem Wächter am Tor, war er zurückgeblieben, wir hatten des nicht wahrgenommen. Er brachte schlimme Kunde; vom Schreck, den er erlebt, waren etliche Haare auf dem jungen Haupte über Nacht grau geworden.“

Abt Cralos Stimme wollte zittern. Er hielt an und trank einen Schluck Weines. „Der Herr sei allen christgläubigen Abgestorbenen gnädig“, fuhr er bewegt fort, „sein Licht leuchte ihnen, er lasse sie ruhen in Frieden!“

„Amen!“ sprachen die Tischgenossen. „Wen meint Ihr?“ fragte die Herzogin. Praxedis war aufgestanden, sie trat hinter ihrer Gebieterin Lehnstuhl, lauschend hing ihr Blick an des Erzählers Lippen.

„Erst wenn einer tot ist, merken die Zurückgebliebenen, was er wert war“, sprach Cralo und nahm den Faden wieder auf: „Romeias, der trefflichste aller Wächter, war nicht mit uns ausgezogen. ›Will meinen Posten halten bis zum Schluß‹, hatte er gesagt; des Klosters Zugänge verschloß er, schaffte in sichern Versteck, was wegzuschaffen war, und machte die Runde um die Mauern, Burkard, der Klosterschüler, mit ihm; dann hielt er gewaffnet Wacht in seiner Turmstube. Da kam der helle Haufen hunnischer Reiter vor die Mauern geritten, vorsichtig schwärmend; Romeias tat die üblichen Hornstöße, dann sprang er nach der Ringmauer anderem Ende und stieß abermals ins Horn, als wär’ alles wohl gehütet und besetzt: ›jetzt ist’s Zeit zum Abzug!‹ sprach er zum Schüler. Einen alten welken Strauß hatte er an den Eisenhut gesteckt, erzählte Burkard, da gingen die zwei zum blinden Thieto hinüber, der wollte den Winkel der Alten nimmer verlassen, sie aber setzten ihn auf zwei Speere und trugen ihn fort – zum hinteren Pförtlein hinaus, das Schwarzatal aufwärts fliehend.

„Schon waren die Hunnen von den Rossen gestiegen und kletterten über die Mauern; wie sich nichts regte, schwärmten sie ein wie die Mücken auf den Honigtropfen, aber Romeias ging gelassenen Schrittes mit seiner greisen Bürde bergan. ›Niemand soll vom Klosterwächter sagen, daß er struppigen Heidenhunden zulieb einen Trab angeschlagen‹ – so sprach er seinem jungen Freunde Mut zu. Aber bald waren ihm die Hunnen auf der Fährte, wild Geschrei erscholl durch die Talschlucht, – wieder ein Stück weit, da pfiffen die ersten Pfeile. So kamen sie bis an den Felsen der Klausnerinnen. Dort aber staunte selbst Romeias. Als wär’ nichts geschehen, tönte ihnen Wiborads dumpfes Psalmodieren entgegen. In himmlischer Erscheinung war ihr Not und Tod geoffenbart worden, selbst der fromme Gewissensrat Waldram vermochte ihren Sinn nicht zur Flucht zu wenden. ›Meine Zelle ist das Schlachtfeld, wo ich gegen der Menschheit alten Feind gestritten, ein Streiter Gottes deckt’s mit ›seinem Leibe167‹, so sprach sie und verharrte in der Wildnis, als alles entwich.

„Die Waldburg war nimmer zu erreichen, da suchte Romeias das abgelegenste Häuslein aus. Auf den Fels tretend ließ er den blinden Thieto sorglich durchs Dach hinab, er küßte den Greisen, eh’ er sich von ihm wandte – dann hieß er den Klosterschüler sich auf die Flucht machen: ›es könnt’ mir was Menschliches zustoßen; sag’ denen in der Waldburg, daß sie nach dem Blinden sehen‹. Vergeblich flehte Burkard zu ihm und zitierte den Nisus und Euryalus, die auch vor der Übermacht volskischer Reiter in nächtiges Waldesdunkel geflohenA4. ›Ich müßt’ zu schnell laufen‹, sprach Romeias, ›Erhitzung ist ungesund und schafft Brustschmerzen, ich muß ein Wörtlein mit den Söhnen des Teufels reden‹.

Er ging an Wiborads Zelle und klopfte an den Laden. ›Reich’ mir die Hand, alter Drache‹, rief er hinein ›wir wollen Friede machen!‹ und Wiborad streckte ihm ihre verwelkte Rechte hinaus ... dann wälzte Romeias etliche Felsblöcke an des steilen Pfades Ausgang, so daß der Zutritt von der Schwarzaschlucht gesperrt war, nahm den Schild vom Rücken und richtete die Speere; mit wehendem Haupthaar stand er in der Umwallung und blies noch einmal auf dem großen Wächterhorn, erst zürnend und kampfschnaubend, dann weich und sänftlich, bis ein Pfeil in des Hornes Krümmung hineingellte. Ein Regen von Geschossen überdeckte ihn und spickte seinen Schild, er schüttelte sie ab; da und dort klomm einer der Hunnen auf die Nagelfluhfelsen, ihm beizukommen, Romeias’ Speerwurf holte sie herunter, – der Angriff mehrte sich, wild toste der Kampf, aber unverzagt sang Wiborad ihren Psalm:

›Vertilge sie im Grimm, o Herr, vertilge sie, daß sie nicht mehr sind, damit man erkenne, daß Gott über Israel herrsche bis an die Grenzen der Erde, Sela ...‹

Soweit hatte Burkard des Kampfes Verlauf mit angeschaut, dann wandte er sich zur Flucht. Da wurden wir in der Waldburg sehr betrübt und schickten noch in der Nacht eine Schar aus, nach dem blinden Thieto zu schauen. Es war still auf dem Hügel der Klausnerinnen, wie sie heranschlichen; der Mond leuchtete auf die Körper erschlagener Hunnen, da fanden die Brüder ...“

Ein lautes Schluchzen unterbrach den Erzähler. Praxedis hielt sich mühsam an der Herzogin Lehnstuhl und weinte bitterlich.

„... Da fanden sie“, fuhr der Abt fort, „des Romeias verstümmelten Leichnam; sein Haupt hatten die Feinde abgehauen und mitgeschleppt, er lag auf seinem Schild, den welken Strauß, seine Helmzier, krampfhaft geballt in der Rechten. Gott hab ihn selig: wes Leib mit Treuen ein Ende nimmt, ein solcher dem Himmelreich geziemt! An Wiborads Laden klopften sie vergeblich, die Ziegel am Dach ihrer Klause waren zertrümmert, da stieg einer aufs Dach und schaute hinab, vor dem kleinen Altar der Zelle lag die Klausnerin in ihrem Blut, drei Schwerthiebe klafften auf dem Scheitel, der Herr hat sie gewürdigt, unter den Streichen der Heiden des Martyriums Krone zu erringen.“

Die Anwesenden schwiegen bewegt. Auch Frau Hadwig war gerührt.

„Ich hab’ Euch der Seligen Schleier mitgebracht“, sprach Cralo, „geweiht vom Blut ihrer Wunden, Ihr mögt ihn in der Kapelle der Burg aufhängen. Nur Thieto, der Blinde, war unverletzt geblieben: unentdeckt vom Feind schlummerte er in der Klause am Fels. ›Ich hab’ geträumt, es sei ein ewiger Friede über die Welt gekommen‹, sprach er zu den Brüdern, wie sie ihn weckten.

Aber im abgelegenen Sittertal blieb’s nimmer lang’ still; die Hunnen fanden den Weg zu uns: das war ein Schwärmen und Pfeifen und Grunzen, wie’s der Tannwald noch nie gehört. Unsere Mauern waren fest und unser Mut stark, doch hungrige Männer werden des Velagertseins unlustig, vorgestern war unser Vorrat aufgezehrt; wie es dunkelte, sahen wir die Rauchsäule aufsteigen vom Brand unseres Klosters; da brachen wir nächtlicherweile durch den Feind, der Herr war mit uns und bahnte den Weg, unsere Schwerter halfen auch dazu: so sind wir zu Euch gekommen ...“

Der Abt neigte sich gegen Frau Hadwig –

„... heimatlos und verwaist wie Vögel, in deren Nest der Blitz geschlagen, und bringen Euch nichts mit als die Kunde, daß der Hunne, den Gott vernichten möge, uns auf den Fersen nachfolgt ...“

„Je eher er kommt, je besser!“ sprach der Reichenauer Abt trotzig und hob seinen Becher.

„Sieg den tapfern Waffen der Streiter Gottes!“ sprach die Herzogin und stieß mit ihnen an.

„Und Rache für den braven Romeias!“ sagte Praxedis leise mit Tränen im Aug’, wie der dürre Fridinger sein Glas an das ihrige klingen ließ.

Es war spät geworden. Wilder Gesang und Kriegslärm erschallte noch im untern Saal. Der junge Bruder, der von Mutina in Welschland nach der Reichenau gekommen war, hatte sein Wächterlied wieder angestimmt.

Die Gelegenheit zu ernster Tat sollte nicht lange mehr auf sich warten lassen.

Fußnoten

A1 Hufen Landes.

A2 Unverwundbar machendes Hemd, von reinen Jungfrauen in der Christnacht unter besonderen Förmlichkeiten gesponnen.

A3 Bezeichnung für große Lastschiffe auf Bodensee und Rhein (gewöhnlich Lädine, Einzahl ›Lädi‹ zu ›laden‹ ).

A4 Nisus und Euryalus, durch hingebende Freundestreue ausgezeichnet, ziehen sich, nachdem sie im Lager der Feinde Heldentaten verrichtet haben, zurück („Äneis“, Buch 9, Vers 366); später wird Nisus von den Reitern des Volscens getötet; Volscens erliegt dem rächenden Schwert des selbst tödlich verwundeten Euryalus.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Ekkehard