Spaziergänge.

Die "Hamburg" ging vor dem Yachthafen vor Anker. Am Ufer erhob sich ein zierliches Gebäude mit kuppelgekrönten Pavillons und großen Fenstern vor der dichten Laubwand. Das war der Königliche Yachtklub.

Unsere flinke Barkasse trug uns an die Landungsbrücke der neben angelegenen Quarantänestation. Ohne große Schwierigkeit wurden die vorgeschriebenen Formalitäten von den höflichen Beamten erledigt, und wir konnten uns in den Yachtklub begeben, wo wir Briefe zu finden hofften.


Während wir auf der Quarantänestation warten mussten, hatten wir das Gebäude schon genau angesehen und hatten vom Beamten, der sich zu uns gefunden, den Namen des Architekten, Koch, erfahren.

Es ist ein höchst bezeichnendes Werk unseres Zeitalters.

Wenn man im achtzehnten Jahrhundert einen solchen Pavillon zu bauen gehabt hätte, so würde man ihn koloristisch angelegt haben über einem Grundriss, der dem Zweck entsprochen hätte. Vielleicht wäre man auf die Idee gekommen, ein Schiff in die Wetterfahne zu setzen. Auf Dächern oder Wänden irgendwelche Symbole anzubringen, die auf die Bestimmung des Pavillons hindeuteten, hätte kaum den Gewohnheiten entsprochen. Man behielt sich dergleichen für das Fürstenschloss, für Kirche und Rathaus, vielleicht für ein Zeughaus wie das in Berlin vor, immer für Ausnahmefälle und für monumentale Massen.

Der Königliche Yachtklub in Kopenhagen ist nun ein Bilderbuch, aus dem man ablesen kann: Meer, Segeln, Gefahr, Fortsetzung des Vikingertums.
Zwei runde Pavillons mit gekröntem Kuppeldach, dazwischen ein verbindender Mittelbau. Die Pavillons sind fast, aber nicht ganz gleich groß — was dem natürlichen Gefühl nicht recht eingeht; so baut ein Neugotiker. Das achtzehnte Jahrhundert hätte dies nicht verstanden. Auf dem Dachfirst rekeln zu beiden Seiten zwei Walrosse aus Zink, die Knöpfe dazwischen lösen sich aus der Nähe gesehen in Seehundsköpfe auf. Ein Fries um die Dächer der Pavillons besteht aus Fischen, wie man sie aus Schieferstücken mit Schuppen und Flossen zusammensetzen kann. Die Füllungen aller Wände sind mit Szenen aus Vikingersagen bedeckt, die wir nicht zu enträtseln vermochten, in derber Kraft und mit starker Stilisierung geschnitzt. Überhaupt, wo es nur möglich ist, einen Schmuck anzubringen, hat man es getan. Doch das Ganze wirkt eigentlich nicht unruhig. In der Symbolik, die überall verschwenderisch ausgeschüttet worden, hat es etwas von dem, was man in Frankreich als besonders deutsch empfindet, statt des bloßen Vergnügens an der Erscheinung (woran noch das achtzehnte Jahrhundert genug hatte) der Drang nach bedeutungsreichem Schmuck.
Dem Hamburger fällt als Gegensatz zu diesem modernen Gebilde, das dem Gefühl unserer Jugend entspricht, das alte Baumhaus in Hamburg ein, das einem ähnlichen Zweck diente. Es war ein herrliches Stück zweckmäßiger Architektur ohne überflüssiges Ornament, ganz ohne die am Pavillon des Kopenhagener Yachtklubs beliebte Symbolik und doch ein völlig abgeschlossener Ausdruck seines Zwecks.

Dass es verschwinden musste bei der Umgestaltung des Hafens ist ein großes Unglück für uns. Die Abbildungen können es nicht ersetzen, wenn wir auch eine (jetzt im Besitz der Kunsthalle) von großer Treue und Schönheit besitzen in dem Gemälde von Valentin Ruths, aus dem Jahre 1850.

Ein Erdgeschoss auf kräftigem zum Teil freistehenden Pfahlrost, ein erster Stock, beide mit schönen hohen und breiten Fenstern, darüber das Dach. Aber die First bis tief herab weggeschnitten, und auf der so gewonnenen Fläche ein Pavillon errichtet mit einer Terrasse davor. Hierin diesem Pavillon hielten sich, wenn der Wind umgesprungen war, die Reeder auf, und von dem Balkon davor sahen sie ihren Segelschiffen entgegen, die bei günstigem Winde die Elbe heraufkamen.
Erdgeschoss und erster Stock waren Restaurant. In dem Pavillon auf dem Dach, der nicht aufgesetzt sondern herausgewachsen wirkte, hatte der Hamburger Künstlerverein seine Versammlungen, wie sie auf dem Bild in der Kunsthalle 1840 Günther Gensler gemalt hat.

Innen enthält der Königliche Yachtklub das übliche Restaurant und—im ersten Stock—die Klubräume. Schmuck und Ausstattung wieder sehrreich, aber bei weitem nicht so banal wie in Deutschland die Regel. Das Holzwerk der Decken sehr viel angenehmer und nobler im Ton, auch nicht so unerträglich blank wie bei uns das gebeizte lasierte Holz behandelt wird. Im Hauptraum ein Fries von halbierten Yachtmodellen der letzten zwanzig Jahre, von dem schwerfälligen plumpen Breitboot bis zu dem neuesten Typ, der in seiner Schlankheit und der sachlichen Bewegung seiner Formen etwas vom Fischleibe hat.

Ein Vergleich mit dem Kaiserlichen Yachtklub in Kiel konnte nicht zu dessen Gunsten ausfallen.

Von den Fenstern der Klubzimmer die schönsten Blicke über die See und auf den allerliebsten kleinen Yachthafen. Durch die Freihafenanlage ist die schöne alte Strandpartie der Langen Linie, der Stolz Kopenhagens, gänzlich verändert oder besser zerstört, die Verbindung der Stadt am Strand entlang mit den Vororten nach Klampenborg zu überhaupt unterbrochen.

Am ersten Tag fuhren wir mit der Barkasse ins Innere der Stadt, am nächsten gingen wir zu Fuß durch das Adelsviertel hinein.

Beide Male hatten wir den überwältigenden Eindruck von der brutalen Macht, mit der die Bedürfnisse des Handels die stille Welt der Königsstadt bedrängt, die ja nun nicht mehr am äußersten Ende der Altstadt, sondern zwischen Stadt und Freihafen liegt.

Als wir zu Wasser vorbeifuhren, hatten wir uns auf den Moment gefreut, wo wir den Durchblick vom Hafen über den Amalienplatz nach der zierlichen vergoldeten Kuppel der Marmorkirche genießen sollten. Aber es hatte sich gerade ein großer amerikanischer Dampfer vor diesen königlichen Prospekt gelegt und deckte mit seinem schwarzen Riesenleib alles zu.

Als wir am nächsten Tag zu Fuß vorübergingen, lasen wir in der vornehmen alten Straße hinter dem heutigen Königspalast, in der früher Adel und Würdenträger wohnten, auf den Schildern die Namen der Kaufleute, die sich hier, weil dem Freihafen nahe, angesiedelt hatten. Wenn heute der König die Christiansburg, das alte Königsschloss im Herzen der Stadt, wieder aufbauen ließe und bezöge und gäbe seinen jetzigen Wohnsitz auf, morgen wäre er ein großes Kontorhaus.

Kopenhagen hat etwas Märchenhaftes. Kommt es, weil es durch Andersen geweiht ist, oder liegt nicht auch in seiner Anlage und seinen Bauten ein ganz phantastischer Zug? Was für eine Märchenidee, den Turm der Börse aus den umeinandergeringelten Leibern von vier Ungeheuern zu bilden, oder den Turm der Erlöserkirche mit einer außen umlaufenden Wendeltreppe zu umgeben? Wie fremdartig sondert sich die Burginsel durch den breiten Kanal ab, der sie umgibt, und wie schaurig ragen die Trümmer des gigantischen Königsschlosses auf dieser Burginsel in die Lüfte.

Auch im alten Hafen hat alles einen phantastischen Zug, drei künstliche, befestigte Inseln im Meer tragen in Erinnerung an die Zeit, wo der König von Dänemark die drei nordischen Kronen auf seinem Haupt vereinte, den Namen Dreikronen. Weit draußen im Sund ist eine neue Festungsinsel auf dem Mittelgrund aufgetaucht, wo sie das ganze Fahrwasser beherrscht. Dann die alten Hafenanlagen mit ihren gewaltigen alten Speichern — so können Speicher aussehen! —, die vielen Meerarme wie Kanäle in der Stadt, bald Hamburg, bald Amsterdam, bald Venedig, der träumerische Park von Rosenborg, die geheimnisvolle Zitadelle — ist es ein Wunder, dass hier Märchen wachsen?

Was ist die Stadt erst dem Dänen, dem jeder Stein lebendige Geschichte erzählt von Menschen und Geschehnissen, zu denen er in Liebe oder Hass Stellung genommen hat. Wir können keine deutsche Hauptstadt nennen, die in demselben Maß nationale Geschichte kondensiert wie Kopenhagen.

Auch in Kopenhagen ist das alte Stadtbild mitten in der Umwandlung begriffen. Überall im Kern der alten Stadt sind alte Baublöcke eingerissen und mit großen, viele Bauplätze zusammenfassenden Neubauten bedeckt, meistens Hotels und Warenhäusern. Der in Hamburg so bedeutsam entwickelte Typus des Kontorhauses scheint noch nicht zu existieren.

Die großen Bauten der letzten Jahrzehnte erinnern im Guten und Bösen am meisten an Berliner Vorbilder. Der früher hie und da fühlbare Zusammenhang mit Paris tritt dagegen zurück.

Die jüngsten Neubauten haben jedoch schon eine andere Anlehnung gefunden, die ältere dänische Architektur, und es scheint sicher, dass die weitere Entwicklung in dieser Linie liegen wird. Für die verwandten Bestrebungen in Hamburg ist es eine Stärkung zu beobachten, wie man auch in Kopenhagen zu demselben Ergebnis gekommen ist. Mit einem Schlage ist man hier die „Fassade“ losgeworden, die, mit ornamentaler Architekturanklebung beladen, alle Ruhe und Geschlossenheit aufgegeben hatte. Die Neubauten zeigen wieder einfache schlichte Wände mit den Fenstern als Motiv der Gliederung.

Interessant ist es, dass Hannover sowenig Einfluss gewonnen hat. Es gibt nur wenige Bauten, die ein fernes Schulverhältnis verraten. Am ehesten lassen sich schwache Erinnerungen am Neubau des Rathauses nachfühlen. Aber auch hier hat ein neuer Geist gewaltet. Keine Spielerei mit leeren Formen, keine Baukastenarbeit. In ruhiger Fläche dehnt sich die Fassade mit den großen Fenstern. Ein plastischer Hauptschmuck: die überlebensgroße, in Kupfer getriebene und reich vergoldete Statue des Gründers der Stadt, Bischofs Absalon, von zwei Pagen in einiger Entfernung flankiert. Auf der roten Fassade steht diese Gestalt noch nicht, wie sie der Urheber berechnet hat. Nicht lange, so werden die Kupferflächen in grünem Edelrost prangen, und dann erst wird das Gold und Grün ganz zu der Fassade stimmen.

Kopenhagen hat ein im Jahre 1838, glaube ich, mit königlichem Privileg neu gegründetes Restaurant, das in seiner Art wohl einzig sein dürfte, ein Fruchtrestaurant.

Der Heiligengeistkirche gegenüber liegt es im Keller, wie die alten Hamburger Restaurants. In der Auslage leuchten alle Früchte der Jahreszeit. Unten tritt man aus dem Laden in ein behagliches altmodisches Zimmer und kann sich nach Herzenslust auftischen lassen, Früchte, rote Grütze, Erdbeeren oder Himbeeren in Milch. Sonst gibt es nichts.

Wer sich auf Reisen im heißen Sommer auffrischen will, findet hier, was er braucht. Ich war einmal durch Zufall hingeraten und fand mich nachher den ganzen Tag so frisch, dass ich von da ab täglich einkehrte und außer dem Genuss die Wohltat eines gesteigerten Wohlbefindens davontrug.

In Deutschland habe ich die Annehmlichkeit solcher Fruchtrestaurants sehr entbehrt. Bei der Alkoholfreudigkeit unseres Volkes würde diese Einrichtung auch wohl nicht viel Erfolg haben. Wenigstens in absehbarer Zeit nicht. Aber es ließe sich denken, dass Fruchtläden sich zunächst in bescheidener Weise auf eine Verzehrung an Ort und Stelle mit den nötigen Geräten einrichteten.

Einen Abend mussten wir natürlich im Tivoli zubringen.

Es war ein schöner warmer Sommerabend. Die Plakate hatten ein Ferienfest verheißen für die Schulkinder.

Der Raum war überfüllt. Noch um elf Uhr abends wimmelte alles von größern und kleinern Kindern.

Es interessierte uns, den Typus dieses jungen Dänemark zu verfolgen und wir freuten uns an den schlanken, beweglichen Gestalten mit langen schmalen Köpfen und blonder Komplexion.

Mehr als alle Jahrmarktswunder und Konzerte zog uns eine niedrige Plattform an, auf der die Jugend tanzte. Kleine Jungen und lange Schlingel, die kaum noch auf die Schulbank passen, führten ihre Damen mit der Sicherheit, die nur die Gewohnheit geben kann. Die älteren Knaben und Mädchen waren Meister in allen figurierten Tänzen und bewegten sich so voll Musik und Tanzleidenschaft, wie Erwachsene bei uns nicht auszudrücken wagen. Wir hatten nirgends den Eindruck, dass sie für die Zuschauer tanzten. Bei allem Gewühl — es tanzten vielleicht sieben-, achthundert Kinder auf ziemlich engem Räume zugleich, so dass man nur wirbelnde Masse sah — kam doch nirgends eine Ungebührlichkeit vor, kein Drängen, kein Stoßen, und die Kleinen gerieten nie unter die Füße. Aufsicht war nicht zu merken und wäre auch wohl kaum wirksam gewesen.

Wir kehrten immer wieder zurück, um das lustige Schauspiel zu genießen.
Wie wenig hat sich unsere Erziehung mit der Frage beschäftigt, was mag das Kind gern, was wünscht es, wohin drängt seine Natur es? Körperliche Bewegung und Anstrengung, Wetteifer in kühnen Wagnissen und großen Kraftleistungen, rhythmische Bewegung im Spiel, das von Gesang begleitet wird, Tanzreigen und Tänze, die sie von Urzeiten her geerbt haben oder Erwachsenen absehen, das ist der Inhalt der natürlichen Gymnastik, die das Kind sich selber schafft. Wie viel davon kennt oder kannte noch vor kurzem unsere deutsche Schule? Keine Kinderrasse der Welt hätte das deutsche Turnen erfunden, wie es von Schulmeistern systematisch ausgebildet worden.

Gegen das Tanzen, wie wir es im Tivoli vor uns hatten, sind viele Einwendungen zu machen, und ich wüsste nicht, ob es geraten wäre, solche Kinderfeste bei uns einzuführen. Aber bei allen Unzuträglichkeiten und Gefahren: hier kommt Lebensfreude ans Licht. Könnten wir, was gut daran ist, in unsere Gymnastik retten.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Eine Sommerfahrt auf der Yacht Hamburg