Eine auffallende Erscheinung der Tier- und Menschenwelt. Mit sieben Bildern

Aus: Das Buch für Alle. Illustrierte Familienschrift. Zeitbilder. Heft 1. 1922
Autor: Dr. Bergner, Erscheinungsjahr: 1922

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Albinos, Weißsucht, Weißlinge, rote Augen, Albinismus,
So anmutig ein weißes Reh mit roten Augen uns auch erscheinen mag, ist es doch ein bedauernswertes Geschöpf, da seine — zudem kurzsichtigen — Augen vom hellen Tageslicht geblendet werden. Es zeigt vollkommene Weißsucht, wie man die krankhafte, auf Fehlen des natürlichen Farbstoffes beruhende Erscheinung nennt. Solche Albinos oder Kakerlaken treten ab und zu in fast allen Klassen des Tierreiches auf, ja, sie sind häufiger, als nach unseren doch mehr zufälligen Beobachtungen angenommen wird.

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Indes sind derart auffallende Tiere weit mehr Verfolgungen ausgesetzt als ihre normal gefärbten Artgenossen, die ihnen mich an Körper wie an Geisteskräften überlegen sind, weshalb sie im Kampf ums Dasein bald erliegen. Weißlinge aber, die als Haustiere oder Hegewild unter des Menschen Obhut stehen, vererben diese Eigentümlichkeit häufig auf ganze Generationen und verfestigen sie dadurch so, dass sie zur Spielart werden, wie die weißen Mäuse und Kaninchen, die Lieblinge der Kinder, mehr aber noch die Frettchen unserer Jäger lehren, die nur Albinos des braunen Iltis sind. In anderen Fällen freilich pflanzen sie sich überhaupt nicht fort, so die weißsüchtigen Pferde, die im Unterschiede zu den Schimmeln rote Augen haben, wie denn vor allem zahme Albinos mancherlei Entartung zeigen. Weiße Katzen sind beispielsweise häufig taub, während die Wildkatze überhaupt nicht zu weißlicher Verfärbung neigt. Dagegen finden sich beim Fuchs alle nur denkbaren Übergänge bis zum rotäugigen Vollalbino. Ein schönes Beispiel eines Vollalbinos ist der hier wiedergegebene weiße Steinmarder.

Weit mehr Albinos als unter den Säugetieren gibt es unter den Vögeln, und zwar vor allem den schwarzgefärbten, wie den Krähen, Amseln und Schwalben, so dass also der sprichwörtliche weiße Rabe sogar verhältnismäßig häufig vorkommt. Er ist jedoch nicht immer ausgesprochen weiß, sondern mehr hellbraun oder dunkelgrau, also ein unvollkommener Albino wie sein menschlicher Widerpart, der gelbliche oder rötliche „N-Wort“, bei dem die natürliche Farbe der Augen, Haut und Haare nur schwächer ist. Das bekannteste derartige Beispiel sind die isabellenfarbigen Ponys mit ihrem lichten, rötlich-gelben Haar, und auch der sogenannte weiße Elefant, der in Siam geradezu abgöttisch verehrt wird, gehört im großen Ganzen wohl hierher. Seine lichte Farbe ist ebenfalls nicht rein weiß, sondern schimmert stark ins Rötliche.

Viel häufiger aber ist das Auftreten weißer Flecken, die manchen Geschöpfen mitunter ein scheckiges Aussehen geben. Dazu neigen vor allem solche Tiere, die wie das Rebhuhn oder unsere Schnepfe eine unbestimmte — weil der Umgebung angepasste — Färbung und Zeichnung tragen. Auch die siamesischen weißen Elefanten sind meist nicht am ganzen Körper weißlich, ihre Haut hat vielmehr nur mehr oder weniger große hellere Stellen.

So weitverbreitet also auch der Albinismus mit seinen verschiedenen Formen ist, so würde es gleichwohl zu manchem Irrtum führen, wollte man nun jedes auffallend weiße Tier als echten Weißling ansehen. Vor allem haben die durch Jahreszeit und Klima bedingten hellen Farben nichts damit zu tun. Der noch in Schweden auch im Wörter braune veränderliche Hase erscheint beispielsweise in den Hochalpen sechs Monate hindurch weiß behaart, eine Farbe, die er in Norwegen acht bis neun Monate beibehält, um sie im hohen Grönland überhaupt nicht mehr zu ändern. Die Anpassung an Schnee und Eis ist vielen Polartieren ja eine Lebensbedingung, und infolgedessen sind sie auch entweder, wie der Eisbär, ständig weih oder, wie Eisfuchs, Hermelin, Schneeeule oder Schneehuhn, wenigstens zur langen Winterszeit.

Auch Höhlentiere, die in Nacht und Dunkel leben, sind allgemein mehr oder weniger licht, ebenso die im Holz bohrenden Larven und die Innenparasiten, die Schmarotzerwürmer, die sämtlich auch infolge ihres Aufenthaltes noch andere Rückbildungserscheinungen, vor allem Schwund der Augen, zeigen.

Der echte Albinismus aber ist eine Ausnahmeerscheinung und in jedem Falle angeboren. Er findet sich sogar bei allen Menschenrassen, doch mehr in heißen Zonen und am häufigsten unter den „N-Wort“ Afrikas. Solch „weiße Mohren“ waren schon den Alten bekannt, die sie für eine besondere Rasse hielten. Diese Auffassung, die selbst ein Gelehrter wie Buffon noch Ende des achtzehnten Jahrhunderts vertrat, mag wohl dadurch entstanden sein, dass solche Dondos oder Blafards, wie man sie auch nannte, vielfach verabscheut, sich in entlegene Gegenden zurückzogen, um dort gemeinsam zu leben. Die Haut solch ausgesprochener Albinos ist namentlich in jungen Jahren milchweiß oder schimmert rosig durch, während die Haare in der Färbung roher Seide gleichen. Unheimlich wirkt vor allem der eigenartige Ausdruck des Gesichtes, da Augenbrauen und Wimpern kaum zu erkennen sind und die roten, stets kurzsichtigen Augen ständig zittern, sobald sie einen Gegenstand betrachten. Sehr deutlich bemerkt man das auf unserem Bild der beiden Albinoschwestern, die von durchaus normalen Eltern stammen. Auch sonst gewahrt man an den Albinos mancherlei Entartung; so ist der meistens nur mittelgroße Körper schwächlich und besitzt wenig Ebenmaß, bald sind die Hände zu lang, die Ohren zu groß, bald Kopf und Hals zu dick. Die hier mit ihrer schwarzen Schwester abgebildete weiße „N-Wort“in aus Accra an der afrikanischen Goldküste, die 1902 der Anthropologischen Gesellschaft in Berlin vorgestellt wurde, hat trotz ihres jugendlichen Alters von zwanzig Jahren bereits ein faltiges, hässliches Gesicht und viel dünnere Arme als ihre jüngere Schwester. Sowohl ihre Eltern wie ihre übrigen Geschwister zeigen den reinen Typus ohne eine abnorme Verfärbung.

Nur einmal ist, soweit festgestellt, ein Albino mit besonderen Geistesgaben zu Ruhm und hohem Ansehen gelangt: es ist Milton, der Dichter des „Verlorenen Paradieses“, das einst zu den gelesensten Dichtungen seiner Zeit gehörte. Der Marburger Anglist Professor Heinrich Mutschmann hat dies in seiner kürzlich erschienen Schrift „Milton und das Licht. Die Geschichte einer Seelenerkrankung“ überzeugend nachgewiesen. Damit ist Miltons bisher unerklärliches Verhalten in mancher Beziehung verständlich geworden. Schon in seiner Jugend hatte er unter dem Spott seiner Kommilitonen zu leiden, die ihn ein Mädchen nannten. Er lebte auch nach Abschluss seiner Studien zurückgezogen und liebte, wie Mutschmann aus Miltons Dichtungen nachweist — vor allen aus seinem dichterischen Selbstporträt —, die Dämmerung und matte Beleuchtung. Als er später erblindet, tröstet er sich mit dem Gedanken, dass ihm jetzt das grelle Licht wenigstens keine Schmerzen mehr verursacht.

Fast nur bei „N-Wort“-stämmen tritt auch die in der Tierwelt so häufige teilweise Entfärbung auf, weshalb man im Vergleich mit dem durch die Verteilung von Schwarz und Weiß so eigenartigen Vogel von Elster-„N-Wort“n spricht. Diese Erscheinung ist jedoch häufig auch auf eine Pinta genannte ansteckende Krankheit zurückzuführen, die namentlich in Zentralamerika und Mexiko verbreitet ist. Man hielt sie lange für eine Hautentartung, bis man erkannte, dass dieses Übel durch pflanzliche Parasiten hervorgerufen wird. Vom Albinismus gleichfalls wohl zu scheiden sind auch die hauptsächlich in höherem Alter besonders an den Handflächen und Fußsohlen, doch auch an anderen Körperstellen auftretenden hellen Flecken, die zu größeren Flächen verschmelzen können. Die echten, eigentlichen Albinos aber stammen meist von normalen Eltern ab, doch bewirkten Unterernährung und heftige Gemütsbewegungen, Kummer und Sorge der Mutter sowie mancherlei Entwicklungshemmung während des Keimlebens, dass kein Farbstoff zur Ausbildung gelangte.

Ein weißer Rabe
Mutter mit zwei Albinotöchtern
Weine weiße „N-Wort“in und ihre Schwester von der Goldküste
Ein weißer Esel aus Kairo.
Ein prächtiger Steinmarder-Albino.
Zulualbino
Weißes Reh

Albinos, Ein prächtiger Steinmarder-Albino

Albinos, Ein prächtiger Steinmarder-Albino

Albinos, Ein weißer Esel aus Kairo

Albinos, Ein weißer Esel aus Kairo

Albinos, Ein weißer Rabe

Albinos, Ein weißer Rabe

Albinos, Eine weiße N-Wort und ihre Schwester von der Goldküste

Albinos, Eine weiße N-Wort und ihre Schwester von der Goldküste

Albinos, Mutter miz zwei Albinotöchtern

Albinos, Mutter miz zwei Albinotöchtern

Albinos, Weißes Reh

Albinos, Weißes Reh

Albinos, Zulualbino

Albinos, Zulualbino