Hirschsprung und Jacobsen.

Von der Sammlung Hirschsprung hat man in Deutschland noch nicht viel gehört. Sie bildet einen Typus für sich, den wir nicht haben, und der uns noch nötiger gewesen wäre als Kopenhagen.

Als die Nationalgalerie in Kopenhagen von den heimischen Künstlern der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts noch keine ausreichende Vorstellung geben konnte, hatte Herr Hirschsprung sich vorgenommen, sie zu sammeln, und da er der einzige war, gelang es ihm, so ziemlich alles zu vereinigen, was überhaupt zu erlangen war. Vor einigen Jahren war seine ganze Sammlung in der Akademie ausgestellt. Es ist eine große und überaus anziehende Galerie. Der Besitzer hat es über sich gewonnen, sie mit einem der feinsten Kenner der dänischen Kunst, Professor Emil Hannover, auf die Wertigkeit der einzelnen Bilder durchzugehen und hat auf dessen Rat nahezu ein Zehntel entfernt. Dann hat er sie der Stadt Kopenhagen zum Geschenk angeboten unter der Bedingung, dass ein eigenes Museum dafür gebaut würde. Die Stadt hat darauf weder mit Ja noch mit Nein geantwortet, und nun steht die schöne Sammlung seit Jahren verpackt und es ist die Frage, ob sie diese Zeit ohne Schaden überstehen wird. Vielleicht hätte Herr Hirschsprung besser getan, an das Anerbieten, wie es seine Freunde ihm geraten, keine Bedingung zu knüpfen. Die Stadt hätte die Sammlung nicht ausschlagen können, und die würdige Aufstellung wäre selbstverständlich gewesen.


Was Hirschsprung geleistet, hat in Deutschland kein Seitenstück. Es ist mir nicht bekannt, dass in Berlin, Dresden, München oder irgendwo ein Sammler sich die Aufgabe gestellt hätte, in einer geschlossenen Sammlung eine Darstellung der heimischen Kunst zu geben. Und da die Museen es bisher ebensowenig getan haben, so ist uns die deutsche Kunst des neunzehnten Jahrhunderts ein Buch mit sieben Siegeln.

Der Brauer Jacobsen nimmt in Kopenhagen eine Stellung ein, die kein Privatmann irgendwo in Europa inne hat.

Es wäre sehr anziehend, zu erfahren, welche äußere Einflüsse die besondere Art seiner Tätigkeit bestimmt haben. Mir ist nichts Näheres darüber bekannt geworden, Kopenhagener Freunde, die ich fragte, wussten mir nicht recht Auskunft zu geben.

Die Richtung auf philanthropische Ziele unter besonderer Berücksichtigung künstlerischer und wissenschaftlicher Aufgaben hat Herr Jacobsen schon von seinem Vater geerbt, der den neunjährigen Knaben 1851 auf eine Reise nach Deutschland und Italien mitnahm und ihn in alle Museen einführte. Später hat der ältere Jacobsen der dänischen Gesellschaft der Wissenschaften seine berühmte Brauerei Alt-Carlsberg vermacht, aus deren Erträgnissen das 1859 abgebrannte Schloß Fredericksborg wieder aufgebaut und eingerichtet wurde. Noch immer werden aus dem Alt-Carlsbergfonds neue Erwerbungen für das Museum dieses Schlosses gemacht. Unter den wissenschaftlichen Arbeiten aller Art, die aus diesen Mitteln sonst noch bestritten werden, kennt man in Deutschland durch häufige Nachrichten in den Tagesblättern besonders gut die Ausgrabungen auf
Rhodos. Durch die Namen verführt, pflegt man in Deutschland die Leistungen des Vaters auch wohl dem Sohne zuzuschreiben.

Der jüngere Jacobsen, der 1868 in München sein Fach studierte, erhielt in den Siebzigerjahren vom Vater eine eigene Brauerei, das berühmte Ny-Carlsberg, und von diesem Augenblicke an hat er begonnen, dem Vorbilde seines Vaters nachzustreben.

Wenn ich mir aus den Bruchstücken, die ich beobachtet habe und nach dem persönlichen Eindruck, ein Bild machen darf, so steht im Mittelpunkt seines ganzen Wirkens ein glühender, zu jedem Opfer fähiger Patriotismus.

Er wird die schweren Enttäuschungen seines Vaterlandes wie ein persönliches Leid durchlebt und vielleicht noch herber als ein solches empfunden haben. Dann, als Dänemark sich auf sein eigenes Sprachgebiet beschränkt sah, hat er zu den Männern gehört, die sich entschlossen, in dieser Beschränkung das Höchste zu erstreben. Wir haben mit Staunen und Hochachtung verfolgt, wie das dänische Volk, von Deutschland ohne Brücke getrennt, sich nun zum erstenmal ganz auf sich selbst stellte und eine national-dänische Kultur entwickelte. Bis in die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts war der Zusammenhang mit der deutschen Kultur sehr eng, und das eigentlich Dänische, das seit dem siebzehnten Jahrhundert hie und da vorspukte, war nicht ungehindert zur Entfaltung gekommen. Mit einem Schlage war es dann da, wie von einem Bann erlöst, und äußerte sich auf allen Lebensgebieten. Die Zeit war endgültig vorüber, wo dänische Dichter und Schriftsteller zugleich auch der deutschen Literatur angehörten, wo dänische Künstler in der deutschen Kunstgeschichte mitaufgeführt werden konnten.
Jacobsen gehört in eine Reihe mit den bedeutenden Gestaltern von Literatur, Kunst, Landwirtschaft und Handel des heutigen Dänemark.

Es ist schon aus politischen Gründen zu verstehen, dass er sich, wo er über die dänischen Grenzen hinaussah, nach Frankreich und nicht nach Deutschland wandte. Es kam nun hinzu, dass die französische Kunst der Welt gerade im letzten Drittel des neunzehnten Jahrhunderts ein neues Evangelium verkündigt hatte, das des Impressionismus, und dass die künstlerische Jugend der Kulturländer Europas und Amerikas sich eine Generation hindurch in der Kunstsprache der Franzosen ausdrückte. Auch die dänische Jugend hatte sich nach Paris gewandt, und die Schulen, die sie, zurückkehrend, in Kopenhagen auftat, waren Filialen der Pariser Anstalten. Auch ohne den politischen Untergrund hätte ein Mann in der Lage und mit den Absichten Jacobsens sich von Kopenhagen aus nur nach Paris wenden können.

Aber er ist von einer Anlehnung an Frankreich nicht ausgegangen. Sie trat erst spät und zu ihrer Stunde ein. Man könnte sie streichen, ohne dass seine Wirksamkeit ein wesentlich anderes Gesicht erhielte.

Seine Vorliebe für die Skulptur hat ihn zu den Franzosen hingeführt, sie hat sich nicht an ihnen entzündet, denn sie war früher da, eine seltene Neigung in unserer Zeit, die der Plastik sonst so kühl gegenübersteht — der Bildhauerkunst versteht sich, die Bildhauerei hat es so lange die Welt steht nicht besser gehabt als heute —. Jacobsens Neigung zur Skulptur mag vielleicht von Thorwaldsens Einfluss herrühren. Es lässt sich wohl denken, dass in Kopenhagen ein junger Mensch, der künstlerische Neigungen hat, nach der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts in dem volkstümlichen Heros, der unter dem grünen Efeu im Hof seines Museums schläft, eine Wendung für eine Lebensaufgabe erfährt. Von Dr. Beckett erfuhr ich, dass Herr Jacobsen als Kind schon das Thorwaldsen-Museum auswendig wusste.
In München, wo er die Brauerei studierte, hat er offenbar weitere Anregungen von der Glyptothek erfahren, wo er ja in den Restaurationen der Ägineten wiederum die Spuren Thorwaldsens traf. Nachher hat er in Kopenhagen seinen Skulpturensammlungen den griechischen Namen gegeben, der aus der Münchner Sammlung ein so fremdartiges Wesen macht. Glyptothek, das klingt, als wäre es nicht aus unserer Welt und unserer Zeit.

Zurückgekehrt nach Kopenhagen hat er gesammelt, was von Thorwaldsen noch nicht ins Museum gelangt war, alle Zeichnungen, alle Skizzen, alle Entwürfe in plastischem Material. Und als eine Ergänzung hat er von Werken der dänischen Zeitgenossen Thorwaldsens zusammengebracht, was zu erlangen war, immer mit besonderer Vorliebe für die Festlegung der ersten Inspiration.

Was er nun alles geschaffen und gefördert hat, lässt sich kaum überblicken. Er dürfte selber kaum wissen, welche Summen er aufgewandt hat seit den fünfundzwanzig Jahren. Man schätzt sie auf gegen sechs Millionen.

Ausgang der siebziger Jahre begann er mit der Erwerbung einzelner Bilder und Skulpturen französischer Künstler wie Dubois, Delaplanche, Gautherin. Schon 1882 baute er für seine Sammlung einen Saal in Ny-Carlsberg, und zur selben Zeit trat er als Förderer großen Stils in das Kunstleben Kopenhagens ein. An Thorwaldsens Geburtstag (dem 19. November) machte er eine Stiftung von 100.000 Kronen, der er den Namen seiner Frau Albertina gab. Aus den Zinsen sollen Bildwerke für die öffentlichen Anlagen der Stadt Kopenhagen erworben werden. Die Bronzegüsse nach antiken Skulpturen, die in den Parks auf dem Boden der alten Wälle stehen, stammen aus dieser Stiftung.

Seine Sammlung auf Ny-Carlsberg öffnete er von der ersten Stunde an dem Publikum. Er vermehrte sie so rasch, dass er sie schon 1888 als umfangreiches Museum dem Staate überweisen konnte. Im demselben Jahre veranstaltete er die berühmt gewordene Ausstellung französischer Kunst in einem besonderen Ausstellungsbau. Diese Ausstellung ist mir persönlich in lebendigem Andenken, denn auf ihr lernte ich zuerst die in Deutschland ganz unbekannt gebliebene, in Frankreich noch wenig beachtete französische Medaillenkunst von Roty und Chaplain kennen, und da ich damals, eben nach Hamburg zurückgekehrt, mit der Untersuchung der Ansatzpunkte für eine wurzelhafte Entwicklung des örtlichen Kunstschaffens beschäftigt war und eben das alte Medaillenwesen des hamburgischen Staates studiert hatte, fasste ich dort den Entschluss, eine Sammlung moderner französischer Medaillen und Plaketten anzulegen als Anregung für unsere Kunstfreunde und Künstler.

Ein Jahrzehnt später wurde das große Museum für moderne Skulptur und Malerei „Ny-Carlsberg Glyptothek“ in Kopenhagen mit einer glänzenden internationalen Ausstellung eröffnet.

Unterdes hatte Herr Jacobsen mit Hilfe einer Schar von Archäologen seine große Sammlung antiker Originalwerke angelegt, die mittlerweile die größte Privatsammlung Europas geworden ist. Er hat auch diese Sammlung bereits seinem Vaterlande gestiftet, in zwei Jahren (1906) soll das dafür errichtete Museum eröffnet werden.

Wie alle diese Sammlungen bestimmt sind, die öffentlichen Museen des dänischen Staates, die wesentlich auf dänische Kultur und Kunst beschränkt sind, zu ergänzen durch antike und modern-europäische Kunst, so hat er auch das Kunstgewerbemuseum, das neben den historischen Sammlungen dänischer Kunst die ausländische Kultur berücksichtigen soll, durch eine Stiftung von 100000 Kronen, den Ny-Carlsbergsfonds, bereichert.

Daneben legte er den Grund zu einem umfassenden Museum von Gipsabgüssen, die er dem Staat überwies, und zu deren Direktor er ernannt wurde.

Im Laufe der Zeit entstanden in seinem Auftrage verschiedene Denkmäler, das von Asmus Carstens, das Huitfeldmonument u. a. m., sowie andere Bauwerke, wie die Kirche zu Valby, Gruftkirche der Familie Jacobsen, das Doppeltor und der Turm von Ny-Carlsberg.

Am Stiftungstage des Carlsbergsfonds, den sein Vater der Gesellschaft der Wissenschaften überüberwiesen hatte, schenkte er schließlich zu dessen Vermehrung am 25. September 1903 die Brauerei Ny-Carlsberg, deren Erträgnisse künstlerischen Zwecken dienen sollen.

Alle diese Geschenke und Stiftungen geschahen in seinem Namen und dem seiner Gemahlin, die seine Interessen teilte.

Ich habe nicht alles aufgezählt. Besonders müssten noch die großen Bildnisaufträge erwähnt werden, die den bedeutendsten dänischen Malern ermöglichten, sich in monumentalen Leistungen auszusprechen. Und es darf nicht vergessen werden, dass er über diesen Aufwendungen für Kunst in jeder Gestalt auch die Fürsorge für die Arbeiter seiner großen Brauerei nicht vernachlässigt hat. Schon 1889 wurden die zur Brauerei gehörigen Arbeiterwohnungen vollendet.
Die Grundlagen für diese Übersicht verdanke ich einem Kopenhagener Gelehrten.

Sammler wie Hirschsprung können überall als Vorbild aufgestellt werden, Sammler wie Jacobsen kaum. Er hat sich als in seiner Art einzig bewährt, was er geschaffen, lässt sich nicht nachmachen.

Aber wenn nicht ein Vorbild, wird er doch immer einen Maßstab abgeben müssen, an dem jeder, der über sein Bedürfnis hinaus gesegnet ist, seine Leistungen für das öffentliche Wohl prüfen mag.

Wir haben in Hamburg sehr wenige Vermögen, die Aufwendungen ähnlicher Art gestatten würden. Aber die große mittlere Wohlhabenheit würde jeden Augenblick durch Zusammenschluss der Kräfte zu sehr hohen Leistungen stark machen.
Die wirtschaftliche Kraft, über die wir verfügen, ist bisher weder der heimischen, noch der allgemein deutschen Kunst — ich beschränke mich auf dies Gebiet —, recht zu gute gekommen. Was wir durch unermüdete Arbeit gewinnen, bleibt ein Besitz der toten Hand, solange es uns nur dazu dient, ein Leben mittlerer Behaglichkeit zu führen.

Dass wir von heute auf morgen unser Leben anders einrichten sollten, ist nicht denkbar.

Die äußeren Formen sind nie etwas anderes als der Ausdruck des Bedürfnisses.
Bei der Pflege edler und höherer Bedürfnisse an uns selbst und an dem kommenden Geschlecht müssen wir einsetzen. Dann kommt alles von selbst. Dann werden wir nicht dulden, dass unsere herrliche Stadt fernerhin Gefahr läuft, verballhornt zu werden, dann wird der Staat in allem, was er baut und bildet, Rücksicht zu nehmen haben auf eine gesteigerte Anteilnahme, eine verfeinerte Empfindung, ein gerechtes weil sachliches Urteil, dann wird jede große künstlerische Begabung, die uns zuwächst, als ein Schatz gehütet werden, und für unsere Bauten und Sammlungen werden wir den Ehrgeiz haben, die edelsten Kräfte, die Deutschland hervorbringt, an uns zu fesseln, und es wird keinen bedeutenden Künstler geben, dessen Entwicklung nicht auch von Hamburg durch große Aufgaben gefördert würde.

Wie viel heißer und tiefer könnte ein Hamburger Kind seine Heimat lieb haben, mit wie heller Begeisterung sich für sie einsetzen, wenn es noch etwas anderes zu lieben gäbe als die Schönheit der Landschaft, die durch Unverstand und Kulturfremdheit der Bewohner schon so sehr zu Schaden gekommen ist; etwas anderes als die großartigen Bilder des Hafens und die Schönheit der Gärten und der Flussufer, wenn die Häuser und Monumentalgebäude nicht nur ausnahmsweise sondern in der Mehrzahl als ein gemeinsamer Besitz an Kunstwerken empfunden würden, wenn in den Staatsgebäuden und Museen die edelsten Schöpfungen unserer Stadt und unseres Volkes als ein allen bekannter und bewusster Schatz daständen, wenn bei uns der Ehrgeiz eine Triebfeder bildete, unsere herrliche Vaterstadt von Geschlecht zu Geschlecht reicher auszustatten und edler zu schmücken.

Auf der Grundlage einer solchen Liebe würde im Leben jedes einzelnen der Wunsch erstehen, an dem Ausbau des gemeinsamen Besitzes nach seiner Kraft mitzuarbeiten und die Stelle zu suchen, wo er allein oder im Verein mit Gleichgesinnten einsetzen könnte.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Eine Sommerfahrt auf der Yacht Hamburg