III. Alfred hatte seine nöthigsten Geschäfte kaum geordnet, als er in die Stadt zurückeilte. Er verlangte Therese wiederzusehen und doch bangte ihm davor...

III. Alfred hatte seine nöthigsten Geschäfte kaum geordnet, als er in die Stadt zurückeilte. Er verlangte Therese wiederzusehen und doch bangte ihm davor. Und in ähnlicher Weise empfand auch sie selbst, seit sie von seiner Ankunft unterrichtet war. Mit Herzklopfen blickte sie nach der Thüre, so oft die Hausklingel ertönte. Endlich, es war an einem stürmischen Abende, trat er bei ihr ein, er brachte seinen Knaben mit sich. Das gab Theresen Augenblicks die Haltung, deren sie bedurfte.

Mein Sohn! sagte er, ihr den Knaben zuführend, der sie zuversichtlich mit seinen großen, dunkeln Augen ansah.


Sie umarmte den schönen Knaben zärtlich, aber während sie eifrig mit ihm beschäftigt war, ihn um seine Reise und um andre Dinge befragte, saß sein Vater ernst und schweigend in sich versunken neben ihnen. Therese fand ihn in den wenigen Wochen, die er von ihr entfernt gewesen war, merklich verändert. Er sah bleich aus und ein düsterer Zug hatte sich auf seine freie Stirne gelagert. Endlich erwachte er aus seinem Sinnen, reichte der Geliebten die Hand und sagte: Ich habe in dem Drang des schmerzlichen Augenblickes kaum zu empfinden gewagt, daß im Wiedersehen Freude liegt. Mich bewegt Ihre Güte für Felix; wie wenig ahnt er, welche Opfer ich ihm bringe!

Aber er ist sie werth, und er wird Sie einst reich belohnen! fiel sie schnell ihm in das Wort. Dies edle Gesicht verspricht eine schöne Zukunft. Bauen Sie darauf und lassen Sie mich Theil daran haben, so weit es möglich ist. Schicken Sie ihn mir – –

Der Vater hat gesagt, fiel der Knabe ein, er würde mich oft mitnehmen zu Dir, liebe Tante! und wenn ich den Weg erst einmal am Tage gemacht habe, so finde ich ihn allein und man braucht mich nicht zu schicken. Die Mutter wollte immer, daß ein Diener mit mir ginge, aber der Vater sagt, das sei nicht nöthig, ich sei ein großer Mensch, ich könne allein gehen und ich gehe auch lieber allein. Aber allein reiten darf ich nicht – hast Du auch Pferde?

Nein, Felix! antwortete sie, aber schöne Blumen habe ich und schöne Bilder, und ich weiß allenfalls auch Geschichten für Dich, wenn Du sie magst.

Erzähle mir eine! jetzt gleich! bat er dringend.

Der Vater sagte, das sei für den Augenblick unmöglich.

So hole mir Deine Bilder! schlug Felix vor und Therese entfernte sich, ihm seinen Willen zu thun.

Als sie mit Mappen und Büchern wiederkehrte, beeilte sich Alfred, dieselben auf einem Tische zurecht zu legen, der in einem Nebenzimmer stand, so jedoch, daß man ihn von dem Sopha der Wohnstube übersehen konnte. Der Knabe sprang fröhlich dorthin, hatte sich bald in den Bilderreichthum vertieft und beachtete es nicht, daß sein Vater Therese aufforderte, mit ihm in das andere Zimmer zurückzukehren und den Knaben sich selbst zu überlassen.

Eine Weile saßen die Beiden sich schweigend gegenüber. Therese beschäftigte sich anscheinend fleißig mit einer Stickerei, die sie in ihren Händen hielt, und Alfred sah ihr so gespannt zu, als ob er die Kunstgriffe der Arbeit von ihr lernen wollte. Dies Schweigen wurde ihr je länger, je peinlicher, und sie kämpfte mit sich es zu überwinden. Sie rang nach einem Gedanken, nach einer gleichgültigen Frage zuletzt, mit der sie die Stille unterbrechen konnte, aber vergebens. Ein herbes Leid preßte ihr Herz zusammen, sie fand nichts in sich, als einen bittern Schmerz, dem sie keine Worte geben durfte. Es war ihr, als müsse der erste Laut von ihren Lippen ein Aufschrei sein, und doch wollte sie gern zuerst die Unterhaltung beginnen, weil sie vor demjenigen bangte, was Alfred ihr zu sagen hatte. Endlich war er es dennoch, der das Schweigen brach.

Therese! sagte er mit gepreßter Stimme, bei Allem, was uns heilig ist, beschwöre ich Sie, sitzen Sie mir nicht so kalt, so fremd gegenüber! Sprechen Sie mit mir, sagen Sie mir, daß Sie meinen Entschluß verdammen, daß Sie die Stunde beklagen, die uns wieder zusammenführte, nur sprechen Sie mit mir. Ach, wenn Sie wüßten, was ich erlitten habe, was ich leide, und wie glücklich ich bin, Sie wiederzusehen!

Sie reichte ihm die Hand, die er fest in den seinen drückte, aber zu antworten vermochte sie noch nicht. Es entstand eine neue Pause, bis Alfred fest die Frage aufwarf: Und was soll jetzt aus uns werden?

Da nahm sich Therese gewaltsam zusammen, und mit klarer fester Stimme, ohne irgend ein Zeichen von Bewegung, sagte sie: Sie sollen nach wie vor mein theurer, mein werthester Freund bleiben, lieber Alfred! Sie sollen vergessen, daß Sie ein paar Tage lang mehr in mir gesehen haben, als eine Freundin, die Sie von Herzen bewundert, Ihnen von Jugend an ergeben war und Sie jetzt doppelt und dreifach verehrt, weil Sie Ihre Pflicht thun. Stören Sie das schöne Bild nicht, Alfred, das ich von Ihnen habe. Sie thäten mir zu wehe damit.

Er sah sie ernst und prüfend an, aber keine Miene ihres Gesichtes bekundete das Opfer, das sie in diesem Augenblicke brachte, und so sehr er nach einem Zeichen spähte, das ihm verrathen hätte, sie wolle ihn großmüthig über ihren Schmerz täuschen, er konnte keines entdecken. Dennoch mistraute er ihrer Ruhe, weil ihre leidenschaftliche Erregung vorher ganz unverkennbar gewesen war. Täuschen Sie sich, oder wollen Sie mich täuschen über ihr Gefühl? fragte er sie. Menschen, wie wir Beide, haben Kraft zu leiden und gehen nicht unter, ich weiß das wie Sie. Ich habe entsagt und ich will vollenden, was ich über mich genommen habe; aber lassen Sie mich als ein Pfand des Glückes den Glauben in meine öde Zukunft hinübernehmen, daß ich Ihnen theuer war. Sagen Sie mir nur einmal, daß Sie mich lieben, und dann fordern Sie von mir, was Sie wollen.

Mein Freund! antwortete sie, wie traurig wäre es, wenn ich wie Sie empfände? Wir müßten uns trennen ohne Hoffnung, uns wiedersehen zu dürfen. Sie haben mir manchmal den Vorwurf gemacht, ich sei kalt, ich sei keiner Leidenschaft fähig. Ich glaube es selbst. Ich halte mich für eine jener Naturen, die mehr für die Freundschaft, als für die Liebe geschaffen sind. Ich wäre untröstlich, müßte ich Sie verlieren; ich bin ganz befriedigt, wenn Sie mir, wenn Sie uns bleiben. Rauben Sie mir dies Glück nicht durch Forderungen, die ich nicht gewähren, durch Geständnisse, die ich nicht ewidern kann.

Er war bestürzt. Theresen’s Selbstbeherrschung täuschte ihn und war ihm schmerzlich, denn er ward irre an ihr und an sich selbst. Konnte er sich so sehr über ihre Gefühle verblendet haben? War es nur der lebhafte Wunsch, ihre Liebe zu besitzen, der ihn zu dem Glauben verleitet hatte, daß sie seine Neigung theile und erwidere? Sie hatte ihm allerdings niemals ein Wort gesagt, das ihn zu Hoffnungen berechtigen konnte, Sollte er sich wirklich betrogen haben? oder sollte sie ihn dennoch täuschen? Das Erstere zu glauben, fiel ihm schwer, das Letztere unmöglich, denn er kannte Therese als eine durchaus wahrhafte Natur. Quälende Zweifel rangen in seiner Seele, und eben wollte er die Geliebte nochmals dringend um Wahrheit beschwören, als Felix mit einem großen Buche herbeikam und von dem Vater Aufschluß über die Bedeutung eines Bildes verlangte.

Es stellt Luther dar vor der Reichsversammlung zu Worms, erläuterte Alfred und erzählte dem Sohne kurz, was ihm zur Erklärung nöthig war. Luther wußte, sagte Alfred, daß ihm sein Geständniß das Leben oder die Freiheit kosten könne; doch zögerte er nicht, die Wahrheit zu sagen, denn die Wahrheit ist das Heiligste in der Welt. Er ist abgebildet, wie er vor dem Kaiser, vor den Fürsten und den Cardinälen die unsterblichen Worte ausrief: „Hier stehe ich, ich kann nicht anders, Gott helfe mir, Amen!“

Der Knabe hörte ernsthaft zu. Hast Du niemals eine Unwahrheit gesagt, lieber Vater? fragte er dann.

Ich hoffe, daß ich es nie wissentlich gethan habe, antwortete der Vater.

Und du, Tante? fragte Felix weiter.

Ich habe mich immer bestrebt, das Rechte zu thun; sagte Therese.

Dann hast Du gewiß nie eine Unwahrheit gesagt, meinte Felix.

Aber die Wahrheit verhehlen, ist auch Sünde, rief Alfred mit Bedeutung, und schwere Sünde, wenn das Lebensglück eines Andern daran hängt, der gewohnt ist, unsern Worten zu glauben, der darauf sein Leben, seine Zukunft baut!

Der Knabe sah den Vater befremdet an, weil er ihn nicht verstand. Therese schwieg, Alfred befahl seinem Sohne der Tante Lebewohl zu sagen, und wollte sich entfernen. Noch in der Thüre wendete er sich um, noch einmal sagte er Theresen gute Nacht und zögerte, so lange er konnte; denn immer noch hoffte er, sie werde ihm ein Wort, ein Zeichen geben, das ihm verrathe, sie liebe ihn wie er sie liebte. Aber Therese blieb freundlich wie immer und sagte, als er sich endlich von ihr trennte, so ruhig ihr „Auf Wiedersehen, lieber Reichenbach!“ daß er davor erschrak.

Kaum aber hörte sie seine Tritte nicht mehr, als sie sich verzweifelnd in die Kissen des Sophas warf. Ich konnte nicht anders, Gott helfe mir, Amen! rief sie aus und unaufhaltsam strömten ihre Thränen.

Sie, die so ernst nach Wahrheit strebte, hatte sich zu einer Unwahrheit entschlossen; sie, die mit Freuden ihr Leben für Alfred hingegeben hätte, hatte ihm Schmerz bereitet. War das recht gewesen? Hatte es kein anderes Mittel, keinen edleren Ausweg gegeben? Sie hatte es dem geliebten Manne verbergen wollen, daß sie eben so schwer an ihrem Schicksal trage, als er an dem seinen; sie hatte ihm die Sorge um sie und ihren Gram ersparen, ihn wo möglich beruhigen wollen. Er mußte sie leichter verschmerzen, wenn er nicht an ihre Liebe glaubte, er mußte sich leichter trösten, leichter glücklich und heiter werden. Und glücklich sein sollte Alfred um jeden Preis. Um jeden Preis? fragte sie sich. Auch indem ich ihm den Glauben an mich nehme? indem ich die Ueberzeugung zerstöre, daß er einem würdigen Gegenstande seine Liebe weihte? daß ich es werth war, sein Herz auszufüllen? Hat mich allein die Rücksicht auf ihn bestimmt? Habe ich ihm nicht wehe gethan, mich selbst zur Lüge erniedrigt, um das Glück seiner Gegenwart zu genießen? – Eine glühende Schamröthe überdeckte ihr Gesicht, das sie weinend in ihre Hände stützte.

Es war still in dem Zimmer. Draußen peitschte der Wind den Regen gegen die Fenster, die letzten Blätter der Bäume raschelten dürr gegeneinander und knarrend bewegten sich die Aeste. Sie stand auf, ging unruhig im Zimmer umher, trat an das Fenster und blickte in den Garten hinaus. Es war tiefe Nacht, kein Stern am Himmel, man konnte keinen Gegenstand unterscheiden. Beklommen aufathmend ließ sie den Vorhang fallen und wendete sich in das Zimmer zurück.

Wie öde erschien ihr das! Dort stand der Tisch, an dem Felix gespielt, hier hatte Alfred neben ihr gesessen, als sein dunkles Auge bittend zu ihr gesprochen, als er sie um ein tröstendes Wort, um ein Liebeszeichen gebeten – und sie hatte geschwiegen, sie hatte sich für immer zum Schweigen, zu schrecklicher Einsamkeit verdammt. Ja! einsam mit ihrer Liebe und mit ihrem Schmerze war sie gewesen, ihr Leben lang. Sie liebte den Bruder, sein Wohl und Wehe fand lebhaften Widerhall in ihrem Herzen; fremdes Glück erfreute, fremdes Leid betrübte sie. Sie hatte Freunde gefunden, Kunst und Wissenschaft hatten ihr über manche schwere Stunde fortgeholfen; aber war das Glück? war das ein Glück, wie sie es in der Jugend gehofft?

Glück wäre es, die Gattin des Geliebten zu sein, in friedlicher Ruhe das Haupt stützen an seine breite Brust, den Schlag des Herzens fühlen, das für mich klopft, und seine Kinder auf den Knien wiegen! so sprach es in ihr und trostlos schlug sie die Hände zusammen und ließ sie müde niedersinken in den Schooß. Dies Glück war unmöglich für sie und es gab doch kein zweites.

Stürmisch und düster wie der Abend war, sah es in ihrem Herzen aus; sie konnte nicht ruhig verweilen, wo sie eben mit Alfred gelebt hatte; ihr graute vor der Einsamkeit, sie wollte sich den Qualen entreißen, die in ihr tobten, und eilte in das Zimmer ihres Bruders, um Muth zu fassen in seiner Nähe. Aber das Zimmer war dunkel, Julian war ausgegangen. Drüben in den benachbarten Häusern blitzte helles Licht aus manchen Fenstern, während hinter andern ein kleines Lämpchen schimmerte.

Lange blickte sie hinüber: Wer weiß, welche Wunden dort unbeachtet bluten, welche Thränen dort fließen? und Jeder von uns hält sein Leid für das größte, sein Glück für nothwendig, sagte sie sich. Und wir leiden und jauchzen auf dem großen Ameisenhaufen, den wir stolz die Welt nennen, und über uns gehen die Sterne ruhig und kalt ihre ewig unwandelbaren Wege. Ein schmerzliches Lächeln überflog ihr Gesicht. O! wer auf den Sternen wäre, in Ruhe und Frieden! Wer es wüßte, was recht sein wird vor dem Geiste, wenn die Schranken des Irdischen einst fallen, wenn Liebe und Freiheit die einzigen Gesetze sein werden! rief sie und verstummte vor den heiligen Räthseln.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Eine Lebensfrage. Zweiter Teil.