IV. Die junge erwartete Hausgenossin war angelangt und Therese hatte sie in ihren eigenen Zimmern eingerichtet. Aus dem Kinde war ein blühendes gesundes Mädchen von sechzehn Jahren geworden, ...

IV. Die junge erwartete Hausgenossin war angelangt und Therese hatte sie in ihren eigenen Zimmern eingerichtet. Aus dem Kinde war ein blühendes gesundes Mädchen von sechzehn Jahren geworden, das mit seinen großen, dunkeln Augen sehr verständig umherblickte und sich bald in den fremden Verhältnissen zurecht fand. Ihre Eltern waren nicht eben reich, hatten viele Kinder, deren ältestes sie war, und frühe schon hatte die tüchtige Mutter die Tochter als Hilfe benutzt, wo es im Hause etwas zu schaffen gab. Sie hatte die Eltern oft in Sorgen gesehen, hatte, soweit ihre Einsicht reichte, Theil daran genommen, die jüngeren Geschwister erziehen helfen und in Krankheiten gepflegt. Dadurch war sie praktisch gewandt und über ihre Jahre ernst geworden. Um so anmuthiger erschien es aber, wenn mitten in diesem jungfräulichen Ernst der kindliche Frohsinn zum Ausbruch kam.

Therese fand bald Freude an ihrer Gefährtin und vielerlei Beschäftigung durch und für sie. Sie mußte ihr Lehrer auswählen, ihr eine Art Zeiteintheilung machen und auch für ihre Kleidung Sorge tragen, deren ländliche Einfachheit nicht für die Kreise paßte, in denen sich Agnes für jetzt bewegen sollte.


Auch Julian nahm Theil an seiner Pflegetochter, wie er sie nannte, und es gefiel ihm gar wohl, wenn er sich Abends nach der Arbeit an den Theetisch setzte, der jetzt für vier Personen gedeckt ward. Oft vermehrte Eva die Zahl der Tischgenossen durch ihre Gegenwart, oder Alfred kam mit seinem Knaben dazu, und man war äußerlich recht heiter beisammen, während die verschiedenartigsten widersprechendsten Empfindungen in den Herzen der Einzelnen sich regten.

Alfred hatte nach jenem Abende lange geschwankt, ob er Therese wiedersehen solle, ob nicht. Er war viele Tage ausgeblieben und hatte sie damit in eine peinliche Ungewißheit gestürzt. Endlich, als die Sehnsucht in ihm zu groß geworden, hatte er angefangen, ihr Verhalten zu billigen. Er wollte kein Geständniß mehr von ihr ertrotzen, er ehrte ihr Schweigen, denn eine innere Ueberzeugung ließ ihn nicht an ihrer Liebe zweifeln. Nur ihr, das fühlte er, dankte er die Möglichkeit, sie sehen und auch künftig in ihrer Nähe leben zu können. So war er ihr bewegt und versöhnend entgegengetreten. Keiner Erklärung hatte es bedurft und ein friedliches, inniges Verhältniß stellte sich zwischen ihnen her. Er besuchte Therese täglich, aber er sah sie nur selten allein. Sein ganzes Fühlen und Denken sprach er vor ihr aus, die leisesten Regungen seiner Seele enthüllte er ihr, und seine Liebe, seine Verehrung für sie stiegen noch mit jedem Tage. Sie schien beglückt durch sein Vertrauen, sie hatte ihre äußere Ruhe wiedergefunden, Jedermann mußte sie für zufrieden, selbst für glücklich halten, denn Niemand sah ihre stillen Thränen, ihr verzagtes Zusammenbrechen in der Einsamkeit. Alle Zärtlichkeit, die sie für Alfred hegte und ihm verbarg, breitete sie über seinen Sohn aus. Die Nähe des Knaben war ihr eine Wohlthat und Felix fühlte sich bald so heimisch bei ihr, daß er, so oft er durfte, zu ihr eilte.

Er und Agnes wurden denn auch bald die besten Freunde von der Welt. Stundenlang konnte sie sich mit ihm unterhalten und mit ihm wie mit ihren kleinen Brüdern spielen. Dann trat das kindliche Element in ihrem Wesen entschieden hervor, so daß es kaum zu sagen war, wer mehr Lust an dem Spiele empfände, ob sie oder der Knabe. Die größte Freude aber machten sie dem Präsidenten. Er konnte nicht müde werden, ihnen zuzusehen. Er baute mit Felix die schönsten Festungen aus den Steinen seines Baukastens, hörte eifrig den Märchen zu, die Agnes ihm erzählte, wußte daran Belehrungen für sie und den Knaben zu knüpfen und erschien so liebenswürdig, daß Beide ihm von Herzen zugethan waren und seine Ankunft jedesmal freudig begrüßten.

Es gab Stunden, in denen selbst Therese und Alfred ihren heimlichen Gram vergaßen und sich heiter wie Julian dem Frohsinn der Jugend überließen. Nur Theophil nahm keinen Theil daran. Lässig und mißgestimmt betrieb er widerwillig die Zurüstungen für den Ball, der jetzt schon nahe bevorstand. Sein Unwohlsein kehrte häufiger wieder, er klagte über große Abspannung, mußte bisweilen seine Amtsgeschäfte versäumen und endlich wieder den Rath des Arztes in Anspruch nehmen, der ihn, wie immer, auf die eigene Kraft, auf Thätigkeit und Zerstreuung verwies. Das aber waren Mittel, die eine Natur wie die seine nicht anzuwenden vermochte.

Er folgte Therese wie ihr Schatten, schien nur in ihrer Nähe zufrieden; dennoch wußte sie ihn soweit zu beherrschen, daß er ihr niemals von seiner Liebe sprach, die er ziemlich unverhohlen an den Tag legte und als den Grund seines Leidens bezeichnete. Klagte er über Gemüthsbewegungen, die ihn aufrieben, sprach er von einer Idee, die ihn ausschließlich erfülle und ihm alles Andere zur Last mache, dann rieth ihm Therese, zu reisen, sich in das Gewühl des Lebens zu stürzen, und machte damit seine Klagen verstummen, bis irgend ein neuer Anlaß sie hervorrief. So sehr diese von ihr nicht getheilte Liebe sie bisweilen peinigte, so gab es doch Augenblicke, in denen sie ihr wohlthat. Wenn sie sich selbst recht unglücklich, an Freude verarmt erschien, linderte das Bewußtsein ihren Schmerz, daß sie in ihrer Liebe einen Schatz besitze, der im Stande sei, Theophil’s Wünsche zu krönen, sein Glück zu machen. Sie verzieh ihm dann gern seinen Mismuth, seine Klagen; sie that, was sie konnte, ihn zu erfreuen, ohne ihm jedoch irgend eine Hoffnung zu geben, daß sie jemals die Seine werden wolle oder könne.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Eine Lebensfrage. Zweiter Teil.