An Herrn Friedrich von Schirach in München. Grosseto, den 5. Juli 1902.

GEEHRTESTER HERR! Haben Sie Schwefel im Hause? Dann zünden Sie ihn an und schwefeln Sie diesen Brief! Er kommt aus dem Hauptquartier der Malaria.

In den Ortschaften vor Grosseto sind alle Fenster mit einem dichten Drahtgeflecht vergittert. Die Regierung hat, wie man uns in Cività vecchia erzählte, große Mengen Chinin an die Bevölkerung verteilen lassen. Sollen wir uns deswegen fürchten? – Wir denken nicht daran. Wir denken nur daran, wie schön auch dieser Tag war. Die Maremma mag sehr ungesund sein, dafür ist sie aber auch sehr schön, wenn ihre Schönheit auch nicht gerade die ist, die man sich für gewöhnlich unter der Schönheit einer italienischen Landschaft vorstellt. – Kurz nach acht Uhr fuhren wir ab, als Wegzehrung einen großen Korb köstlicher Aprikosen und Birnen mit uns führend, die unsre einzige, aber vollkommen ausreichende Mahlzeit während der Fahrt bildeten. Wieder ergriff uns die grandiose Öde der Campagna, die ganz erfüllt war vom Gesange der Hitze, dem Schrillen unzähliger Cicaden. – Wo die Landschaft anfängt, bebaut zu werden, scheint alles den Fürsten Odescalchi zu gehören, deren Wappen wenigstens an allen Gebäuden angebracht sind. Man sieht ganze Zeltlager von Tagelöhnern, und auch die großen Dreschmaschinen verraten, daß hier der Landwirtschaftsbetrieb des Großgrundbesitzes herrscht. – Bald ist man am Meere; ein großer Seeadler hatte es uns schon angezeigt, ehe wir es noch sahen. Hinter Cività vecchia unendliches Weideland voll der riesigsten Rinderherden. Wahre Kolosse, schwarz, schwer, mit ungeheuren Hörnern. Dann Corneto, hoch, von uraltem Aussehen, und nun in die Maremma, in die Einsamkeit der Einsamkeiten, Wald und Sumpf. Korkeichen, kenntlich an dem nackten, der Rinde beraubten Stamm, fallen auf. Ab und an ein Lastwagen, mit ihren Rinden beladen, oder Reiter, die, in der Hand die Hirtenlanze, herangesprengt kommen, uns zu betrachten. In der Ferne Hügel und wieder Wald. Manchmal ein Blick aufs Meer. Vor Albarese wurden wir mit einer Fähre über die Albegna gesetzt, nachdem wir Orbetello umfahren hatten, das wie mitten im Meere zu liegen scheint. Ein schöner Blick auf die Insel Elba. Ein paar Mal konnten wir uns, dank schnurgerader völlig unbelebter Straße, das Vergnügen voller Fahrt leisten, wie das Gewitter einherbrausend. Rechts und links flohen dann im wildesten Galopp ganze Herden weidender Pferde ins Weite, und hinter uns erhob sich der Staub wie ein Wolkengebirge. Nun noch Überfahrt über den Ombrone, und wir sind am Ziele, immerhin froh, die ganz bestaubten Kleider von uns tun und ein Bad nehmen zu können, wenn es auch bloß ein Bad in einer Reisebadewanne aus Gummi ist. Dieser Teil unsrer Reiseausrüstung ist alltäglich ein Gegenstand unsrer Freude, denn kaltes Wasser ist eine Wohltat nach einem heißen Tage. An der vorzüglichen Küche und der sauberen Einrichtung des Hotels merken wir mit Vergnügen, daß wir wieder auf toskanischem Boden sind.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Eine empfindsame Reise im Automobil