An Frau Anna Croissant-Rust in Ludwigshafen am Rhein Wels am Traunflusse, den 24. April.

LIEBER KAMERAD! Sie haben schon manche Beichte von mir vernommen und sind den Kreuz- und Querfahrten meines Lebens immer eine anteilnehmende Beobachterin gewesen, obwohl es nicht immer lustig für eine gute Freundin gewesen sein mag, diesem Zick-Zack-Kurs eines im Irrgarten der Liebe taumelnden lyrischen Kavaliers zuzuschauen. Darum sollen Sie nun einmal von einer Fahrt vernehmen, die schon deshalb erfreulich ist, weil ich sie an der Seite eines Wesens machen darf, unter dessen gütiger und guter Leitung ich gewiß nicht mehr taumeln werde. Womit ich meinem guten Kameraden in der Literatur meinen Lebenskameraden vorgestellt und seiner Freundschaft empfohlen haben will. Wie werden es gewiß mit mir wünschen, daß unsre Lebensfahrt immer so glatt und vergnüglich vor sich gehen möge, wie unsre Adlerwagenfahrt, von der ich Ihnen die Strecke Wien-München in schnellen Briefen zu erzählen gedenke.

Wir sind gestern von Wien abgefahren und haben am ersten Tage den Weg durch den Wiener Wald genommen. Wiener Wald, – das klingt wie Walzer, nicht wahr? Und in der Tat hat diese sanft geschwungene, weiche und doch frische Landschaft etwas walzerhaft heiteres und gemütliches. Durchfährt man sie, wie wir, an einem schönen Frühlingstage, so ist anmutigeres an Landschaftsgenuß kaum zu denken. Daß man da nicht rast, bloß weil man es von wegen ein paar Pferdekräften könnte, werden Sie begreifen. Wir haben uns Zeit genommen und haben oft genug Halt gemacht zu ruhiger Umschau. Nur die Berge herunter ließen wir den Wagen zuweilen laufen, um dann, im Schusse, über den nächsten sanften Waldrücken weg zu schwingen. Es war höchst angenehm, und wir waren im Grunde recht froh, die große Stadt im Rücken und wieder die braven elastischen Continentalpneu’s unter uns zu haben. Der Adlerwagen hatte nach der wohlverdienten Wiener Ruhepause seinen schönsten Viertakt, und es schien, als freue sich der Motor, wieder arbeiten zu dürfen. Selbst beträchtliche Berge nahm er mit einer raschen Sicherheit, die ich selber immer haben möchte, wenn es gilt, Lebensschwellen zu nehmen.


Abgesehen vom Wiener Walde ist die oberösterreichische Landschaft die schönste, die uns bis jetzt beschieden gewesen ist.

Immer ein weiter Blick über welliges Gelände, das überall Reichtum des alten Kulturlandes zeigt, saubere, nette Ortschaften, häufig schöne, alte Schlösser oder Klöster, alles von einem heiteren wohlhäbigen Charakter. Daß wir, statt weiter zu fahren, in Melk Rast machten, reut uns nicht. Allein der Anblick der hoch thronenden, alten Benediktiner-Abtei und der kleine Spaziergang über die Brücke, sowie die Überfahrt mit der Fähre über die breite, stark strömende Donau waren es wert. Auch Wels zu besuchen, verlohnt sich, denn diese ehemalige Hauptstadt von Ober-Österreich hat für den behaglichen Reisenden, der nicht bloß die „wichtigen“ Städte „mitnimmt“, allerhand Reize. In Wels residierte mit Vorliebe Kaiser Maximilian I., der hier in seiner Burg gestorben ist, wo jetzt ein Großhändler mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen wohnt. Aus der früheren üppigen Zeit stammen wohl auch die im Verhältnis geradezu massenhaften Gasthäuser, bei deren Anblick man sich fragt, für wen sie noch offen gehalten werden. Im Greifen, wo wir rasten, geben zwei in die Wand gelassene Tafeln ein ganzes Register von Kaisern und Königen, die seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts bis in seine sechziger Jahre hier Logis genommen haben. Draußen aber sind moderne Wappen, die Verbandszeichen von Radfahrern und Automobilisten, angebracht, die dieses Gasthaus bevorzugen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Eine empfindsame Reise im Automobil