XXII. Julian’s Genesung schritt sicher, aber nur sehr langsam fort und mit der Beruhigung über seinen Zustand kehrten Theresen’s Gedanken, nach Sophien’s Entfernung, ...

XXII. Julian’s Genesung schritt sicher, aber nur sehr langsam fort und mit der Beruhigung über seinen Zustand kehrten Theresen’s Gedanken, nach Sophien’s Entfernung, doppelt lebhaft zu ihren eignen Verhältnissen zurück.

Sie mußte sich gestehen, daß die Gewalt der Liebe, die sie zu Alfred zog, stärker war, als ihre festesten Entschlüsse. Jeder unbewachte Augenblick führte sie zu ihm zurück und oft schien es ihr, als läge in dieser mächtigen Liebe, wie Sophie es genannt hatte, ihre Rechtfertigung. Sie kam sich klein und zaghaft neben Sophien vor, und schalt dann ihre Liebe ohnmächtig und schwach, vor deren Größe sie wenig Augenblicke vorher sich erschrocken abgewendet hatte.


Sie wünschte Alfred zu sehen und fürchtete sich davor, denn sie war nicht mehr sicher, ihm gegenüber die Ruhe zu bewahren, die sie für Pflicht hielt. Ein Zustand angstvoller Verwirrung kam über sie. Sophien’s rückhaltlose Liebe, die alle Schranken niederwarf, allen bürgerlichen Gesetzen Hohn sprach, um den Geliebten zu beglücken und glücklich zu werden durch ihn, dünkte sie der Beweis einer Seelenstärke, um die sie die Künstlerin beneidete; und dennoch stand Sophie als warnendes Beispiel vor ihr und die Stimme der Wahrheit in der eigenen Seele, die Stimme des Rechtes verwarfen jene Handlungsweise und hießen sie ausharren und dulden.

Aus diesem Schwanken rang sich der Gedanke in ihr empor, Alfred zu fliehen. Sie wollte fort, sobald Julian genesen sein würde. Sie fühlte, dies sei der einzige Ausweg aus diesem Labyrinthe, und sie wollte ihn wählen. Aber während sie an Trennung dachte, schienen ihr die Stunden zu Tagen, die Tage zu Jahren zu werden, denn Alfred ließ sich nicht mehr sehen.

Bald fürchtete sie seine Achtung eingebüßt zu haben durch die Schwäche, mit der sie sich neulich seiner stürmischen Zärtlichkeit überlassen, bald wähnte sie, Alfred meide sie und zweifle an ihrer Liebe, weil sie sich bis jetzt geweigert hatte, seinen Wünschen nachzugeben. Sie schrieb dem Geliebten und zerriß das eben Vollendete wieder, ihre Zweifel erreichten den Gipfel der angstvollen Unsicherheit. So schwanden ihr drei lange Tage hin, ohne daß sie Alfred sah. Am Morgen des vierten Tages brachte man ihr einen Brief von ihm, der also lautete:

„Meine Therese! Wenn dieses Blatt in Deine Hände kommt, ist unser Schicksal entschieden, ich bin frei und Du wirst mein. – Du wirst mein! fühlst Du die Seligkeit dieses Gedankens? Erschrick nicht davor, es mußte so kommen und ich empfinde seit lange die ersten Stunden wahren Friedens, des Friedens mit mir selbst, der aus der Ueberzeugung entspringt, das einzig Richtige, das einzig Rechte gethan zu haben.

Denkst Du des Tages, an dem wir über die Wahlverwandtschaften sprachen? des Tadels, den ich auf Charlotte warf, weil sie nicht den Muth gehabt hatte, Bande zu lösen, die zu schmachvollen Fesseln geworden waren? In solchen Banden lagen wir, und auch wir konnten zögern uns würdig zu befreien, auch wir standen am Rande des Verderbens.

Um Dir genugzuthun, um Das zu erfüllen, was ich in thörichter Verblendung für Pflicht hielt, strebte ich eine Verbindung aufrecht zu erhalten, die nie hätte geschlossen werden sollen, die innerlich unsittlich geworden war, weil ihr die Liebe fehlte und das Vertrauen aus ihr entwichen war.

Wir tragen Beide an der Schuld, Caroline und ich, wir sind Beide unglücklich geworden, haben viel gelitten. Ich klage sie nicht an, ich spreche mich nicht frei. Ueble Einflüsse mancher Art und menschliche Irrthümer haben uns in diese Verwirrung gestürzt, aus der wir uns nur gewaltsam befreien können. Versöhnung, Friede und Ruhe ist zwischen uns unmöglich geworden. Ich war auf Dein Verlangen, auf Carolinen’s Wunsch noch einmal zu ihr zurückgekehrt; aber Mißtrauen und Eifersucht, Lüge und Haß wuchsen zwischen uns auf wie rankende Giftpflanzen; sie umschlangen Felix und drückten auch ihn nieder. Jeder freie Aufschwung des Geistes ward mir unmöglich, so bleiern schwer lag das Leben auf mir.

Ich hatte mich selbst verloren. In Carolinen’s Armen rief mein Herz Deinen Namen und schaudernd stieß ich sie von mir, wenn sie sich zu mir neigte. Ich haßte Caroline, weil sie störend zwischen uns stand, ich konnte einen Augenblick mit Hoffnung daran denken, durch den Tod meines Sohnes frei zu werden von einer Knechtschaft, die ich um seinetwillen erduldete.

Dahin brachte mich das starre Halten an Dem, was ich für Pflicht hielt und was Sünde war; Sünde, Schande und Ehebruch unter dem scheinheiligen Deckmantel der Pflichterfüllung.

Ich ehre die Ehe in ihrer Reinheit, als die schönste Verbindung des Mannes und des Weibes. Weil ich das thue, löse ich meine Ehe mit Caroline auf, die eine Lüge ist und die uns herabzieht zu sittlichem Verderben, Dich, mich und sie. –

Die erste Pflicht des Menschen ist, sich in Frieden zu erhalten mit der Stimme der Wahrheit in der eigenen Seele. Nur wer das erreicht, darf daran denken, das Wohl seiner Mitmenschen segensreich zu fördern. Ich wähnte, es sei meine Aufgabe, Felix das Erbe unserer Familie zu erhalten, ein Beschützer der Landleute zu bleiben, deren Gebieter ich geworden war, und ich hatte doch aufgehört mein eigener Herr zu sein. –

Priesterherrschaft, und Lust an irdischem Besitz für meinen Sohn, beherrschten mich, ich war ihr Sklave geworden, und Lüge, Feigheit, Heuchelei, alle Laster des Unfreien kamen über mich. Diese Bande sind auf immerdar zerrissen. Ich bin ärmer geworden an Hab und Gut, aber ich habe mich selbst wieder gewonnen, meinen Sohn befreit, und ich werde Dich erringen.

Die Scheidungsklage hat der Advokat seit gestern für mich den Gerichten übergeben. Er, wie Julian sind der Ansicht, daß sie mich zwingt, dem Erbe meines Onkels zu entsagen. Ich bin darauf gefaßt, und auch Felix soll dasselbe nie übernehmen, damit er nicht, wie ich, durch geistige Knechtschaft zu solchen Qualen gebracht werde, wie ich sie erlitten habe.

Ich sage mich von dem Katholicismus los und nehme Felix in die Gemeinschaft der Protestanten hinüber. Mein Sohn soll ein freier Mann werden und keinen Richter über sein Gewissen haben, als die reinen, einfachen Satzungen des Christenthums, die Jeder als Gesetz in dem eigenen Herzen findet, so lange er in der Wahrheit und in der Schönheit lebt.

Was ich gesäet in dem Kreise der Menschen, deren Loos das Schicksal für wenig Jahre in meine Hände gelegt hat, wird, ich hoffe es zuversichtlich, nicht verloren sein. Es wird Frucht tragen, und ich denke bald, wenn schon in kleinerm Kreise, dasselbe Werk zu beginnen, in neuer, starker Freudigkeit und mit Deinem Beistande, Du Geliebte!

Der Advokat kennt meinen Wunsch, sobald als möglich frei zu sein, ich will jedes Opfer bringen, das mich zu dem ersehnten Ziele führt. – Ich werde Berlin verlassen, um einen kleinen Besitz zu kaufen, auf dem wir vereint leben und wirken wollen. Sobald ich von Caroline geschieden, sobald ich frei bin, führe ich Dich in mein Haus und Du wirst es sicher nicht verschmähen darin zu wohnen, obschon es kein Schloß mehr sein wird. Ich war ein Sklave und unglücklich in den Schlössern, die ich besaß. Frei und mit Dir! werde ich mich Herr und glücklich fühlen unter dem bescheidenen Dache eines schlichten Landhauses, und Friede und Liebe werden schützend und belebend über und in uns thronen.

Muth und Hoffnung, Geliebte! vertraue mir. Seit ich den rechten Weg für mich gefunden, habe ich die Gewißheit, auch Du müßtest ihn dafür erkennen und ihn freudig an meiner Hand betreten. Wir haben in redlicher Absicht geirrt, das war menschlich und verzeihlich. Zu beharren im Irrthum, wenn man die Wahrheit kennt, ist Sünde.

Ich folge dem Briefe bald. Caroline bleibt, nach ihrem Wunsche, bis zur erfolgten Trennung hier. Ich komme mit Felix Abschied von Dir zu nehmen und erst an dem Tage, an dem Du ganz die Meine wirst, sehe ich Dich wieder. Möchte Deine Seele so ruhig, Dein Herz so freudig sein als das meine. Gott mit Dir und sein Segen mit uns und unserm Felix.“

Wie eine Himmelsbotschaft beseligend wirkte dieser Brief auf Therese. Die Ruhe voller Ueberzeugung, welche aus jeder Zeile sprach, machte den tiefsten Eindruck auf sie. All ihre Zweifel schwanden, sie fühlte sich erlöst, und hätte mit dem Jubel der Hoffnung Alfred danken mögen, hätte nicht die Erinnerung an Caroline ihre Freude getrübt, auf deren zerstörter Ehe sich der Tempel ihres Glückes gründen sollte.

Ihr Zusammentreffen mit Alfred war ernst, fast feierlich zu nennen. Jene Leidenschaft, die wie ein wildes Feuer über ihnen zusammenzuschlagen gedroht, so lange die Glut ihrer Herzen von Zweifeln, wie von einem gewaltigen Sturme angefacht worden war, verklärte sich zu milder, erquickender Wärme, nun sie zur Ruhe und zu einem festen sittlichen Entschlusse gekommen waren. Alfred legte den Sohn in Theresen’s Arme, und der feste männliche Druck seiner Hand sagte ihr mehr, als die Sprache auszudrücken vermag. In Gegenwart des Knaben schieden sie von einander ohne Kuß, fast ohne Worte; aber in dem Tone, in dem Alfred „auf Wiedersehen!“ sagte, klopften die heißesten Pulse seines Herzens und es lag darin die Bürgschaft einer glücklichen Zukunft, schwer errungen nach langem Irren, nach heißem Kampfe.

Therese lebte neu auf in dem Seelenfrieden und in der Freude über die Herstellung des Bruders, der ihr mit voller Zärtlichkeit ihre ausdauernde Treue zu danken strebte. Sobald sein Zustand es ihm erlaubte, an etwas außer sich zu denken, fragte er nach Alfred und wünschte Agnes zu sehen. Therese sagte ihm, daß der Erstere verreist sei, ohne jedoch der stattgehabten Ereignisse zu gedenken, die Julian noch unbekannt waren, und holte Agnes herbei.

Der Präsident war noch schwach und hatte jene weiche, erregbare Stimmung, die man oft bei Genesenden findet. Er bot Agnes die Hand und sagte, sie mit sichtlicher Freude betrachtend: Nun, Agnes, lebe ich wieder und bin bald so weit, daß wir nachholen können, was Sie durch meine Krankheit entbehrten. Ich möchte Sie gern recht froh in meinem Hause sehen, Sie recht glücklich machen, um Sie zu entschädigen für all die Trauer und Plage, die Sie um meinetwillen ausgestanden haben. Sie sind mir aber deshalb doch nicht gram geworden, nicht wahr, mein Kind?

Agnes versicherte ihn, wie sie nichts entbehrt zu haben glaube, da sie gewohnt sei, still und häuslich zu leben. Bis ich in Ihr Haus und zu Therese kam, kannte ich die Zerstreuungen der Städte nicht, sagte sie, und ich werde sie nicht vermissen, wenn ich wie der bei den Meinen sein werde.

Und sind wir nicht die Ihren? fragte Julian, Sie denken wirklich daran, uns im Frühjahr schon zu verlassen?

Die Eltern bedürfen meiner und Sie wissen ja, daß ich nur wenig Monate in der Stadt bleiben sollte, entgegnete Agnes. Die starken Sonnenstrahlen, die in das Zimmer fallen, erinnern mich nun sehr daran, daß wir nicht lange mehr beisammen sein werden.

Sie sprach das mit einer innern Bewegung, die wehmüthig aus den Worten widerklang und die dem Präsidenten nicht entging. Sein Auge belebte sich, es schien ihn ein angenehmer Gedanke zu beschäftigen, er ergriff die Hand des jungen Mädchens und sagte, sie in der seinen haltend: Es ist brav, Agnes, daß Sie nicht mit zu leichtem Herzen von uns gehen, und wenn es geschieht, so hoffe ich, wir sehen uns bald wieder und es ist sicher nicht der letzte Winter, den Sie mit uns zubringen. Wollen Sie wiederkommen? Wollen Sie wieder mit uns leben, liebe Agnes?

Gewiß! entgegnete sie, Sie sind so gut. Sie stockte, wendete sich erröthend ab, vor dem langen, prüfenden Blick des Präsidenten, der sie verwirrte, und verließ das Zimmer.

An der Thüre desselben begegnete ihr der Assessor und setzte sich im Nebensaale an ihre Seite, da sie an ihrem Nähtisch Platz nahm. Sie beantwortete seine Fragen zerstreut und konnte nicht verbergen, daß sie innerlich von irgend einem Gedanken ausschließlich beschäftigt sei. Theophil betrachtete sie mit Ueberraschung und sagte: Ihnen muß etwas Besonderes begegnet sein, Liebe; denn ich habe Sie selten, wie in diesem Augenblicke, verwirrt und unruhig gesehen. Sie kommen von dem Präsidenten, was kann da vorgefallen sein? Er ist doch wohl?

O ja! er denkt bald hergestellt zu sein. Sie seufzte und schwieg. Auch Theophil’s Brust entrang sich ein Seufzer.

Wir werden nun bald scheiden, sagte er, denn nur bis zur gänzlichen Genesung des Präsidenten bleibe ich noch hier.

Agnes sah eifrig auf ihre Arbeit nieder, es entstand eine lange Pause. Mehrmals versuchten Beide zu sprechen, es war aber, als könnten sie das rechte Wort nicht finden. Endlich bemerkte Theophil: Wie sonderbar das Leben sich gestaltet! Krank, gebrochen an Körper und Geist, langte ich bei den Freunden an. Weder Julian noch Therese waren mir damals Etwas, nur der Wunsch meiner Eltern führte mich her, und welche Reihe von Gefühlen habe ich hier durchlebt! Ich bin genesen, ich habe Freude, Schmerz und großes Glück hier empfunden, und nun ist das Alles auch wieder vorüber. Das Stück ist ausgespielt, ich gehe fort, und bald wird Niemand meiner gedenken von Allen, die ich hier verlasse.

Sie sind ungerecht! sagte Agnes leise.

Ich höre nur auf, eitel zu sein, entgegnete Theophil. Therese wird an Alfred’s Seite wenig Raum für mein Andenken haben und Sie, Agnes? –

Er sah sie fragend an, sie vermochte nicht die Augen aufzuschlagen und nähte ruhig fort.

Werden Sie an mich denken, Agnes? wiederholte er.

Sie stand auf und trat in die Nische eines andern Fensters. Theophil folgte ihr nach. Sie hatte die Stirne gegen die Scheiben gelehnt; als er sich zu ihr wendete, sah er, daß sie weinte.

Agnes, rief er, wäre es möglich, daß diese Thränen unserm Abschied gelten? Gute, liebe Agnes! nur ein Wort sprechen Sie aus, bin ich Ihnen werth?

Sie antwortete nicht und wollte hinauseilen, aber Theophil hielt sie zurück. Hören Sie mich an, nur wenig Augenblicke! bat er dringend. Sie kennen, ich weiß es, meine Werbung um Therese, Sie kennen auch das Verhältniß, in dem ich zu ihr stehe. Wollte ich Ihnen sagen, ich hätte Sie geliebt, seit ich Sie kenne, es wäre unwahr und Sie würden es nicht glauben. Ausschließlich mit Therese beschäftigt, hatte ich für nichts Anderes Sinn, war ich blind für Ihre Vorzüge. Erst jetzt habe ich Sie kennen, Sie schätzen und Sie herzlich lieben lernen. Ich weiß, daß ein Mädchen wie Sie die erste heiße Liebe eines Männerherzens fordern dürfte, und doch biete ich Ihnen meine Hand. Könnten Sie mir vertrauen, Agnes? Könnten Sie sich entschließen meine Frau zu werden?

Lieber Theophil, sagte sie ängstlich, ich möchte nicht – aus Mitleid sollen Sie nicht –

Theophil sah sie befremdet an; da nahm Agnes sich zusammen und sagte: Nein! Theophil! ich mag nicht, daß –, sie stockte und stieß dann rasch die Worte heraus: Sie sollen sich nicht aus Mitleid opfern, das würde mich in meinen eigenen und in Ihren Augen erniedrigen und dann wäre ich sehr elend.

Ich verstehe Sie nicht, Agnes! sprach er sanft, aber sagen Sie mir nur das Eine, können Sie mich lieben? Nur das eine Wort; denn Sie sprachen in Räthseln bis jetzt. Wie sollte ich Mitleid mit Ihnen fühlen, mit Ihnen –

Weil Sie es ja wissen, daß ich Sie liebe! Eva hat es Ihnen ja gesagt! unterbrach ihn Agnes, laut aufweinend, und nun thue ich Ihnen leid.

Du liebst mich? Du junger, schöner Engel liebst mich! rief er in innigster Freude und zog sie in seine Arme. Sage mir das noch einmal, noch einmal, damit ich es glaube. Sie ruhte an seiner Brust und er küßte die Thränen von ihren Wangen.

Zu Therese, o kommen Sie zu Therese! bat Agnes, sobald sie sich aus dem ersten Rausche des Entzückens gerissen hatte. Es kommt mir wie ein Unrecht vor, daß Sie mich lieben nach ihr. Was bin ich neben ihr?

Ein schöner, reiner Engel! rief Theophil, und bald mein theures Weib! Wie wird sich Therese freuen, wie glücklich werden meine Eltern mit der Tochter sein, die ich ihnen zuführe. Agnes, nur noch einmal sage mir’s, daß Du mich liebst.

Ich liebe Dich, sagte sie schüchtern, dann, von ihrem Gefühl gehoben, warf sie ihre Arme um seinen Hals und rief mit so freudiger Zärtlichkeit: O unaussprechlich liebe ich Dich! daß sein Herz davor erbebte.

Er führte sie zu Therese; diese vermochte anfangs seinen Worten nicht zu glauben. Denn selbst die klügsten Frauen begreifen es nicht leicht, wie schnell die Umwälzungen in dem Herzen des Mannes vor sich gehen. Im Frauenherzen gibt es zwar ein plötzliches Erglühen der Liebe, aber kein plötzliches Welken und neues, schnelles Werden. Jedes Gefühl läßt in dem Frauenherzen seine tiefen Spuren zurück, der Mann, den eine Frau einmal geliebt, hört nie völlig auf, in ihrem Herzen fortzuleben und nur mühsam und schwer vermag ein Anderer den Platz auszufüllen. Anders empfindet der Mann. Theophil schwelgte in dem Gedanken an die junge, schöne Geliebte und er schien es nicht zu ahnen, daß, ihr selbst vielleicht kaum merkbar, ein leises Gefühl von gekränkter Eitelkeit sich in Therese regte, als er ihr unverhohlen seine Freude und sein Glück verkündete.

Und in der That währte die unbehagliche Empfindung Theresen’s nur wenig Augenblicke. Das Glück des jungen Paares that ihr wohl, wenn schon eine Besorgniß für des Bruders Zukunft in ihr daraus erwuchs. Sie bat ihre jungen Schützlinge, ihr Bündniß dem Präsidenten noch zu verschweigen, versprach die Freiwerberin bei den Eltern des ihr anvertrauten Mädchens zu machen, und verlangte von Theophil, daß er unter irgend einem Vorwande sich entferne, bis die Antwort derselben angelangt sein würde.

Er fügte sich ihrem Wunsche und es ward nun einsam in dem Hause. Agnes trug ihre stillen Hoffnungen froh in ihrer Brust und vermochte kaum den Jubel ihres jungen Herzens zu verschweigen. Julian, je wohler und kräftiger er sich fühlte, ward mehr und mehr von der Schönheit und Liebenswürdigkeit des Mädchens ergriffen, die sich nun in doppeltem Glanze entwickelten, und Therese sah dies Wohlgefallen ihres Bruders an dem jungen Mädchen mit geheimer Scheu. Es drängte sie deshalb, Julian vor einer schmerzlichen Täuschung zu bewahren und ihm zugleich zu verkünden, welche Wendung ihr eigenes Schicksal während seiner Krankheit genommen hatte.

Eines Tages, als sie allein beisammen saßen, holte sie Alfred’s Brief herbei und las ihn dem Präsidenten vor. Julian hörte ihn mit sichtlicher Genugthuung. Als Therese geendet hatte, umarmte er sie und sagte: Alfred hat das Rechte gethan und Ihr werdet glücklich sein. Es gibt Entschlüsse, die aus voller Ueberzeugung, aus innerster Seele hervorgehen müssen, und Thaten, wegen deren man Niemand Rechenschaft schuldig ist als sich selbst. Die Trennung einer Ehe ist eine solche. So lange ich ihn unentschlossen, leidenschaftlich erregt sah von der Liebe zu Dir, rieth ich ihm ab, sich von der Frau zu trennen. Diese Liebe konnte vorübergehend sein, er konnte möglicher Weise die Kraft haben, sie zu überwinden. Der Widerwille gegen Caroline, die Mißverhältnisse zwischen den Gatten aber sind nicht zu vertilgen, und deshalb hat er nur die Pflicht, sich von seiner Frau zu trennen, und das Recht, Dich und sich glücklich zu machen, so glücklich, als ich Euch zu sehen wünsche.

Er fragte Therese nach manchen Vorgängen, welche während seiner Krankheit geschehen waren; man gedachte mehrfach der Vergangenheit und Therese erinnerte ihn an den Abend, an dem sie mit so banger Besorgniß der Ankunft von Agnes und Theophil entgegengesehen hatte. Nun sind die Beiden uns so werth geworden, sagte sie, haben uns nur Gutes gebracht, und grade ich, die mein Schicksal mit dem Deinen unlöslich verbunden geglaubt hatte, trenne mich nur von Dir, mein Bruder! – Daß dieß geschehen könne, hätte ich niemals geglaubt und am wenigsten, daß ich so glücklich dabei sein würde. Ich hatte allen Ansprüchen an das Leben entsagt, ich hielt mich für zu alt, um hoffen zu dürfen.

Zu alt? fragte Julian. Was würdest Du denn sagen, wenn ich Dir bekennte, daß ich mich nicht für zu alt erachte, noch zu hoffen und mir eine neue Zukunft zu gründen, wenn Du mich verläßt. Ich habe – –

Julian! fiel ihm Therese mit ängstlicher Eile ins Wort, Du stehst noch nicht am Ende der Ueberraschungen.

Sie wollte nicht, daß er vor ihr seine Neigung für Agnes gestehe, da sie unerwidert geblieben war. Ein Gefühl von Stolz für den Bruder machte ihr Schmerz. Sie wünschte ihm die Kränkung zu ersparen, die Jeder empfindet, wenn er von einer verschmähten Liebe sprechen muß.

Ich bin nicht die einzige Braut in Deinem Hause, sagte sie, auch Agnes hat sich mit Theophil verlobt.

Julian wechselte die Farbe und rief: Agnes mit Theophil! das ist seltsam! sehr seltsam, in der That!

Therese wagte nicht, ihn anzusehen, es that ihr leid, daß sie sich nicht schnell entfernen konnte; sie wünschte etwas zu zu sprechen, etwas zu thun, um das eintretende Schweigen zu unterbrechen. Das Erscheinen des Dieners, der Frau von Barnfeld meldete, war ihr deshalb recht erwünscht.

Sehr willkommen! sagte der Präsident, tief aufathmend.

Er hatte Eva nach seiner Genesung noch nicht gesehen, da der Arzt bis jetzt fast jeden Besuch in dem Krankenzimmer verboten hatte. Bei Eva’s Eintritt stand er auf und ging ihr entgegen, sie mit gewohnter Freundlichkeit zu begrüßen. Eva aber, sowie sie ihn erblickte, flog auf ihn zu und fiel ihm mit einem Freudenrufe um den Hals. Dann, noch ehe der Präsident und Therese Zeit gehabt hatten, sich von ihrer Verwunderung zu erholen, rief sie lachend, während ihre Augen in Thränen schwammen: Mein Gott, Vetter! stehen Sie doch nicht da wie eine Salzsäule! Ist’s denn solch großes Wunder, daß ich mich freue Sie wiederzusehen? Ich bin freilich gegen Sie stets über Gebühr gütig und liebevoll gewesen.

Das sind die Himmlischen immer für die armen Sterblichen und dies allein gibt uns den Muth, noch mehr Gunst zu fordern, als man uns gewährt, entgegnete der Präsident, schnell wieder Herr über sich geworden und auf den Ton der schönen Eva eingehend. Er umarmte sie, küßte sie noch einmal und sie ließ es lachend geschehen. Dann sprach er anscheinend heiter von den beiden Verlobungen in seinem Hause.

Sie sehen, sagte er, das Heirathen wird epidemisch unter uns; nehmen Sie sich in Acht, Eva! so etwas steckt an.

Nun dann hüten Sie sich doppelt, denn nach Krankheiten ist die Empfänglichkeit für Ansteckung noch größer, neckte sie ihn.

Weil ich das fürchte, werde ich, sobald ich es kann, Urlaub fordern und ein Ende fort, etwa bis nach Paris gehen, meinte der Präsident.

Geht denn alle Welt jetzt nach Paris? fragte Eva.

Wer ist denn sonst schon dort?

Eva schwieg, der Präsident wiederholte seine Frage und Therese sprach zögernd: Eva meint vielleicht die Harcourt.

Ist sie dort engagirt? fragte Julian mit sichtlicher Theilnahme.

Sie ist barmherzige Schwester geworden, wissen Sie das nicht? rief Eva.

Nein! das wußte ich nicht, sagte Julian schmerzlich, und Eva meinte: Wohl ihr! Ich wollte, ich wäre so weit als sie, denn ich habe auch gar keine Freude mehr an dem leeren Treiben der großen Welt, bei dem oft das Herz bricht, während man vor den Leuten dazu lachen muß.

Sie haben wohl lange keinen Ball besucht? Die erste Einladung dazu würde Ihre Grille verscheuchen, schöne Cousine! sprach Julian, dann versank er in Nachdenken und sagte nach einer Weile leise, mit tiefer Wehmuth: Arme Sophie!

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Eine Lebensfrage. Zweiter Teil.