Venedig, den 15. Mai.

Wir haben, bei gutem und schlechtem Wetter, fleißig Gondelfahrten und einen Ausflug über Fusina nach Padua unternommen, sowie der Insel der Glasfabriken, Murano, einen Besuch abgestattet. In Murano haben wir in der Rigoschen Fabrik eine Anzahl Gläser nach einem schönen einfachen alten Muster für uns herstellen lassen und dabei die Geschicklichkeit der Arbeiter bewundert, wobei wir es nur bedauerten, daß die Kunstfertigkeit dieser Leute fast ausschließlich in den Dienst der Imitation der nicht übermäßig geschmackvollen Barockmodelle gestellt wird. Auch darin zeigt sich das Wesen des heutigen Venedig: die Kunstübung schreitet nicht fort, sondern zehrt sich in Wiederholung des Alten auf. – Wir sehnen uns nach unserm Laufwagen und freuen uns, morgen wieder mobil zu werden, wieder ins Leben hinaus zu fahren aus dieser sterbenden Stadt mit ihrem Fliegengesumm von Fremden.

Es bleibt, trotz aller Decadenten, wahr: „Das Leben hat am Ende doch gewonnen!“ Immer träumen, und sei es in die schönste Vergangenheit hin, macht die Seele flau und katzenjämmerlich. Wir sind auf diesen Planeten gestellt, nicht, um auf einem Faulbett zu liegen und holden Imaginationen nachzugehen, sondern um im bewegten Allgemeinen mit bewegt zu sein. Die Gegenwart ist unser Rhodus, wo wir zu zeigen haben, ob wir tanzen können, oder faule Bäuche sind, uns selbst schließlich zur Last und allen lebendigen Wesen ein übler Anblick.


Auf und wende den Schritt
Heiter ins Leben hinein!
Schmäle die Stunden nicht,
Die dir der Tag bescheert,
Wenn Deine Seele auch voll
Holdrer Gesichte ist,
Die im Vergangenen einst
Leben waren, wie jetzt
Du.

Entschuldige diese Hotelverse. Möge unser Adlermotor morgen bessern Rhythmus bewähren.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Eine empfindsame Reise im Automobil