I. Gegen das Ende des Octobermonates war die vornehme Gesellschaft von Reisen, aus den Bädern, und von ihren Landsitzen heimgekehrt und die Winterunterhaltungen nahmen in der Residenz ihren Anfang...

I. Gegen das Ende des Octobermonates war die vornehme Gesellschaft von Reisen, aus den Bädern, und von ihren Landsitzen heimgekehrt und die Winterunterhaltungen nahmen in der Residenz ihren Anfang.

Wie ein fröhliches Kind in eine blühende Wiese hineinspringt, jauchzend vor Lust und ungewiß, welche Blume es pflücken soll, weil alle ihm gleich schön und begehrenswerth erscheinen, so stürzte Eva sich in die Zerstreuungen, die sich ihr darboten. Theater, Concerte, Bälle und Gesellschaften wurden ihr zu reichen Quellen der Freude, und um so reicher, als ihre Anmuth und Fröhlichkeit einen großen Kreis von Bewunderern um sie versammelten.


Da sie fast an jedem Tage in Gesellschaft oder durch andere Zerstreuungen in Anspruch genommen war, kam sie seltener zu Therese, brachte aber, so oft sie erschien, einen solchen Schatz von guter Laune mit, daß Julian sich höchlich daran ergötzte. Eines Abends kam sie früher, als sie pflegte, und ihr Diener trug ihr mehrere Päcke Bücher nach.

Therese bewillkommte sie, und Theophil, der dabei war, sagte: Meine gnädige Frau! was bedeuten die Folianten, die Sie uns mitbringen? Sollten Sie die Absicht haben, sich den Wissenschaften zu widmen?

Komme ich Ihnen so alt und so häß ich vor, daß ich solch trauriger Zuflucht bedürfte? entgegnete sie und fügte hinzu: aber eine ernste Angelegenheit ist es allerdings und Ihr Alle sollt mir Rath geben.

Therese und Theophil boten bereitwillig ihre Dienste an und wünschten zu wissen, um was es sich handle.

Das sage ich nicht eher, als bis Sie, Herr Assessor, mir eine Frage beantwortet haben. Könnten Sie sich entschließen, mir einen Dienst zu leisten, an dem mir sehr viel gelegen ist?

Von Herzen gern, wenn es in meiner Macht steht.

O! das ist schon eine Hinterthüre, durch die Sie entschlüpfen wollen, dies: wenn es in meiner Macht steht. Daß Sie es thun können, das weiß ich, sonst forderte ich es ja nicht. Etwas Ueberwindung könnte es Sie kosten, aber dafür wäre es Ihnen auch höchst heilsam.

Und was ist es denn? fragte Theophil.

Sie sollen mit mir bei der Baronin Wöhrstein heute über drei Wochen in einer maskirten Quadrille tanzen.

Sie erzeigen mir zu viel Ehre, sagte Theophil, indem Sie Ihre Wahl auf mich fallen ließen, aber ich verdiene sie nicht. Ich bin ein schlechter Tänzer, gehöre überhaupt zu derlei Festen nicht und habe das der Baronin selbst gesagt, die mich dazu eingeladen hat.

Ach, das weiß ich ja Alles! rief Eva ungeduldig, das hat mir die Baronin erzählt und doch müssen und werden Sie kommen. Erstens taugt Ihnen das ewige Studiren, das Lesen und wieder Lesen gar nichts. Aus all den gelehrten Büchern holen Sie sich Ihre Kopfschmerzen und aus den poetischen Romanen den Lebensüberdruß und was Sie sonst noch quält. Sehen Sie, Herr Assessor, ich nehme nie ein Buch in die Hand; aber ich gehe aus, ich spreche mit vernünftigen Leuten, ich zerstreue mich alle Tage und davon bin ich gesund und zuletzt eben so gescheidt als alle Andern. So sollen Sie es auch machen.

Dies war nur „Erstens“, sagte Therese lachend, willst Du uns nicht das Zweitens mittheilen?

Zweitens, rief Eva, wird kein Cavalier einer Dame solche Bitte abschlagen, drittens werden wir Beide zusammen vortrefflich sein und viertens will ich es so, und darum muß es geschehen.

Dies ist allerdings so entscheidend wie der letzte Beweis der Könige, die Kanonen. Aber wollen Sie mir nicht wenigstens eine kurze Bedenkzeit gestatten? fragte Theophil.

Eva zog die Uhr aus dem Gürtel und sagte: Es ist jetzt sechs ein halb Uhr, um sieben, hat mir heute früh der Präsident gesagt, werde er zu Hause sein, um an der Berathung Theil zu nehmen; so lange gebe ich Ihnen Frist, dann müssen Sie sich entschieden haben. Inzwischen erlauben Sie, daß ich mit meiner Freundin eine Privatverhandlung abmache. Nun denken Sie nach, edler Assessor! rief sie und zog Therese an den Kamin, wo sie sich Beide niederließen.

Auf Theresen’s Frage, was Eva wünsche, sagte diese: Ach Gott! ich möchte gern so praktisch sein als Du. Da ist in diesen Tagen eine alte Frau bei mir gewesen, deren Tochter Wittwe ist und sechs kleine Kinder hat. Der Mann ist schon vor vier Monaten gestorben und nun soll das siebente Kind geboren werden. Des Mannes lange Krankheit hat ihr ganzes Hab und Gut aufgezehrt, sie sind im höchsten Elend, haben nichts zu essen, keine warmen Kleider, nichts, nichts. Natürlich gab ich gleich Geld, damit sie Nahrungsmittel kaufen konnten und Holz. Ich wollte auch gern von meinen Kleidern geben, aber was für nutzlose Lappen besitzen wir in unserer Garderobe! Ich fand kaum ein vernünftiges Stück, das die Leute brauchen konnten, nichts als elenden Atlas und Flor und solch dummes Zeug.

Therese wollte wissen, wie die Frau heiße, wer sie an Eva gewiesen und wo sie wohne? Eva antwortete: Das hatte ich Alles zu fragen vergessen, aber meine Werner hat es erkundet, weil sie unbarmherziger Weise der Unglücklichen nicht traute. Sie sagte, man müsse sich durch den Augenschein überzeugen. Ich fuhr also mit ihr hin. Du ahnst es nicht, Beste! welch Elend ich da gesehen habe! ich habe nie geglaubt, daß es solche Noth gäbe. Seitdem kann ich an gar nichts Anderes denken, als an diese Armen, und da ich so etwas gar nicht verstehe, sollst Du mir sagen, wie ich helfen soll. Ich möchte es gern recht gut, recht verständig machen; ich habe nie gearbeitet und bin so glücklich, und die Leute, die so schwer arbeiten, sind so unglücklich, daß ich mich vor Ihnen schäme.

Therese umarmte die junge Frau herzlich, erbot sich, selbst noch mit ihr zu der unglücklichen Familie zu fahren, um zu sehen, wie man dem Elende am besten steuern und den Leuten emporhelfen könne, und sagte: So, meine Eva, gefällst Du mir, darin erkenne ich Dein gutes Herz. Wenn ich Dich ganz und gar von den schalsten Zerstreuungen ausgefüllt sehe, bangt mir oft um Dich. Ich wollte doch, Du betrachtetest das Leben nicht ganz wie ein Spiel, Du dächtest auch an den Ernst desselben.

Das kann ich nicht, rief Eva, das kann ich so wenig, als ein Schmetterling arbeiten kann. Ich werde traurig, wenn ich ernst sein muß, deshalb probire ich es gar nicht. Gott hat mir einen fröhlichen Sinn gegeben, mit dem ich das Leben genieße, weil ich jung bin. Werde ich alt und das Leben ist nicht mehr schön, dann wird sich der Ernst schon finden. Bis dahin laßt mich gewähren!

Bei Eva’s letzten Worten erschien der Präsident und reichte ihr die Hand zum Willkomm. Sie schlug aber die Arme übereinander und wendete sich ab, ohne ihn anzusehen.

Sind Sie noch böse, Eva? fragte er leise.

Was haben Sie denn gethan, Verzeihung zu verdienen? entgegnete sie. Den ganzen Morgen haben Sie mir Vorwürfe gemacht über meine Verschwendung, über meine Koketterie. Sie waren grade so liebenswürdig als mein seliger Mann, wenn das Podagra bei ihm im Anzuge war und er üble Laune hatte. Bedürfte ich nicht Ihres Rathes für mein Costüme und Ihres Beistandes, um den Assessor zu überreden, ich wäre heute gar nicht hergekommen, das können Sie mir glauben.

Der Präsident entschuldigte sich, so gut er konnte, Eva ließ sich begütigen und Jener sagte, nachdem Therese sich entfernt hatte: Sie sollen mich ganz zu Ihren Diensten finden, Eva; nur das Eine gestehen Sie mir, daß Ihnen Theophil besonders gut gefällt, daß Sie ihn vor allen Männern auszeichnen.

Das wäre eine Unwahrheit, wenn ich es gestände! rief Eva. Theophil ist hübsch, er ist gut und er thut mir leid, weil er oft traurig und krank ist.

Das Mitleid ist ein Vorläufer der Liebe, man könnte ihn darum beneiden!

Sie doch nicht etwa, Julian? Sie, der mir heute bewies, die Liebe eines Mannes beruhe auf dem Grade der Herrschaft, den er über eine Frau ausübe? Sie haben mir gesagt, Sie forderten von einer Frau nichts als Unterwerfung, Sie würden am meisten eine Frau lieben, die Ihnen Alles verdankte, und Sie könnten Theophil um das Mitleid einer Frau beneiden?

Um das Mitleid nicht, antwortete Julian, aber um die Neigung, aus der es entspringt. Sie lieben Theophil.

Eva sah ihn lächelnd an, ward verlegen und rief, als des Präsidenten Auge durchdringend auf ihr ruhte: Und wer will mich daran hindern, wenn ich ihn liebe?

Ich gewiß nicht! antwortete der Präsident mit einem leichten Anfluge von Spott.

Eva schwieg eine Weile, dann wendete sie sich schnell von dem Präsidenten zu Theophil und fragte, ob er entschlossen sei, mit ihr zu tanzen. Er bejahte es und nun holte Eva die Folianten hervor, die sie mitgebracht. Es waren Werke über Nationaltrachten und Costüme. Eine lange Berathung begann, während welcher Eva’s Heiterkeit unwiderstehlich war. Tausend Plane wurden gemacht und verworfen; endlich blieb es dabei, daß sie als Oberon und Titania erscheinen sollten, da durch die Aufführung des Sommernachtstraumes auf der Bühne das Interesse für diese Dichtung lebhaft angeregt worden war. Die Costüme wurden gewählt, alle nöthigen Verabredungen getroffen, Eva war glücklich in der Aussicht auf den maskirten Ball.

Nun sehen Sie nur auch ein wenig fröhlich aus, lieber Theophil! sagte sie. Sie wissen gar nicht, was Sie mir für einen doppelten Dienst leisten. Einmal freut mich’s, daß ich gerade Sie zum Partner habe, denn wir Beide passen ganz prächtig zusammen mit unserm blonden Haar; Sie sind auch nicht so groß, als all die langen Gardeoffiziere, die sich mir zu Tänzern angetragen haben und gegen die man so gar klein erscheint. Sehen Sie nur, passen wir nicht gut? rief sie und zog ihn nach dem Spiegel hin. Dann sagte sie: Ferner verhelfen Sie mir zu dem schönsten Armbande in Berlin. Frau von Wöhrstein und ich trafen uns bei dem Hofjuwelier und handelten Beide um dasselbe Armband, wollten es auch Beide sogleich besitzen. Inzwischen sprachen wir davon, daß Sie nicht auf den Ball kommen wollten, was der Baronin leid that. Da fiel ich auf einen Ausweg. Ich wette, sagte ich, daß ich Ihnen den Assessor für die Quadrille schaffe, wenn Sie das Armband zum Preise aussetzen. Das war sie lachend zufrieden und nun haben wir alle Beide unsern Willen und sind Ihnen Beide verpflichtet. Aber Sie scheinen sehr gleichgültig gegen meinen Triumph! – Und in der That theilte Theophil die Freude der jungen Frau nicht, die sich bald darauf entfernte, um in eine Gesellschaft zu fahren, in die Julian ihr folgen sollte, denn der ganze Scherz mißfiel ihm.

Das liebenswürdige Wesen bringt mich aus all meinen Gewohnheiten, sagte der Präsident, nachdem er Eva an den Wagen begleitet hatte. Es ist eine solche Lust, einen ganz glücklichen Menschen zu sehen, daß ich Eva in Allem nachgebe, ihr gern überall hin folge, um mich an der seltenen Erscheinung zu ergötzen. Sie lebt wie die glücklichen Wesen des goldenen Zeitalters, ohne Sorge, ohne Kummer, ohne Denken möchte man fast sagen, und eben so harmlos und rein, wie jene. Darin liegt ein hoher Reiz für den Betrachter. Sie erquickt mich wie Poesie nach einer ermüdenden Arbeit, und ich danke ihr das sehr gern durch Nachgiebigkeit in ihre Einfälle. Es ist mir unbegreiflich, daß Sie sie nicht ebenso reizend finden, Theophil! besonders da sich Eva für Sie offenbar interessirt. Das wäre nun grade eine Frau für Sie! die würde Sie schon erheitern, schloß der Präsident, während er die Brille zurechtrückte und den jungen Freund forschend betrachtete.

Das ist mir auch eingefallen, während Eva neben Ihnen vor dem Spiegel stand bemerkte Therese. Sie passen wirklich gut zu einander.

Ihnen? Ihnen ist das eingefallen? fragte Theophil im Tone schmerzlicher Ueberraschung. Ich hätte geglaubt, Sie kennten mich besser, Sie wüßten, daß Eva mir ganz gleichgültig ist.

Während Therese sehr ernst wurde, schien Julian sich der Erklärung zu freuen. Beide schwiegen aber, und Jener fuhr fort: Sie glauben es nicht, wie ungelegen mir dieser Maskenball kommt. Ich liebe dergleichen gar nicht, und daß Frau von Barnfeld mich zum Gegenstand einer thörichten Wette macht, ist mir vollends so verdrießlich, daß ich am liebsten mein Versprechen zurücknähme. Es liegt für mich etwas Beleidigendes darin.

Es sollte Ihnen schmeichelhaft sein, daß zwei so reizende Frauen an Sie denken, meinte Therese.

Wie an ein Spielzeug! fügte Theophil verdrießlich hinzu. Frau von Barnfeld wünscht mich zum Tänzer, wie sie das Armband begehrt, weil ihr die Erreichung des Wunsches unwahrscheinlich war.

Verbirgt sich Eitelkeit oder gekränkte Liebe hinter diesen Worten? fragte der Präsident.

Nichts weiter als Langeweile. Ich hasse diese Maskeraden, die bei uns etwas Gemachtes sind. Wir Deutschen passen nicht dazu. In Italien, wo man sich gelegentlich wol noch hinter Schleier und Kapuze verbirgt und so verborgen durch die Straßen wandelt, ist eine Maskerade ein aus der Volksgewohnheit hervorgehender Scherz. Wir, die wir nicht gern mit Jemand sprechen, dessen Namen und Stand wir nicht kennen, wir taugen mit unserm Ernst nicht dazu, und sind gewiß in dem Domino oder im Panzerhemde eben so unbeholfen und ungesellig, als im schwarzen Frack.

Sie sprechen ganz meine Meinung aus, sagte Therese. All diese Maskeraden, die lebenden Bilder, das Komödienspielen und Musiciren in unsern Gesellschaften sind nur Beweise, daß es an wahrer Geselligkeit fehlt. Wie selten findet man ein Haus, in dem die Wirthin ihre Gäste gewähren läßt, in dem die Gleichgestimmten sich von selbst zusammenfinden und mit einander in ungezwungener Unterhaltung verkehren dürfen! Ueberall will man etwas bedeuten, man will einen musikalischen, einen besonders geistreichen, einen literarischen Kreis um sich versammeln. Da werden nun die unbedeutendsten Leistungen von Dilettanten präsentirt. Eine halbe Stunde geht mit Nöthigen und Zurüstungen hin, dann hört oder sieht man etwas sehr Unvollkommenes, muß sich mit lügnerischem Entzücken dafür bedanken und am Ende hat man sich gelangweilt. Man müßte es mit unserer Gesellschaft wie mit den Kindern machen. Gewöhnt man diese daran, ihre Spiele zu leiten, so lernen sie nicht allein zu spielen: man kann nichts Besseres für sie thun, als sie ganz sich selbst zu überlassen, dann helfen sie sich auch selbst.

Und wie albern werde ich als Oberon aussehen! wie paßt denn ein Mann, der Tage hindurch bei den Akten sitzt, zu solch luftigem Scherz! sagte Theophil. Ich begreife nicht, wie Sie Frau von Barnfeld in dem Gedanken bestärken konnte.

So lange Oberon und Titania nur als poetische Gebilde in unsern Seelen lebten, meinte der Präsident, mochte eine solche Wahl bedenklich sein. Seitdem man nun den Sommernachtstraum aber aufgeführt, ihn aus dem Reich des Ideals in die grobe Wirklichkeit gezerrt hat, scheint es mir weniger gewagt, und Sie Beide werden ganz gut aussehen als streitendes Elfenpärchen.

Sie sind also auch gegen die Aufführung dieses Gedichtes gewesen?

Ganz und gar, sagte der Präsident. Es gibt Dichtungen, wie eben der Sommernachtstraum, der gestiefelte Kater, die so sehr in das Gebiet des Phantastischen streifen, daß man sie zerstört, wenn man sie festhalten will. Dem Menschen bleibt aus seiner Kindheit die Fähigkeit, sich ein Wunder, ein Märchen in der Seele lieblich auszuschmücken, mit der Phantasie alle Lücken auszufüllen, alle Zweifel zu beschwichtigen. Das schöne Gebild erfreut ihn, er mag es nicht zerstören, er hat es lieb, es ist für ihn wirklich da, so lange es nur in ihm ist. Will man aber den flüchtigen Wellenschaum fassen, will man ihn uns zum Ansehen hinreichen, so zerfließt er; er wird gewöhnliches Seewasser und sein poetischer Reiz ist dahin. Ich glaube an Puck, ich glaube an den Weber Zettel, dem ein Eselskopf wächst, ich kann mir das lebhaft denken. Tritt aber Puck auf, so ist es allerdings eine reizende Schauspielerin, aber nicht mehr mein kleiner Puck; an den Eselskopf von Papiermaché oder Leinwand glaube ich nicht, und das poetische Gedicht wird zu einer gewöhnlichen Zauberposse.

Du pflegtest Aehnliches auch von der Darstellung des Faust zu sagen, bemerkte Therese.

Gewiß! sagte Julian, und ich werde jede Darstellung mißbilligen, in der man uns das Unkörperliche verkörpern will. Mephisto ist die Versuchung, die Verlockung des irdischen Reizes, die einen Menschen, gegen seine bessere Ueberzeugung, zu Handlungen verführt, welche von den gewöhnlichen Moralgesetzen, von der christlichen Religion verdammt werden. Mephisto ist das böse Princip im Menschen, das Goethe verkörpert darstellt, um sich damit dem alten Volksgedichte vom Faust anzuschließen. Mephisto enthüllt, wie der griechische Chor, was in der Seele des Helden vorgeht, seine Wünsche, seine Zweifel, seinen innern Kampf, das Unterliegen seines Gewissens und seine Reue. Hat nun das Auftreten des griechischen Chors immer etwas störsam Befremdliches für uns, so ist die Erscheinung des Mephisto für mich fast ebenso störend. Ich habe den Faust auf den verschiedensten Bühnen aufführen, den Mephisto von den verschiedensten Schauspielern darstellen sehen, und immer habe ich die Empfindung gehabt, daß man die Dichtung vom Himmel durch die Welt zur Hölle schleppe!

Und auch hier in Berlin haben Sie das gefunden? fragte Theophil. Mich dünkt, daß man hier das Höchstmögliche dafür gethan hat, ihn würdig darzustellen.

Nirgend habe ich die Darstellung plumper, materieller gefunden, als gerade hier. Ich halte Seidelmann’s Talent in Ehren, das sich in vielen Rollen trefflich bewährte; aber sein Mephisto war das widerwärtigste Zerrbild von der Welt. In dem Bestreben, jeden Charakterzug des Bösen zur Anschauung zu bringen, wurde er so garstig, sein höllisches Grinsen, Blasen und Zähnefletschen so entsetzlich, daß Gretchen’s ahnungsvolles Grauen vor ihm einen viel natürlichern Grund hatte, als den geheimnißvollen Schauer einer reinen Seele, wenn sich ihr das Böse naht. Es bedurfte nicht ihrer instinktmäßigen Furcht, sie von ihm zurückzuscheuchen, er war so garstig, daß ihn Jeder geflohen hätte. Das Böse aber muß blendend sein, um uns zu verführen, und ich möchte wol einem geistreichen Schauspieler rathen, einmal den Mephisto als schönen, jungen Cavalier mit den feinsten Sitten darzustellen, soweit das mit dem Goetheschen Bilde vereinbar ist. Durch die schöne, gewandte Form müßte der teuflische Hohn durchblitzen, man müßte sich wundern, warum Gretchen, warum wir selbst uns vor dem feinen Ritter scheuen, der uns anzieht und gefällt. Mephisto soll eine Klapperschlange sein, der die Vögel schaudernd in den Rachen fliegen, nicht ein Unthier, vor dem Alles flieht, was gesunde Augen hat. Soll und muß der Mephisto durchaus dargestellt werden, so könnte es nur auf diese Weise mit einer Art von Wahrscheinlichkeit geschehen. Die Hahnenfeder auf dem Hut, das Mäntelchen von starrer Seide sprechen dafür, und der hinkende Fuß ist kein Hinderniß dabei, denn Lord Byron konnte hinkend alle Herzen bezaubern.

Es ist wahr, sagte Therese, daß man im Faust auf der hiesigen Bühne der Phantasie zu wenig Spielraum läßt, daß man in dem guten Willen, Alles recht deutlich zu machen, manches Possierliche zu Wege bringt. So zum Beispiel verderben sie ganz und gar die wundervolle Scene im Dome, in welcher Gretchen von dem bösen Geist ihre Sünden vorgehalten werden, während vom Chore das „Dies irae, dies illa“ ertönt. Diese Scene, die durchaus in die Kirche gehört, geht auf der Straße vor sich; ein wirklicher böser Geist, ein Gnom von Fleisch und Bein, schießt aus der Erde hervor, hockt sich zusammengekauert Gretchen gegenüber und sagt ihr in’s Gesicht, was ihr Gewissen innerlich bewegt. Das ist lächerlich und dergleichen kommt noch mancherlei in der Aufführung vor.

Lächerlich darf aber eben im Faust nichts sein! rief der Präsident. Es ist so hoher, heiliger Ernst in der Dichtung. Wer es empfunden hat, wie der Geist oft muthlos verzweifelt im Ringen nach dem Höchsten, wie man es für unerreichbar hält und sich verzweifelnd schadlos halten möchte an den Freuden der Erde, die allerdings ihre unleugbaren Reize haben und große Befriedigung gewähren, fügte er lächelnd hinzu, der wird mir zugestehen, daß Jeder sich seinen eignen Faust, seinen eignen Mephisto innerlich erschafft und daß es ein mißliches Unternehmen bleibt, solche Figuren darstellen zu wollen.

Ich glaube auch, wir bringen den rechten Sinn nicht mehr in das Schauspielhaus mit, meinte Theophil, wir prüfen zu viel, wir beurtheilen zu viel.

Darum muß man uns nur Dasjenige bieten, was die Prüfung, die Beurtheilung aushält, antwortete der Präsident. Unsere Gesinnung, unsere Anforderungen haben sich mit der Zeit geändert; wir wollen noch unterhalten sein, wie früher, aber Das, was man uns als Unterhaltung vorschlägt, erfüllt den Zweck nicht immer. Wir sind des ewigen Liebesgewinsels, der kleinlichen Eifersuchtsscenen müde, wir wollen größere Motive, weil unsere Zeit größere Zwecke hat.

Wie sehr man dies überall empfindet, bemerkte Theophil, dafür zeugt ja gerade, daß man nach neuen Dingen greift. Die Aufführung des Sommernachtstraums, des gestiefelten Katers, die Wiederbelebung des Sophokles, die Versuche, die man mit Terenz und Plautus angestellt hat, die alle bürgen dafür, daß man etwas Anderes, etwas Neues erstrebt.

Etwas Anderes, das ist wahr, sagte der Präsident, etwas Neues nicht. Oder nennen Sie Terenz und Plautus neu? – Ich gehöre gewiß nicht zu den Neuerungssüchtigen, die ohne Kenntnisse der Staatsverhältnisse, ohne Kenntniß der Staatsverwaltung überall Reformen verlangen. Ich bin Beamter und kenne die Schwierigkeiten, die sich dem raschen Verlangen der sogenannten Liberalen entgegensetzen. Ich bin ihnen in vielen Beziehungen abgeneigt, ihren Bestrebungen entgegen, aber deshalb verkenne ich nicht, daß sich die Zeit und die Gesinnung der Menschen nicht künstlich oder gewaltsam zurückschrauben lassen. Das Alte, das man uns bietet, ist schön, es war doppelt schön, als es zeitgemäß war; aber die Alten haben ihre Dichter geehrt, ihnen Raum zu freier Entwicklung gegönnt, als sie lebten; so ahme man ihnen darin nach und gebe den Lebenden, was ihnen gebührt, das freie Wort vor ihrem Volke von der Bühne, und Dank und Ehre, wenn sie es schön gesagt.

Theophil stimmte ihm bei und der Präsident fuhr fort: Das Theater, wie es jetzt beschaffen ist, ist das unerfreulichste, nutzloseste Institut von der Welt. Ueberall regt sich Leben, überall Fortschritt; nur im Theater, das in Deutschland Millionen verschlingt, bleibt es bei dem sogenannten guten Alten, das so schlecht ist. Man sollte die Pforten weit aufmachen, damit das Tageslicht, damit die Strahlen der Zukunft auch dahineinfallen und die letzte Vergangenheit hineindringen könne. Die Schweizer, welche ihr Leben in den Tuilerien einbüßten, liegen unserer Theilnahme näher als die Spartaner, die bei Thermopylä fielen; Mirabeau zieht uns lebhafter an als Demosthenes. Friedrich der Große und Blücher sind unserm Herzen theurer, würden ganz andere Begeisterung hervorrufen als irgend ein Held aus den längstverwichenen Jahrhunderten. Hätten diese ebenfalls die sonderbare Scheu vor der Gegenwart und die unwandelbare Anhänglichkeit an die Vergangenheit gehabt, die man jetzt an den Tag legt, so hielten wir noch bei dem ersten Liede, das irgend ein Schäfer auf der Flöte blies, und könnten uns an den ursprünglichsten Rhapsodien ergötzen, die vielleicht auch ihre Reize gehabt haben mögen.

Bei diesen Worten erhob sich der Präsident, um sich in die Gesellschaft zu begeben, in der ihn Eva erwartete.

Theophil und Therese blieben allein zurück, und so sehr sie sich sonst mit einander zu unterhalten liebten, heute wollte trotz Theresen’s Bemühungen kein rechtes Gespräch in Gang kommen. Theophil schien zerstreut, antwortete einsylbig, so daß seine Freundin ihn endlich um den Grund seiner Mißstimmung befragte.

Es ist eine tadelnswerthe Schwäche, sagte er, daß ich mein Gefühl so wenig verbergen kann, denn ich wollte es Ihnen eigentlich nicht zeigen, daß Sie mir heute wehe gethan haben.

Ich? Ihnen wehe gethan? fragte Therese, wie ist das möglich?

Doch! versetzte er. Wie wenig müssen Sie mich kennen, wie wenig müssen Sie mich einer nähern Beachtung werth gehalten haben, wenn Sie zu glauben vermögen, daß Frau von Barnfeld und ich zu einander gehören! Scheine ich Ihnen denn so ganz oberflächlich, so ohne allen tiefern Gehalt zu sein? fragte er im Tone des Vorwurfs.

Das nicht, antwortete Therese, dafür bürgt Ihnen die lebhafte Freundschaft, die ich für Sie fühle und die ich Ihnen offen entgegentrage. Aber Eva steht Ihnen im Alter gleich, Ihre Eltern wünschen, daß Sie sich bald zu einer Heirath entschließen, ich halte Eva für gut und bildungsfähig; da konnte mir leicht ein solcher Gedanke kommen, gerade weil Sie alle Beide mir werth sind. Eva’s Heiterkeit würde Sie zerstreuen; das Gefühl, einer des Schutzes durchaus bedürftigen Frau diesen Schutz zu gewähren, würde Sie selbst stärken; und reich, wie Sie Beide es sind, würden Sie jeder Sorge um das Dasein enthoben sein.

Ist das Ihre wirkliche Meinung? fragte Theophil, glauben Sie, daß ich um irgend eines äußern Vortheils willen mich zu einer Ehe entschließen könnte? – Und Gleichheit des Alters, was bedeutet die, wenn die Seelen sich nicht verstehen? Er hielt eine Weile inne, dann sagte er: Ich habe geliebt, ich habe den höchsten Grad der Leidenschaft kennen gelernt, deren ich fähig bin; wie eine Gottheit habe ich ein junges Mädchen angebetet und sie hat mich getäuscht. Das hat mich mißtrauisch gegen mich selbst gemacht, ich bin eben keine Natur, die Liebe erweckt. Man kann mir gut sein, mich achten, und mehr begehre ich auch nicht. Ich kann Niemand beschützen, ich verlange nach einer Seele, an die ich mich lehne, denn das Leben macht mich müde; es ist mir eine Arbeit und keine Lust. So wie jetzt mit Ihnen zu sein, an Ihrem milden und doch so starken Geist mich zu erheben, Sie und Ihr Wirken täglich vor Augen zu haben, das macht mich froh und stärkt mich mehr, als alle Arzneien des Doctors. Schicken Sie mich nie von sich, Therese, denn ich würde nicht gehen.

Er sprach die letzten Worte mit einer Bewegung, die Therese überraschte, weil sie nicht wußte, wie sie sie deuten sollte. Auch ich, sagte sie, habe mich so sehr an Ihre Gegenwart gewöhnt, mein Freund, daß ich Sie ungern scheiden sehen würde, wenn Ihre amtlichen Verhältnisse Sie einmal abrufen, oder sonst ein Ereigniß Sie von hier entfernen sollte. Indeß, das wird ja unabänderlich nöthig sein und wir sehen uns dann wohl auch wieder.

Ich gehe nicht fort, Therese! sagte er ernsthaft, ich habe mir das selbst gelobt. Was soll ich in der Welt suchen nach Glück, nach Ehre? Mein Glück ist bei Ihnen, mein Stolz, mein höchster Ehrgeiz wäre es, Ihnen eben so unentbehrlich zu sein, als Sie mir. Mein ganzes Streben ist, Ihnen Freude zu machen, Sie zu erheitern, denn Sie sind traurig seit einiger Zeit. Ich sehe Sie leiden und ich weiß nicht wodurch. Könnten Sie mir doch vertrauen, könnte ich Ihnen doch Etwas sein.

Sie sind mir viel, sehr viel! antwortete sie, da sie jetzt plötzlich zu ahnen begann, welche Gefühle Theophil für sie hege. Sie sind mir theuer, wie ein jüngerer Bruder, dem man gern vertraut, auf dessen Zukunft man hofft, weil man sie mit genießen will. Ich rechne darauf, Sie einst froh und stark in das Leben blicken zu sehen, und daß ich Ihnen werth bin, daß Sie gern mit mir sind, macht mich sehr, sehr glücklich. Glauben Sie mir das, mein Freund!

Aber Sie lieben mich nicht, Therese? fragte er plötzlich.

Sie schwieg erschreckt. Sie werden mich niemals lieben? fragte er dringender. Scheine ich Ihnen des Glückes so ganz unwerth?

Er sprach nicht lauter, nicht lebhafter, als er es sonst pflegte, er sah sogar ganz ruhig aus und doch hatte die tiefe Innerlichkeit seines Tones etwas so Klagendes, daß sie davon schmerzlich erschüttert ward. Sie ergriff seine Hand und sagte sehr weich: Ich bin sicher, Sie täuschen sich über sich selbst. Ich hoffe zuversichtlich, Sie lieben mich nicht, denn ich könnte die Liebe, die Sie fordern, nicht erwidern, so theuer Sie mir sind. Ich bin nicht frei, nicht Herr meiner Neigung. Nehmen Sie das Geständniß, das ich mir selbst kaum zu machen wage, als den höchsten Beweis von Vertrauen, den ich Ihnen geben kann.

Theophil barg das Gesicht in seinen Händen und schwieg. Das peinigte sie und sie fuhr fort: Glauben Sie mir, mein Freund! es ist wie ich Ihnen sage. Denken Sie nur, ich bin um mehre Jahre älter als Sie; Sie sind so jung, Sie können ein Herz verlangen, das in der Liebe zu Ihnen zum Bewußtsein erwacht. Ich habe meine Jugend früh in Hoffnungslosigkeit verloren, ich bin nicht glücklich gewesen, Theophil!

Darum möchte ich versuchen, Sie glücklicher zu machen, rief er. Lassen Sie mir wenigstens die Hoffnung, daß Ihr Sinn sich einst zu mir wendet, daß es mir einst gelingt, Sie über eine frühere Neigung zu trösten.

Nein, sagte Therese bestimmt, das können Sie nicht; ich liebe heute noch ganz so und stärker, als in den Tagen der frühesten Jugend. Jene Liebe ist mein Leben. Ich kann der Hoffnung entsagen, glücklich durch sie zu werden, und das habe ich früh gethan, die Liebe verleugnen kann und – werde ich nie.

Und ich hatte Ihnen meine Zukunft geweiht, klagte er schmerzlich. In Ihnen, Therese, ruhte mein Glück und meine Hoffnung! – und Sie stoßen mich von sich?

Nein! nein! rief sie. Ich stoße Sie nicht von mir, ich wünsche vielmehr, daß Sie uns nicht verlassen. Bleiben Sie bei uns, prüfen Sie sich selbst und Sie werden ruhiger werden, als wenn Sie sich gewaltsam von uns trennten. Sie halten mich für gut, mein Freund! Die Art, in der ich das Leben erfasse, sagt Ihnen zu; Sie freuen sich, daß ich bei Ihnen bin, wenn Ihre kleinen Leiden Sie muthlos machen, und weil Sie mich lieb haben, glauben Sie, mir mit Ihrer Liebe danken zu müssen. Wie unrecht wäre es aber, nähme ich dies Geschenk von Ihnen an; es hieße Wucher treiben, verlangte ich Liebe auch für die innigste Freundschaft. Ich bleibe Ihnen ja, ich selbst will Sie glücklich wissen und wie ich Ihr Wort darauf verlange, daß Sie nicht jetzt, nicht plötzlich von uns gehen, so verspreche ich Ihnen, daß Sie in allen Wechselfällen des Lebens die treueste Freundin in mir finden sollen, die theilnehmendste Vertraute. Wollen Sie mich zu einer solchen annehmen, Theophil? Wollen Sie mir die hohe Freude machen, mir einst zu sagen, daß Sie sich über Ihre Gefühle für mich täuschten, wenn Sie ein Mädchen gefunden haben werden, das besser für Sie paßt als ich?

Theophil schüttelte schweigend das Haupt, aber er drückte die Hand, die sie ihm geboten hatte, an seine Lippen und sagte: Ich höre den lieben Ton Ihrer Stimme, aber ich fasse Ihre Worte nicht. Mir ist, als ob der Boden wankte, auf dem ich mein Haus gebaut. Ich werde bleiben, Therese! denn in Ihrer Nähe zu leiden, ist mir noch Labsal gegen die Trennung von Ihnen. Auf Wiedersehen denn!

Mit den Worten ging er seufzend hinaus.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Eine Lebensfrage. Zweiter Teil.