II. Ich bekomme so eben einen Brief von Reichenbach, der mich beunruhigt, sagte an einem der nächsten Tage der Präsident zu seiner Schwester, als sie allein bei dem Frühstück waren...

II. Ich bekomme so eben einen Brief von Reichenbach, der mich beunruhigt, sagte an einem der nächsten Tage der Präsident zu seiner Schwester, als sie allein bei dem Frühstück waren. Alfred schreibt mir, daß seine Frau nicht darein willige, sich von ihm zu trennen, daß er sich andererseits verpflichtet glaube, die Güter, die durch den Scheidungsproceß für ihn verloren gehen würden, für Felix zu erhalten, und daß er deshalb seine Wünsche seiner Pflicht opfern und sich nicht von seiner Frau scheiden lassen werde. Das ist mir nun sehr lieb, denn ich habe ihm selbst schon früher aus vollster Ueberzeugung den Rath gegeben. Er ist aber bei dem Schreiben des Briefes offenbar in so heftiger Aufregung gewesen, daß ich für die Ruhe seiner Zukunft sehr besorgt bin. Ich wollte, wir hätten ihn erst wieder bei uns, denn die Einsamkeit in Plessen, wohin er mit Felix gegangen ist, taugt ihm in seiner Stimmung gar nicht.

Therese hatte während der Erzählung ihres Bruders mehrmals die Farbe gewechselt; als er geendet, fragte sie leise: Und er kehrt dennoch wieder?


Beunruhigt Dich das? fragte der Präsident. Da warf sich Therese an des Bruders Brust, ohne zu antworten, aber große, schwere Thränen fielen aus ihren Augen, als Julian sie fest an sich drückte und mit großer Zärtlichkeit sagte: Ach! arme Schwester! blutet die alte Wunde noch? – Er lehnte ihren Kopf an seine Brust, strich ihr, wie einem Kinde, schmeichelnd mit der Hand über das Haar und schien fast eben so bewegt zu sein, als sie. Eine Weile schwiegen Beide, dann sagte der Präsident, als Therese sich emporrichtete und die Augen trocknete, während sie zu lächeln versuchte: Im Frauenherzen ist die wahre Liebe doch eine unverwelkliche Blüthe. Gänzliche Hoffnungslosigkeit hemmt für den Augenblick wohl ihren Wuchs, aber sie vermag sie nicht zu ertödten, und bei dem geringsten Strahl von Hoffnung schießt sie mächtig wieder empor, und hätte sie noch so lange im Winterschlafe gelegen. Du warst so heiter geworden, Beste, ich glaubte Dich längst von dieser Liebe geheilt, die Dich bewog, früher alle Bewerbungen um Deine Hand abzulehnen. Es schien mir, als sähest Du Alfred jetzt ruhig wieder, als hätte sich ein schönes, freundliches Verhältniß zwischen Euch gebildet. Aber Alfred’s leidenschaftliche Unruhe, Deine heißen Thränen verrathen mir das Gegentheil. Was ist denn vorgegangen zwischen Euch? Wie steht Ihr mit einander?

Sie erzählte und berichtete ihm treu. Er hörte ihr mit gespannter Aufmerksamkeit zu. Als sie geendet hatte, fragte er: Und wie willst Du, daß wir es halten, wenn Alfred wiederkehrt?

Ich möchte, daß es bliebe wie bisher, lieber Bruder, antwortete sie ihm. Ich traue mir die Kraft zu, äußerlich ruhig und fest zu bleiben. Alfred weiß es ja nicht, daß mein ganzes Dasein ihm gehört hat, von meiner frühesten Jugend an, und wenn ich damals den Muth gehabt habe, mich niemals zu verrathen, so hoffe ich, mir auch jetzt getreu zu bleiben.

Und traust Du auch Alfred die nöthige Ruhe zu? Ihr Frauen, gewohnt, Euch zu beherrschen, zu dulden, bezwingt Euch leichter als der Mann, der sich die Verhältnisse zu schaffen verlangt. Wozu soll es führen, wenn Ihr Euch täglich begegnet, wenn eine Liebe tief und immer tiefer wurzelt, die keine Zukunft hat?

Julian, sagte Therese, laß mich einmal Deiner Lehre vom Genuß des Augenblickes folgen! Laß mich Alfred’s Gegenwart genießen! Wer weiß, wie bald das Leben uns trennt! Jahre lang habe ich ruhig und glücklich im Andenken der Vergangenheit gelebt, habe mich gefreut, wenn ich ihn in jedem seiner Werke größer und herrlicher wiederfand; habe einen frohen Tag gehabt, wenn die Zeitungen nur seinen Namen nannten.

Das ist aber doch ein sehr trauriges Glück! unterbrach sie der Bruder.

Nicht traurig für ein Frauenherz, antwortete sie, nicht traurig für mich; glaube mir das, mein Bruder! Ich hatte Dich, ich hatte das Andenken an ihn, ich war zufrieden und ganz ausgefüllt; ich werde es wieder, werde wieder ganz heiter sein, wenn Alfred einmal von uns scheidet. So lange er aber bei uns bleibt, so lange er bleiben will, gönne mir die Freude, ihn zu sehen, es wird mir Glück für viele, viele Jahre sein. Willst Du mir das gestatten, Bruder? bat sie. Glaube mir, ich werde ruhiger sein, wenn ich ihn wiedersehe.

Der Präsident versuchte noch Einwendungen zu machen, da er seiner Schwester den Schmerz zu ersparen wünschte, aber ihre Bitten und Gegenvorstellungen besiegten ihn. Er gab nach und wollte sich entfernen, als ihm Therese berichtete, was zwischen ihr und Theophil vorgefallen war.

Theophil ist ein Thor, sagte der Präsident. Er kann ohne Leiden nicht leben und es hilft nichts, wenn Du ihm klar machst, daß er sich seine Neigung für Dich nur einbilde, was ich selbst glaube. Es ist ein Bedürfniß nach Gefühlserregungen in ihm. Das Leben gesund und froh zu genießen, ist er zu schwach; da macht er sich denn ein Liebesleid zurecht, das er betrauern, über das er seufzen kann, und das ihm nach seiner Meinung ein Recht gibt, unglücklich zu sein und müssig das Leben zu verträumen. Du könntest ihm keinen bessern Dienst erweisen, als wenn Du seine Liebe erhörtest. Thätest Du ihm den Gefallen, so würde er bald einsehen, daß er nicht für Dich paßt, daß er Dir auf die Länge geistig nicht genügt, und eine neue Quelle des Kummers würde glücklich für ihn gefunden sein. Ich kenne solcher Menschen mehr.

Du beurtheilst ihn zu streng, meinte Therese. Du siehst wohl, daß ich in gewisser Art Deine Ansicht theile, aber –

Aber, fiel ihr der Präsident lächelnd ein, Du kannst Niemand gram sein, Niemand verdammen, der Dich zu lieben behauptet. Das ist in der Ordnung und Du wärst keine Frau, wenn Du es könntest. Sieh zu, was Du mit dem blonden Schäfer anfängst, die Sache überlasse ich Dir; was Du thust, wird gewiß das Rechte sein.

Ich meinte, sagte Therese, ob es nicht gerade jetzt an der Zeit wäre, daß ich mich bereit erklärte, Agnes zu uns in das Haus zu nehmen. Wie wir Theophil kennen, ist es gewiß nicht rathsam, wenn wir ihn schnell zu entfernen suchen. Das gäbe ihm Stoff für seine Melancholie und wir wollen ja ihm und seinen Eltern so gern nützen. Aber das häufige Alleinsein mit ihm ist mir nach dem letzten Vorgange doch nicht angenehm, und darüber würde die Gegenwart von Agnes mir forthelfen.

Gewiß! und sie würde Dich zerstreuen, Dir Beschäftigung geben, sprach Julian; so schreibe denn, daß die Kleine je früher je besser komme und daß wir uns freuen würden, sie bei uns zu sehen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Eine Lebensfrage. Zweiter Teil.