Von Cincinnati nach San Francisco.

Am Abend des 8. November 1884 war es, als wir uns in Begleitung einer Anzahl unserer intimsten Freunde auf dem Bahnhofe in Cincinnati befanden, fertig zur Abreise. Das übliche „glückliche Reise“ und „fröhliches Wiedersehen“ wurde ausgetauscht, und dann brauste der Zug der Ohio und Mississippi Bahn mit uns davon. Das war der Anfang unserer „Reise um die Welt.“ Wir plauderten nach der Abfahrt munter, denn Jeder wollte sich selbst und die Gefährten überreden, dass wir an keine Fährlichkeit dachten und nicht daran zweifelten, dass wir die Reise glücklich zurücklegen und sicher wieder heimkehren würden.

Und doch konnte sich keiner von uns einer gewissen Bangigkeit erwehren. Wir wussten, dass die Reise nicht ohne Gefahren sein würde, aber wir versuchten alle derartigen Gedanken hinter einer äußerlichen Munterkeit zu verbergen. Bald wurden wir auch mit anderen Reisenden bekannt, die sich mit uns auf demselben Zuge befanden, und über der sich rasch entspinnenden Unterhaltung vergaßen wir unsere Bangigkeit und dachten nur noch an die Anforderungen, welche die Reise an uns stellte. Wir kamen uns vor wie Schuljungen, die nach unbekannten Regionen reisen, und der geneigte Leser kann sich deshalb leicht einen Begriff von den bangen Zweifeln machen, welche uns, wenn auch nur momentan, beschlichen. Wir brauchten genau eine Woche, um San Francisco, die „Stadt des Goldenen Horns,“ zu erreichen. Unsere Zeit war beschränkt, aber wir nutzten sie aufs beste aus. In Kansas City, Denver und der Mormonen Hauptstadt, Salt Lake City, hielten wir uns nur kurze Zeit auf, hatten aber das Glück, überall Freunde zu finden, die uns ohne Zeitverlust direkt nach denjenigen Plätzen und Sehenswürdigkeiten führten, die für den Fremden von Interesse, oder von historischer Bedeutung sind.


Die majestätische Schönheit des Felsengebirges und der Sierras — Schönheiten, die keine Feder zu schildern im Stande ist — bewunderten und genossen wir, während unser Zug über Berg und Tal donnernd dahinjagte und uns im Fluge durch Wälder, über scheinbar unergründliche Abgründe und rauschende Waldströme führte. Es war in der Tat ein nachhaltiger Eindruck, den diese großartigen Naturschönheiten, trotz der Eile, mit der wir an ihnen vorüberflogen und der beschränkten Aussicht, die wir von den Waggonfenstern aus hatten, bei uns hinterließen. Die Szenerie änderte sieh, während das Dampfross uns mit Windeseile vorwärts führte, wie in einem Panorama ; so sehr wir auch oft wünschten, an dieser oder jener Stelle zu rasten, um die Großartigkeit der Landschaft voll zu genießen, es nützte nichts, denn „Vorwärts!“ lautete das Kommando und vorwärts ging es ohne Rast dahin nach San Francisco, von wo aus wir zur festgesetzten Stunde die große Reise über die „wogenden Salzfluten“ antreten wollten.

In Denver wurden wir von alten Freunden, den Herren Philipp Zang und Simon Richardt, in der Mormonen Hauptstadt von Herrn Henry Wagner, gastfreundlich aufgenommen, fürstlich bewirtet und unser kurzer Aufenthalt im höchsten Grade genussreich und unterhaltend gemacht. Andere Freunde, die Herren Herrmann Wieland und John F. G. Eggers, empfingen uns bei unserer Ankunft in San Francisco, und ihr Willkommen war so äußerst herzlich, dass wir vom ersten Augenblicke an wussten, dass unser Aufenthalt dort sich zu einem höchst befriedigenden gestalten würde. Unsere hochgespannten Erwartungen wurden indes noch bedeutend übertroffen, obgleich unser Aufenthalt in Kalifornien kaum eine Woche dauerte.

Das reiche, lustige und leichtlebige San Francisco macht auf den an ruhigere Lebensweise gewöhnten Fremden aus dem Osten einen durchaus fremdartigen, aber trotzdem angenehmen Eindruck; die drei Weltreisenden von Porkopolis waren Anfangs einigermaßen geblendet von dem neuen Leben, das sich vor ihnen auftat. Neben den Überraschungen, welche die „Stadt des Goldenen Horns“ uns bereitete, sahen wir aber auch in Kalifornien Szenen, die nur von Solchen gewürdigt werden können, welche sie selbst persönlich erlebt haben. Ein Ausflug nach Los Angeles war ganz besonders genussreich und machte einen tiefen Eindruck auf uns. Durch Beschreibungen, welche wir gelesen und gehört hatten, waren unsere Erwartungen aufs höchste gespannt, aber wir fanden, dass nicht einmal die Hälfte von dem gesagt worden war, was wir in Wirklichkeit vorfanden. Dieses Land verdient die so häufig angewandten, allerdings überschwänglichen, Namen: „Land der Blumen,“ „Paradies,“ „Elysium.“ Ein ewiger Sommer, ein wunderbares, heilkräftiges Klima und eine Umgebung von unbeschreiblich großartiger Schönheit machen Los Angeles zu einem Aufenthalte, den man nie im Leben wieder vergisst, wenn man einmal da gewesen ist. Wir waren einstimmig der Ansicht, dass es der schönste Flecken Erde sei, den wir jemals besucht hatten.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Eine Reise um die Welt im Jahr 1884-1885