An Herrn Alf Bachmann in München. Berlin, am 1. April 1902.

Sie erinnern sich wohl noch, lieber Bachmann, unserer Spaziergänge im winterlichen Nymphenburger Park, wie wir uns da, wenn wir nicht von Mathias Kneißl sprachen, der sich damals gerade in der Gegend herumtrieb, eine Reise ausmalten, die uns im Automobil nach Spanien führen sollte. Sie heuchelten (mit Erfolg, weil ich nicht die nötigen geographischen Kenntnisse besaß, Sie zu kontrollieren) eine intime Vertrautheit mit der Reiseroute, die wir einzuschlagen hätten, und entwarfen mir die üppigsten Bilder von all den Herrlichkeiten, die wir bei dieser Gelegenheit kennen lernen würden; ich aber leistete nicht weniger Phantastisches in der Schilderung des Wagens, der uns bald mit der Geschwindigkeit eines Expreßzuges, bald im Postwagentempo von Thurn und Taxis, vorwärts bringen sollte. Eigentlich war es ein ganzes Gebäude auf Pneumatics, das ich mir vorstellte, mit allem Komfort eines Pullman-Car oder der berühmten „Wurst“ Friedrichs von Gentz ausgestattet, nur noch viel bequemer und geräumiger, – kurz: ein Ideal mit achtundvierzig Pferdekräften. Sie, mit ihrer heimtückisch witzigen Nase, thaten so, als glaubten Sie an all das, ja Sie fügten noch allerhand Fabelhaftigkeiten hinzu, so daß wir schließlich auf unserer Reise nach Spanien auf ein Paar niedliche Kanonen und eine komplette Kücheneinrichtung mit uns führten. Unser erstaunliches Vehikel konnte als Badezimmer, Dunkelkammer, Schlafwagen, Billardsalon benutzt werden; es sprang über mittlere Abgründe, durchquerte Seen, watete durch Sümpfe; Berge, über die es nicht gekonnt hätte, gab es überhaupt nicht. Nur vor der Kombination mit dem lenkbaren Luftschiff schreckten wir einstweilen zurück.

Kein Wunder, daß wir dieses Universalfahrzeug nirgends auf Lager fanden und infolgedessen zu der Überzeugung kamen, die Welt sei für unsre Kulturbedürfnisse noch nicht reif. Also schoben wir unsere ideale Reise bis auf weiteres auf, indem wir sie gleichzeitig für schon genossen nahmen und uns sagten: so schön wäre sie doch nicht geworden, wie wir sie im Nymphenburger Park machten. Denn wo auf der Welt gäbe es etwas so Schönes wie Châteaux d’Espagne?


Damit war für Sie die Sache erledigt, mein teurer Herr von Planen auf Blitzblau; doch nicht so für mich. Mich juckte es zu sehr, einmal die Probe auf das Exempel meiner Fabuliersamkeit zu machen, und so habe ich nicht geruht, bis ein Automobil vor meiner Tür stand. Daß es alle die Eigenschaften hätte, die wir von unserm Reisewagen verlangt haben, läßt sich füglich nicht behaupten, – doch dieser Mangel wird dadurch wett gemacht, daß meine Frau mich auf der Reise begleiten wird, die nun in etwa vierzehn Tagen angetreten werden soll. Sie, lieber Bachmann, wären ja auch ein angenehmer Reisekamerad gewesen, aber ich finde doch, daß es besser ist, Sie bleiben zu Hause, und ich fahre mit meiner Frau. Das ist schon deshalb vorteilhafter, weil meine Frau zwar nicht so schön malen kann, wie Sie, aber so perfekt italienisch spricht, wie es Ihnen selbst nach vierwöchentlichem Studium des Polyglott Kuntze nicht möglich sein würde. Viel Chancen auf einmal: Erstens mit seiner Frau und zweitens mit einer Italienerin nach Italien zu fahren. Dafür kann man es schon mit hinnehmen, daß das Automobil statt achtundvierzig bloß acht Pferdekräfte hat. – Im übrigen sieht es sehr vertrauenerweckend aus, und Louis Riegel, der Fahrer, erklärt, jeden beliebigen Berg damit „nehmen“ zu wollen. Acht Pferdekräfte, sagt er, sei eine ganze Menge. Und das finde ich auch, da ich bisher höchstens mit zwei Pferden gefahren bin.

Übrigens kommt es, wie ich erfahren habe, auch auf die Zahl der Zylinder an, und erfahrene Leute wollen mich bange machen, weil unser Wagen nur einen hat. Etwa mitgeführte Zylinderhüte, erklären diese Kenner, können als Ersatz nicht gelten. Schade, denke ich mir, es wäre so einfach, und da ich in Rom den Papst besuchen will, so hätte ich wohl einen Zylinderhut mitnehmen können. Indessen ficht es mich auch nicht weiter an. Ich sage mir dies: Wenn eine gute deutsche Firma, wie die Frankfurter Adlerfahrradwerke, von denen der Wagen stammt, mir garantiert, daß er eine Reise von Berlin nach Sorrent und zurück zu machen fähig ist, so wird es wohl auch so sein. Hat sie sich vergarantiert, so ist ausgemacht, daß ich das insuffiziente Fahrzeug auf Kosten und Gefahr des Empfängers mit der Bahn zurückschicke, und ich habe die ernstliche Drohung hinzugefügt, daß ich dieses blamable Ende einer Adlerwagen-Reise in Vers und Prosa vor die Öffentlichkeit bringen werde. Aber auch diese Drohung hat die Firma in ihrer Zuversicht nicht erschüttert. Sie bleibt dabei: es geht mit acht Pferdekräften und einem Zylinder. Glauben wir es also einstweilen.

Natürlich möchten Sie nun wissen, wie der Wagen aussieht. Rot, mein Herr, und zwar ist es ein Rot, wie ich es auf kolorierten Stichen aus der Biedermeierzeit an Reisekutschen gesehen habe. Ein braves, ungeniertes, ein ordentliches Rot. Gebe der Himmel, daß wir keinen Stieren und Truthähnen begegnen!

Die Form aber ist die des Phaëtons. Sie wissen: Phaëton, Sohn des Helios, Patron der antiken Kutscher. Eigentlich sind es zweirädrige Wagen, die den Namen von ihm haben, und da der unsre vier Räder hat, neige ich mich der Meinung zu, es sei ein Doppelphaëton. Aber das ist einerlei. Gewiß ist, daß die Urform dieses Wagens die Muschelform war. Von der Muschel zum Motor! Per aspera ad astra!

Spüren Sie den Hauch meiner erhobenen Stimmung? Reiselaune, lieber Freund! Sollte ich noch einmal in diesem Briefe Ausrufe von zweifelhafter Hergehörigkeit riskieren, so denken Sie daran, daß ich im Begriffe bin, mich drei Monate lang durch fortgesetzte Benzinexplosionen vorwärts bewegen zu lassen.

Doch es wird nun Zeit, Ihnen den Wagen selbst zu schildern. – Stellen Sie sich mit mir dorthin, wie die Pferde stehen würden, wenn es ein gemeiner Zieh- und kein Laufwagen wäre (auf dieses Wort habe ich den Markenschutz genommen), so werden Sie finden, daß das Dach sich sehr hübsch nach hinten aufbaut, in Form eines Keiles gewissermaßen. Die Spitze des Keiles bildet der Klappdeckel des Motors, dann kommt der Bock mit dem Lenkrad und den Einrichtungen zum Einstellen der drei Geschwindigkeiten und zum Bremsen, und schließlich, in gleicher Höhe mit dem Bock, aber die Lehne mit dem Verdeck etwas erhöht, der Doppelsitz für meine Frau und mich. Nun bitte ich Sie, mit nach hinten zu kommen. Was Sie da sehen, dieses Stahlgestänge mit Riemen, ist bestimmt, einen großen Koffer zu halten. Dafür war eigentlich nichts ordentliches da, denn das dafür bestimmte Brettchen hätte kaum genügt, den Hutschachteln meiner Frau zur Unterlage zu dienen. Man denkt eben im allgemeinen beim Bau der Laufwagen noch nicht an die Bedürfnisse größerer Reisen. So waren wir auch genötigt, den Sitz neben dem Führer zur Aufnahme weiterer Koffer adaptieren zu lassen. Das Verdeck ist, wie Sie sehen, auch nicht eigentlich reisemäßig. Es schützt zwar gegen Nässe von oben, von den Seiten und von hinten, – wenn aber der Regen rücksichtslos genug ist, von vorne zu kommen, (was bei der „dritten Geschwindigkeit“ die Regel sein dürfte), so werden wir ihm auf Gnade und Ungnade ausgeliefert sein. – Werden wir? Nein, wir werden nicht! Denn, sehen Sie sich, bitte, dieses Lederpaket an! Es ist eine ingeniös erfundene Vorderplane mit zwei Guckfenstern. Diese werden wir uns vorknöpfen, wenn das Wetter grob wird. – Und wenns die Sonne zu gut meint? Dann, mein Herr, bleibt vom Regendach nur der obere Teil und das Gestänge übrig, während die andern Bestandteile hinauf gerollt werden. Sie sehen, wir Sybariten haben an alles gedacht. Nur ein Schutzglas gegen den Luftzug haben wir nicht, weil man uns gesagt hat, es habe allerlei Nachteile, klappere gerne und sei alle Augenblicke voll Staub. Meine Frau möchte aber auf der Reise nicht Staub wischen, und ich habe eine Aversion gegen klappernde Fenster.

Nun möchten Sie auch wissen, wie wir selber uns equipieren. – Das ist eine Sache, über die ich mit keinem geringeren als Herrn Hoffmann in der Friedrichstraße konferiert habe, demselben Kleiderkonstrukteur, der den Grafen Waldersee, als er gen China zog, mit Kaki versehen hat. Sie finden, das sei Größenwahn? Gewiß, unserer Expedition ist nicht so kriegerisch und überseeisch wie die des Weltmarschalls, aber ich habe immer bemerkt, daß, wenn einer Automobil fährt, beträchtliche Veränderungen in seiner Garderobe vor sich gehen. Er kleidet sich in Leder, wendet das Fell des Pelzes nach außen, setzt sich eine Maske und eine gigantische Mütze auf, – kurz, jedes Kleidungsstück ruft laut und vernehmlich: Töff! Töff! Auch Herr Hoffmann hatte mit mir weitgehende schneiderische Metamorphosen vor, aber er zeigte dabei zu sehr die Tendenz, mich gegen die Unbilden des sibirischen Wetters auszurüsten, als daß ich, der ich mehr nach Süden strebe, mich gänzlich hätte anschließen können. Zwar war es verlockend, die Haare einer glänzenden schwarzen Ziege oder junger Pferde nach außen zu tragen oder sich ganz in schwarzes Wichsleder zu hüllen, aber wir widerstanden dem Versucher. Wir beschränkten uns auf 1. ein Paar wasserdichte, aber sehr dünne Mäntel, die also gleichzeitig gegen Regen und Staub schützen sollen; 2. ein Sportkleid für meine Frau, kurzer Rockrand, Jacke, 3. einen Sportanzug für mich, Pumphosen und Joppe, 4. ein rohseidenes Kleid für meine Frau; 5. einen weißleinenen Anzug für mich; 6. zwei braunlederne Mützen; 7. ein Paar hohe Stiefel für meine Frau; 8. ein Paar hohe Stiefel für mich. Sie sehen, es ist Bedacht darauf genommen, daß wir es sowohl mit der Kälte vor, wie mit der Hitze nach dem Brenner aufnehmen können. Unsere gewöhnlichen Wintermäntel nehmen wir natürlich auch mit, und mein großer Koffer ist dazu bestimmt, Wäsche und Straßen- wie Gesellschaftskleider für drei Monate zu beherbergen. Außer ihm werden wir folgendes gen Süden schleppen: einen großen Handkoffer meiner Frau; einen großen Handkoffer für die „Effekten“ bei kurzem Aufenthalt; einen Toilettenkoffer; einen Speisekorb mit Geschirr; eine Schirm- und Stocktasche; eine Gummibadewanne; drei Reisedecken. – Heiliger Himmel, – welch eine Bagage! Was hat man von seinem Kulturmenschentum? Eine Garnitur Koffer. Aber welche Wollust liegt in dem Gedanken: wir werden sie nie „aufzugeben“ brauchen!

Überhaupt: eine wollüstige Perspektive! Wir werden nie von der Angst geplagt werden, daß wir einen Zug versäumen könnten. Wir werden nie nach dem Packträger schreien, nie nachzählen müssen: eins, zwei, drei, vier – hat er alles? Herrgott, die Hutschachtel! Sind auch die Schirme da? Wir werden nie Gefahr laufen, mit unausstehlichen Menschen in ein Kupee gesperrt zu werden, dessen Fenster auch bei drückender Hitze nicht geöffnet werden darf, wenn jemand mitfährt, der an Zug-Angst leidet. Wir werden keinen Ruß in die Lungen bekommen. (Aber Staub! Meinen Sie? Warten wir’s ab!) Wir werden selber bestimmen, ob wir schnell oder langsam fahren, wo wir anhalten, wo wir ohne Aufenthalt durchfahren wollen. Wir werden ganze Tage lang in frischer, bewegter Luft sein. Wir werden nicht in gräulichen, furchtbaren Höhlen durch die Berge, sondern über die Berge wegfahren.
Kurz, mein Herr: Wir werden wirklich reisen und uns nicht transportieren lassen.

Reisen sage ich, nicht rasen. Denn das soll schließlich, um es kurz zu sagen, der Zweck der Übung sein: Wir wollen mit dem modernsten aller Fahrzeuge auf altmodische Weise reisen, und eben das wird das Neue an unserer Reise sein. Denn bisher hat man das Automobil fast ausschließlich zum Rasen und so gut wie gar nicht zum Reisen benützt.

Das Wesentliche des Reisens ist aber keineswegs die Schnelligkeit, sondern die Freiheit der Bewegung. Reisen ist das Vergnügen, in Bewegung zu sein, sich vom Alltäglichen seiner Umgebung zu entfernen und neue Eindrücke mit Genuß aufzunehmen. Der Reisende im Eisenbahnwagen vertauscht aber nur sein eignes Zimmer, das er allein besitzt, mit einer Mietskabine, an der jeder Quidam teil haben kann, und er gibt, statt Freiheit zu gewinnen, Freiheit auf. Der kilometerfressende „Automobilist“ ist aber auch kein Reisender, sondern ein Maschinist. Das mag Verlockendes haben, wie jeder mit Lebensgefahr verbundene Sport, und ich begreife es, daß gerade die Reichsten der Reichen sich die Sensation gerne verschaffen, auf bisher noch nicht dagewesene Manier das Genick zu brechen. Aber mit der Kunst des Reisens hat das soviel zu tun, wie die Schnellmalerei mit der Kunst Böcklins.

Lerne zu reisen ohne zu rasen! heißt mein Spruch, und auch darum nenne ich das Automobil gerne Laufwagen. Denn es soll nach meinem Sinne kein Rasewagen sein. Und nun wollen wir sehen, ob das geht!

Den nächsten Brief sollen Sie bereits von unserer ersten Station aus erhalten.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Eine empfindsame Reise im Automobil