Kapitän und Mannschaft.

Schon in der ersten Viertelstunde auf Deck fiel uns der ruhige Ton des Verkehrs zwischen Kapitän und Mannschaft auf. Befehle wurden im Unterhaltungston gegeben. Kein lautes Wort, keine laute Antwort. Alles war auf das Notwendige herabgemindert.

Kapitän E. Peters gilt als einer der allerbesten deutschen Yachtkapitäne. Wer ihn eine Weile beobachtet hat, würde sich nicht wundern, wenn es hieße, er wäre der beste.


Er war eben wieder seetüchtig nach einem geheimnisvollen Unfall, der ihn am Tag vor der Eröffnung der letzten „Kieler Woche“ betroffen hatte.

Als er abends nach Hause kam und den Türdrücker berührte, fühlte er, ohne dass er einen Menschen hatte kommen hören, eine schwere Hand auf der Schulter und einen Schmerz im Rücken. Er wandte sich scharf um und packte den Angreifer. Im selben Augenblick sprang ein anderer zu und versetzte ihm drei Stiche, so dass er bewusstlos an seiner Schwelle niedersank.

Die drei Stiche erwiesen sich als unbedeutende Fleischwunden. Der Schmerz im Rücken rührte von einer sieben Zentimeter tiefen Stichwunde her. Das Instrument war so dünn und scharf gewesen, dass der Bluterguss nicht nach außen drang und bei der Reinigung ein Stück Rippe entfernt werden musste. Noch kein Zentimeter fehlte, dass die Lunge durchbohrt worden wäre.

Bei der Jugendfrische des sechsundvierzig-jährigen Mannes ist die Wunde dennoch so rasch verheilt, dass er die Regatten am Schluss noch mitmachen konnte.

Wer die Angreifer waren, ist nicht herausgekommen. Der Kapitän hat keine Vermutung. Er meint, es könne eine Verwechslung vorliegen, sie mögen einen anderen haben treffen wollen. Andere sprechen von dunkeln Dingen, die auch bei Pferderennen vorgekommen sind, wenn ein überlegener Renner unschädlich gemacht werden soll. Klar ist die Sache nicht.

Die Kommandosprache, das Plattdeutsch, trägt vielleicht zur Ruhe des Tones mit bei. Der Niedersachse als Seefahrer regt sich nicht auf. Wer durch den Hamburger Hafen fährt, hat sich oft zu wundern, wie ruhig es hergeht. Selbst wenn die sich kreuzenden Schuten und Boote einmal in Verwicklung geraten, so dass ihrer ein halbes Dutzend für einen Augenblick sich hemmen, ertönt kein lautes Wort. Lautlos pflegt jeder, was an ihm ist, zu tun, um selber wieder flott zu werden oder den andern zu helfen.

Manchmal fließt eine englische Wendung ein — so wenn der Anker sinkt: let him go. —

Wie der Kapitän seine Leute nimmt, erfuhren wir an einem drastischen Beispiel.
Als wir von Kopenhagen in aller Frühe unter Segel gingen, sprang ein Mann über das Bollwerk aufs Deck und gleich darauf sah der Kapitän ein leeres Boot treiben. Er gab ruhig den Befehl, ein Boot auszusetzen und das fremde Boot heranzuholen. Dann wurde der Missetäter, der über Urlaub ausgeblieben war, sich irgendwo ein Boot losgemacht hatte und an Bord gerudert war, beordert, es hinzubringen, wo er es hergeholt hatte. Ohne Wort stieg er ein, ruderte an Land und kam mit einem gemieteten Boot zurück, dessen Eigentümer ihn begleitete. Die Windstille begünstigte ihn. Das alles spielte sich in so ruhigem Ton ab, dass ein Augenzeuge, der nicht scharf zusah, gar nicht zu merken brauchte, was eigentlich vor sich ging. Dem Ausbleiber wurde nicht vorgehalten, er habe durch den Raub des Bootes das Schiff in Misskredit gebracht, das wusste er ohnehin. Es wurde nicht verlangt, er solle erklären oder entschuldigen, der Tatbestand lag klar genug. Er wurde nicht zurechtgesetzt: das konnte er selber besorgen. Kein Wort, bis er bei der Rückkehr in Kiel abgelohnt wurde. Eine schwerere Strafe konnte kein Ausbruch des Zorns verhängen. Keine Strafrede ist denkbar, die auf den Missetäter oder die Mannschaft so zwingend wirkte.

Kapitän Peters stammt aus Rügen. Sein Vater war Fischer. Er hat mit dem Segelboot umgehen gelernt, ehe er noch recht zum Bewusstsein gekommen. Schon mit zehn Jahren ging er auf Tage in die See zum Lachsfang, und nicht als Zuschauer, sondern als vollgültig helfende Hand. Er hat als Yachtkapitän rasch seinen Weg gemacht, als der Sport sich in Deutschland einzubürgern begann. Zuerst berief ihn der vorstorbene Großherzog von Mecklenburg, nach dessen Tode Krupp. Dem Verein Seefahrt ist er durch Herrn Adolf Tietjens empfohlen worden, der wohl die genaueste Personalkenntnis hat.

Wer einen Tag mit ihm gesegelt hat, fühlt sich vollkommen sicher. Eine ruhigere, besonnenere Führung, eine vorsichtigere Berechnung ist nicht denkbar.

Die Mannschaft stammt zumeist aus den Schiffer- und Fischergebieten der Ostsee. Einige sind engere Landsleute des Kapitäns, andere kommen aus Holstein und Schleswig. Die Typen sind sehr verschieden. Wendische Kurznasen und untersetzte, breithüftige Gestalten wechseln mit hellen und dunkeln germanischen Köpfen, deren Adlernasen und schlanke Gestalten den Stempel großer Rasse tragen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Eine Sommerfahrt auf der Yacht Hamburg