Lyngby-Skosborg.

Auf der Eisenbahnfahrt nach Lyngby erschien mir die Umgebung Kopenhagens sehr verändert, seit ich die Fahrt zuerst gemacht. Die ganze Landschaft ist mit einzelnen oder gruppenweise vereinigten Häusern übersät, die in den letzten Jahren entstanden sind. Auf Meilen hinaus immer dasselbe Schauspiel der roten Dächer und weißen Mauern im Grün. Auch in Kopenhagen drängt offenbar alles hinaus. Wer es sich leisten kann, lebt wenigstens im Sommer draußen: der erste Schritt des Städters zur Rückkehr auf das Land. Wenn diese Neigung, was nicht zu bezweifeln, andauert, wird in einem Menschenalter die Gestalt unserer großen Städte auf der Grundlage der reichen Entwicklung der Verkehrswege sich von Grund aus geändert haben, und auch das Leben des Städters wird eine ganz neue und menschlichere Form annehmen. In England und Amerika beginnt dieser Trieb aufs Land sich schon zu organisieren in den Gardencities, und auch in Deutschland taucht der Plan der das ganze Jahr zu bewohnenden Gartenstädte bereits hie und da auf und bietet der Architektur ganz neue Aufgaben. Denn diese Gartenstädte sollen mehr sein als ein Haufen Landhäuser. Man will die künstlerische Auffassung des Städtebaus, deren Grundlage wir Camillo Sitte danken, in die Praxis umsetzen und alle hygienischen Einrichtungen und alle Vorkehrungen, die die Bewirtschaftung erleichtern, mit Umsicht zur Anwendung bringen.

In Lyngby liegt das letzte Glied der rationell entwickelten Kette von Museen, die Kopenhagen zu einem der wichtigsten Knotenpunkte der Museumsbildung gemacht haben. Dem vorgeschichtlichen Museum, dem Fürsten- und Bürgermuseum schließt sich hier das Bauernmuseum an. Aus ganz Dänemark und aus den vormals dänischen Provinzen Schleswig-Holstein und Schonen sind typische Bauernhäuser angekauft und hier wieder aufgebaut worden.


Ein gut beleuchtetes, schuppenartiges Gebäude enthält eine Sammlung Ackergerätschaften des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts. Mit dem Gebäude ist gar kein Prunk getrieben, und der Inhalt ist einfach und übersichtlich geordnet, wie es der Sachkenner braucht. Hier im Norden, wo uralte Zustände bisher länger gedauert haben, als bei uns oder in England, haben sich Formen urältesten Ackergeräts im Gebrauch erhalten bis an unsere Zeit, wo die Anwendung der Maschine und die systematische Verbesserung der Geräte mit dem Alten aufgeräumt haben. Das Museum ist eben noch zur rechten Zeit gekommen, wenige Jahrzehnte würden genügt haben, alles Alte bis auf die letzte Spur zu vernichten.

Die Gruppe alter Bauwerke, die dies Bauernmuseum bilden, schließt sich malerisch auf einem hügeligen Gelände zusammen. In Gärten und Feldern dazwischen werden alle Nutz- und Zierpflanzen gezogen, die zum alten Bestände der Bauernkultur gehören, eine überaus lehrreiche Ergänzung des Museumsgedankens.

Mit großer Umsicht ist die Wahl der Bauten getroffen, so daß die verschiedenen Typen der Behausungen auch dem Laien leicht erkennbar sind.

Der älteste Typus, der des Rauchhauses, stammt aus Ostenfeld bei Husum.
Wenn man die wissenschaftliche Beschreibung vornimmt, hat man den Eindruck sehr niedriger Kultur und völliger Bedürfnislosigkeit. „Haus ohne Schornstein, heißt es im Führer, das Herdfeuer brennt auf dem Boden. Menschen und Vieh leben in demselben großen ungeteilten Räume. Fachwerk mit Backsteinen und Lehmverklebung. Strohdach (Rieddach). Sächsischer Haustypus.“

Das alles stimmt. Aber dabei ist dieses sächsische Bauernhaus das schönste von allen, die das Bauernmuseum bilden und das einzige, von dem unsere heutige Baukunst unmittelbare Anregungen empfangen kann.

Durch das große Tor, durch das Wagen und Pferde auf die geschützte große Diele einfahren können, tritt der Besucher ein und hat von der Schwelle aus einen Überblick über den ganzen Organismus. Rechts und links die Ställe, im Hintergrund eine Querwand mit den Türen der Wohn- und Schlafzimmer des Hofbesitzers, dazwischen der Herd.

Beim Vordringen erkennt man, dass die Ställe nicht bis zur Zimmerwand reichen. Dort ist an jeder Seite ein offener, kojenartiger Raum ausgespart, ein Zimmer, dem die Wand zur Diele fehlt. Bänke an den Seitenwänden und an der Wand mit der hohen Fensterbank und dem einen breiten Fenster, in der Mitte ein großer Tisch. Das ist so behaglich und so malerisch, wie wir in unsern heutigen Wohnhäusern Räume noch nicht zu bauen pflegen.

Aber noch viel schöner sind die Zimmer, die durch Türen abgeschlossen sind. Das eine ist das Schlafzimmer mit den Wandbetten, das andere der Staatsraum mit getäfelten Wänden in Eichenholz und der einen Fensterwand, vor deren hoher Fensterbank sich eine Wandbank zum Sitzen hinzieht.

Wer noch nicht empfunden hat, dass es eine Poesie des Lichts im Raum gibt, kann es hier lernen. In ruhiger, ungebrochener Flut tritt es ein und erfüllt gleichmäßig den ganzen Raum. Keine Gardinen, die es absperren und auf einige blendende Flecke des Fußbodens leiten, keine dunkeln, breiten Zwischenwände zwischen den Fenstern, die den Lichteinfall durch den Gegensatz hart machen, lauter klares Ätherlicht durch den obern Teil der bis zur Zimmerdecke empor geführten Fenster, wo unsere Baukunst mit allen Mitteln bedacht ist, gerade dieses schöne Himmelslicht abzusperren und nur das von Bäumen oder Hauswänden zurückgeworfene Licht hereinzulassen, das dem feiner empfindenden Auge Qualen bereitet.

Es kann nicht oft genug wiederholt werden, dass der Architekt beim Studium des Fensters anfangen muss, wenn er wieder dahin gelangen will, erträgliche oder gar wohnliche Innenräume zu bilden. In dem alten Ostenfelder Bauernhaus, dessen wissenschaftliche Charakteristik so kulturlos anmutet, kann er lernen, was alle Akademien Deutschlands ein Jahrhundert lang ihren Zöglingen nicht allein verschlossen, dessen Gegenteil sie vielmehr so konsequent gelehrt haben, dass heute erst die jüngere Generation von Architekten zu ahnen anfängt, was wir so lange Zeit lang übersehen haben. Und leider haben sie sich die Erkenntnis aus England geholt, während das Licht in den alten Bürger- und Bauernhäusern der Heimat immer noch fortglomm.

Ein Hof aus Nordschleswig vertritt die weitere Entwicklung des sächsischen Typus, wie wir ihn in noch höherer Vollendung aus der Umgegend Hamburgs kennen. Die große Diele wird durch eine Wand abgetrennt. Dadurch entsteht vor den Zimmern eine zweite Diele, quer durchs Haus führend. Die Feuerstelle wird als Herd an die Wand gerückt und erhält einen Schornstein, der den Rauch abführt.

Von Nordschleswig aus — wie es scheint, hat sich nach Schonen ein anderer Typus verbreitet. Wohnhaus und Ställe sind getrennt. Wohnhäuser aus Nordholland und Schonen — letzteres als Vertreter des vierflügeligen dänischen Bauernhofes —geben im Lyngby-Museum eine Vorstellung von dieser der sächsischen entgegengesetzten Bauart.

Als besonderes Schmuckstück ist noch ein Speicher (Bur) aus Smaaland eingefügt, der den Typus der Verteidigungshäuser des Mittelalters vertritt.
In dieser Zusammenstellung hat das Lyngby-Museum eine ganz besondere Bedeutung für das Verständnis der mittelalterlichen Sagenliteratur des Nordens. Wo sie eine Begebenheit schildern, deren volles Verständnis die Bekanntschaft mit der Einrichtung des Wohnhauses voraussetzt, da geben diese alten Bauernhäuser den nötigen Aufschluss.

Auch Wendungen und Redensarten, die in unserer heutigen Zeit keinen Anschauungsinhalt mehr haben, werden durch den Bestand dieses Museums erst verständlich. Wer hat nicht das Bild vom Lauffeuer gebraucht? Und wer hat sich eine klare Vorstellung dabei machen können, wenn ihm nicht zufällig die wissenschaftliche Erklärung bekannt war? Im Speicher aus Smaaland kann er sich den Vorgang durch die Anschauung erklären. Da steht der Balken mit den beim Erbohren des neuen Feuers entstandenen Bohrlöchern. Nach heiligem Brauch wurde es zu bestimmten Zeiten von Haus zu Haus getragen, das alte zu ersetzen. Das war das Lauffeuer, das eilend verbreitet werden musste.

Dänemark war in der Lage, ein solches Bauernmuseum, das die ganze Vorzeit der Kultur des Landes und seiner einstigen Einflusszone für alle Zeiten der unmittelbaren Anschauung zugänglich erhält, ohne große Mittel einzurichten.
Wollten wir das Schema auf Deutschland übertragen, so würden wir etwa dazu kommen, in Berlin oder in Mitteldeutschland ein weites Gelände mit Bauernhäusern aller Typen auszustatten.

Aber dazu dürfte es bei uns kaum noch kommen.

Dagegen wäre es denkbarer, dass im kulturellen Mittelpunkt jedes deutschen Stammesgebiets die wenigen Formen, auf die es ankommt, der Zukunft gerettet würden. Publikationen allein tun es nicht.

Von Lyngby fuhren wir zu Wagen durch die „dänische Schweiz“, kehrten in einem lieblichen Tal bei Freunden ein und erreichten am späten Nachmittag Skodsborg, wo wir mit dem Blick auf den blauen Sund unser Mahl einnahmen.

Unsere Barkasse brachte uns bei einbrechender Dämmerung an Bord der „Hamburg“ zurück.

Nichts geht über solche rasche Fahrt durch die wogende Wasserfläche.
Mir kam dabei das neue Bild moderner Bewegung in Erinnerung, das ich im Frühjahr auf der Seine beobachtet. Ein schmales kleines Motorboot, wie eine Forelle gebaut, nur noch um einige Grad schärfer, flog mit einer Geschwindigkeit über die Fluten, die ich bei so kleinen Fahrzeugen nicht für möglich gehalten. In langen rhythmischen Schwingungen schien es abwechselnd untertauchen und sich in die Luft erheben zu wollen. Man wunderte sich, dass es weder das eine noch das andere tat.

In Deutschland habe ich Böte von dieser Schnelligkeit bisher nicht gesehen. Ich denke mir, nach der Erfahrung mit unserer Barkasse, dass es, bis wir das Fliegen heraus haben, keinen größern Genuss der Fortbewegung geben kann, keinen der dem alten Traum des Fliegens näher kommt, als dies.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Eine Sommerfahrt auf der Yacht Hamburg