Fortsetzung (2)

Als ich dann nach Beendigung der Mahlzeit meine Gastgeschenke austeilte: etwas Tabak, eine Kleinigkeit russischen Ziegeltee, einige Stücke Zucker, ein paar bunte Perlen und einige Nähnadeln, findet der Jubel kein Ende. Die Hausmama betrachtet mich alsbald als ihren Schwiegersohn und führt mir auch gleich „probeweise“ die Braut zu. Da hilft nun kein Protest, ich muss mich noch zu einem Brautgeschenk verstehen. Und so gebe ich denn meiner „Matuschka“ schweren Herzens ein buntes Taschentuch, das sich in ihren Händen alsbald in ein Kopftuch verwandelt. Der Schwiegervater erhält ein großes Paket Tabak. Die Schwiegermutter begnügt sich mit einem Taschenspiegel und einer Rolle schwarzen Zwirn. Dafür habe ich nun freilich das „Aufgeld“ für Matuschka bezahlt und das Recht erworben, demnächst zu ehelichen. Nachdem ich mich gründlich ausgeschlafen, ziehe ich es aber am nächsten Morgen vor, den Heiratskandidaten wieder mit dem Postillon zu vertauschen. -

Wir waren wieder den ganzen Tag unterwegs gewesen; über Stock und Stein in rascher Eile, und von neuem brach die Nacht erein. Diese Nächte, die hasste ich. Denn dann schienen die grünen, schillernden Augen der Wölfe unheimliche Größe anzunehmen, und auch Meister Petz war uns in mitternächtiger Stunde mehrmals auf den Fersen. Geschlafen habe ich wohl während der ganzen Fahrt Werchojansk-Sredne-Kolymsk nur sehr wenig, aber ich nickte im Schlitten doch hin und wieder ein. Wohl mehr infolge der Kälte als durch Müdigkeit.


Gegen Mittag des zweiten Tages seit unserer Abfahrt von Küreliach erreichten wir Ebeliach, wo Kutscher und Renntiere gewechselt wurden. Alles ging in geschäftsmäßiger Eile. Nur wieder zwei kleine Gebäude aus Eis und Schnee. Immerhin ein ganz passables Unterkommen. Nikolai, der mich hier verließ, stellte seinen Nachfolger Iwan vor, der ebenfalls ein gutmütiger Bursche zu sein schien. Es gab hier schon „Stroganin“, das heißt „gefrorenen Fisch“. Ein Zeichen, dass wir in der Nähe der Indigirka waren.

Mein Interesse für die Jakuten, die fast ausnahmslos diese furchtbaren Einöden bevölkern, wurde von Tag zu Tag größer. Alles freundliche, liebe Gestalten, wenig gesprächig, denen das harte Leben aus den Gesichtszügen zu lesen war. Ich glaube, es sind wohl die treuesten Vasallen der russischen Krone, und selten habe ich noch einen ehrlicheren Volksstamm gesehen. Ernst, wie für sie das Leben ist, sind sie für jeden kleinen Freundschaftsdienst zu haben, ohne irgend etwas anderes als einen dankbaren Blick dafür zu begehren. Es was für mich ein oft wiederkehrendes Bild, wenn ich sah, wie die Kleinen dieses kaum dem Christentum gewonnenen Stammes durch Mund – und Handkuss den Eltern guten Morgen wünschten, und wie diese dann, glücklich lächelnd, segnend ihre Hände auf ihre kleinen Lieblinge legten. Still und Ernst. Jeder weiß, dass der Tod beständig vor der Tür lauert. Allen ist es in die Herzen wie auf die Grabkreuze geschrieben: „Dein Wille geschehe.“

Nachdem ich einen kurzen Imbiss eingenommen hatte und die sich stets gleichbleibenden Fragen wie: „Djammkasskös?“ - „Kass-taba-bar?“ - „Wieviele Renntiere kann ich haben?“ - erledigt waren, ging's unter beiderseitigen Glückswünschen weiter. Immer schärfer wurde die Luft, immer größer die Eiskristalle, die sich an den Augenlidern festsetzten. Es war mir unmöglich bei dieser Witterung beständig im Schlitten zu sitzen, ich wäre sonst wohl innerhalb kürzester Zeit dem Eisgott zum Opfer gefallen. So versuchte ich denn streckenweise nebenher zu laufen, was bei dem hohen Schnee nicht leicht war, jedenfalls aber warme Füße brachte.

Hatten wir bis jetzt so ziemlich klares Wetter, so setzte nun schwerer grauer Nebel ein, der die Fahrt ebenso schwierig wie gefährlich machte. Wir näherten uns immer mehr und mehr der Indigirka, jenem ansehnlichen Fluss, an dessen hohen Ufern die wilden Schwäne und Gänse ihr Familienglück begründen. Iwan erzählte mir, dass die Indigirka in der Mitte ihres Laufes an 1.800 Fuß breit und dass die Länge des Stromes auf 200 Meilen geschätzt sei. Nach vierundzwanzigstündiger Fahrt, während der weite Tundrastrecken mit dürftigen Wäldern und verwehten Gebirgsketten abwechselten, hielten wir vor dem hohen Felsenufer der Indigirka. Die Renntiere wurden ausgespannt und von Iwan vorsichtig den steilen Abhang hinabgeführt. Die Schlitten selbst bekamen einen Stoß und kugelten ohne Führung nach. Wir waren gerade wieder beim Einspanne, als sich am jenseitigen Ufer Schlitten zeigten. Es war, wie sich bald herausstellte, die aus Sredne-Kolymsk kommende Post. Mit ihr reisten zwei Staatsgefangene, die ihre Strafzeit im Exil verbüßt hatten und sich nun auf dem Wege zur fernen Heimat befanden. Schnell war ein Feuer angefacht, und bei Tee, Schwarzbrot, gefrorenem rohen Fisch und Kognak blieben wir bis zu einbrechender Nacht beisammen.
Eine Schlittenfahrt durch Nordsibirien 03

Eine Schlittenfahrt durch Nordsibirien 03

09 Russische Staatsgefangene am Ufer der Jana

09 Russische Staatsgefangene am Ufer der Jana

10 Ein Zugrenntier

10 Ein Zugrenntier

11 Reiche Jakutin

11 Reiche Jakutin

13 Gruppe von politischen Gefangenen in Sredne-Kolymsk (3)

13 Gruppe von politischen Gefangenen in Sredne-Kolymsk (3)

13 Gruppe von politischen Gefangenen in Sredne-Kolymsk (1)

13 Gruppe von politischen Gefangenen in Sredne-Kolymsk (1)

13 Gruppe von politischen Gefangenen in Sredne-Kolymsk (2)

13 Gruppe von politischen Gefangenen in Sredne-Kolymsk (2)

13 Gruppe von politischen Gefangenen in Sredne-Kolymsk (3)

13 Gruppe von politischen Gefangenen in Sredne-Kolymsk (3)

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