XIII. Die Nacht verging dem heftig Erregten ohne Schlaf. Er legte das Wohl seiner Untergebenen gegen seine eigenen Wünsche in die Wagschale; ...

XIII. Die Nacht verging dem heftig Erregten ohne Schlaf. Er legte das Wohl seiner Untergebenen gegen seine eigenen Wünsche in die Wagschale; er hielt es sich vor, wie man seinen Sohn von ihm trennen, ihn in einer Richtung erziehen werde, die ihm verwerflich schien. Bald wollte er Alles opfern, um nur frei zu werden, bald fühlte er den Muth, dem Glück der Liebe zu entsagen, um in Pflichterfüllung Ruhe und geistige Befriedigung zu erlangen. Je länger er wachte, je mehr erhitzte sich seine Phantasie. Jeder Athemzug des schlafenden Knaben berührte schmerzlich sein Ohr. Das Kind schlief so ruhig, es ahnte nicht, welch schweren Kampf sein Vater in sich kämpfte, wie er mit sich rang, dem Sohne das größte Opfer zu bringen. Alfred konnte keine Ruhe auf dem Lager finden, er stand auf, um dem Präsidenten den Vorfall zu berichten. Dann schrieb er dem Domherrn und bat, wenn sie zu schaffen sei, um eine Abschrift des betreffenden Codicills. Darüber kam endlich der Morgen heran, und noch lastete die in bangen Zweifeln verlebte Nacht schwer auf seinem Geiste. Die Stunden der Dunkelheit hatten seinen Blick in die Zukunft getrübt; er sah die Welt in den düstersten Farben an, und athmete erst auf, als der erste Lichtstrahl in sein Auge fiel, als er das Licht wieder in der Natur erblickte. Damit wachte die Hoffnung in ihm auf, sein Muth belebte sich und die Fähigkeit zu kräftigen Entschlüssen fing sich in ihm wieder zu regen an.

Aber sein Kopf glühte, sein Körper war fieberisch erregt, er ging hinaus ins Freie, um sich abzukühlen. Ein frischer Reif hatte sich über den Boden gelegt und zitterte glitzernd auf Gras und Laub. Es war empfindlich kalt, indeß diese Kälte that dem Aufgeregten wohl. Die Gegend erschien ihm doppelt schön, sein Besitz war ihm doppelt lieb, da er an die Möglichkeit dachte, sich von allem Diesem trennen zu müssen. Er band im Garten ein paar junge Bäume fest, die er einst selbst gepflanzt hatte; es that ihm leid, daß man sie in seiner Abwesenheit nicht gehörig besorgt hatte. Mitten in der Arbeit hielt er inne: Das Schicksal eines Baumes bewegt Dich, sagte er, und Du könntest daran denken, das Loos aller Deiner Untergebenen, das Loos Deines Sohnes einer fremden Hand anzuvertrauen? Unmöglich!


Sein Entschluß, in seinem bisherigen Wirkungskreise zu bleiben, befestigte sich in seiner Seele; aber als er ihn gefaßt, als er ihn ganz durchdacht hatte, da drängte sich ihm schmerzlich die Frage auf, wie er es tragen werde, auf das Glück zu verzichten, das er sich in der Vereinigung mit Therese erhofft hatte. Er wollte ihr schreiben. Was sollte, was konnte er ihr aber sagen? Er zweifelte nicht an ihrer Liebe, er wußte, daß sie die seine kenne. Durch Julian mußte sie erfahren, wie es ihm unmöglich werde, den Wünschen seines Herzens zu folgen; wie er sich Dem opfere, was er für seine Pflicht halte. Zu schreiben fehlte ihm der Muth, dennoch verlangte er lebhaft sie wiederzusehen.

Um die Frühstückszeit kehrte er in das Schloß zurück. Er küßte Felix und drückte ihn an sich mit einer Bewegung, die dem Knaben nicht entging. Lange hielt er ihn in seinen Armen fest, er erkaufte den Sohn mit dem Glück der eignen Zukunft.

Sein Begegnen mit Caroline war kalt. So sehr er dagegen kämpfte, er konnte eines Grolles gegen sie nicht Herr werden, den er früher nicht empfunden hatte. Es war ihm, als stände nicht das Testament des Onkels, sondern sie allein zwischen ihm und seinen Wünschen, als trenne sie allein ihn von seinem Glück.

Der Tag verging in Thätigkeit mancher Art. Er hatte Berechnungen durchzusehen, die Arbeiten im Felde und in den Fabriken zu revidiren. Eine Vermessung des Forstes war nöthig, sie sollte am heutigen Tage angefangen werden, und Alfred wollte dabei sein. Er ritt hinaus, nahm den Knaben mit sich; aber er konnte die rechte Lust an der Arbeit nicht finden. Er fühlte sich innerlich gehemmt. Die Leute, mit denen er sprach, fanden ihn nicht so klar und so bestimmt wie sonst, ihm selber war zu Muthe, als trete er heute den Besitz aufs Neue an; aber er freute ihn nicht, denn er litt noch zu sehr von dem Opfer, durch das er sich ihn erwarb und erhielt.

Ein reitender Bote war zum Domherrn nach Maria-Gnad gesendet. Er kam zurück und brachte die Antwort, der Domherr werde wieder zu ihm kommen, und der würdige Greis hielt ihm sein Wort.

Alfred ging ihm bis an die Grenze seines Parks entgegen. Des Domherrn Blicke fragten, was er beschlossen habe? Alfred verstand die stumme Frage und sagte tiefaufathmend, sobald er mit dem Freunde allein war: Ich bleibe hier, mein Freund! Aber die Worte klangen so muthlos, daß der Domherr ihn bekümmert ansah und ihn fragte: Und erhebt Sie der schöne Entschluß nicht, den Sie gefaßt haben?

Nein, antwortete Alfred, ich bringe das Opfer nicht freudig; ich fühle meine Pflicht wie eine schwere, drückende Bürde.

Das ist der erste Schmerz, meinte der Domherr; Sie werden ihn überwinden, glauben Sie mir, und Glück und Freude wird Ihnen daraus erwachsen.

Alfred schüttelte ungläubig das Haupt und schwieg. Dann sagte er: Nun habe ich eine Bitte an Sie, theurer Freund! Uebernehmen Sie es, mit meiner Frau die Maßregeln zu besprechen, die für unsere Zukunft nöthig sind. Ich würde es gern sehen, wenn sie von Rosenthal, das mir besonders werth ist, fortzöge. Sie soll wählen, ob sie auf Worben oder auf Plessen wohnen will. Das Gut, das sie vorzieht, will ich ganz nach ihren Wünschen einrichten lassen; gleichviel, ob sie es für immer oder nur als Sommeraufenthalt zu bewohnen gedenkt. Sie selbst soll das Jahrgeld bestimmen, das sie zu bedürfen glaubt, und jede Verfügung treffen, die ihr für ihr Leben angenehm scheint. Ich werde in Berlin bleiben, meines Sohnes wegen, denke aber alle sechs, acht Wochen mindestens ein paar Tage hieherzukommen. Ohne das Auge des Herrn gedeiht nichts, das sehe ich, und ich hoffe, auf die Weise, die ich Ihnen andeutete, all meinen Pflichten genügen zu können.

Der Domherr hörte ihm aufmerksam zu und sagte dann: Es ist mein Beruf, zu versöhnen, nicht zu scheiden. Ihren Gütern habe ich Sie durch meine Bitten erhalten; wäre es mir doch möglich, Sie auch Ihrer Frau zu erhalten! Was Gott verbunden hat, soll der Mensch nicht trennen. Bedenken Sie nur, daß aller Vortheil dieser Trennung Ihnen allein zu Gute kommt. Sie behalten den Sohn, Sie haben ein freies, durch Thätigkeit mancher Art ausgefülltes Leben; was hat eine Frau zu erwarten, die man von ihrer Familie trennt?

Kein schlimmer Loos, als ich alle diese Jahre hindurch an ihrer Seite erduldet habe, sagte Alfred.

Aber Sie hatten den Sohn, sich zu trösten! wendete der Domherr ein.

Und was hat das vortreffliche, edle Mädchen, das ich liebe, dem ich entsage, sich zu trösten, als sich selbst? rief Alfred bitter. Muß dieses, das schuldlos leiden wird, nicht trachten, mit sich einig zu werden, in sich die Kraft für ihr Leben zu finden? Muß ich nicht ein einsames Dasein erdulden? Muß ich nicht darben, wo ich ein Glück genießen könnte? – Nein, nein, lieber Freund! verschwenden Sie Ihre wohlgemeinten Bemühungen nicht. Ich weiß, was mir frommt, was uns frommt. Gehen Sie zu meiner Frau und machen Sie meinen Wünschen sie geneigt. Ich bin zu jedem Zugeständnisse bereit, wenn wir uns auf friedlichem Wege trennen können. Aber trennen müssen wir uns!

Vergebens machte der Domherr neue Friedensvorschläge, Alfred beharrte auf seinem Willen und Jener verfügte sich zu Caroline, um ihr die Wünsche ihres Mannes mitzutheilen. Sie hörte den Greis, der ihr durch sein geistliches Amt ebenso Ehrfurcht gebot, wie durch seine Person, mit mehr Ruhe an, als ihr sonst eigen war, beschwerte sich dann bitter über das Loos, mit einem so phantastischen, launenhaften Manne verbunden zu sein, klagte Alfred wegen einer Menge Fehler an, und sagte endlich: sie könne keinen Entschluß fassen, sie wolle sich erst mit dem Kaplan berathen, da ihr Mann den Domherrn zu seinem Beistand erwählt habe. Damit erklärte dieser sich, wiewohl ungern, einverstanden, weil er dem Kaplan mißtraute, und ging zu Alfred zurück, ihn von dem Erfolg seiner Sendung zu benachrichtigen.

Im Hause herrschte danach ein sehr peinlicher Zustand. Die Gatten sahen sich gar nicht, außer während der Mahlzeiten. Alfred saß verdüstert an der Tafel, Caroline ließ ihren Mißmuth an der Dienerschaft aus, die verlegen und eingeschüchtert ihr Amt verrichtete, und selbst Felix ward scheu und unlustig. Er kam Alfred wie ein Vogel vor, der bei herannahendem Sturm instinktmäßig die Gefahr empfindet, bange umherflattert und nicht weiß, wie er sich schützen soll, da er das Uebel nicht kennt, das ihn bedroht. Das Kind that ihm sehr leid und machte ihm durch seine sorglosen Fragen Kummer. Alfred erwartete deshalb die Entscheidung mit Ungeduld; aber der Kaplan war für ein paar Tage verreist und man mußte sich bis zu seiner Rückkehr bescheiden.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Eine Lebensfrage. Erster Teil.