Sechzehntes Kapitel. - Cappan wird verheiratet. - Wenn das Gewitter vorüber ist, kommen die Bäche trüb und erdfarbig daher geflossen. So folgt auf landerschütternde Bewegung meist eine Zeit ...

Wenn das Gewitter vorüber ist, kommen die Bäche trüb und erdfarbig daher geflossen. So folgt auf landerschütternde Bewegung meist eine Zeit kleiner verdrießlicher Geschäfte, bis das alte Geleise allenthalb wiederhergestellt worden.

Auch Frau Hadwig mußte das erfahren.


Es war viel zu richten und schlichten nach Vertreibung der Hunnen. Sie unterzog sich dem gerne, ihr beweglicher Geist und die Freude am eigenen Eingreifen erleichterten die Sorge des Regierens.

Witwen und Waisen der gefallenen Heerbannmänner kamen, und wem der rote Hahn aufs Dach der Hütte geflogen und wem die junge Saat von Rosseshuf zerstampft war: es ward Hilfe geschafft, so viel möglich! Boten an den Kaiser gingen ab mit Bericht über das Geschehene und Vorschlag künftiger Abwehr, der Burg Befestigung, wo sie sich mangelhaft erwiesen, ward gebessert, die Waffenbeute bemessen und verteilt, die Stiftung einer Kapelle auf dem Grabhügel der christlichen Kriegsmänner beschlossen.

Mit Reichenau und Sankt Gallen war viel Verhandlung; geistliche Freunde vergessen niemals Rechnung zu stellen für erwiesenen Dienst. Sie wußten eindringlich zu jammern und wehklagen über die Schädigung der Gotteshäuser und unerschwingliche Einbuße an Hab’ und Gut: daß eine Schenkung von Grund und Boden den bedrängten Gottesmännern sehr erwünscht käme, ward der Herzogin täglich ins Gehör geträufelt. Fern im Rheintal, wo der Berg von Breisach mit seinen dunkel ausgebrannten Felsrücken der Strömung sich entgegenstemmt, war der Herzogin das Hofgut Saspach195. Auf vulkanischem Boden gedeiht die Rebe, – das hätte den frommen Brüdern auf der Aue wohl getaugt; schon um den Unterschied des rheinischen Weines von dem am See erproben zu können, außerdem als geringer Ersatz für tapferes Streiten und die nötigen Seelenmessen um die Gebliebenen.

Und wie sich Frau Hadwig eines Tages dem Vorschlag, es abzutreten, nicht ganz abgeneigt erwiesen, kam schon des andern mit dem frühsten der Subprior geritten und bracht’ ein großes Pergament, drauf stund die ganze Formel der Schenkung, und klang recht stattlich, wie alles dem heiligen Pirminius solle zugewiesen sein, Haus und Hof und aller Zubehör, gerodet Land und ungerodet, Wald und Weinberg, Weide und Wieswuchs und der Lauf der Gewässer samt Mühlenbetrieb und Fischfang, und was von eigenen Leuten männlichen und weiblichen Geschlechtes auf den Huben seßhaft ... und fehlte auch die übliche Verwünschung nicht: „So sich einer vermessen sollt“, hieß es, „die Schenkung anzuzweifeln oder gar dem Kloster zu entziehen, über den sei Anathema Maranatha gesprochen, der Zorn des Allmächtigen und aller heiligen Engel treffe ihn, mit Aussatz werde er geschlagen wie Naëmann, der Syrer, mit Gicht und Tod wie Ananias und Sapphira, und ein Pfund Goldes zahle er zur Sühne des Frevels dem Fiskus196.“

„Der Herr Abt hat seiner gnädigen Herrin die Mühe sparen wollen, den Schenkbrief selbst aufzusetzen“, – sprach der Subprior, „es ist freier Raum gelassen, Namen und Grenzen des Gutes einzutragen die Unterschriften der Parteien und Zeugen beizufügen, die Sigille dranzuhängen.“

„Wisset ihr euch bei allen Geschäften so zu sputen?“ erwiderte Frau Hadwig. „Ich werd’ mir euer Pergament bei Gelegenheit ansehen.“

„Es wäre dem Abte ein liebsam und erwünscht Ding, so ich ihm heute schon die Schrift von Euch gezeichnet und gesiegelt zurückbringen könnte. ›Es ist wegen der Ordnung im Klosterarchiv‹, hat er gesagt.“

Frau Hadwig schaute den Mann von oben herab an. „Sagt Euerm Abt“, sprach sie, „daß ich eben die Rechnung stellen lasse, um wie viel der Brüder Einlagerung auf dem hohen Twiel mich an Küche und Keller geschädigt. Sagt ihm außerdem, daß wir unsere eigenen Schreibverständigen haben, so es uns zu Sinne kommt, Hofgüter am Rhein zu verschenken, und daß ...“

Es lagen ihr noch etliche bittere Worte auf der Zunge. Der Subprior fiel beschwichtigend ein und gedachte, eine Reihe von Fällen aufzuzählen, wo erleuchtete Herren und Fürsten desgleichen getan, – wie die Könige in Francien drüben dem heiligen Martinus von Tours reichlichst den Schaden ersetzt, den er durch der Normänner Plünderung erlitten, und wie erklecklich durch solche Schenkung dem Heil der Seele Vorschub geleistet sei, denn wie das Feuer durchs Wasser gelöscht werde, so die Sünde durchs Almosen ...

Die Herzogin wandte ihm den Rücken und ließ ihn samt seinen unerzählten Beispielen im Saale stehen. „Zuviel Eifer ist vom Übel!“ murmelte der Mönch; „langsam gefahren, sicher gefahren!“ Da wandte sich Frau Hadwig! noch einmal. Es war eine unbeschreibliche Handbewegung, mit der sie sprach: „Wollet Ihr mich verlassen, so gehet auch gleich und ganz!“

Er trat seinen Rückzug an.

Den Abt zu ärgern, übersandte sie noch desselben Tages dem greisen Simon Bardo für glückliche Lenkung der Schlacht eine güldene Kette.

Ein Mann, mit dessen Schicksal sich die Herzogin gern beschäftigte, war der gefangene Hunne Cappan. Der hatte anfangs böse Tage durchlebt; es war ihm noch nicht klar, warum man ihn am Leben gelassen, er lief scheu umher wie einer, der kein Recht auf sich selber mehr hat, und wenn er auf seinem Strohlager schlummerte, kamen schöne Träume über ihn: Da sah er weite blumige Gefilde, aus denen wuchsen Galgen ohne Zahl wie Disteln in die Höhe, und an jedem hing einer seiner Landsleute, und am höchsten hing er selber und fand’s ganz in der Ordnung, daß er dran hing, denn das war das Los Kriegsgefangener in selben Tagen197. Es ward aber keiner für ihn errichtet. Noch etliche Zeit schaute er mißtrauisch auf die Linde im Burghof, die hatte einen stattlichen kahlen Ast und es deuchte ihm oftmals, als winke ihm der Ast herauf und sage: „Hei! wie taugtest du, mich zu schmücken!“

Allmählich fand er jedoch, daß die Linde ein schöner schattiger Baum sei, und ward zutraulicher. Sein durchstochener Fuß heilte, er trieb sich in Hof und Küche herum und schaute mit stumpfer Verwunderung in das Getrieb deutschen Hauswesens. Er vermeinte zwar auf hunnisch, eines Mannes Heimat solle der Rücken des Rosses sein und für Weib und Kind genüge ein fellumhangener Wagen, aber wenn’s regnete oder die Abendkühle kam, schien ihm das Herdfeuer und die vier Wände nicht zu verachten, ein Trunk Wein besser als Stutenmilch und ein wollenes Wams weicher als ein Wolfspelz. So schwand die Sehnsucht des Fliehens; vor Heimweh war er geschützt, weil ihm ein Vaterland fremd.

In Hof und Garten schaltete dazumal eine Maid, die hieß Friderun und war hoch wie ein Gebäu von mehreren Stockwerken, drauf ein spitzes Dach sitzt, denn ihr Haupt hatte die Gestalt einer Birne und glänzte nicht mehr im Schimmer erster Jugend; wenn der breite Mund sich zu Wort oder Gelächter auftat, ragte ein Stockzahn herfür als Markstein gesetzten Alters. Die bösen Zungen raunten sich zu, sie sei einst Herrn Spazzos Freundin gewesen, aber das war schon lange her; seit Jahren war ihre Huld einem Knecht zugewandt, den hatten in den Reihen des Heerbannes die Hunnen erschossen – itzt stand ihr Herz verwaist.

Große Menschen sind gutmütig und leiden nicht unter den Verheerungen allzuscharfen Denkens. Da lenkte sie ihre Augen auf den Hunnen, der sich einsam im Schloßhof umtrieb, und ihr Gemüt blieb mitleidig an ihm haften wie der funkelnde Tautropfen am Fliegenschwamm. Sie suchte ihn heranzubilden zu den Künsten, die ihr selber geläufig, und wenn sie im Garten gejätet und gehackt, geschah es, daß sie ihre Hacke dem Cappan übergab; der tat, wie er’s von seiner Meisterin gesehen. Auch im Abschneiden von Bohnen und Kräutern folgte er ihrem Beispiel, – und nach wenig Tagen, wenn Wasser vom Brunnen beigeschafft werden sollte, brauchte die schlanke Friderun nur auf den hölzernen Kübel zu deuten, so hatte ihn Cappan aufs Haupt gehoben und schritt damit zum plätschernden Brunnen im Hofe.

Nur in der Küche ward am gelehrigen Schüler keine Freude erlebt, denn wie ihm einsmal ein Stück Wildbret zugewiesen war, daß er’s mit hölzernem Schlegel mürb schlage, kamen alte Erinnerungen über ihn und er zehrte ein Stück davon roh auf samt Zwiebeln und Lauch, die zu des Bratens Würze bereit standen.

„Ich glaub’, mein Gefangener gefällt dir“, rief ihr Herr Spazzo eines Morgens zu, als der Hunn’ fleißig mit Holzspalten beschäftigt war. Dunkelrot färbten sich die Wangen der hohen Gestalt. Sie schlug die Augen nieder. – „Wenn der Bursch deutsch reden könnt und kein verdammter Heidenmensch wär’ ... „ fuhr Herr Spazzo fort.

Die Schlanke schwieg verschämt.

„Ich weiß, daß du ein Glück verdienst, Friderun ....“ sprach Herr Spazzo weiter. Da löste sich Frideruns Zunge: „Von wegen des Deutschredens ...“ sagte sie mit fortwährend gesenktem Blick, „auf die Sprache käm’ mir’s gar nicht an. Und wenn er ein Heide ist, so braucht er ja keiner zu bleiben. Aber ...“

„Was aber?“

„Er kann nicht sitzen beim Essen wie ein vernünftiger Mensch. Er liegt immer den langen Weg auf dem Boden, wenn’s ihm schmecken soll.“

„Das wird ihm ein Ehegespons, wie du, sattsam austreiben. Habt ihr euch schon verständigt?“

Friderun schwieg abermals. Plötzlich lief sie davon wie ein gehetztes Wild, die Holzschuhe klapperten auf dem Steinpflaster des Hofes. Da ging Herr Spazzo zum holzspaltenden Cappan, schlug ihm auf die Schulter, daß er aufschaute, deutete mit gehobenem Zeigefinger auf die Fliehende, nickte mit dem Haupt fragend und blickte ihn scharf an. Der Hunn’ aber fuhr mit dem rechten Arm auf die Brust, neigte sich, tat dann einen mächtigen Satz in die Höhe, daß er sich um sich selber herumdrehte, wie der Erdball um seine Achse, und verzog seinen Mund zu fröhlichem Grinsen.

Da wußte Herr Spazzo, wie es mit beider Gemüt beschaffen war198. Friderun hatte des Hunnen Luftsprung nicht erschaut. Zweifel lasteten noch auf ihrer Seele, darum erging sie sich vor dem Burgtor; sie hatte eine Wiesenblume gepflückt und zupfte die weißen Blumenblättlein, eines nach dem andern: „Er liebt mich, er liebt mich nicht, er liebt mich.“ Wie sie alle ein Spiel der Winde geworden bis aufs letzte, hörte ihr Gemurmel auf; sie sah den kahlen Blumenrest mit dem einen kleinen weißen Blättlein verklärt an199 und nickte wohlgefällig lächelnd darauf nieder. Spazzo, der Kämmerer, aber trug die Sache seines Gefangenen der Herzogin vor. Geschäftigen Geistes gedachte sie sogleich dessen Schicksal zu gestalten. Der Hunn’ hatte im Garten Proben einer löblichen Kunst abgelegt; er wußte dem treulos unterirdischen Wühlen der Maulwürfe Einhalt zu tun – mit eingebogenen Weidenruten, dran er eine Schlinge festigte, hatte er manchem der schwarzen Gesellen ein unerwünscht Lebensend’ bereitet, aufgestellt baumelten sie im gleichen Augenblick zu Sonnenlicht, Galgen und Tod empor. Auch flocht er aus Draht treffliche Fallen der Mäuse und zeigte sich in allem, was niedere und niederste Jagd angeht, wohlerfahren.

„Wir weisen ihm etliche Huben Landes drüben am Stofflerberge zu“, sprach Frau Hadwig. „Als Fron-und Felddienst soll er dafür den Krieg gegen alles saatverderbende Getier führen, so weit unser Twing und Bann reicht. Und wenn die lange Friderun Gefallen an ihm hat, mag sie ihn nehmen; es wird schwerlich schon eine andere aus den Jungfrauen unseres Landes ein Aug’ auf ihn geworfen haben.“

Sie gab Ekkehard die Weisung, den Gefangenen vorzubereiten, daß er seines Heidentums ledig in die christliche Gemeinschaft aufgenommen werden möge. Der schüttelte zwar bedenklich das Haupt, aber Frau Hadwig sprach: „Der Wille muß für das gut sein, was an der Einsicht abgeht! den Unterricht möget Ihr kurz halten, so viel als den Sachsen, die der große Karl in die Weser treiben ließ, wird ihm auch deutlich werden.“

Ekkehard tat, wie ihm geheißen, und seine Lehre fiel auf gutes Erdreich. Cappan hatte auf seinen Heerzügen manch ein deutsches Wort aufgelesen und hatte, wie alle seine Landsleute, einen eigenen Sinn zu erraten, was anderer Absicht, auch wenn die Sprache nicht ganz verstanden ward. Zeichen und Bild ergänzte vieles; wenn Ekkehard vor ihm saß, das metallbeschlagene Evangelienbuch mit den goldgemalten Buchstaben aufgeschlagen, und gen Himmel deutete, so wußte der Hunn’, wovon die Rede, das Abbild des Teufels verstand er und gab in Gebärden kund, daß der zu verabscheuen sei, vor dem Zeichen des Kreuzes warf er sich, wie er von andern gesehen, in die Kniee. So gedieh der Unterricht.

Wie Cappan seinerseits sich auszudrücken vermochte, stellte sich freilich heraus, daß seine Vergangenheit eine sehr schlimme. Er nickte bejahend auf die Frage, ob er Wohlgefallen an der Zerstörung von Kirchen und Klöstern gehabt, und an den ausgereckten Fingern war abzuzählen, daß er mehr denn einmal bei solchem Frevel mitgewirkt.

Unter Zeichen aufrichtiger Reue aber tat er zu wissen, daß er in jüngeren Tagen zu Heilung von schlimmem Wundfieber ein Stück vom Herzen eines erschlagenen Klerikers aufgezehrt200; zur Sühne lernte er jetzt desto emsiger die offene Schuld aussprechen, wenn ein Wort fehlte, half ihm Friderun, und bald konnte Ekkehard erklären, daß er mit ihm zufrieden, wenn auch nicht alles in seinem Gemüt Eingang gefunden, was der Kirchenvater Augustiuns in seinem Buch von Unterweisung der im Glauben Rohen verlangt.

Da ordneten sie einen Tag zu gleichzeitigem Vollzug von Taufe und Hochzeit. Nach der Herzogin Geheiß sollten ihm drei Taufpaten gegeben sein, einer vom Kloster Reichenau, einer von Sankt Gallen und einer vom Heerbann, zum Gedächtnis an die Schlacht, drin sie ihn gefangen. Die Reichenauer sandten Rudimann, den Kellermeister; für den Heerbann trat Herr Spazzo ein. Und weil die Paten sich nicht einigen konnten, welch einen neuen Namen der Täufling führen sollte, ob Pirmin, zu Ehren der Reichenau, oder Gallus, brachten sie es vor die Herzogin zum Austrag, die sprach: „Heißet ihn Paulus, denn auch er ist schnaubend von Wut und Mord gegen die Jünger des Herrn ins Land gezogen, bis daß ihm die Schuppen von den Augen fielen.“

Es war ein Sonnabend, da führten sie den Cappan, der während des ganzen Tages gefastet, zur Kapelle der Burg und verbrachten abwechselnd die Nacht mit ihm im Gebete. Der Hunn’ war ergeben und fromm und trug sich mit ernsten Gedanken und vermeinte, der Geist seiner Mutter sei ihm erschienen in Lämmerfelle gehüllt, und hab ihm zugerufen: „Dein Bogen ist zerbrochen, duck’ dich, arm Reiterlein, die dich vom Roß gestochen, soll’n deine Herren sein!“

Zu stiller Sonntagsfrühe aber, als noch perlender Tau die Halme netzte und kaum ein erstes Lerchlein sich zum reinen Morgenhimmel aufschwang, wallte eine kleine Schar mit Kreuz und Fahne den Burgweg hinab – diesmal kein Trauerzug.

Ekkehard voraus im violetten Priestergewand, inmitten seiner Paten der Hunne, so schritten sie durch den üppigen Wieswuchs ans Ufer des Flüßleins Aach. Dort pflanzten sie das Kreuz in weißen Sandboden und traten im Halbkreis um den, der heute zum letztenmal Cappan heißen sollte; hell klang ihre Litanei durch die Morgenstille zu Gott auf, daß er gnädig herabschaue zu dem, der jetzt seinen Nacken vor ihm beuge und sich nach Befreiung sehne vom Joch des Heidentums und der Sünde.

Dann hießen sie den Täufling sich entkleiden bis auf die Umgürtung der Lenden. Er kniete im Ufersand, Ekkehard sprach die Beschwörung im Namen dessen, den Engel und Erzengel fürchten, vor dem Himmel und Erde erzittern und die Abgründe sich auftun, auf daß der böse Geist die letzte Gewalt über ihn verliere, dann hauchte er ihn dreimal an, reichte geweihtes Salz seinem Munde, als Sinnbild neuer Weisheit und neuen Denkens, und salbte ihm Stirn und Brust mit heiligem Öle. Der Täufling war wie erschüttert und wagte kaum zu atmen, so schlug ihm die Wucht der Feier ins Gemüt. Wie ihm darauf Ekkehard die Formel der Abschwörung vorsprach: „Versagst du dem Teufel und allen seinen Werken und allen seinen Gezierden?“ antwortete er mit Heller Stimme: „Ich versag’ ihm!“ und sprach, so gut er’s vermochte, die Worte des Bekenntnisses nach, drauf tauchte ihn Ekkehard in die kühle Flut des Flüßleins, die Taufe war ausgesprochen, der neue Paulus stieg aus dem Gewässer ... einen wehmütigen Blick warf er nach dem frischen Grabhügel, der sich drüben am Waldsaum türmte, dann zogen ihn die Taufpaten herauf und hüllten den Zitternden in ein blendend linnen Gewand. Vergnüglich stand er unter seinen neuen Brüdern. Ekkehard hielt eine Ansprache nach den Worten der Schrift: „Der ist selig, welcher sein Gewand treu behütet, damit er nicht nackend gehe201“ und mahnte ihn, daß er von nun an das makellose Linnen trage als Gewand der Wiedergeburt in Rechtschaffenheit und Güte, wie es die Taufe ihm verliehen, – und legte ihm die Hände auf. Mit schallendem Lobsang führten sie den Neubekehrten zur Burg zurück.

In der gewölbten Fensternische eines Gemachs im Erdgeschoß saß indessen Friderun, die lange. Praxedis huschte auf und ab wie ein unstetes Irrlicht; sie hatte sich’s von der Herzogin erbeten, die ungeschlachte Braut zu ihrem Ehrentag zu schmücken. Schon waren die Haare eingeflochten in rote Stränge von Garn, der unendlich faltenreiche Schurz wallte bis zu den hochabsätzigen Schuhen, drüber prangte der dunkle Schappelgürtel mit seiner güldfadenen Einfassung – nur wer die Braut erstreitet, darf ihn lösen – jetzt griff Praxedis die glitzernde glasperlenbehängte Krone voll farbiger Steine und Flittergold: „Heilige Mutter Gottes von Byzanzium!“ rief sie, „muß das auch noch aufgesteckt werden? Wenn du mit dem Kopfschmuck einherschreitest, Friderun, werden sie in der Ferne glauben, es sei ein Festungsturm lebendig geworden und wandle zur Trauung.“

„Es muß sein!“ sprach Friderun.

„Warum muß es sein?“ fragte die Griechin. „Ich hab’ daheim manch schmucke Braut gesehen, die trug den Myrtenkranz oder den silbergrünen Olivenzweig in den Locken, und es war gut so. Freilich in euren harzigen rußigen schwärzlichen Tannenwäldern wächst nicht Myrte und nicht Olive, aber Efeu wär’ auch schön, Friderun?“

Die drehte sich zürnend im Stuhl. „Lieber ledig bleiben“, sprach sie, „als mit Blatt und Gras im Haar zur Kirche gehn. Das mögt Ihr hergelaufenem Volk raten, aber wenn ein Hegauer Kind Hochzeit macht, muß die Schappelkrone sein Haupt schmücken, das gilt von jeher, seit der Rhein durch den Bodensee rinnt und die Berge stehen. Wir Schwaben sind all ein königlich Geschlecht, hat mein Vater immer gesagt.“

„Euer Wille geschehe“, sprach Praxedis und heftete ihr die Flitterkrone auf.

Die große Braut erhob sich, aber Falten lagerten über ihrer Stirn wie ein Schatten eilenden Gewölks, der sein vorübergehend Dunkel auf die sonnbeglänzte Ebene wirft.

„Willst du jetzt schon weinen“, fragte die Griechin, „auf daß dir in der Ehe die Tränen gespart werden?“

Friderun machte ein ernst Gesicht und der unholde Mund zog sich betrübt in die Länge, daß Praxedis Müh’ hatte, nicht zu lachen.

„Mir ist so bang“, sprach die Braut des Hunnen.

„Was soll dir bang machen, zukünftige Nebenbuhlerin der Tannen am Stofflerberg?“

„Ich fürcht’, die Burschen des Gaus tun mir einen Spuk an, daß ich den Fremden heirate. Wie der Klostermeier vom Schlangenhof die alte Witfrau vom Bregenzer Wald heimgeführt hat, sind sie ihm in der Hochzeitnacht vors Haus gezogen und haben mit Stierhörnern und Kupferkesseln und großen Meermuscheln eine Höllenmusik gemacht, wie wenn ein Hagelwetter weg zu drommeten wär’; und wie der Rielasinger Müller am ersten Tag seines Ehestands vors Haus trat, stand ein Maienbaum gepflanzt, der war kahl und dürr, und statt Blumen hing ein Strohwisch dran und ein zerlumpt grüngelb Schürzlein.“

„Sei gescheit!“ tröstete Praxedis.

Aber Friderun jammerte weiter: „Und wenn sie mir’s machen wie des Bannförsters Witib, da sie den Jägersknaben nahm? Der haben sie nachts das Strohdach entzweigeschnitten oben auf dem Hausfirst, halb zur Rechten, halb zur Linken ist’s heruntergerollt, der blaue Himmel hat in ihr Hochzeitbett geleuchtet, ohne daß sie wußten warum, und die Krähen sind ihnen zu Häupten geflogen202.“

Praxedis lachte. „Du wirst doch ein gut Gewissen haben, Friderun?“ sprach sie bedeutsam.

Aber der stand das Weinen näher.

„Und wer weiß“, sprach sie ausweichend, „was mein Cappan ...“

„Paulus“, verbesserte Praxedis.

„... in jungen Tagen für Streiche gemacht? Gestern nacht hat mir geträumt, er habe mich fest in seinen Armen gehalten, da sei ein hunnisch Weib gekommen, gelb von Gesicht und schwarz von Haar, und hab’ ihn weggerissen. ›Mein gehört er!‹ drohte sie, und wie ich ihn nicht lassen wollte, ward sie zur Schlange und ringelte sich fest an ihm auf ...“

„Laß die Schlangen und Hunnenweiber“, unterbrach sie Praxedis, „und mach dich fertig, sie kommen schon den Berg herauf ... Vergiß den Rosmarinzweig nicht und das weiße Tuch!“

Hell glänzte draußen im Burghof des Cappan weißes Festgewand. Da gab Friderun den trüben Gedanken Valet und schritt hinaus; die Ehrenmägde empfingen sie im Hof, der Neugetaufte lachte ihr fröhlich entgegen, das Glöcklein der Burgkapelle läutete, es ging zur Hochzeit203.

Die Trauung war beendet, mit strahlendem Antlitz verließ das neue Ehepaar die Burg. Frideruns ganze Sippschaft war erschienen, stämmige Leute, die an Höhe des Wuchses der Braut nicht nachstanden; sie saßen als Meier und Bauern auf den nachbarlichen Höfen; itzt zogen sie nach dem Gütlein am Fuß des hohen Stoffeln, das erste Feuer zur Einweihung des neuen Herdes anzuzünden und das Hochzeitfest zu feiern. Voraus im Zug wurde auf bekränztem Wagen der Brautschatz geführt; da fehlte die große Bettstatt von Tannenbrettern nicht, Rosen und Trudenfüße als Abwehr von Alp und Wichtelmännern und andern nächtlichen Unholden waren drauf gemalt; – an Kisten und Kasten folgte ein mannigfacher Hausrat.

Die Ehrenmägde trugen die Kunkel mit angelegtem Flachs und den schön gezierten Brautbesen von weißen Reisern, einfache Sinnbilder von Fleiß und Ordnung fürs künftige Hauswesen.

An Jauchzen und Jubelruf ließen es die Geleitsmänner nicht fehlen; dem Cappan aber war’s zu Sinn, als hätten die Fluten der Taufe in früher Morgenstund’ alle Erinnerung weggespült, daß er je streifend und schweifend ein Roß getummelt, er schritt ehrsam und bürgerlich mit Schwägern und Schwiegern, als wär’ er von Jugend ein Fronvogt oder Schultheiß im Hegau gewesen.

Noch war der Lärm der bergab Ziehenden nicht verklungen, da traten zwei schmucke Bursche vor die Herzogin und ihre klösterlichen Gäste, des Schaffners auf der kaiserlichen Burg Bodmann Söhne und Frideruns Gevattern. Sie kamen als Hochzeitbitter, jeder eine gelbe Schlüsselblume hinters Ohr gesteckt und einen Strauß am zwilchenen Gewand.

Verlegen blieben sie unter des Saales Eingang stehen, die Herzogin winkte, da traten sie etliche Schritte vor, dann noch etliche, und scharrten eine Verbeugung und sprachen den altherkömmlichen Ladspruch zum Ehrentag ihrer Base und baten, ihnen hinüberzufolgen über Weg und Steg, über Gassen und Straßen, Brück’ und Wasser zum Hochzeitshaus; dort werd’ man auftragen ein Kraut und Brot, wie selbes geschaffen der allmächtige Gott, ein Faß werd’ rinnen und Geigen drein klingen, ein Tanzen und Springen, Jubilieren und Singen. „Wir bitten Euch, laßt zwei schlechte Boten sein für einen guten, gelobt sei Jesus Christ!“ so schloß ihr Spruch, und ohne den Bescheid zu erwarten, scharrten sie die zweite Verbeugung und enteilten.

„Erweisen wir unserm jüngsten christlichen Untertan die Ehre des Besuchs?“ fragte Frau Hadwig heiter. Die Gäste wußten, daß auf Fragen, die sie so freundlich stellte, keine Verneinung zieme. Da ritten sie des Nachmittags hinüber. Auch Rudimann, der Abgesandte von Pirminius’ Kloster, ritt mit, er hielt sich schweigsam und lauernd, seine Rechnung mit Ekkehard war noch nicht abgemacht.

Der Stoffler Berg ragt stolz und lustig mit seinen drei Basaltkuppen, von dunkelm Tannwald umsäumt, ins Land hinaus. Die Burgen, deren Trümmer itzt sein Rücken trägt, waren noch nicht gebaut, nur auf dem höchsten stand ein verlassener Turm. Auf dem zweiten Bergvorsprung aber war ein bescheiden Häuslein im Waldversteck – des neuen Ehepaars Sitz. Als Zins und Zeichen, daß der Einziehende der Herzogin Mann, war ihm gesetzt, alljährlich fünfzig Maulwurfsfelle einzuliefern und auf Sankt Gallus’ Festtag einen lebenden Zaunkönig.

Auf grüner Waldwiese hatte die Hochzeitsippe ihr Lager aufgeschlagen; in großen Kesseln ward gesotten und gebraten, wem keine Platte oder Teller zuteil ward, der schmauste von tannenem Brett, wo die Gabel fehlte, ward zweizinkige Haselstaude zu deren Rang erhoben.

Cappan war mühsam zu Tisch gesessen und hielt sich aufrecht an seiner Ehefrau Seite; aber in des Gemütes Tiefe bewegte er den Gedanken, ob er nicht nach etlichen Tagen die Gewohnheit des Liegens zur Mahlzeit wieder zum alten Recht erheben wolle.

In den langen Zwischenräumen von einem Gericht zum andern – der Schmaus begann mit der Mittagstunde und sollte zum Sonnenuntergang noch nicht beendet sein – schuf der Hunne seinen vom Sitzen gequälten Gliedmaßen durch Tanzen Luft.

Von bäuerlicher Musika empfangen, kam die Herzogin angeritten. Sie schaute vom Roß herab auf die Fröhlichen, da zeigte ihr der neue Paulus seine wilde Kunst. Die Musika genügte ihm nicht, er pfiff und jauchzte sich selber den Takt; sein langes Ehgemahl drehte er in labyrinthischer Verschlingung, ein wandelnder Turm und eine Katze des Waldes, so tanzte die Langsame mit dem Behenden, bald beisammen, bald fliehend, bald Brust gegen Brust, bald Rücken gegen Rücken – dann stieß er seine Tänzerin von sich, die Holzschuhe im Schweben zusammenklirrend, tat er sieben wirbelnde Luftsprünge, einen höher als den andern, zum Beschluß ließ er sich vor Frau Hadwig ins Knie fallen und beugte sein Haupt zur Erde, als wollt’ er den Staub küssen, den ihres Rosses Huf berührt. Es sollte sein Dank sein.

Die Hegauer Vettern aber schöpften ein Beispiel löblicher Anregung aus dem ungewohnten Tanz. Es mag sein, daß mancher später sich nähere Unterweisung drin erbat, denn aus fernem Mittelalter klingt noch die Sage herüber von den „sieben Sprüng“ oder dem „hunnischen Hupfauf“, der als Abwechslung vom einförmigen Drehen des Schwäbischen und als Krone der Feste seit jenen Tagen dort landüblich ward.

„Wo ist Ekkehard?“ fragte die Herzogin, nachdem sie, vom Zelter gestiegen, die Reihen ihrer Leute durchwandelt hatte. Praxedis deutete hinüber nach einem schattigen Rain. Eine riesige Tanne wiegte ihre schwarzgrünen Wipfel, ihr zu Füßen im verschlungenen Wurzelwerk saß der Mönch. Lauter Jubel und Menschengewühl preßte ihm beklemmend die Brust, er wußte nicht weshalb – er hatte sich seitab gewandt und schaute hinaus über die waldigen Rücken in die Alpenferne.

Es war einer jener duftigen Abende, wie sie hernachmals Herr Burkart von Hohenvels auf seinem riesigen Turm überm See belauscht hat, „da die Luft mit Sonnenfeuer getempert und gemischet204“. Die Ferne schwamm in leisem Glanz. Wer einmal hinausgeschaut von jenen stillen Berggipfeln, wenn bei blauem Himmel die Sonne glutstrahlend zur Rüste geht, purpurne Schatten die Tiefen der Täler füllen und flüssiges Gold den Schnee der Alpen umsäumt, dem muß noch spät im Nebeldunst seiner vier Wände die Erinnerung tönen und klingen, lieblich wie ein Sang in den schmelzenden Lauten des Südens.

Ekkehard aber saß ernst, das Haupt gestützt in der Rechten.

„Er ist nicht mehr wie früher!“ sagte Frau Hadwig zur Griechin.

„Er ist nicht mehr wie früher!“ sprach Praxedis gedankenlos ihr nach. Sie hatte auf die hegauischen Weiber zu schauen und ihren Festschmuck und überlegte an diesen hohen Miedern und faßartig gesteiften Röcken und der unnennbaren Haltung beim Tanz, ob der Genius guten Geschmackes händeringend für immer dies Land verlassen oder ob sein Fuß es noch gar nie betreten habe.

Frau Hadwig trat vor Ekkehard. Er fuhr auf seinem Moossitz empor, als wär’ ihm ein Geist erschienen.

„Einsam und fern von den Fröhlichen?“ frug sie. „Was treibet Ihr?“

„Ich denke darüber nach, wo das Glück sei“, sprach Ekkehard.

„Das Glück?“ sprach Frau Hadwig, „das Glück kommt von ohngefähr wohl über neunzig Stunden her, heißt’s im Sprichwort. Fehlt’s Euch?“

„Es wäre möglich“, sprach der Mönch und schaute ins Moos hinab. Erneute Musik und Jauchzen der Tanzenden tönte herüber.

„Die dort das Erdreich stampfen“, fuhr er fort, „und mit den Füßen auszusprechen wissen, was ihnen das Herz bewegt, sind glücklich; es gehört wohl wenig dazu, um’s zu sein, vor allem –“ er deutete nach den schimmernden Häuptern der Alpen – „keine Fernsicht auf Höhen, die unser Fuß niemals erreichen darf.“

„Ich versteh’ Euch nicht“, sagte die Herzogin trocken. Ihr Herz dachte anders als ihre Zunge. „Wie geht es Eurem Virgilius?“ sprach sie, die Rede ablenkend; „es hat sich wohl Staub und Spinnweb über ihn gesetzt in der Not der vergangenen Tage?“

„In meinem Herzen ist er wohl geborgen“, sprach Ekkehard, „wenn das Pergament auch modert. Erst vorhin sind mir seine Verse zum Lob des Landbaus durch die Gedanken gezogen: Dort das waldumschattete Häuslein, am Bergeshang der Felder schwarzfettes Erdreich, ein neu vermählt Paar mit Hacke und Pflug, der Mutter Erde den Unterhalt abzwingend – neidig mußt’ ich des Virgilius Bild vor mir sehen:

›– ein truglos gleitendes Leben,

Reich an mancherlei Gut. Und Muße bei räumigen Feldern,

Grotten und lebende Teich’, ein Kühlung atmendes Tempe,

Rindergebrüll und unter dem Baum sanft winkender Schlummer.‹“

„Ihr wißt sinnig zu erklären“, sprach Frau Hadwig. „Des Cappan Lehenspflicht, ringsum den Maulwurf zu fahen und die nagende Feldmaus, hat Euer Neid wohl übersehen. Und die Winterfreuden! wenn der Schnee mauergleich bis an das Strohdach sich türmt, daß der helle Tag sich verlegen umschaut, durch welchen Spalt er ins Haus schlüpfen soll ...“

„Auch in solche Not wüßte ich mich zu finden“, sprach Ekkehard. „Virgilius weiß es auch:

›Mancher verbleibet dann lang’ beim späten Geflimmer des Feuers

Wach im Winter und schnitzt sich Fackeln mit schneidendem Eisen,

Während sein Weib mit Gesang sich der Arbeit Weile verkürzend

Rasch des Gewebs Aufzug durchschießt mit sausendem Kamme.‹“

„Sein Weib?“ sprach die Herzogin boshaft. „Wenn er aber kein Weib hat?“

Drüben erscholl ein brausend Jubelgelächter. Sie hatten den hunnischen Vetter auf ein Brett gesetzt und trugen ihn erhoben, wie einst den Heerführer auf dem Schild bei der Königswahl, über die Wiese. Er tat etliche Freudensprünge über ihren Häuptern.

„– und kein Weib haben darf?“ sprach Ekkehard zerstreut. Seine Stirn glühte. Er deckte sie mit der Rechten. Wohin er schaute, schmerzte ihn das Aug’. Dort das Gewirre des Hochzeitjubels – hier die Herzogin, fern die leuchtenden Gebirge: es war ihm unendlich weh, aber seine Lippen blieben geschlossen. „Sei stark und still!“ sprach er zu sich selber.

Er war in Wahrheit nicht mehr wie früher. Der stille Bücherfriede der Mönchsklause war von ihm gewichen, Kampf und Hunnennot hatten sein Denken geweitet, der Herzogin Zeichen von Huld sein Herz entzweit. Im Gang des Tages, im Traum der Nacht verfolgte ihn das Bild, wie sie ihm Reliquie und Schwert des Gatten umgehangen, und in bösen Stunden zogen Vorwürfe nebelgleich durch seine Seele, daß er’s so schweigend hingenommen. Frau Hadwig ahnte nicht, was in ihm kochte; sie dachte gleichgültiger von ihm, seit vermeintliches Nichtverstehen ihres Zuvorkommens sie gedemütigt; aber wenn sie ihn wieder sah, Kummer auf der hohen Stirn und fragende Schwermut im Aug’, so erneute sich das alte Spiel.

„Wenn Ihr solche Freude am Landbau habt“, sprach sie leicht, „ich wüßt’ Euch Rat. Der Abt von Reichenau hat mich geärgert, die Perle meiner Hofgüter mir abschwatzen wollen, als wär’s eine Brotkrume, die man vom Tisch schüttelt, ohne umzuschauen!“

– Es rauschte im Gebüsch, sie nahmen es nicht wahr. Ein dunkler Schimmer zog sich durch die Blätter – war’s ein Fuchs oder eines Mönchs Gewand?

„Ich will Euch als Verwalter drauf setzen“, fuhr Frau Hadwig fort, „da habt Ihr all die Herrlichkeit vollauf, deren Anblick Euch heute schwermütig macht, und noch mehr. Mein Saspach liegt fröhlich am Rhein, der alte Kaiserstuhl rühmt sich der Ehre, daß er zuerst in all unsern Landen die Weinrebe trug, – und sind ehrliche Leute dort, wenn sie auch eine unfeine Sprache sprechen.“

Ekkehard sah vor sich nieder.

„Ich kann’s Euch auch ausmalen, ohne daß ich zu schildern weiß wie Virgilius. Denkt Euch, es ist Herbst – Ihr habt ein gesund Leben geführt, mit der Sonne heraus, mit den Hühnern zu Bett – jetzt kommt die Weinlese, von allen Bergrücken steigen Knechte und Mägde zu Euch hernieder, den Hängkorb gefüllt mit Trauben, Ihr steht am Tor ...“

Es rauschte wieder im Gebüsch.

„... und denket darüber nach, wie der Wein wird, und besinnt Euch, auf wessen Wohl Ihr ihn trinken wollt, der Vogesenwald schaut so licht und blau zu Euch herüber, wie hier die Hörner der Alpen, da kommt’s mit Roß und Wagen vom alten Breisach her, die Heerstraße stäubt, Ihr hebet das Haupt, nun, Meister Ekkehard, wer wird angezogen kommen?“

Der Gefragte war kaum der Schilderung gefolgt. „Wer?“ sagte er scheu.

„Wer anders als Eure Gebieterin, die sich ihr herzoglich Recht nicht vergeben wird zu prüfen, wie ihre Diener schalten.“

„Und dann?“ fragte er weiter.

„Dann? dann werd’ ich Erkundigungen einziehen, wie Meister Ekkehard seiner Pflicht oblag, und sie werden alle sagen: ›Er ist brav und ernst, und wenn er nicht so viel denken und sinnen und in seinen Pergamenten lesen wollte, wär’ er uns noch lieber ...‹“

„Und dann?“ fragte er noch einmal. Sein Ton war seltsam.

„Dann werd’ ich sprechen mit den Worten der Schrift: ›Wohl, du guter und getreuer Knecht! Du warst treu über weniges, ich will dich über vieles setzen. Zeuch ein zum Freudenmahl deines Herrn.‹“

Ekkehard stand gleich einem Betäubten. Er hob seinen Arm, er ließ ihn wieder sinken, eine Träne zitterte in seinem Aug’. Er war sehr unglücklich.

... Zu selber Zeit schritt ein Mann vorsichtig aus dem Gebüsch heraus. Wie er wieder Wiesengrund unter den Füßen fühlte, ließ er die gehobene Kutte niederfallen. Er schaute bedeutsam auf die beiden zurück und nickte mit dem Haupte, wie einer, der eine Entdeckung gemacht. Er war auch nicht hingegangen, um Veilchen zu pflücken.

Das Hochzeitfest war in stufenweiser Entwicklung bis dahin gediehen, wo Chaos einzubrechen droht. Der Met wirkte in den Gemütern. Einer hing sein Obergewand an einen Baumast und fühlte unwiderstehliche Neigung, alles zu zertrümmern, ein anderer hingegen strebte, alles zu umarmen, ein dritter, der vor zehn Jahren manchen Kuß von Frideruns Wangen gepflückt zu haben sich erinnerte, saß trübsinnig am Tisch und hatte viel getrunken und sah den Ameisen zu, die ihm zu Füßen wimmelten, und sprach: „Kling, klang, gloria! Keine ist was nutz ...“ Die jungen Leute, die in der Frühe so verschämt als Hochzeitbitter bei der Herzogin waren, führten mit ihrem hunnischen Anverwandten ein germanisches Schalksspiel aus: sie hatten ein großes linnenes Laken aus einer der Hochzeittruhen gerissen, den Cappan drauf, an den vier Ecken hielten sie’s starr und schleuderten den Unseligen von der prallen Decke empor, daß er in die blauen Lüfte hinaufwirbelte wie eine Lerche205. Er hielt’s für den landesüblichen Ausdruck verwandtschaftlicher Hochachtung und schwang sich gewandt auf und nieder.

Da plötzlich tat die lange Friderun einen lauten Schrei. Alle Köpfe wandten sich, schier ließen die Vettern den Aufgeschnellten hinab ins kühle Erdreich sausen, ein Freudenjubel brach aus, ungeheuer und dröhnend, daß es schien, als wollten selber die verwitterten Basaltfelsen im Tannenwald verwundert umschauen, und die hatten in Sturm und Wetter schon manch tüchtigen Lärm gehört. Audifax und Hadumoth kamen auf ihrer Flucht aus hunnischer Hand des Wegs gezogen. Audifax führte den Gaul mit der Schatztruhe am Zügel, glückselig gingen die Kinder nebeneinand, sie hatten heut zum erstenmal den Gipfel des hohen Twiel wieder erschaut und mit frohem Aufjauchzen begrüßt. „Erzähl’ ihnen nicht alles!“ flüsterte Audifax seiner Gefährtin zu und flocht dichtes Weidengezweig um die Körbe. Schon war die lange Friderun herbeigesprungen und trug die Hadumoth halb auf den Armen weg: „Grüß Gott, verloren Söhnlein! Trink Sackpfeifer, trink Sturmläufer!“ rief’s aus aller Mund dem Audifax zu – sie wußten von des Jungen Gefangenschaft und reichten ihm die großen Steinkrüge zum Willkomm.

Die Kinder hatten unterwegs beredet, wie sie der Herzogin zu Haus entgegentreten wollten. „Wir müssen ihr schön danken“, hatte die Hirtin gesagt, „und ich muß ihr den Goldtaler zurückgeben, ich hab’ den Audifax umsonst bekommen, werd’ ich ihr sagen.“

„Nein“, hatte Audifax erwidert, „wir legen vom Hunnengold noch die zwei größten Münzen darauf und bringen ihr die dar: sie möcht’ uns gnädig bleiben wie bisher, das sei unser Dank und Buße in den Herzogsschatz, daß ich die Waldfrau erschlagen.“

Sie hatten das Gold schon gerüstet.

Jetzt sahen sie die Herzogin bei Ekkehard unter der Tanne stehen. Der tobende Lärm der Mannen unterbrach das landwirtschaftliche Gespräch der beiden. Praxedis kam gesprungen und kündete die wunderbare Mär. Jetzt kamen die jungen Flüchtlinge selber, sie führten sich. Vor Frau Hadwig knieten sie nieder, Hadumoth hielt ihren Taler empor, Audifax zwei große güldene Schaumünzen; er wollte sprechen, die Worte blieben aus ... Da wandte sich Frau Hadwig mit stolzer Anmut zu den Umstehenden:

„Die Narretei meiner zwei jungen Untertanen schafft mir Gelegenheit, ihnen meine Gnade zu beweisen. Seid dessen Zeugen!“

Sie brach einen Haselzweig vom Strauch, tat einen Schritt vor, schüttelte dem Hirtenknaben und seiner Gefährtin die Münzen aus der Hand, daß sie weit hinüberflogen ins Gras, und berührte beider Scheitel mit dem Zweig: „Stehet auf“, sprach sie, „keine Schere soll von heut an euer Haupthaar mehr kürzen, als der Burg Hohentwiel eigene Leute seid ihr gekniet, als freigesprochene und freie erhebt euch und behaltet einand so lieb in der Freiheit wie ehedem.“

Es waren die Formen der Freilassung nach salischem Recht206. Schon der Kaiser Lotharius hatte seiner alten Magd Doda den güldenen Denar aus der Hand und damit das Joch der Sklaverei vom Nacken geschüttelt. Audifax aber war fränkischer Abstammung, darum hatte sich Frau Hadwig nicht nach ihrem alemannischen Landrecht gerichtet.

Die beiden standen auf. Sie begriffen, was vorgegangen. Dem Hirtenknaben wollte es schwarz vor den Augen werden, der Traum seiner Jugend, Freiheit, Goldschatz ... alles Wahrheit geworden, dauernde Wahrheit für jetzt und immerwährendes Immer! ... Er sah Ekkehards ernstes Antlitz und warf sich mit Hadumoth vor ihm nieder: „Vater Ekkehard“, rief er, „wir danken auch Euch, daß Ihr’s wohl mit uns gemeint!“

„Wie schade, daß es schon zu spät worden“, rief Praxedis herüber, „Ihr könntet gleich noch ein Paar mit dem Band der Ehe zusammenschmieden oder wenigstens feierlich verloben, die taugen so gut zueinand wie die zwei da drüben.“

Ekkehard ließ sein blaues Aug’ lange auf den beiden ruhen. Er legte ihnen die Hand auf und machte das Zeichen des Kreuzes über sie. „Wo ist das Glück?“ sprach er leise vor sich hin. – –

In später Nacht ritt Rudimann, der Kellermeister, in sein Kloster zurück. Die Furt war trocken, er konnte zu Roß hinüber. Von des Abts Zelle glänzte noch ein Lichtschimmer in den See nieder. Er klopfte bei ihm an, öffnete die Tür halb und sprach: „Meine Ohren haben heute mehr hören müssen, als ihnen lieb war. Mit dem Hofgut zu Saspach am Rheine wird’s nichts! Sie setzt das Milchgesicht von Sankt Gallen drauf ...“

„Varium et mutabile semper femina! Wankelmütig und veränderlich stets ist das Weib207!“ murmelte der Abt, ohne sich umzuschauen. „Gute Nacht!“

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Ekkehard