Eine neue Kaiseryacht - Standart

Aus: Prometheus. Illustrierte Wochenschrift über die Fortschritte in Gewerbe, Industrie und Wissenschaft
Autor: Witt, Otto N. Dr. (?-?) Herausgeber, Prof. an der Kgl. Technischen Hochschule Berlin, Erscheinungsjahr: 1897

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Staatsyacht, Russland, Standart, Russischer Kaiser, Beschreibung,
Einen schwimmenden Hofstaat, wie er in seiner Einrichtung und Ausstattung nicht vollendeter gedacht werden könnte, bildet die in unserer Abbildung wiedergegebene neue russische Kaiseryacht. Sie wurde auf Befehl des verstorbenen Zaren bei der Firma Burmeister & Wain in Copenhagen am 1. Juli 1893 in Bau gegeben. Nach russischem Brauch erschien der Kaiser am 13. Oktober 1893 zur Legung der ersten Kielplatte, welcher Feierlichkeit der Zarenfamilie noch einige russische Würdenträger beiwohnten. Der Stapellauf des Schilfes konnte bereits im März 1895 stattfinden, und der jetzige Kaiser hatte für den Tag der Ablauffeierlichkeit, den 10. März, den Jahrestag der Geburt seines verstorbenen Vaters, angesetzt. Dichtes Eis bedeckte damals den Hafen und so musste man über 100 Arbeiter einstellen, welche eine Ablaufrinne für das kaiserliche Fahrzeug herstellten. Der Ablauf gestaltete sich zu einer großartigen Festlichkeit, da außer der Zarenfamilie noch die dänische Königsfamilie, die russischen Minister und der gesamte Hofstaat zugegen waren. Bei den getroffenen sicheren Vorkehrungen ging der Stapellauf der Kaiseryacht glücklich von statten. —

Die Konstruktion dos Standart verbindet vollendete Formschönheit mit vollkommener Einrichtung und praktischer Ausstattung. In dieser Beziehung reicht die augenblicklich noch in Fahrt befindliche Yacht Polarstern nicht annähernd aus und machte aus diesem Grunde den Neubau erforderlich. Die viel ältere Yacht Livadia hatte mehrfach innere Brände zu überstehen und endete schließlich in einem Hafen des Schwarzen Meeres. Der Standart hat eine Gesamtlänge von 113 m, eine größte Breite von 15,35 m und eine Tiefe von 10,90 m. Seine Wasserverdrängung beträgt bei einem Tiefgang von 6,10 m 5.200 Tonnen. Die Maschinen, welche nach dem Dreifach-Expansions-System erbaut sind, indizieren 10.600 PS, treiben zwei Schrauben und geben dem Schiff eine Geschwindigkeit von zwanzig Knoten die Stunde. Achtzehn Wasserrohrkessel nach dem System Belleville liefern den für die Treibkraft erforderlichen Dampf. Die Ausrüstung in Bezug auf Heizung, Ventilation, elektrische Beleuchtungsanlage, Destillierapparate, Eismaschinen etc. ist eine außergewöhnlich vollkommene. Die Rudervorrichtung wird hydraulisch bewegt und kann im Fall einer Havarie auch durch Handkraft bedient werden.

Die inneren Räumlichkeiten der Kaiseryacht zerfallen in zwei große Abteilungen: eine für den Kaiser und seine Familie oder für Personen seiner nächsten Umgebung, die andere für Würdenträger, Personen seines Gefolges und Bedienstete. Beim Betreten der Kaiseryacht gelangt man zunächst auf das Sturmdeck, welches in der Höhe der Bordwand des Schilfes liegt und mit Galleriestützen umgeben ist. Oberhalb dieses Deckes zwischen Großmast und Heck der Yacht befindet sich ein großer Saal, dessen Bedachung das Oberlicht für diesen Raum trägt und das Promenadendeck bildet. Der Saal ist für Festlichkeiten bestimmt und fasst ungefähr 70 Personen. Die Wände sind mit feinem blaugrauen Maroquin in Sternmuster bekleidet, die Paneelungen sind in hellem Eichenholz mit eingelegtem Ahorn gehalten; von der Decke hängen drei elektrische Lampen herab. Der ungefähr 15 m lange Saal ist in 2 Empfangszimmer für den Zaren und einen Ruhesalon für die kaiserliche Familie geteilt. Die Außenwände des Salonaufbaues wie das ganze Aufbaudeck sind in Teakholz ausgeführt. Vom Sturmdeck aus gelangt man durch den Saal nach unten gehend auf einer in Rotbuchenholz geschnitzten Treppe nach dem Hauptdeck, welches die Zimmer für die kaiserliche Familie, die Offizierskammern, die Räumlichkeiten für den „Chef" des Standart, den kaiserlichen Speisesaal und die Kirche enthält. —

Die Zahl der für die kaiserliche Familie vorgesehenen Zimmer beträgt ungefähr 30. Wenn auch die sämtlichen Räume in den kostbarsten und verschiedensten Holzarten ausgeführt sind, so macht doch das Ganze keinen prunkvollen Eindruck, sondern den einer gediegenen Einfachheit. Alles ist in zarten Farben ohne Vergoldung gehalten; die Decken sind ohne besondere Dekoration weiß lackiert, Bettstellen und Lampen vernickelt. Unter den Räumlichkeiten für die Offiziere bildet die Offiziersmesse einen großen in Nussbaum ausgeführten Salon. Ein geblümter Linoleumteppich bildet den Fußbelag; in der Mitte des Raumes steht ein großer Speisetisch, am Ende des Salons ein Buffet mit Spiegelglas-Aufsatz; ein Klavier und Bücherschränke vervollständigen die Einrichtung. Jede der Offizierskammern, die sich zu beiden Seiten eines Mittelganges bis ins Vorschiff erstrecken, hat ein Bett mit Federmatratze, einen Schreibtisch aus Nussbaumholz, eine Servante mit eingelegter Spiegelscheibe und einen Kleiderschrank. Für den Chef des Standart, den Marineminister und den General-Admiral sind größere und feiner ausgestattete Zimmer vorhanden. — Den kaiserlichen Speisesaal bildet ein dreifenstriger Raum, dessen Täfelungen und Türen in Eberesche ausgeführt sind.

Die Gemächer des Kaisers wie der Kaiserin bestehen in einem Kabinett, Schlafgemach und Badezimmer. Das Kabinett des Kaisers hat zwei Fenster; die Täfelungen sind in gelbem amerikanischen Kirschenholz ausgeführt. Möbel und Schreibtisch sind in demselben Holz gehalten. Stühle und Sophas sind mit blaugrauem Leder bezogen. Die Räume der Kaiserin sind in weiß-grauem amerikanischen Birkenholz ausgeführt, Möbel und Wände sind mit geblümtem Cretonnestoff überzogen. Die Wände des Schlafgemachs und des Badezimmers sind von einer Anzahl dicker Spiegelscheiben bedeckt. Auch für die Kaiserin-Witwe, für den Großfürst-Thronfolger, den Großfürsten und die Großfürstin sind Räumlichkeiten vorgesehen, die sich in ihrer Ausstattung nicht wesentlich von den kaiserlichen Gemächern unterscheiden.

Zwischen den Offizierskammern und den kaiserlichen Räumen befindet sich die Kirche, ein mit einem Altar versehener und mit biblischen Wandbildern geschmückter Raum. Unterhalb dieser eben beschriebenen Deckseinrichtung befindet sich das Zwischendeck, welches die Mannschaftsräume birgt und außerdem das Lazarett und die Apotheke enthält. liier liegen auch die Badezimmer für die Mannschaft und für die Heizer, die Dynamomaschinen, die Destillierapparate, die Eismaschinen, und ganz hinten im Schiff der Raum für den hydraulischen Steuerapparat. Unterhalb dieses Decks befinden sich noch die Tasten und Provianträume, die Munition, die Kohlenbunker und Kettenkasten. Die Dreimast-Schooner-Takelage des Schiffes ist leicht und geschmackvoll. Die Yacht führt zehn Rettungsboote, ihre Besatzung beläuft sich auf ungefähr 400 Matrosen und Heizer.

Die neue russische Kaiseryacht Standart

Die neue russische Kaiseryacht Standart