Eine neue Verwendung von Flugzeugen. 1921

Aus: Das Buch für Alle. Illustrierte Familienschrift. Zeitbilder. Heft 20. 1921
Autor: Otto Bränkel, Erscheinungsjahr: 1921
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Flugzeuge, Luftüberwachung, Kontrollflüge, Rettungsflüge, Versorgungsflüge, Beobachtungsflüge, Vermessungsflüge, Sibirien, Waldbrände
Wir haben im Sommer 1921 in den heißen Wochen große Wald- und Moorbrände zu verzeichnen gehabt, deren Schaden sich auf Millionen belief. Bei den gewaltigen Ausdehnungen der Wälder Amerikas und den dort häufigen Waldbränden ist die Auffindung des Herdes solcher Katastrophen nicht immer leicht. Man hat deshalb in den Vereinigten Staaten von Nordamerika einen „Wahrnehmungsdienst“ eingerichtet. Im Jahre 1921 wurden dazu einundvierzig Flugzeuge verwendet, die insgesamt dreihundertsechsundneunzig Patrouillenflüge unternahmen, achthundertzweiunddreißig Waldbrände entdeckten und über zehn Millionen Quadratmeter Wald überwachten.

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Stadtbewohner wissen ja meist nicht, welch ungeheueren Schaden Insekten aller Art unseren Nähr- und Nutzpflanzen jedes Jahr zufügen. Fachleute berechnen die Verluste auf Millionen. Die Schädlingsbekämpfung ist denn auch ein Gebiet der angewandten Naturwissenschaft geworden, da es der genauen Kenntnis der Lebensgewohnheiten der Schädlinge bedarf, um sich ihrer erfolgreich zu erwehren. In enger Zusammenarbeit mit Forst- und Landwirtschaft, Fischerei, Wasserbau, Städte- und Gemeinwesen wird heute daran gearbeitet, den Zerstörern das Leben möglichst zu erschweren und ihre Ausrottung auf mannigfache Weise herbeizuführen. Dass man Flugzeuge verwendet, um Insekten zu bekämpfen, klingt überraschend. Die Nachricht findet sich in einer amerikanischen populärwissenschaftlichen Zeitschrift, der „Science Service“. In einer großen Pflanzung von Katalpa- (Trompeten-) Bäumen hatten sich Raupen eingenistet, und ihr Vernichtungswerk betraf hauptsächlich die Kronen der Bäume. Da den gefährlichen Fressern dort nicht ohne Schwierigkeiten beizukommen war, beschloss man, einen Luftkampf gegen sie zu unternehmen. Von einem Flugzeug aus wurde das in Staubform mitgeführte Gift, das sich im Laboratoriumsversuch gegen diese Raupenart als wirksam gezeigt hatte, über die Bäume ausgeschüttet. Der Stoff ist nicht so beschaffen, dass Menschen dadurch Schaden erleiden könnten. Anders liegt der Fall bei den Raupen, von denen fast hundert Prozent zugrunde gingen. In etwa einer Minute überschüttete man vom Flugzeug aus eine Fläche, auf der fast fünftausend Bäume standen. Diese eigenartige Schädlingsbekämpfung ist vom Luftdienst der Vereinigten Staaten in Gemeinschaft mit der Ohio-Versuchsstation aus dem Departement für Forstwesen von Cleveland unternommen worden.

Neuerdings finden Flugzeuge auch beim Fischfang Verwendung. So haben englische Flieger die Boote der Walfischfänger auf ihren Fahrten begleitet und durch die Angabe der Stellen, an denen sich Wale befanden, die Arbeit wesentlich vereinfacht. Sonst mussten die Schiffe oft mehr oder weniger lange ergebnislos hin und her kreuzen, um ein gutes Fanggebiet zu erreichen. Da in unseren Tagen mehr als je vordem Zeit Geld ist, macht es sich bezahlt, Flugzeuge zum Aufsuchen der Wale zu verwenden.

Eine besondere Aufgabe hat man kürzlich in Amerika den Flugzeugen zugewiesen. Seit in den Vereinigten Staaten ein Alkoholverbot besteht, sind Umgehungen dieses Gesetzes so wie Durchstechereien aller Art im Schwang. Dass man vom Ausland her auf Schiffen Alkohol einzuschmuggeln unternahm, liegt nahe genug. Außer Kuttern, die den Ozean überall dort absuchen, wo Schmuggelschiffe zu fahren pflegen, verwendet man nun neuerdings auch Flugzeuge zu Aufklärungszwecken. Diese fliegende Seepolizei ist den Schmuggelschiffen schon recht unangenehm geworden. Ihr erster Erfolg war die Auskundschaftung und Festnahme des englischen Schoners „Annabelle“, dem in der Bai von Florida das Handwerk gelegt wurde. Vierzehn bewaffnete Flugzeuge, ein ganzes Geschwader, zwangen die Besatzung des Schmugglerfahrzeuges, sich widerstandlos zu ergeben. Der mit über zehntausend Fässern Whisky befrachtete Schoner wurde in einen Hafen dirigiert, wo man den Wert des verbotenen Getränkes auf mehr als drei Millionen Dollar schätzte.

Es boten sich aber auch noch weitere Möglichkeiten der Verwendung von Flugzeugen. So unternahm der um das Zustandekommen der großzügigen Walchenseeanlagen zur Gewinnung von Wasserkraft hochverdiente Oskar von Miller am 6. Juli 1921 eine Flugzeugfahrt, die ihm einen Gesamtüberblick des seiner Vollendung entgegengehenden „Bayernwerkes“ bot. Nach dem Urteil dieses erfahrenen Ingenieurs wären Flugzeugfahrten zur generellen Projektierung von Wasserkraftanlagen von höchstem Wert, denn man sieht vor sich alle Täler, die sich zur Aufspeicherung von Wasser eignen, man überblickt die Punkte, an denen sich Talsperren besonders günstig ausführen ließen, man erkennt mit einem Blick die Flussschleifen, die sich durch Tunnel oder Kanäle abkürzen lassen, und man kann auch die Plätze aussuchen, die für die Errichtung der Turbinenanlagen in Betracht kommen.

Photographische Luftbildaufnahmen können die persönliche Beobachtung vom Flugzeug aus nicht ersetzen. Der Vorteil einer weiten allgemeinen Übersicht tritt ganz besonders hervor, wenn es sich darum handelt, Fernleitungsnetze für eine elektrische Landesstromversorgung zu trassieren. Mit einem Katasterpinn in der Hand kann der Ingenieur vom Flugzeug aus die Leitungsführung fast direkt einzeichnen, da er sofort übersieht, welche Schwierigkeiten der einen Linie durch Wälder, Sümpfe, Häuser gegenüberstehen, und welche Erleichterungen eine andere Linienführung bieten würde.

Oskar von Miller sagt geradezu: „Gewiss wären die generellen Trassierungsarbeiten des ,Bayernwerks‘ ganz wesentlich erleichtert und beschleunigt worden, wenn zu deren Durchführung ein Flugzeug zur Verfügung gestanden hätte.“

Beobachtung vom Flugzeug aus würde nach seiner Ansicht nicht nur für Wasserkraftprojekte und Fernleitungsanlagen von Vorteil sein, sondern auch für das Entwerfen von Eisenbahnlinien, Land- und Wasserstraßen.

Diese lehrreiche Hin-und Rückfahrt von München nach dem Walchenseewerk währte zweieinhalb Stunden.

Bemerkenswerte Ergebnisse zeitigte der Flug des Fliegerhauptmanns Franz Hailer, den er im März 1922 mit dem Ingenieur Rockenfeller und dem Fliegerphotographen Rüge ins Hochgebirge unternahm, wobei er auf der Zugspitze, Deutschlands höchstem Berg, landete. Hailer entschloss sich zu diesem Wagstück, weil er die Verwendbarkeit des Flugzeuges nicht nur über Hochgebirge, sondern auch im Hochgebirge, im Verkehr zwischen Flachland und Gebirge erweisen wollte. Man erreicht in einer Stunde, was man zu Fuß in Zwölf Stunden mühsamen Steigens erklimmt. Das Flugzeug kann im Hochgebirge die Verproviantierung der Schutzhütten übernehmen, indem es für fünf bis sechs Hütten Verpflegung mitführt und in Netzen abwirft. Das stellt sich billiger als das Hinaufschaffen durch Träger und Tragtiere. Aber das Flugzeug kann auch wertvoll für das Kontroll- und Rettungswesen im Hochgebirge werden. So eröffnen sich dem Flugwesen gewiss auch weiterhin noch vielerlei Möglichkeiten im friedlichen
Dienste.

Mehr noch als die modernen Selbstladebüchsen haben die Waldbrände unter dem Wildbestand Sibiriens aufgeräumt. In den trockenen Sommermonaten brennt der Wald immer irgendwo. Von oben sind die alten Brandstellen deutlich zu erkennen: der Hochwald ist auf weite Flächen niedergelegt, und aus dem jungen grünen Unterholz starren die schwarzen Strünke. Wir sehen bei unserem stundenlangen Flug hier und dort über den Wäldern graue Rauchschwaden lagern. Obwohl es sonniges Wetter ist, wird die Fernsicht durch den Rauch verschleiert. Durch die Kabinenfenster, die wir der Hitze wegen offenlassen, spüren wir auch bei uns oben den Brandgeruch, obwohl wir in durchschnittlich 1000 Meter Höhe über dem Wald fliegen. Aber das alles sind nur kleine Waldbrände.

Im Sommer 1915 bedeckte die Brandfläche einen Raum von der Größe Deutschlands, und der Rauchdunst verbreitete sich über eine Fläche wie Europa. Es ist erschütternd zu überdenken, welche wirtschaftlichen Werte durch die Waldbrände vernichtet werden. Europa reicht schon lange nicht mehr mit seiner eigenen Holzproduktion aus und muss Holz von weither einführen, obwohl das Holz als Heizstoff und Rohstoff immer mehr zurückgedrängt wurde. Und hier im Herzen Asiens werden Millionen Tonnen jährlich nutzlos vom Feuer gefressen. Machtlos steht der Mensch diesem
Wüten blinder Elemente gegenüber. Aber endlich muss auch hier eingegriffen werden, ehe die vierhundert Millionen Hektar des sibirischen Waldes verkohlt sind. Man bedenke: ein Holzbestand, der bei planmäßiger Bewirtschaftung jährlich fünfhundert Millionen Tonnen Holz — das entspricht dem Heizwert der gesamten englischen Kohle — liefern könnte.

Die erste deutsche Flugzeuglandung auf der Zugspitze

Die erste deutsche Flugzeuglandung auf der Zugspitze