Olympia Audouard.

Madame Olympia Audouard hat ein Buch, »Pariser Silhouetten«, veröffentlicht. Die Verfasserin schickt als Vorrede ihr Porträt in Worten und im Bilde voraus. Auf dem Titelblatte erblicken wir einen interessanten Frauenkopf, dessen Jugendlichkeit auf die Entstehung des Bildes in den schönsten Tagen der Dame deutet. Warum der Zeichner mit dem Gewande so sparsam war, ist mir nicht bekannt. Die Silhouette gleicht der Büste einer Antike. Madame Olympia Audouard ist augenblicklich Herausgeber und Chef-Redacteur des Journals »Papillon«. Paris besitzt vier weibliche Chefredacteure von Journalen, welche außerhalb der Modezeitungen stehen: Madame Adam für die »Nouvelle Revue«, Mademoiselle Auclerc für die »Citoyenne«, Madame Camille Delaville für den »Passant« und Madame Audouard für den »Papillon«. Es braucht nicht erst gesagt zu werden, daß Olympia Audouard eine »Emancipirte« ist. Die Dame hat stets viel von sich reden gemacht. Der einzige ungalante Franzose, Vapereau (Herausgeber des berühmten »Lexikons«), gibt ihr Alter auf 52 Jahre an. Damit steht eine Frau, soferne sie jung sein will, in Frankreich am Rande der besten Jahre, aber noch immer innerhalb derselben; sie trägt helle Farben, decolletirte Kleider, begehrt nach neuen Verehrern, weil ihr die alten zu kalt sind, und entsagt keinem Anspruche der Jugend. Olympia Audouard, wie die meisten berühmten Pariserinnen, in der Provinz geboren und erzogen, stammt aus Aix. Sie heiratete sehr jung einen Advocaten und ward wenige Jahre hernach gerichtlich von diesem getrennt. Sie unternahm sodann große Reisen, durchstreifte Egypten und kehrte über Konstantinopel und Petersburg 1860 nach Paris zurück.

In mehreren Versammlungen hielt sie feurige Reden für die Freiheit der Frauen und kam mit dem Gesetz über das Versammlungsrecht in lebhafte Collision. 1868 durcheilte sie Amerika und hielt auch dort eine Anzahl von Vorträgen, die durch die Unverfrorenheit ihrer Ansichten Aufsehen erregten. 1869 wieder in Paris, gelang es ihr, die Gunst Alexander Dumas' zu erwerben, und unter seinen Flügeln veranstaltete sie eine Reihe von Vorlesungen über die Frauen und Alles, was mit diesen zusammenhängt. In der Autobiographie, welche Madame Olympia ihren Silhouetten vorausschickt, sagt sie ihren Lesern ungefähr Folgendes:


»Man erzählt in der Provence, daß die Leute, die im März geboren sind, einen Sonnenstrahl im Herzen und einen Hauch Mistral-Wind im Kopfe haben. Ich bin im März geboren und ich fühle Beides, den Sonnenstrahl und den Mistral. Ich habe zwei treue, treffliche Freunde: die Philosophie und die Arbeit. Mit 20 Jahren griff ich zur Feder. Seitdem habe ich 33 Bücher geschrieben und drei Zeitungen gegründet. Ich bin noch immer, seit 1862, 20 Jahre alt.« O, Du unerbittlicher Vapereau!

»Ich überlasse meinen Feinden,« fährt Olympia fort, »das Vergnügen, zu behaupten, daß in der Literatur die Quantität nicht die Qualität aufwiegt. Ich habe Heimweh nach den fernen Wunderwelten, ich möchte von Gestirn zu Gestirn fliegen können. Um meine Sehnsucht zu beschwichtigen, durchstreifte ich drei Viertheile der Erde und photographirte sie moralisch für den Verleger Dentu.«

»Meine besonderen Merkmale sind: Abscheu vor den rohen, vor den schlecht erzogenen Menschen, vor den Dummköpfen und den boshaften Klatschmäulern. Ich bin Republikanerin von lange her – meine Freunde sind fast Alle entgegengesetzter Meinung. Ich ziehe den Bösen dem Dummen vor, denn der Dumme ist ärger, als böse. Der Ausdruck »gute Einfalt« ist ein Irrthum. Ich habe eine unbesiegbare Abneigung gegen die Naturalisten. Ich bin Spiritistin und lache über Jene, die über mich lachen. Ich habe oft die Geschichte der Anderen, nie die meine geschrieben. Diejenigen, welche mich nicht kennen, verabscheuen mich; die mich kennen, sagen: Ein gutmüthiger, biederer »Junge!« – Und sie haben Recht. – Ich habe Fehler, welche meine Freundinen veröffentlichen mögen. Das ist meine Biographie, der Gegenstand spricht mich nicht an. Ich finde nichts mehr zu sagen.« Die häufige Wiederholung des »ich« ist für den bescheidenen Sinn bezeichnend.

Das Credo der Dame bedarf keines Commentars. Für die wahre Befreiung des Weibes haben alle die Apostel der Frauenrechte nichts gethan – die Freiheit der Frau kann nur durch die höchste Uebung der Humanität und der Moralität errungen werden. Nicht die Frauen, welche Romane schreiben, sondern jene, die Asyle und Schulen gründen, die sich der Verlassenen und Verlorenen annehmen, sind auf der Höhe der Zeit. Nicht jene Frauen, die, wie Olympia Audouard, den Männern hundertfach die Worte »Wir sind besser, größer und klüger, als Ihr« ins Gesicht schleudern und ihre Ideale in der freien Liebe, in der schrankenlosen Leidenschaft suchen, werden in das goldene Buch der Menschheit eingezeichnet; sondern jene, die still und unbemerkt dem Manne als treue Gefährtinen den Kampf um's Dasein durchstreiten helfen oder, so sie allein in der Welt stehen, zu den Vereinsamten sagen: »Kommt zu mir, die Ihr mühselig und beladen seid« – die mit Wort und Beispiel die Jugend veredeln, die nach den höchsten Zielen der Menschheit streben.

Frauen, wie Olympia Audouard, bekämpft man nicht, weil es vergebens wäre; man kann sich nur gegen die Richtung im Ganzen auflehnen. Die Romane der Dame tragen die Titel: »Wie Männer lieben«, »Russische Nächte«, »Die Frau seit 6000 Jahren«, »Das Leben der Geister oder die Welt nach dem Tode«. Einzelne Bücher, wie »Das Leben der Geister«, sind literarische Curiosa.

Die Pariser Silhouetten Olympia's sind geschmackvoll gewählt – sie beweisen Frische der Auffassung, originelle Zeichnung; die Verfasserin gehört nicht zu denen, welche durch die Blume sprechen; sie versteht es jedoch, ihre Ansichten in ein Gewand zu kleiden, das trotz der leichten Schürzung stets decent und liebenswürdig ist. Es ist immer interessant, Frauen über einander urtheilen zu hören. In dieser Lage wird das Lamm zuweilen zum Tiger. Wenn eine Frau mit Geist der anderen auch Geist zugestehen soll, wird ihr dabei übel zu Muthe. George Sand, die doch wahrlich keine Rivalin zu fürchten hatte, ist in ihrem Urtheile über andere Frauen unglaublich hart. Wo sie sich Frauen anschloß, geschah es, weil sie der Notwendigkeit nachgab. Selbst im engsten Familienkreise machte sich dieser Zug bemerklich. George Sand betet ihren Sohn an und ist in Streit und Hader mit ihrer Tochter; George, die Frau mit dem heißen Herzen, fühlt erst an der Leiche ihrer Mutter, daß es doch etwas wie Blutsverwandtschaft gäbe. Ein objectives Urtheil einer Frau über die anderen gehört zu den Ausnahmen. Im Lob oder Tadel erfolgt das Vernichten. Ja, auch im Lob. Um daß die Welt das Selbst anerkenne, wird die Kritik mit der Sammtpfote geführt; um sich selbst die Berechtigung des Weihrauchs zuzuerkennen, wird er vor den Altären Anderer verbrannt.

Olympia Audouard ist von diesem Fehler nicht frei. Wo sie von der Frau spricht, geschieht es mit der nachsichtsvollste Bewunderung. Das hindert aber nicht das Interesse, welches sich an die Erscheinungen knüpft, die sie in ihren Silhouetten vorführt.

Ich beginne die armen Männer zu beklagen, heißt es ungefähr, sie waren Alles, Redner, Schriftsteller, Senatoren, Staatsmänner, Reisende, Akademiker u.s.w. Aus hundert Kehlen erscholl der Ruf: »Ehre den Männern!« Die Nachwelt war ihr Privilegium; mit Wollust badeten sie im Ruhm und setzten sich den Strahlenkranz der Großen auf das Haupt. Der Frau war die Schönheit eigen. Um sich für diese Superorität zu rächen nahmen die Männer den Ruhm. Und nun, im neunzehnten Jahrhundert, in welchem Dampf und Elektricität das Angesicht der Erde verwandeln, tritt auch die Aenderung in den Ideen ein. Man möchte sagen, es sei die schwindelnde Elektricität, welche sich der Frau mittheilte, sie aufrüttelte aus ihrer apathischen Ruhe. Und da stürzt sie sich hinein mit voller Dampfkraft in die Wissenschaft und den Fortschritt.

»Zu sehen, wie die weißen Hände einige Fetzen dieses Ruhms an sich reißen, das muß unangenehm sein, das vertragen gewisse Wesen nicht, daher die schlechte Laune des Mannes. In Amerika wird die Frau Richter. In Europa ist sie Schriftstellerin, Journalistin, in Rumänien wird sie Akademiker.«

Die Reihe der reisenden Frauen, welche Madame Audouard anführt, könnte noch um manchen Namen vermehrt werden, aber – was haben sie Großes gethan? Wo sind ihre Leistungen? Einige Reisebücher, das ist Alles. Auf diesem Gebiete brauchen die Damen wahrhaftig nicht stolz zu sein. Ungekannt und ungerühmt verfließen tausende von weiblichen Existenzen, die wahrhaft zum Wohle der Menschen wirken. Die Frauen der Missionäre, welche die halbnackten Wilden spinnen, stricken und nähen lehrten, welche ihnen zeigten, wie sie ihre Kinder und Kranken pflegen sollten, die grauen Schwestern in Cartun, die für Hunderte der verwilderten kleinen Geschöpfe Schule halten, die den kranken Wanderer dem Frieden und der Genesung zuführten: das sind die Kämpferinen, die Heldinen, die Märtyrerinen.

Einige Blätter sind Madame Adam gewidmet; sie sagen uns nichts Neues. Um die Pariser Verhältnisse zu charakteristren, heben wir einen Satz heraus: »Wer in Frankreich nicht gute Diners gibt, wer nicht Soiréen veranstaltet, der wird es niemals zu Ansehen und Bedeutung bringen. Man darf behaupten, daß manche Akademiker ihren Fauteuil ihren trefflichen Köchen verdanken.«

Wenn wir leider die Behauptung aufstellen mußten, daß die Frau die höchsten Ziele der Kunst nicht erreicht hat, so spricht ihr das nicht die Berechtigung des Strebens ab. Männer beweisen aber ihre Größe nur, wenn sie die strebenden Frauen nicht erdrücken und ihnen den Lebensweg nicht erschweren. Die Feder ist ein Erwerb, wie einer, und die Frau darf darnach greifen. Die Tagespresse ist sicher ein Feld, auf dem die Frau mit ihrer scharfen Auffassung der Verhältnisse, mit ihrer Findigkeit und Raschheit des Gedankens Ersprießliches zu leisten berufen ist. Noch warten die Interessen der Humanität und der Erziehung auf manchen Kämpen.

Die französische Anschauung gefällt sich seit einem Jahrzehnt in der Ansicht, daß Mann und Weib mit einander im ewigen Kampfe begriffen sind, daß sie einander mit Vernichtung drohen. Die Aufgabe der modernen Frau ist nicht die Verfechtung dieser Thesen. Die Zeit ist groß und ernst genug, um Männer und Frauen auf den Kampfplatz zu lassen. – Jeder in seiner Weise. – Nur verfechte die Frau in der Presse nicht den Triumph socialer Umwälzungen, sondern die Heiligkeit der Familie, den Sieg der Humanität; sie hat doppelt, versittlichend und veredelnd, zu wirken, denn sie ist Weib und als solches die Kronhüterin der Ehre der Menschheit.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Eine Wienerin in Paris