Bornholm.

Es fällt auf, dass die Dänen so wenig Marinemaler haben. In der Kopenhagener Nationalgalerie sieht man sich vergebens nach Seebildern um. Nur vom alten Eckersberg ist eine Reihe mäßig großer Marinen vorhanden denen man ansieht, wo Melbye seine ersten künstlerischen Anregungen her hat.

Wie es kommt, dass die dänischen Maler im ganzen so zurückhaltend gegen das Element sind, das in ihrem Vaterland alles umgibt und alles durchdringt, ist schwer zu sagen. Wir haben ja in Hamburg mit dem Schönsten, was unsere Landschaft besitzt, mit Elbe und Hafen ähnliches erlebt. Freilich hatten wir in Hamburg niemals eine solche Fülle von Malern wie Kopenhagen im neunzehnten Jahrhundert.


Noch immer breitet der Sund Seebilder vor uns aus, die es vielleicht nirgends mehr in dieser Gestalt gibt. Dem Hamburger kommt es vor, als sei er in vergangene Zeiten entrückt, denn den Eindruck bestimmt nicht der Dampfer sondern das Segelschiff, und das Segelschiff aus alter Zeit, das in der Elbe fast nie mehr gesehen wird. Schwerfällig kommen sie daher, breitbäuchig und mit altertümlicher Segelstellung, Formen, die uns aus Melbyes oder Eckersbergs Bildern bekannt sind. Von den Seekundigen hörte ich, dass diese alten Kasten von Norwegen und von Finnland und den russischen Ostseehäfen angekauft und zum Holztransport verwendet würden. Oft schwämmen sie auf ihrer Ladung. In der Tat begegneten wir nicht selten einem tiefliegenden, unter der Last der Bretterstapel fast versinkenden alten Krüppel mit gebrochenem Kreuz. Früher, hörte ich, hätte Frankreich alle alten Segelschiffe gekauft, seit aber für den Bau von Dampfern die hohen Staatsprämien gewährt werden, wäre Frankreich aus den Märkten für überlebte Segelschiffe ausgeschieden.

Auf der ganzen Fahrt nach Bornholm tauchten überall die alten vergessenen Silhouetten auf, aber nirgends in solcher den Eindruck bestimmenden Fülle wie im Sund, der alle Linien zusammenfasst.

Langsam kreuzten wir von Kopenhagen weg. Es war, als sollten wir Zeit haben, das bunte Bild in Ruhe zu genießen. Aber als wir den Sund verließen, kam bei hellem Sonnenschein ein guter Wind auf, und wir hatten unvergleichlich schöne Stunden. Auf dem Segelschiff hat man erst die Empfindung für die Fahrt. Man ist in viel innigerer Berührung mit dem Wasser. So in der Sonne auf dem Heck zu liegen, zu plaudern, zu träumen oder Kielwasser und Wellen zu beobachten, den Matrosen zuzusehen, wenn das Schiff überstag geht, das Spiel des Lichts auf den weißen Segeln und den weißen Gewändern der Matrosen zu verfolgen, das löst gründlich vom gewohnten Dasein los. Das Leben liegt so fern und weit, dass man nicht weiß, wie man einmal wieder anknüpfen soll.

Wir gingen vor Rönne auf Bornholm vor Anker. Die Dünung war so stark, dass wir nicht in den Hafen konnten, und der Wind war nach Osten umgesprungen. Das Ufer, ziemlich flach, war baumlos und ohne besondere Eigenart.

Am nächsten Morgen ging es ans Land. Neugierig sahen wir uns in Rönne um. Lange, gerade Straßen, breitgelagerte Häuser mit dem Dach über dem Erdgeschoss. Die Stadt bedeckt infolge dieser Bauweise einen sehr großen Flächenraum. Ziemlich viel Fachwerkbauten strengen Stils, der keine schrägen Stützen verwendet. Dies System senkrechter und wagerechter Balken gibt dem Fachwerkbau auf der ganzen Insel etwas sehr Ruhiges. Die Technik des Riegelwerks an diesen Fachwerkbauten, selbst an neueren, hat etwas Uraltertümliches. In der Nähe Hamburgs weiß ich nur ein einziges Haus, dessen Querbalken unter dem Dach in derselben Art mit Holzpflöcken an den Stützen befestigt sind, die niedliche kleine Hütte in Lübeck an der Ecke neben der Domfassade, jetzt von der Stadt angekauft. Diese altertümliche Bauart in Bornholm fällt in den Bereich der urtümlichen Kunst- und Lebensformen, die sich im Norden wie in einem Asyl erhalten haben und heute so überraschend neben dem allerjüngsten und fortgeschrittensten stehen. Ein kleines Museum bornholmischer Altertümer wurde im Vorübergehen gemustert, dann traten wir die übliche Fahrt durch die Insel an.

Sobald wir Rönne verlassen hatten, fühlten wir uns in ein anderes Zeitalter versetzt. Einsame Höfe liegen über die Insel zerstreut inmitten des zugehörigen Acker- und Weidelandes, nach ältester germanischer Herrensitte, die bei uns durchweg der demokratischen Aufteilung des Gesamtlandes nach der Wertigkeit gewichen ist. Es nimmt nicht wunder, in dieser Landschaft am Weg ein altgermanisches Denkmal zu sehen, das ein Mann als einzig übrig gebliebener nach einer Seuche oder einem Krieg seinem Vater, seiner Mutter, seinen Geschwistern errichtet hat.

Die Flora schien keine Arten zu enthalten, die nicht auch in Pommern und Mecklenburg vorkommen. Alle Charakterpflanzen an den Wegen waren aus der Heimat wohlbekannt. Einmal hatte ich einen sehr zarten dekorativen Eindruck. Zu beiden Seiten einer langen geraden Wegstrecke dehnte sich der Rain als ein Beet von lauter weißen und blauen Blumen, der Zichorie und einer wilden Wurzel (Doldenblütler). Es war ein sehr anmutiger Anblick. Der Zufall hatte hierdurch die Verbindung des überaus edlen Blau der Zichorie mit dem tonigen Weiß der Dolden ein koloristisches Meisterstück zustande gebracht, das einem menschlichen Willen Ehre gemacht hätte, und das unsern Gartentechnikern zu denken geben könnte.

Aus der Gegend des schweren Ackerlandes kamen wir allmählich in einen andern Teil mit anstehendem Fels.

Wir stiegen am ersten Haltepunkt aus und besahen die steilen Jonsklippen mit dem brandenden Meer zu Füßen. Das Ufer hat etwas ganz Unnordisches. Man denkt bei den steilen Klüften und der wilden Brandung an Eindrücke vom Mittelmeer. In der Ferne sahen wir die „Hamburg“ liegen, und hier hatte ich von diesem Schiff zum ersten Mal den Eindruck der absoluten Größe. Wie sie ruhig dalag, erschien ihre Schonerform viel zu groß in den Abmessungen und erhielt dadurch etwas Phantastisches. Aus der Nähe wirkte die Yacht überall viel kleiner, selbst wenn sie am Ufer lag. Ich glaube, dieser Effekt der Fernwirkung lässt sich erklären. Das Auge fühlt die Länge der Uferstrecke und die große Entfernung in der Luftlinie, erwartet, wo das Schiff liegt, eine ganz kleine Form und ist überrascht von den ragenden Massen. Die zweite Station waren die Ruinen der alten Zwingburg Hammershus, hart am Meer auf mächtigem Felsrücken. Der Führer — der redende und der gedruckte — erzählt von den Kämpfen zwischen Dänen und Schweden, die sich hier abgespielt haben und weiß, was die Türme und Hallen einst bedeutet haben. Mehr als die Blicke über die steilen Küsten mit sonderbaren Naturspielen ausgefressener Felsen zogen mich der Hafen und die Granitbrüche an, die die Hamburger Firma Ohlendorff hier angelegt hat.

So fassen die Hanseaten, nachdem im sechzehnten Jahrhundert Bornholm eine Zeitlang als Pfand in Lübecker Händen war, nach Jahrhunderten hier wieder Fuß.
Über Allinge an der Ostküste fuhren wir zurück und hielten nur noch einmal, um eine mittelalterliche Rundkirche zu besehen, deren Typus auf der Insel wiederholt vorkommt. Es waren Festungsbauten. Über dem eigentlichen Kirchenraum erhoben sich noch zwei Geschosse, die auf ihren zyklopischen Gewölben wohl einen sichern Zufluchtsort abgaben. Zugänglich war der erste Stock durch einen Spalt, den man erst mittels einer Leiter erreichte, und der so schmal ist, dass beleibte Menschen nicht durchschlüpfen konnten. Auf die brauchte man außerhalb der Städte im Mittelalter wohl auch nicht zu rechnen.

Es soll zwei Rassen auf der Insel geben. Darüber konnten wir bei der Fahrt durchs Land jedoch keine Beobachtungen anstellen. Was wir sahen, trug den norddeutsch-skandinavischen Typ. Das Auge hätte den Männern und Frauen schwerlich ansehen können, ob der Markt, den wir in Rönne besuchten, in Holstein, Dänemark oder Schonen läge.

Wir nahmen an Land ein spätes Mittagessen. Es war gekocht und aufgetragen genau wie wir es in unsern Landstädten gewohnt sind.

Überall wimmelte es von Deutschen, nicht zur Vermehrung unseres Wohlbehagens. Das reisende Deutschtum im Ausland zu beobachten, hat etwas Schmerzliches.

Es hat mich sehr interessiert aber nicht sehr aufgeregt, Bornholm kennen zu lernen. Man muss wohl länger verweilen, um es so gern zu haben wie die ständigen Badegäste. Wenn ich mich frage, was mir dort den tiefsten Eindruck gemacht hat, so ist es der Weg mit den Zichorien und Dolden.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Eine Sommerfahrt auf der Yacht Hamburg