Rom, den 4. Juli, im Hotel Continental.

Es war nicht leicht heute früh, von den gastfreundlichen Benediktinern in Monte-Cassino loszukommen, und wir haben uns gewissermaßen heimlich davon gemacht, indem wir es nicht darauf ankommen lassen wollten, daß wir doch noch zurückgehalten würden, wenn wir persönlich Abschied nahmen. Dieses ganz ungemein lebhafte Gastfreundschaft der Monte-Cassinesen gehört zu den Traditionen dieses ersten und obersten Klosters der Christenheit und wird gegen Jedermann geübt, aber sie äußert sich besonders stark dann, wenn es sich, wie bei uns, um Gäste handelt, bei denen man aus irgend einem Grunde eine besondere Anteilnahme an dem Ganzen oder einem Teilgebiet der klösterlichen Interessen voraussetzen kann. In uns erkannte man Leute, die sich für die Kunstübung des Klosters interessieren würden, und aus diesem Grunde brachte man uns mit dem ehrwürdigen Pater Desiderius zusammen, der, als jetziges Haupt der Mönchsmalerschule von Beuron, die er im Verein mit dem verstorbenen Pater Gabriel gegründet hat, das Geschäft der künstlerischen Ausschmückung der ältesten Räume des Klosters Sancti Benedicti leitet. Die Kunstschule der Beuroner Benediktiner, auf die auch der Kaiser einmal lobend hingewiesen hat, ist vor etwa dreißig Jahren gegründet worden, aber sie ist, wie es im Wesen einer mönchischen Anstalt liegt, kaum in die eigentliche Öffentlichkeit getreten, und ich gehe wohl nicht fehl, wenn ich annehme, daß Professor Muther ihrer in seinem Werke von der modernen Malerei nicht Erwähnung tut. Ich selber wußte von ihr bis heute so gut wie nichts, und ich muß gestehen, daß ich mir von dem, was wir von ihren Leistungen hier sehen sollten, nicht eigentlich einen Kunstgenuß versprach. Aber immerhin: Malereien heutiger deutscher Mönche im Hause des heiligen Benedikt auf Monte-Cassino, – das lockte mindestens als Kuriosität. – Pater Desiderius begrüßte uns in der Kirche, wo eben einem verstorbenen Mitgliede des Klosters das Totenamt gehalten wurde. In ihm trat uns ein ganz andrer Typus des Benediktinertums entgegen, als in den fast elegant zu nennenden gelehrten italienischen Klosterherren: auf einem breitschultrigen, ein wenig gebückten Körper ein prachtvoller alter bärtiger Apostelkopf entschieden deutschen Gepräges; die Bewegungen und Gesten langsam wie die Sprache, – ein breites gemütliches Deutsch. Der ganze Mann überhaupt ein grunddeutsches Gebilde, mich sogleich aufs Heimlichste anmutend. Seine bedächtige Ruhe und behagliche Sicherheit erinnerte mich an den werten Meister aus dem Schwarzwalde, unser lieben Hans Thoma. Nachdem er uns ein paar schöne Barockschnitzereien in der Sakristei gezeigt hatte, führte er uns an den Ort seiner Tätigkeit, d. i. in die aus des heiligen Benedikt Zeit stammenden Gewölbe, die, soweit sie nicht schon von den Beuronern ausgeschmückt sind, jetzt ihren Schmuck von ihnen erhalten. Dieser Schmuck besteht aus Fresken, flacherhabenen Bildhauerarbeiten und Mosaiken. Ich war überrascht. Diese mönchischen Künstler sind mehr als bloße Nachahmer alter Stile. Mit dem, was sonst heute in katholischen Kirchen als Kunst ausgegeben wird, haben sie nichts als den religiösen Gegenstand gemeinsam. Viel mehr berühren sie sich mit gewissen Richtungen der modernen Kunst. Sie sind primitive Stilisten, ja man kann sie, wenigstens was die Ornamente angeht, Symbolisten der Linie nennen. Dabei gehen sie weit hinter die christliche Zeit zurück, indem sie ägyptische Motive aus der allerältesten Epoche der Kunst dieses Volkes verwenden, aus der Zeit, in der, wie Pater Desiderius meint, dort eine reine Gottesverehrung bestanden hat. Dem sei, wie ihm wolle, sicher ist, daß diese in den Stein geschnittenen Linien keine Hieroglyphen, sondern klare und schöne Zeichen einer erhabenen Sinnesart sind, und daß sie außerdem einen sehr sicheren künstlerischen Geschmack aussprechen. So auch die Malereien, die echt dekorativ gedacht sind und eine weise Beschränkung in den Mitteln zeigen. Die Farbe entbehrt freilich des Reizes, den moderne Augen nicht mehr entbehren wollen, aber der strenge Stil der Zeichnung ist vortrefflich und stimmt aufs beste zu der Art, wie die heiligen Gegenstände hier aufgefaßt sind. Besonders interessant waren mir die Mosaiken. Einen Vergleich mit den Werken von Venedig, Torcello, Ravenna halten sie freilich nicht aus, aber sie fordern auch nicht dazu auf, denn sie streben eine andere, mildere Wirkung an, und es darf gesagt werden, daß diese Wirkung sehr harmonisch und fein ist. Am meisten gefielen mir vor allem anderen einige Flachreliefs, von denen ich sagen möchte, daß sie eine graziöse Frömmigkeit atmen. Woher hat dieser deutschstämmige Pater mit dem Urwaldbarte dieses Raffinement der zärtlichen Linien? Ist es die Madonnenverehrung seiner katholischen Frömmigkeit? Ist es dieser Spiritualismus des Mönches gegenüber dem Weibe? Genug, es ist derselbe holde Liebreiz der leisen Form wie auf den Gemälden der Primitiven von Siena. – Ich freue mich sehr, daß wir diese Werke sehen durften, und ich freue mich überhaupt dieses Besuches beim heiligen Benediktus. Karl der Große hat recht gehabt, wenn er, wie man ihm zuschreibt, dem Sohne Paul Warnefrieds zurief:

Alma Deo chari Benedicti tecta require:
Est nam certa quies fessis venientibus illuc.


Zu deutsch etwa:

Kehr ein im holden Haus des gottgeliebten Benedikt,
Mit sichrer Ruhe wird der Müde dort erquickt.

– Erst um 11 Uhr kamen wir zur Abfahrt. Die Landschaft, die wir durchfuhren, hatte fast durchweg pathetischen Charakter: riesige Eichen als Chausseebäume, weite Felder, großzügiges, nur leider, wie überall, waldloses Gebirg. – Einem reitenden Mönch, dem wir begegneten, bereiteten wir arge Beschwerden, wodurch aber uns ein schöner Anblick wurde: das Pferd ging mit seinem bekutteten Reiter wild durch, die Kutte blähte sich sehr malerisch auf, der Mönch flog wie ein angebundenes Gestell hin und her, bis endlich das ganze phantastische Bild in einem Straßengraben verschwand, – doch war zum Glück nichts passiert, denn wir sahen Roß und Mönch heil aufstehen.

Wundervoll liegt Frosinone, von wo aus wir eigentlich nach Tivoli wollten, aber man schilderte uns den Weg übers Gebirge als gar zu abenteuerlich steil. Also zogen wir es vor, auf ebener Straße zu fahren, und so gelangten wir, in einem sehr raschen Tempo, durch die Campagna, deren großartige Schönheit uns erst heute richtig aufging, glücklich und schnell zum zweiten Male nach Rom, wo wir indessen diesmal nur übernachten wollen.

Wenn Sie Ihre erste größere Automobilreise unternehmen (an der ich nicht zweifle), rate ich Ihnen, es zu tun wie wir, und Italien zum Ziel zu wählen. Auch sollten Sie dann, gleich uns, im Sommer reisen, wo man die herrlichen Straßen ganz für sich allein hat und sicher ist, keinem andern Automobil zu begegnen. Wegen des Staubes ist das ein recht angenehmer Umstand, wie denn, glaub ich, in künftiger Zeit, wenn das Reisen im Automobil die Regel sein wird, diese Art des Reisens nicht mehr ganz so schön sein dürfte. Viele Automobile hintereinander, – ich danke!

Also, lieber Herr vom Rath, entschließen Sie sich schnell, ehe sich Alle entschließen!

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Eine empfindsame Reise im Automobil