Achtzehntes Kapitel. - Herrn Spazzo, des Kämmerers, Gesandtschaft. - An einem kühlen Sommermorgen schritt Ekkehard den Burgweg entlang in die wehende Frühluft hinaus. Eine schlaflose Nacht lag hinter ihm; ...

An einem kühlen Sommermorgen schritt Ekkehard den Burgweg entlang in die wehende Frühluft hinaus. Eine schlaflose Nacht lag hinter ihm; er war auf seiner Stube auf und nieder geschritten, die Herzogin hatte wilde Gedanken in ihm aufgejagt. In seinem Kopf summte und schwirrte es, als streiche ein Flug Wildenten drin herum. Er mied Frau Hadwigs Anblick und sehnte sich doch in jeder Minute, da er fern, in ihre Nähe. Die alte frohe Unbefangenheit war verflogen, sein Wesen zerstreut und fahrig geworden; jene Zeit, die noch keinem Sterblichen erspart ward, die der brave Gottfried von Straßburg hernachmals ein „stetes Leid bei stetiglicher Seligkeit“ geheißen, brach über ihn herein.

Vor sinkender Nacht hatte ein Gewitter getobt. Er hatte sein Fensterlein geöffnet und sich der Blitze erfreut, wenn sie das Dunkel durchzuckten, daß ein greller Schein die Ufer des Sees hell heraushob, und hatte gelacht, wenn’s wieder finster ward und der Donner schütternd über die Berggipfel rollte.


Jetzt war sonniger Morgen. Auf dem Gras perlten tauige Tropfen, zwischendrein im Schatten auch dann und wann ein ungeschmolzenes Eiskorn. Schweigend lag Berg und Tal, aber die gebräunte Frucht der Felder ließ ihre Halme geknickt zu Boden hangen, Hagelschlag hatte in der hochstrebenden Ernte gewütet. Aus den Felsen des Berges rieselten trübfarbige Bächlein talabwärts.

Noch regte sich’s nicht auf der Flur: es war kaum nach dem ersten Hahnenschrei. Nur fern über das Hügelland, das im Rücken des hohen Twiel sich wellenförmig ausdehnt, kam ein Mann geschritten. Das war der Hunn’ Cappan. Er trug Weidengerten und allerhand Schlingen und ging an seine Arbeit, den Feldmäusen nachzustellen. Fröhlich pfiff er auf einem Lindenblatt, – das Bild eines glücklichen Neuvermählten, ihm war in der langen Friderun Armen ein neues Leben aufgegangen.

„Wie geht’s?“ fragte ihn Ekkehard mild, als er an ihm vorüberschritt und ihn demütig grüßte. Der Hunn’ deutete in die blaue Luft hinauf: „Wie im Himmel!“ sagte er und drehte sich vergnügt auf seinem Holzschuh. Ekkehard wandte sich. Noch lang’ tönte des Schermausfängers Pfeifen durch die Morgenstille, er aber schritt zum Abhang der Felsen. Dort lag ein verwitterter Stein; ein Fliederbusch wölbte sich drüber mit üppig weißen Blüten. Ekkehard setzte sich. Lang’ schaute er in die Ferne, dann zog er ein von zierlicher Decke umfaßtes Büchlein aus seiner Kutte und hub an zu lesen. Es war kein Brevier und kein Psalterium. „Das hohe Lied Salomonis!“ hieß die Überschrift; das war kein gut Buch für ihn. Sie hatten ihn zwar einstens gelehrt, der lilienduftige Sang gelte dem brünstigen Sehnen nach der Kirche, der wahren Braut der Seele; er hatte es auch in jungen Tagen studiert, unangefochten von den Gazellenaugen und taubenweichen Wangen und palmbaumschlanken Hüften der Sulamitin; jetzt las er’s mit anderem Sinne. Ein süßes Träumen umfing ihn.

„Wer ist die, welche hervortritt wie die aufgehende Morgenröte, schön wie der Mond, erwählet wie die Sonne und schrecklich wie eine wohlgeordnete Schlachtordnung?“ Er schaute hinauf zu den Zinnen des hohen Twiel, die im Frührot glänzten, und wußte die Antwort.

Und wieder las er: „Ich schlafe, aber mein Herz wachet. Da ist die Stimme meines Geliebten, der anklopfet: ›Tue mir auf, meine Schwester, meine Freundin, meine Taube, denn meine Stirn ist voll Taues und meine Haarlocken voll perlender Tropfen.‹“ Ein Luftzug schüttelte ihm die weißen Fliederblüten aufs Büchlein, Ekkehard schüttelte sie nicht ab, er neigte sein Haupt und saß regungslos ...

Unterdes hatte Cappan wohlgemut sein Tagewerk begonnen. Es war ein Grundstück drunten in der Ebene an der Grenze des Hohentwieler Bannes; dort hatten die Feldmäuse ihr Heerlager aufgeschlagen, die Hamster schleppten ganze Wintervorräte des guten Korns in ihren Backentaschen von dannen, und die Maulwürfe zogen ihre Schachte in den kiesigen Boden. Dahin war Cappan beordert. Wie ein Staatsmann in aufruhrdurchwühlter Provinz sollte er ein geordnet Verhältnis herstellen und das Land säubern vom Gesindel. Die Fluten des Gewitters hatten die verborgenen Gänge aufgespült; leise grub er nach und schlug manch eine Feldmaus im Frührotscheine tot, ehe sie sich dessen versah, dann stellte er sorgsam seine Schlingen und Weidenruten, an andere Orte streute er ein giftig Lockspeislein, das er aus Aaronswurz und Einbeer zusammengekocht, und pfiff fröhlich zu seinem Mordwerk und ahnte nicht, was für schwere Wolken sich über seinem Haupte zusammenzogen.

Das Grundstück, wo er hantierte, stieß an Reichenauer Feldmark. Wo der alte Eichwald seine Wipfel regte, ragten etliche Strohdächer ins Waldesgrün hinein: das war der Schlangenhof. Der gehörte dem Kloster zu mit viel Huben Ackerland und Waldes; eine fromme Witfrau hatte ihn dem heiligen Pirminius zum Heil ihrer Seele vergabt. Jetzt saß ein Klostermeier darauf, ein wilder Mann mit knorrigem Schädel und harten Gedanken drin; er hatte viel Knechte und Mägde und Roß und Zugvieh und gedieh wohl, denn die kupferbraunen Schlangen, die in Stall und Hof nisteten, pflegte er rechtschaffen und ließ die Milchschüssel in der Stallecke nie leer werden, also daß sie ganz zahm und fröhlich in dem Stroh herumspielten und niemanden ein Leides taten. „Die Schlangen sind des Hofes Segen“, sprach der Alte oftmals, „das ist bei uns Bauern anders als an des Kaisers Hof.“

Seit zwei Tagen aber hatte der Klostermeier keine gute Stunde mehr gehabt. Die schweren Gewitter schufen ihm Sorge für Frucht und Feld. Als ihrer drei sonder Schaden vorübergegangen waren, ließ er anspannen und einen Sack vormjährigen Roggen aufladen und fuhr hinüber zum Diakon am Singener Kirchlein. Der lachte auf seinem Stockzahn, wie des Klostermeiers Gespann aus dem Walde vorgefahren kam, er kannte seinen Kunden. Seine Pfründe war mager, aber aus der Menschen Torheit fiel ihm immer noch ein Hinlängliches ab, daß er seine Wassersuppen schmälzen konnte.

Der Klostermeier hatte seinen Kornsack bei ihm abgeladen und gesagt: „Meister Otfried, Ihr habt Euer Sach’ brav gemacht und von meinen Äckern das Wetter ordentlich weggebetet. Vergeßt mich nicht, wenn’s wiederum zu donnern kommt.“

Und der Diakonus hatte ihm geantwortet: „Ich denk’, Ihr habt mich gesehen, wie ich unter dem Kirchentürlein stand, nach dem Schlangenhof gewendet, und aus dem Weihbrunn drei Kreuze gegen das Wetter gespritzt hab’ und den Spruch von den heiligen drei Nägeln dazu, der hat Schauer und Hagel landabwärts gejagt212. Euer Roggen könnt’ ein gut Brot geben, Klostermeier, wenn noch ein Stümplein Gerstenkorn dazugefügt wäre.“

Da war der Klostermeier wieder heimgefahren und gedachte just ein Säcklein mit Gerste zu richten als verdiente Zulage für seinen Anwalt beim Himmel. Aber schon wieder türmte sich ein giftschwarz Gewölk auf, und wie es tiefdunkel über dem Eichwald stand, kam ein weißgrau Wölklein heraufgezüngelt, das hatte fünf Zacken, wie Finger einer Hand, und schwoll an und schoß Blitze und war ein Hagelwetter, fährlicher als alles frühere. Der Klostermeier war zuversichtlich unter seiner Einfahrt gestanden: „Der von Singen sprengt mir’s wieder weg“, hatte er gedacht; aber wie die schweren Eisgeschosse in sein Kornfeld einschlugen und die Ähren umsanken wie pfeilerschossene Jugend im Feldstreit, und alles geknickt lag, da schlug er mit geballter Faust auf den Eichentisch: „Verflucht sei der Lügner in Singen!“ In heller Verzweiflung wollt’ er jetzt ein althegauisches Hausmittel anwenden, nachdem des Diakon Zauber fruchtlos: Er riß ein paar Eichenzweige vom nächsten Stamm und zupfte das Laub zu einer Streu zusammen, das tat er in sein altehrwürdiges Hochzeitgewand und hing’s an die mächtige Hauseiche. Aber die Hagelkörner schlugen fort und fort in die Kornernte trotz Hochzeitrock und Eichblattstreu. Wie festgebannt schaute der Klostermeier auf den im Regen schwebenden Bündel, ob sich der Wind draus erhebe, der den Regen verjagt: der Schönwetterwind blieb aus. Da zogen sich seine Augbrauen grimmig zusammen, er biß sich die Lippen und schritt in seine Stube. Die Knechte wichen ihm auf zehn Schritte aus, sie wußten, was es hieß, wenn ihr Meister die Lippen biß. Schier zusammengebrochen warf er sich an den eichenen Tisch und sprach lang’ kein Wort. Dann tat er einen fürchterlichen Fluch. Wenn der Klostermeier fluchte, war’s schon besser. Der Großknecht kam schüchtern herbei und stellte sich ihm gegenüber; er war ein riesiger Sohn Enaks, aber vor seinem Meister stand er blöd wie ein Kind.

„Wenn ich die Hexe wüßte!“ sprach der Meier, „die Wetterhexe, die Wolkentrude! Die sollte ihren Rock nicht umsonst über den Schlangenhof ausgeschüttet haben ... Daß ihr die Zunge im Mund verdorre!“

„Braucht’s eine Hexe zu sein?“ sagte der Großknecht. „Seit das Waldweib am Krähen drüben landflüchtig worden, läßt sich keine mehr gespüren.“

„Schweig!“ schalt der Klostermeier grimmig, „bis du gefragt bist.“

Der Knecht blieb stehen, er wußte, daß es noch an ihn kommen werde. Sie schwiegen eine Zeit. Dann fuhr ihn der Alte an: „Was weißt?“

„Ich weiß, was ich weiß“, sagte der Knecht pfiffig.

Sie schwiegen wiederum eine Weile. Der Klostermeier hatte zum Fenster hinausgeschaut, die Ernte war vernichtet. Er wandte sich.

„Sag’s!“ rief er.

„Habt Ihr die Wetterwolke gesehen“, sprach der Knecht, „wie sie übers Dunkel hingefahren ist? Was war’s? Das Nebelschiff war’s! Es hat einer unser Korn den Nebelschiffern verhandelt ...“

Der Klostermeier schlug ein Kreuz, als wollt’ er ihm die weitere Rede wehren.

„Ich kenn’s von meiner Großmutter her“, fuhr der Knecht fort. „Die hat’s im Elsaß drüben oft erzählen hören, wenn das Wetter über den Odilienberg sauste. Aus dem Land Magonia kommt’s hergesegelt, das Nebelschiff, weiß über die schwarzen Wolken, Fasolt und Mermuth sitzen drinnen, die hageln die Körner aus den Halmen, wenn ihnen der Wetterzauberer Macht drüber gegeben, und heben unser Getreide ins Luftschiff hinauf und fahren wieder heim nach Magonia und zahlen einen guten Lohn213. Das Nebelschiff rufen, trägt mehr ein, als Messe lesen; uns aber bleiben die Hülsen.“

Der Klostermeier ward nachdenklich. Dann griff er den Knecht am Kragen und schüttelte ihn.

„Wer?“ rief er heftig.

Der Knecht aber legte den Finger auf den Mund. Es war späte Nacht geworden.

In der gleichen Frühstunde, da Cappan dem Ekkehard begegnet war, ging der Klostermeier mit dem Großknecht über die Felder, den Schaden zu beschauen. Sie sprachen kein Wort. Der Schaden war groß. Aber das Land jenseits war minder verheert, als ob die Eichen des Waldes eine Grenzscheide für Einschlag des Hagels gezogen. Auf dem nahen Grundstück trieb Cappan seine Arbeit. Er hatte das Stellen der Fallen beendet und gedachte eine Weile zu ruhen. Er zog aus dem Gürtel ein Stück schwarz Brot und eine Speckseite, die glänzte weich und weiß wie frischgefallener Schnee, und war so schön, daß er mit Rührung seiner neuen Ehefrau gedenken mußte, die ihm solche Atzung zugesteckt. Und er dachte an allerlei, was sich seit der Hochzeit zwischen ihm und ihr zugetragen, und schaute sehnsüchtig zu den Lerchen empor, als sollten sie hinüberfliegen zur Kuppe des hohen Stoffeln und ihm Haus und Ehebett grüßen, und es ward ihm so wohl zumut’, daß er wieder einen mächtigen Luftsprung tat. Weil sein schlankes Ehgemahl nicht anwesend, gedachte er sich jetzt des langen Weges zur Erde zu legen, um seinen Imbiß zu verzehren, denn daheim hatte er sich immer noch zum Sitzen bequemen müssen, so sauer es ihm auch ward. Da schoß ihm durch den Sinn, daß ihm Friderun zu besserem Segen bei seiner Hantierung einen Spruch gelehrt, das Ungeziefer zu beschwören, und ihm streng aufs Herz gelegt, solchen Spruch nicht zu versäumen.

Sein Frühmahl hätt’ ihm nimmer geschmeckt, bevor er dem Befehl gehorchet.

An des Feldes Grenze war ein Stein, drein ein Halbmond gehauen, Frau Hadwigs Herrschaftszeichen. Er trat vor, zog seinen Holzschuh vom rechten Fuß, trat barfüßig auf den Grenzstein und hob die Arme nach dem Wald hin. Der Klostermeier und sein Knecht gingen zwischen den Eichen; sie blieben stehen, er sah sie nicht und sprach den Spruch, wie Friderun ihn gelehrt: „Aius, sanctus, cardia cardiani! Maus und Mäusin, Talp und Talpin, Hamster und Frau Hamsterin, lasset das Feld, wie es bestellt; fahrt in die Welt! Fahret hinunter, hinüber ins Moor, Fieber und Gicht laß euch nimmer hervor! Afrias, aestrias, palamiasit214!“

Der Klostermeier und der Großknecht hatten hinter den Eichen der Beschwörung gelauscht; jetzt schlichen sie näher. „Afrias, aestrias, palamiasit!“ sprach Cappan zum zweitenmal, da fuhr ihm ein Schlag ins Genick, daß er zu Boden stürzte, seltsame Laute klangen an des Überraschten Ohr, vier Fäuste arbeiteten sich müd auf seinem Rücken, wie Flegel der Drescher in der Scheune215.

„Gesteh’s, Kornmörder!“ rief der Klostermeier dem Hunnen zu, der nicht wußte, wie ihm geschah, „was hat dir der Schlangenhof für Leids getan, Wettermacher, Mausverhetzer, Teufelsbraten?“

Cappan hatte keine Antwort, ihm schwindelte. Das erzürnte den Alten noch mehr.

„Schau ihm ins Aug’!“ rief er dem Knecht zu, „ob’s trieft und ob’s dich verkehrt abspiegelt, den Kopf nach unten.“ – Der Knecht tat, wie geheißen. Aber er war ehrlich: „Im Aug’ sitzt’s nicht“, sprach er.

„So lupf’ ihm den Arm!“

Er riß dem Darniedergeschlagenen das Obergewand ab und prüfte den Arm: Wer mit bösen Geistern Verbindung pflog, war irgendwo am Leib gezeichnet. Aber sie fanden kein Fehl an dem Mitleidswerten, nur etliche altvernarbte Wunden. Da wären sie schier wieder zu seinen Gunsten gestimmt worden; die Menschen waren dazumal, wie ein Geschichtschreiber sagt, in ihren Leidenschaften nach Art der Wilden auffahrend und jäh veränderlich. Aber des Knechts Blick fiel von ungefähr aufs Erdreich, da kroch ein großer Hornschröter des Weges; violschwarz glänzten die Flügeldecken und die rötlichen Hörner standen ihm stolz, wie ein Geweih. Er hatte sich des Cappan Mißhandlung angeschaut und wollte jetzt feldeinwärts, denn er fand kein Wohlgefallen dran.

Der Knecht aber fuhr erschrocken zurück.

„Der Donnergugi!“ rief er.

„Der Donnerkäfer!“ rief der Klostermeier desgleichen. Jetzt war Cappan verloren. Daß er mit dem Käfer das Wetter gemacht, litt keinen Zweifel mehr, Hornschröter zieht Blitz und Hagel nieder.

„Mach’ Reu’ und Leid, Heidenhund!“ sprach der Meier und griff nach seinem Messer. Es fiel ihm etwas ein: „Auf dem Grab seiner Brüder soll er’s büßen“, sprach er weiter. „Er hat das Wetter beschworen, die Hunnenschlacht zu rächen, Art läßt nicht von Art.“

Der Knecht hatte indes den Hornschröter zwischen zwei platten Feldkieseln zermalmt und grub die Steine in den Boden216. Jetzt schleppten sie den Cappan vorwärts übers Blachfeld und schleppten ihn zum hunnischen Grabhügel und schnürten ihm mit Weidenruten Hand und Fuß zusammen; dann sprang der Knecht zum Schlangenhof hinüber und rief seine Mitknechte. Wild und mordlustig kamen sie heran, etliche davon hatten auf Cappans Hochzeit getanzt, das stand nicht im Weg, daß sie jetzt zu seiner Steinigung auszogen.

Cappan fing an nachzudenken. Was ihm zur Last gelegt ward, begriff er nicht, wohl aber, daß Gefahr da. Darum tat er einen Schrei, der klang gell und durchdringend durch die Luft, wie der Schrei eines wunden Rosses in der Todesstunde; davon ward Ekkehard aus seinen Träumen unter dem Fliederbaum aufgejagt, er kannte die Stimme seines Täuflings und schaute hinunter. Ein zweites Mal klang Cappans Schrei auf, da vergaß Ekkehard sein hohes Lied und eilte die Berghalde hinab.

Er kam zu rechter Zeit. Sie hatten den Cappan an das Felsstück gelehnt, das den Hügel deckte, und standen im Halbkreis dabei. Der Klostermeier tat kund, wie er ihn auf handhafter Tat des Wettermachens betroffen, und fragte herum, da sprachen sie ihn schuldig, gesteinigt zu werden.

In die unheimliche Versammlung sprang Ekkehard. Die Männer geistlichen Standes waren dazumal minder verblendet, als etliche hundert Jahre später, wo Tausende unter gleich begründeter Anschuldigung auf dem Scheiterhaufen verenden mußten und der Staat sein „von Rechts wegen“ drunter setzte und die Kirche ihren Segen dazu gab. Und Ekkehard, so sehr er sonst an zauberische Kunst glaubte, hatte selber einstmals im Kloster des frommen Bischofs Agobard Schrift gegen unsinnige Volksmeinung von Hagel und Wetter abgeschrieben; zürnender Unwille schuf ihm Beredsamkeit.

„Was tut ihr, Unsinnige, die ihr richten wollet, wo euch zu beten geziemt, daß ihr nicht selber möget gerichtet werden! Hat der Mann gefrevelt, so wartet bis zum Neumond, wenn der Leutpriester von Radolfszell das Sendgericht217 hält, dort mögen ihn die sieben Eidmänner verbotener Kunst zeihen, wie es des Kaisers und der Kirche Vorschrift!“

Aber die Männer vom Schlangenhof trauten ihm nicht. Ein drohend Murren erhob sich.

Da gedachte Ekkehard in den wilden Gemütern eine andere Saite anzuklingen.

„Und glaubt ihr wirklich, ihr, die Söhne des Landes der Heiligen, der Gott wohlgefälligen schwäbischen Erde, daß ein so arm hergelaufener Hunnenmensch Macht haben könnte, unsere Wolken zu beschwören? Glaubt ihr, daß die Wolken ihm gehorchen? daß nicht vielmehr ein guter Hegauer Blitz ihm das Haupt zerschmettert hätte zur Strafe des Frevels, daß ein fremder Mann ihn angerufen?“

Wenig fehlte, so hätte dieser Grund den heimatstolzen Gemütern eingeleuchtet. Aber der Klostermeier rief: „Der Donnerkäfer! Der Donnerkäfer! Wir haben ihn mit eigenen Augen zu seinen Füßen kriechen sehen!“ Da erscholl es von neuem: „Steiniget ihn!“ Ein Feldstein flog herüber und schlug den Armen blutrünstig. Da warf sich Ekkehard unverzagt über seinen Täufling und schirmte ihn mit seinem eigenen Leib. Das wirkte.

Die Männer vom Schlangenhof schauten einander an; allmählich wurden sie stumm, dann machte einer im Kreise kehrt und ging feldeinwärts, andere folgten, zuletzt stand der Klostermeier allein: „Ihr haltet’s mit dem Landverderber!“ rief er zürnend, aber Ekkehard antwortete nicht, da ließ auch er den erhobenen Stein zur Erde sinken und ging brummend von dannen.

Cappan war übel zugerichtet. Auf einem Rücken, den alemannische Bauernfäuste durchgearbeitet, wächst jahrelang kein Gras. Der Steinwurf hatte eine Wunde in den Kopf geschlagen, die blutete stark. Ekkehard wusch ihm das Haupt mit Regenwasser und machte das Zeichen des Kreuzes drüber, das rinnende Blut zu stillen, dann verband er ihn notdürftig. Er gedachte ans Evangelium vom barmherzigen Samariter. Der wunde Mann schaute dankbar aus den gekniffenen Augen zu ihm empor. Langsam führte ihn Ekkehard zur Burg hinauf, er mußte ihm zureden, bis er’s wagte, sich auf seinen Arm zu stützen. Auch der Fuß mit der Narbe aus der Hunnenschlacht tat ihm weh, stöhnend hinkte er bergaufwärts.

Auf dem hohen Twiel gab’s großen Lärm, wie sie ankamen. Alle waren dem Hunnen gut. Die Herzogin kam in den Hof herunter, sie nickte Ekkehard freundlich zu ob seiner Barmherzigkeit. Der Klosterleute Frevel an ihrem Untertan versetzte sie in zürnende Aufregung.

„Das soll nicht vergessen sein“, sprach sie; „sei getrost, Mausfänger! Sie sollen dir ein Wehrgeld zahlen für den wunden Schädel, das einer Aussteuer gleichkommt. Und für den gestörten Herzogsfrieden setzen wir ihnen die höchste Buße, zehn Pfund Silbers soll nicht genug sein. Die Klosterleute werden frech wie ihre Herren.“

Am wildesten war Herr Spazzo, der Kämmerer. „Hab’ ich darum mein Schwert von seinem Haupt zurückgezuckt“, schalt er, „wie er mit zerstochenem Schenkel vor mir lag, daß ihm’s die Lümmel vom Schlangenhof mit Feldsteinen pflastern sollen? Und wenn er auch unser Feind war, jetzt ist er getauft, und ich bin sein Pate und hab’ für seiner Seele und seines Leibes Heil Sorge zu tragen. Sei vergnügt, Patenkind!“ rief er ihm zu und klirrte mit seinem Schwert auf dem Steinboden, „wenn deine Schramme geflickt ist, begleit’ ich dich zum ersten Spaziergang, da wollen wir mit dem Klostermeier rechnen, Hagel und Wetter, rechnen wollen wir, daß ihm die Späne vom Kopf fliegen! Mit den Meiern kann’s so nicht mehr fortgehen! Die Burschen führen Schild und Waffen wie Edelleute, richten statt ziemender Bauernjagd Hunde auf Wildschweine und Bären und blasen auf ihren Weidhörnern, als wären sie die Könige der Welt. Wo einer den Kopf am höchsten trägt, ist’s ein Meier, man mag darauf wetten218!“

„Wo ist der Frevel geschehen?“ fragte die Herzogin.

„Sie haben ihn von der Feldmark, wo der Halbmond ausgehauen steht, bis an den hunnischen Grabhügel geschleppt“, sagte Ekkehard.

„Also mitten auf unserem Grund und Boden“, zürnte Frau Hadwig, „das ist zu viel! Herr Spazzo, Ihr werdet reiten!“

„Wir werden reiten!“ sprach der Kämmerer grimmig.

„Und vom Abt auf der Reichenau noch heute Wehrgeld und Friedbruchbuße und volle Genugtuung verlangen. Unsern landesherrlichen Rechten soll durch klösterliche Anmaßung kein Eintrag geschehen!“

„... durch klösterliche Anmaßung kein Eintrag geschehen!“ wiederholte Herr Spazzo noch grimmiger denn zuvor.

Selten war ihm ein annehmlicherer Auftrag geworden. Er strich seinen Bart. „Wir werden reiten, Herr Abt!“ sprach er und ging hinauf, sich zu rüsten.

Aber sein grünsamtnes Unterwams und seinen goldverbrämten Kämmerermantel ließ er geruhig im Kasten hängen; er suchte ein abgetragen grau Jagdgewand aus und legte die großen Beinschienen an, mit denen er in die Schlacht geritten, und die größten Sporen dran und probierte etlichemal einen festen Tritt. Auf den Eisenhut aber steckte er der wallendsten Federn drei und tat sein Schlachtschwert um.

So kam er in den Burghof herunter.

„Schaut mich einmal an, holdselige Jungfrau Praxedis“, sprach er zu dieser, „was mach’ ich heut für ein Gesicht?“ Er hatte den Eisenhut aufs linke Ohr gerückt und sein Haupt hochfahrend über die rechte Schulter gedreht.

„Sehr ein unverschämtes, Herr Kämmerer“, war der Griechin Antwort.

„Dann ist’s recht!“ sprach Herr Spazzo und schwang sich auf den Gaul. Er ritt aus dem Burgtor, daß die Funken stoben, mit dem erfreulichen Gefühl, daß heute Unverschämtheit Pflicht sei.

Unterweges übte er sich. Das Wetter hatte eine Tanne niedergeworfen; im Wurzelwerk haftete noch das vom Sturz mit aufgerissene Erdreich. Die schweren Äste sperrten den Pfad.

„Aus dem Weg, geistlicher Holzklotz!“ rief Herr Spazzo der Tanne zu. Wie die sich nicht rührte, zog er sein Schwert. „Vorwärts, Falada!“ spornte er die Mähre und setzte in kühnem Satze über den Baum. Im Drüberspringen tat er einen Schwerthieb ins Geäst, daß die Zweige herumflogen.

Nach weniger denn anderthalb Stunden war er schon vor der Klosterpforte. Der schmale Streif Landes, der bei niederem Wasserstand des Sees das Ufer mit der Insel verbindet, war frei von Überschwemmung und gestattete das Hinüberreiten.

Ein dienender Bruder tat ihm auf. Es war um Mittagszeit. Der blödsinnige Heribald kam neugierig aus dem Klostergarten hergelaufen, zu schauen, wer der fremde Reiter. Er drängte sich nah’ ans Roß, wie Herr Spazzo absprang. Der Hofhund tobte an seiner Kette mit Gebell dem Rappen des Kämmerers entgegen, daß er sich aufbäumte. Schier hätte Herr Spazzo Schaden genommen. Wie er mit beiden Füßen auf die Erde gesprungen war, griff er seine Schwertscheide und hieb dem Heribald flach ?ber den Rücken.

„Es ist nicht für Euch!“ rief er und strich seinen Bart, „es ist für den Hofhund. Gebt’s weiter!“

Heribald stand betroffen und griff nach seiner Schulter. „Heiliger Pirmin!“ jammerte er.

„Es gibt heute keinen heiligen Pirmin!“ sprach Herr Spazzo entschieden.

Da lachte Heribald, als wenn er seinen Mann kennte. „Eia, gnädiger Herr, die Hunnen sind auch bei uns gewesen, und war niemand da als Heribald, sie zu empfangen, aber so gottlos haben sie nicht mit ihm gesprochen.“

„Die Hunnen, sind keine herzoglichen Kämmerer!“ sprach Herr Spazzo mit Stolz.

In Heribalds blödsinnigem Gehirn begann der Gedanke aufzudämmern, die Hunnen seien nicht die schlimmsten Gäste auf deutscher Erde. Er schwieg und ging in den Garten. Dort riß er ein paar Salbeiblätter ab und rieb seinen Rücken.

Herr Spazzo schritt über den Klosterhof zum Tor, das durch den Kreuzgang ins Innere führte. Er trat fest auf. Die Glocke zum Mittagsmahl läutete. Einer der Brüder kam schnellen Ganges über den Hof. Herr Spazzo faßte ihn am dunkeln Gewand.

„Rufet mir den Abt herunter!“ sprach er. Der Mönch sah ihn verwundert an und tat einen Seitenblick auf des Kämmerers abgetragen Jagdhabit.

„Es ist die Stunde der Mahlzeit“, sprach er. „Wenn Ihr geladen seid, was ich aber ...“ er schaute wiederum etwas spöttisch auf Spazzos Jagdrock; der Schluß ward ihm erspart, der Kämmerer würdigte den hungrigen Bruder eines gediegenen Faustschlages, daß er taumelnd von der Schwelle in den Hof hinausflog wie ein wohlgeschleuderter Federball. Die Mittagssonne schien auf des Gefallenen Tonsur.

Dem Abt war bereits gemeldet worden, welch einen Frevel der Klostermeier sich an der Herzogin Mann erlaubt. Jetzt vernahm er den Tumult im Klosterhof. Wie er an sein Fenster trat, erschaute er just den frommen Bruder Yvo faustschlagbefördert in den Hof hinausfliegen. Glücklich, wer der Dinge geheimste Ursachen erkannt hat, singt Virgilius. Abt Wazmann erkannte sie, er hatte aus dem Dunkel des Kreuzgangs Herrn Spazzos Helmzier drohend herübernicken gesehen.

„Ruft mir den Abt herunter!“ rief’s zum zweitenmal vom Hofe herauf, daß die Scheiben der Zellenfenster klirrten. Unterdessen ward die Reichenauer Mittagssuppe kalt; die im Refektorium Versammelten griffen endlich zu, ohne des Abts zu warten.

Der Abt Wazmann hatte Rudimann, den Kellermeister, zu sich entboten. „Das alles“, sprach er, „hat uns der Grünspecht von Sankt Gallen wieder angezettelt. O Gunzo, Gunzo! Keiner soll seinem Nächsten ein Leid wünschen, aber doch überdenkt mein Gemüt die Frage, ob unsere Hofbauern, das riesige Geschlecht vor dem Herrn, nicht wohlgetan hätten, dem Gleisner Ekkehard die Steine an den Kopf zu werfen, die sie dem hunnischen Hexenmeister bestimmt ...“

Ein Mönch trat scheu in des Abts Gemach.

„Ihr sollt herunterkommen“, sagte er leise, „es ist einer drunten und tobt und griesgramt wie ein Gewaltiger.“

Da wandte sich der Abt zu Rudimann, dem Kellermeister, und sprach: „Es muß schlecht Wetter sein bei der Herzogin; ich kenne den Kämmerer, der ist ein sicher Wetterzeichen. Wenn seine Herrin ihren stolzen Mund zur Heiterkeit zuspitzt, so lacht er mit dem ganzen Gesicht, und wenn Wolken über ihre Stirn ziehen, so geht bei ihm ein volles Donnerwetter los ...“

„... und schlägt ein“, ergänzte Rudimann. Schwere Tritte klirrten durch den Gang.

„Es ist keine Zeit mehr zu verlieren“, sprach der Abt. „Macht Euch schnell auf den Weg, Kellermeister, reitet hinüber und drückt der Herzogin unser Bedauern aus; nehmt ein paar Silberlinge aus der Klostertruhe mit als Schmerzensgeld für den Zerschlagenen und saget, daß man für seine Genesung beten wolle. Vorwärts, Ihr seid ja sein Pate und ein kluger Mann.“

„Es wird schwer halten“, sprach Rudimann. „Sie wird recht giftig sein.“

„Bringt ihr ein Geschenk mit“, sprach der Abt. „Kinder und Frauen lassen sich gern die Augen blenden.“

„Was für eines?“ wollte Rudimann fragen, da ward die Tür aufgerissen. Herr Spazzo trat ein. Sein Gesicht lag in den richtigen Falten.

„Beim Leben meiner Herzogin!!“ rief er, „hat der Abt dieses Rattennestes heute Blei in seine Ohren gegossen, oder ist ihm Gichtbruch in die Füße gefahren? Was kommet Ihr nicht, Euern Besuch zu empfangen?“

„Wir sind überrascht“, sprach der Abt, „laßt Euch willkommen heißen.“ Er hob den rechten Zeigefinger, ihm den Segen zu erteilen.

„Brauch keinen Willkomm!“ gab ihm Herr Spazzo zurück. „Der Teufel ist heute Schutzpatron des Tages. Wir sind gekränkt! schwer gekränkt! Wir heischen Buße, zweihundert Pfund Silbers zum mindesten. Heraus damit!! Mord und Weltbrand! den landesherrlichen Rechten soll durch klösterliche Anmaßung kein Eintrag geschehen! Wir sind Gesandter.“

Er klirrte mit den Sporen auf dem Fußboden.

„Verzeihet“, sprach der Abt, „wir haben am grauen Jagdrock die Tracht des Gesandten nicht zu erkennen vermocht.“

„Beim kamelhärenen Kleid des Täufers Johannes!“ brauste Herr Spazzo auf, „und wenn ich im Hemd angeritten käme, so wär’ die Gewandung noch stolz genug, um vor euch schwarze Kutten als Herold zu treten.“

Er setzte seinen Helm auf. Die Federn nickten: „Zahlet, damit ich weiters kann. Es ist schlechte Luft hier, schlecht, sehr schlecht ...“

„Erlaubet“, sagte der Abt, „im Zorn lassen wir keinen Gast von der Insel reiten. Ihr seid scharf, weil Ihr noch nichts gegessen habt. Lasset Euch ein Klostermahl nicht gereuen. Nachher von Geschäften.“

Daß einer für seine Grobheit freundlich zum Mittagsmahl eingeladen wird, machte dem Kämmerer einigen Eindruck. Er nahm seinen Helm wieder ab. „Den landesherrlichen Rechten soll durch klösterliche Anmaßung kein Eintrag geschehen!“ sprach er noch einmal, aber der Abt deutete hinüber: da sah man die offene Klosterküche, der blonde Küchenjunge drehte den Spieß am Feuer und schnalzte mit der Zunge, denn ein lieblicher Bratenduft war in seiner Nase aufgestiegen – ahnungsvoll standen etliche verdeckte Schüsseln im Hintergrund, – ein Mönch wandelte mit riesigem Steinkrug vom Keller her durch den Hof. Das Bild war allzu lockend.

Da vergaß Herr Spazzo die amtlichen Stirnfalten und nahm die Einladung an.

Bei der dritten Schüssel strömten seine Grobheiten spärlicher. Wie der rote Meersburger im Pokal glänzte, versiegten sie ganz. Der rote Meersburger war gut. –

Unterdes ritt Rudimann, der Kellermeister, aus dem Kloster. Der Fischer von Ermatingen hatte einen riesigen Lachs gefangen, frisch und prächtig lag er im kühlen Keller verwahrt, den hatte Rudimann erlesen als Geschenk zur Beschwichtigung der Herzogin. Auf dem Schreibzimmer des Klosters hatte er auch noch zu schaffen, bevor er ausritt. Ein Laienbruder mußte ihn begleiten, das in Stroh verpackte Seeungetüm quer über sein Maultier gelegt. Herr Spazzo war hochmütig herübergeritten, demütig ritt Rudimann hinüber. Er sprach leise und schüchtern, wie er nach der Herzogin fragte. „Sie ist im Garten“, hieß es.

„Und mein frommer Mitbruder Ekkehard?“ frug der Kellermeister.

„Der hat den wunden Cappan in seine Hütte am Hohenstoffeln geleitet und pflegt ihn, er kommt vor Nacht nicht heim.“

„Das tut mir leid“, sprach Rudimann. Höhnisch verzog er seine Lippen. Er ließ den Lachs auspacken und auf die Granitplatte des Tisches im Hofe legen; die Linde warf ihren Schatten drüber, die Schuppen des Seegewaltigen glänzten, es war, als ob sein kühles Auge noch Leben hätte und schmerzlich stumm vom Berggipfel nach den blauen Wogen drüben schaute. Der Fisch war über eines Mannes Länge; Praxedis hatte einen hellen Schrei getan, wie die Strohhülle von ihm genommen ward. „Er kommt vor Nacht nicht heim!“ murmelte Rudimann und brach einen starken Lindenzweig und sperrte mit eingeschobenem Holze dem Lachs den Rachen, daß er weit aufgerissen hinausgähnte. Mit grünem Lindenblatt verzierte er das Fischmaul, dann griff er in seinen Busen, dort trug er die Pergamentblätter von Gunzos Schmähschrift, er rollte sie säuberlich zusammen und schob sie in den offenen Rachen. Neugierig sah ihm Praxedis zu; das war ihr noch nicht vorgekommen.

Jetzt nahte die Herzogin. Demütig ging ihr Rudimann entgegen, er bat um Nachsicht für die Klosterleute, es tue dem Abt leid, er sprach mit Anerkennung von dem Verwundeten, mit Zweifel vom Wetterzauber, mit Erfolg im ganzen. „Und mög’ Euch ein unwürdig Geschenk wenigstens den guten Willen des Euch stets getreuen Gotteshauses beweisen“, schloß er und trat zurück, daß der Lachs in seiner vollen Pracht sichtbar wurde. Die Herzogin lächelte halb versöhnt.

Jetzt sah sie das Pergament dem Rachen entragen. „Und das?“ sprach sie fragend.

„Das Neueste der Literatur! ...“ sprach Rudimann. Er neigte sich mit Anstand, ging zu seinem Saumtier und beeilte sich des Heimritts.

Der rote Meersburger war gut. Und Herr Spazzo, nahm’s nicht als eine leichte Sache, beim Wein zu sitzen, er dauerte aus vor den Krügen wie ein Städtebelagerer und saß festgegossen auf seiner Bank und trank als ein Mann, der sprudelnd Aufschäumen den Knaben überläßt, ernst aber viel.

„Der Rote ist die verständigste Einrichtung im ganzen Kloster, habt Ihr noch mehr im Keller?“ hatte er den Abt gefragt, wie der erste Krug leer war. Es sollte eine Höflichkeit sein, ein Zeichen der Versöhnung, daß er weiter trank. Da kam der zweite Krug.

„Unbeschadet der landesherrlichen Rechte!“ sprach er grimm, wie er mit dem Abt anstieß. „Unbeschadet!“ antwortete der mit einem Seitenblick.

Es war die fünfte Abendstunde, da schallte ein Glöcklein durchs Kloster. „Verzeihet“, sprach der Abt, „wir müssen zur Vesper, wollet Ihr mit?“

„Ich werd’ Euch lieber erwarten“, entgegnete Herr Spazzo und schaute in den dunkeln Hals des Steinkrugs. Es wogte drin noch sattsamer Bedarf für eine Stunde. Da ließ er die Mönche ihren Vespersang halten und trank einsam weiter.

Wieder war eine Stunde abgelaufen, da besann er sich, weshalb er eigentlich ins Kloster herübergeritten. Es fiel ihm nimmer deutlich ein. Jetzt kam der Abt zu ihm zurück.

„Wie habt Ihr Euch unterhalten?“ fragte er.

„Gut!“ sprach Herr Spazzo. Der Krug war leer.

„Ich weiß nicht ...“ begann der Abt.

„Doch!“ sprach Herr Spazzo und nickte mit dem Haupt. Da kam der dritte Krug.

Inzwischen kehrte Rudimann von seinem Ausritt heim, die Abendsonne neigte sich zum Untergehen, der Himmel färbte sich glühend, purpurne Streiflichter fielen durchs schmale Fenster auf die Zechenden.

Wie Herr Spazzo wieder mit dem Abte anstieß, glänzte der Rotwein wie feurig Gold im Pokal, und er sah einen Schein der Verklärung um des Abts Haupt flimmern. Er besann sich. „Beim Leben Hadwigs219“, sprach er feierlich, „wer seid Ihr?“

Der Abt verstand ihn nicht. „Was habt Ihr gesagt?“ fragte er. Da kannte Herr Spazzo die Stimme wieder. „Ja so!“ rief er und schlug mit der Faust auf den Tisch, „den landesherrlichen Rechten soll durch klösterliche Anmaßung kein Eintrag geschehen!“

„Gewiß nicht!“ sagte der Abt.

Da fühlte der Kämmerer einen fliegenden Stich in der Stirn220, den kannte er wohl und pflegte ihn den „Wecker“ zu heißen. Der Wecker kam nur, wenn er beim Weine saß; wenn er durchs Haupt brauste, so war’s ein Signal, daß in Frist einer halben Stunde die Zunge gelähmt sei und das Wort versage. Kam der Wecker zum zweitenmal, so drohte die Lähmung den Füßen. Da erhob er sich.

„Die Freude sollen die Kutten nicht erleben“, dachte er, „daß vor ihrem Klosterwein eines herzoglichen Dienstmannes Zunge stille steht!“ Er stand fest auf den Füßen.

„Halt an“, sprach der Abt, „des Abschieds Minne!“

Da kam der vierte Krug. Herr Spazzo war zwar aufgestanden, aber zwischen Aufstehen und Fortgehen kann sich noch vieles zutragen. Er trank wieder. Wie er seinen Pokal absetzen wollte, stellte er ihn bedächtig in die blaue Luft hinein, daß er auf die Steinplatten des Fußbodens fiel und zerschellte. Da ward Herr Spazzo grimmig. Verschiedenes rauchte und rauschte ihm durch den Sinn.

„Wo habt Ihr ihn?“ fuhr er den Abt an.

„Wen?“

„Den Klostermeier! Gebt ihn heraus, den groben Bauer, der mein Taufpatenkind hat umbringen wollen!“ Er ging drohend auf den Abt los. Nur einen einzigen Fehltritt tat er.

„Der sitzt auf dem Schlangenhofe“, sprach der Abt lächelnd. „Er sei Euch ausgeliefert. Ihr müßt aber selber ausziehen und ihn holen.“

„Mord und Weltbrand! wir werden ihn holen“, polterte Herr Spazzo und schlug ans Schwert, indem er nach der Türe schritt. „Aus dem Bett werden wir ihn greifen, den Bärenhäuter, und wenn er gegriffen ist, beim Tornister des heiligen Gallus! wenn er ... dann ... sag’ ich Euch ...“

Die Rede kam nimmer zum Schluß. Die Sprache stand ihm still wie die Sonne in der Amorrhiter Schlacht, da Josua ihr gebot.

Er griff nach des Abtes Becher und trank ihn leer.

Die Sprache kam nicht wieder. Ein süßes Lächeln lagerte sich auf des Kämmerers Lippen. Er schritt auf den Abt zu und umarmte ihn.

„Freund und Bruder! vielgeliebter alter Steinkrug! wie wär’s, wenn ich Euch ein Aug’ ausstäche?“ wollte er mit kämpfender Zunge zu ihm sagen; es gelang ihm nimmer, verständlich zu sein. Er preßte den Abt fest und trat ihm dabei mit dem bespornten Stiefel auf den Fuß. Abt Wazmann hatte bereits den Gedanken überlegt, ob er dem Erschöpften ein Nachtlager wolle an weisen, die Umarmung und der Schmerz seiner Zehen änderte ihm den Sinn, er sorgte, daß des Kämmerers Rückzug beginne.

Im Klosterhof ward sein Roß gesattelt. Der blödsinnige Heribald schlich sich draußen herum, er hatte ein groß Stück Zunder in der Küche geholt und gedachte dasselbe brennend des Kämmerers Roß in die Nüstern zu legen, daß es ihn räche für den flachen Hieb. Jetzt kam Herr Spazzo heraus, er hatte die Reste seiner Würde zusammengerafft. Ein Diener mit einer Fackel leuchtete.

Der Abt hatte ihm an der obern Pforte Valet gewinkt.

Herr Spazzo stieg auf seinen treuen Rappen Falada, ebenso schnell gleitete er auf der rechten Seite wieder herab. Heribald sprang bei, ihn aufzufangen, der Kämmerer fiel ihm in die Arme, des Mönchs Bart streifte stechend seine Stirn.

„Bist du auch da, Elbentrötsch221! weiser König Salomo!“ lallte Herr Spazzo, „sei mein Freund!“ Er küßte ihn, da hob ihn Heribald aufs Roß und warf seinen Zunder weg und trat darauf. „Eia, gnädiger Herr“, rief er ihm zu, „kommt recht wohl nach Hause! Ihr seid anders bei uns eingeritten wie die Hunnen, darum reitet Ihr aber auch anders von dannen wie sie, und sie haben sich doch auch aufs Weintrinken verstanden.“

Herr Spazzo drückte den Eisenhut aufs Haupt, fest griff er die Zügel; es preßte ihm noch etwas das Herz, er kämpfte mit der lahmgewordenen Zunge. Itzt kam ein Stück verlorener Kraft wieder, er hob sich im Sattel, die Stimme gehorchte.

„Und den landesherrlichen Rechten soll durch klösterliche Anmaßung kein Eintrag geschehen!“ rief er, daß es durch die stille Nacht des Klosterhofs dröhnte.

Zu derselben Zeit berichtete Rudimann dem Abt über den Erfolg seiner Sendung zur Herzogin.

Herr Spazzo ritt ab. Dem Diener, der mit der Fackel leuchtete, hatte er einen güldenen Fingerring zugeworfen. Darum ging der Fackelträger noch weit mit ihm bis zum schmalen Pfad, der über den See führte.

Bald war er am jenseitigen Ufer. Kühl wehte die Nachtluft um das heiße Haupt des Reiters. Er lachte vor sich hin. Die Zügel hielt er gepreßt in der Rechten. Der Mond schien auf den Weg. Dunkel Gewölk ballte sich fern um die Häupter der helvetischen Berge. Jetzt ritt Herr Spazzo in den Tannwald ein. Laut und gemessen schallte des Kuckucks Stimme durch die Stille. Herr Spazzo lachte. War’s fröhliche Erinnerung oder sehnende Hoffnung der Zukunft, die sein Lächeln so süß machte? Er hielt sein Roß an.

„Wann soll die Hochzeit sein?“ rief er zum Baum hinüber, drauf der Rufer saß222. Er zählte die Rufe, aber der Kuckuck war heute unermüdlich. Schon hatte Herr Spazzo zwölf gezählt, da begann seine Geduld auf die Neige zu gehen.

„Schweig’, schlechter Gauch!“ rief er.

Da tönte des Kuckucks Ruf zum dreizehnten Male.

„Der Jahre fünfundvierzig haben wir schon, und dreizehn macht achtundfünfzig“, sprach Herr Spazzo zornig. „Das gäb’ späten Brautstand.“

Der Kuckuck rief zum vierzehnten. Ein anderer war vom Rufen wach geworden und ließ itzt auch seine Stimme erklingen, ein dritter stimmte ein, das hallte und schallte neckisch um den trunkenen Kämmerer herum und war nicht mehr zu zählen.

Da ging ihm die Geduld gänzlich aus.

„Lügner seid ihr und Ehebrecher und Bäckerknechte alle zusammen!“ schalt er die Vögel, „schert euch zum Teufel!“

Er spornte sein Roß zum Trab. Der Wald schloß sich dichter. Fetzt zogen die Wolken herauf, schwer und dunkel, sie zogen gegen den Mond. Es ward stockfinster; geisterhaft ragten die Tannen, alles lag schwarz und still. Gern hätte Herr Spazzo itzt noch den Kuckuck gehört, der nächtliche Ruhestörer war fortgeflogen – da ward’s dem Heimreitenden unheimlich; eine ungestalte Wolke kam gegen den Mond geschlichen und hüllte ihn ganz ein, da fiel Herrn Spazzo ein, was ihm die Amme in erster Jugend erzählt, wie der böse Wolf Hati und Managarm, der Mondhund, dem leuchtenden Gestirn nachjagen, er sah wie der auf, da sah er den Wolf und den Mondhund deutlich am Himmel; itzt hielten sie den armen Tröster der Nacht im Rachen ... Herr Spazzo schauderte. Er zog sein Schwert. „Vince luna! Siege, o Mond!“ schrie er! mit heller Stimme und rasselte mit Schwert und Beinschienen, „vince luna“ vince luna223!

Sein Geschrei war laut und sein ehern Gerassel scharf, aber die Wolkenungetüme ließen den Mond nicht, nur des Kämmerers Roß ward scheu und sprengte sausend mit ihm durch die Waldesnacht.

Wie Herr Spazzo des andern Morgens erwachte, lag er am Fuß des hunnischen Grabhügels. Auf der Wiese sah er seinen Reitersmantel liegen, sein schwarzes Rößlein Falada erging sich fern am Waldessaum, der Sattel hing unten am Bauch, die Zügel waren zerrissen; es fraß die jungen Wiesenblumen. Langsam wandte der schlafmüde Mann sein Haupt und schaute sich gähnend um. Der Klosterturm der Reichenau spiegelte sich so ruhig und fern im See, als wenn nichts geschehen wäre. Er aber riß einen Büschel Gras aus und hielt die tauigen Halme an die Stirn. „Vince luna!“ sprach er mit bittersüßem Lächeln. Er hatte schwer Kopfweh.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Ekkehard