XII. In beglückter Erregung legte Alfred den Weg nach seiner Wohnung zurück. Er hatte endlich sich selbst und sein Herz erkannt, er liebte Therese...

XII. In beglückter Erregung legte Alfred den Weg nach seiner Wohnung zurück. Er hatte endlich sich selbst und sein Herz erkannt, er liebte Therese. Oft hatte er sich in der letzten Zeit gefragt, woher die Arbeitsfreudigkeit? woher der neue Liederreichthum in meiner Brust? und immer war er um die rechte Antwort verlegen gewesen. Jetzt war ihm das Räthsel gelöst und alle Zweifel über das gehoben, was ihm zu thun obliege. Therese mußte sein werden so bald als möglich; er fühlte, daß sie Bedingniß seines Glückes sei. Was er für sie empfand, war weit entfernt von dem glühenden Rausche jugendlicher Leidenschaft; es war reiner, edler, erhebender als jene. Therese war nicht jung, nicht schön, keine blendende Eigenschaft fesselte ihn an sie; aber sein Herz öffnete sich den erhabensten Gefühlen, sein Geist nahm den freudigsten Aufschwung in ihrer Nähe, weil er wußte, sie fühle tief wie er, sie folge theilnehmend dem Fluge seiner Gedanken. Ihr grader Charakter war ihm achtungswerth, ihre Art zu sein sagte all seinen Gewohnheiten und Neigungen zu. Es schien ihm die höchste Lust, sie beständig zur Gefährtin zu haben, denn er hatte die Zuversicht, mit ihr und in ihr das Glück zu finden, das er bis jetzt so sehr entbehrt hatte. Er liebte sie mit derselben Innigkeit, die ihn in der Jugend bei ihrem ersten Begegnen zu ihr gezogen hatte, und mit der Ruhe des reifen Mannes, die festzuhalten strebt, was sie einmal als das Rechte erkannt hat.

Mit Lebhaftigkeit ordnete er Alles für seine Abreise an. Er schrieb Sophien, daß er Berlin auf einige Tage verlasse, daß er sie wiederzusehen hoffe und sie bäte, keinen für ihre Zukunft entscheidenden Schritt zu thun, ohne ihn davon zu benachrichtigen. Auch von Julian und von Eva nahm er schriftlich Abschied und nach beendigten Geschäften fuhr er den Weg nach Rosenthal zurück, auf dem er vor zwei Monaten Therese und Eva begegnet war.


Die Gegend, die er damals im reichen Farbenschmuck des beginnenden Herbstes gesehen, lag jetzt traurig und öde vor ihm; aber so sehr er sonst äußern Eindrücken der Art zugänglich war, so wenig berührten sie ihn diesmal. All seine Gedanken weilten bei Therese. Bald machte er sich Vorwürfe, daß er sich nicht entschieden gegen sie ausgesprochen und um ihre Liebe geworben habe, bald freute es ihn wieder. Noch war er mit einer Andern vermählt, noch dieses Band zu lösen. Die Sehnsucht nach Therese, die Vorstellung der Leiden, die er seiner Frau bereiten, die er selbst bei der Scheidung empfinden würde, rangen in seiner Seele miteinander und gewannen abwechselnd die Herrschaft. Das neuerwachte Gefühl zog ihn zu Therese; lange Gewohnheit, die uns bis zu einem gewissen Grade Alles werth macht, band ihn an seine Frau, an die Mutter seines Sohnes. Er prüfte sich lange, er schwankte oft, bis er sich mit beruhigtem Gewissen endlich sagte, daß nicht die Liebe für Therese, sondern die Abneigung gegen Caroline ihn zu der Scheidung genöthigt habe. Das beruhigte ihn in etwas. Er wollte alles Schwere und Schmerzliche, das ihn noch von einer Verbindung mit Therese trennte, allein durchkämpfen, und sie dann erst um ihre Hand angehen, wenn er sie in Ruhe und Frieden zu der Seinen machen konnte. Dann wieder schweifte sein Geist plötzlich zu den Arbeiten zurück, die er in der letzten Zeit begonnen und die er Therese noch nicht vorgelegt hatte. Mit Freude dachte er daran, wie sie hier und dort den Anklang ihrer beiderseitigen Unterredungen, den Widerschein ihres eignen Wesens wieder finden würde. Er ahnte, was ihren Beifall haben, was gegen ihre Ansicht sein könne, und immer lieblicher malte er sich die Zukunft an ihrer Seite aus.

So verging ihm der Abend schnell und die Stunden der Nacht. Am Morgen, als er halten ließ, um sein Frühstück einzunehmen, fand er in dem Gasthofe einen Bekannten, dessen Besitzungen an die seinigen grenzten.

Nun? kommen Sie endlich doch hinaus? rief der Nachbar ihm entgegen, sobald er ihn erblickte; Sie sind lange ausgeblieben! Ja! die Residenz läßt Einen nicht leicht los. Aber es ist Zeit, daß Sie zusehen! Die Hälfte der Kartoffeln stecken bei Ihnen noch in der Erde, das sah ich im Vorüberfahren.

Ich weiß es, sagte Reichenbach. Mein Inspector schrieb mir, daß er sie noch in der Erde lasse, es ist nur ein ganz kleiner Theil. Ich will sie versuchsweise wie am Rheine zusammenstampfen lassen, und dafür mußten erst Keller zugerichtet werden. Mit verdoppelten Arbeitern und gutem Lohn ist der Zeitverlust bald eingebracht.

Will wünschen, daß Sie gut Wetter behalten. Bei mir ist Alles unter Dach, haben heute schon den ersten November. Sie bleiben doch nun wieder zu Hause? Ich finde Sie bei meiner Rückkehr? fragte der Gutsbesitzer.

Es kommt darauf an, wie lange Sie in Berlin verweilen, denn ich denke wieder dahin zurückzukehren.

Oho! rief der Andere, also spukt wieder einmal der Poet in Ihnen und läßt dem Landwirth keine Ruhe. Nun, Ihre Frau wird’s sich gefallen lassen. Sie haben die letzten Jahre in der That wie Einsiedler gelebt; hat Niemand etwas von Ihrer Gesellschaft gehabt, außer den Kaplänen von Maria-Gnad. Der Kaplan Ruhberg ist ja seit einigen Wochen auch wieder bei Ihnen zur Milchkur. Er sprach bei mir vor, ehe er zu Ihnen ging. Frommer, charmanter Herr! – Pferde fertig? abgefüttert? fragte er dann den eintretenden Kutscher und nahm mit derbem Händedruck und dem Wunsche, ihn bald wiederzusehen, von Alfred Abschied, als man ihm sagte, daß sein Wagen ihn erwarte.

Auf Alfred hatte die kurze Unterhaltung aber einen peinlichen Eindruck gemacht. Sie hatte ihn aus den heitern Entwürfen für seine Zukunft plötzlich in die Gegenwart zurückgerufen, in der noch so viel Hindernisse vor ihm lagen, noch so viel Wirren zu lösen waren. Seine Gedanken wendeten sich der Heimat mit immer größerer Sorge zu, je näher er ihr kam. Endlich erreichte er die Grenze seines Besitzes. Da fand sich bald hier, bald dort eine Vernachlässigung zu rügen; Anordnungen, die er vor seiner Abreise getroffen und deren schnellste Ausführung er befohlen hatte, waren nicht befolgt worden; er sah, daß er seinen Inspektor für zuverlässiger gehalten hatte, als er sich erwies. Mit wachsender Verstimmung fuhr er durch seinen reichen Besitz. Erst als er sein Schloß erblickte, wich sie dem Gedanken an den Sohn. Es that ihm leid, daß er seine bevorstehende Ankunft nicht gemeldet, daß er nicht den Befehl gegeben hatte, ihm Felix entgegenzuschicken; aber seine Abreise war so schnell gekommen, daß es nicht thunlich gewesen war.

Vor dem großen Rasenplatz angelangt, der sich an der einen Seite des Schlosses befand, hoffte er mit Sicherheit seinen Sohn zu erblicken, der dort in den Morgenstunden seine Spiele zu treiben pflegte. Er war aber nicht da und das beunruhigte seinen Vater. Caroline hatte in ihrem letzten Briefe des Knaben nicht gedacht, Felix nicht, wie er pflegte, ein Blättchen für den Vater beigelegt. Er fürchtete also den Knaben krank zu finden und, als er das Schloß erreicht hatte, als die Dienerschaft herbeikam, ihn zu empfangen, war seine erste Frage nach dem Sohne.

Die gnädige Frau ist mit dem Herrn Kaplan zur Kirche nach Maria-Gnad gefahren und hat den jungen Herrn mitgenommen, gab man ihm zur Antwort.

Das beruhigte den Vater, aber sich besinnend fragte er: In die Kirche? heute?

Gnädiger Herr! es ist Allerheiligen! sagte der eine Diener.

Ja so! nun gut! Lassen Sie abpacken! Mit den Worten stieg Alfred die Treppe hinauf und wollte sich in sein Zimmer verfügen. Sein Diener aber bemerkte, da man des gnädigen Herrn Eintreffen nicht erwartet hätte, wären seine Zimmer nicht geheizt.

So sehen Sie zu, daß es gleich geschieht, befahl Alfred und trat inzwischen in das Wohnzimmer ein. Ungeduldig ging er umher und blieb dann an dem Fenster sitzen, um die Rückkehr der Seinen zu erwarten. Die Zeit schien ihm still zu stehen, jede Minute brachte ihm ein neues peinliches Gefühl. Die Diener, von der unklugen Gebieterin in die Geheimnisse der Eheleute zum Theile eingeweiht, schlichen scheu und ängstlich umher. Alles kam ihm fremd vor und doch war er in der Heimat. Die Stille, die Einsamkeit wurden ihm unerträglich: er verlangte den Sohn zu umarmen und bangte bei dem Gedanken, daß die Mutter mit demselben zugleich erscheinen werde. Er überlegte, was er ihr sagen, wie er es ihr sagen solle; da schlug fern ein Hund an. Er kannte den Laut, es war sein schöner Neufundländer, der sich niemals von dem Knaben trennte. Sein Herz klopfte ihm heftiger als sonst. Er hörte Wagengerassel, Pferdetritte, ging die Treppe hinab, Felix sprang aus dem Wagen und warf sich dem Vater mit beiden Armen an die Brust.

Caroline schrie auf, als sie ihres Mannes ansichtig ward, und fiel ihm um den Hals. Alfred mußte es geschehen lassen, um vor der Dienerschaft keinen unangenehmen Auftritt zu veranlassen. Er bewillkommte kalt den Kaplan, bot seiner Frau den Arm und führte sie in das Haus.

Die Freude des Knaben kannte keine Grenzen und ward nur von der lautlosen Zärtlichkeit des Vaters übertroffen. Man konnte kaum ein schöneres Bild sehen, als den kräftigen Mann mit dem blühenden Sohne, wie sie voll Liebe aneinander hingen.

Mein Vater ist da! mein lieber Vater ist da! rief Felix. Nun werde ich wieder auf dem Castor mit Dir ausreiten. Nun werde ich wieder von den tapfern Rittern bei Dir lernen und nicht immer von den frommen Kindern! nicht wahr, Vater? fragte er.

Ja, mein Sohn! antwortete dieser, wir machen Alles wieder so wie sonst.

Und Du gehst nicht wieder fort, und ich und der Neptun schlafen auch wieder bei Dir. Du bleibst doch nun wieder ganz zu Hause, lieber Vater? Du gehst nicht wieder fort?

Doch, mein Sohn! aber ich nehme Dich mit, entgegnete der Vater.

Caroline, die in großer Verlegenheit sich mit dem Ablegen ihres Mantels, mit dem Zurechtrücken von Meubeln beschäftigt und mit dem Kaplan gesprochen hatte, der ihnen in das Wohnzimmer gefolgt war, und schweigend in der Fensterbrüstung saß, weil der Hausherr ihn geflissentlich vermied, trat plötzlich vor ihren Gatten hin und fragte: Wann willst Du, daß wir reisen, Alfred?

Ich denke nur so lange hier zu bleiben, als es unerläßlich nöthig ist. Längstens acht Tage, antwortete dieser.

Sehen Sie, lieber Kaplan! rief Caroline, die es nöthig fand, sich ihres geistlichen Freundes anzunehmen, sehen Sie, so machen es die Männer immer. Nun werden wir in fliegender Eile von hier aufbrechen und ich hatte Sie eingeladen, unser Gast zu sein, bis Ihre Kur beendet wäre.

Du weißt, Caroline, daß es ganz in Deinem Willen steht, so lange hier zu verweilen, als es Dir beliebt, bemerkte Alfred laut; denn ich kam nicht in der Absicht, Dich zu holen, fügte er leise hinzu.

Hast Du meinen letzten Brief denn nicht erhalten? fragte Caroline.

Ja! antwortete Alfred.

Herr Kaplan! rief Caroline lebhaft, denken Sie nur, mein Mann hat meinen Brief erhalten und nach all den Demüthigungen, nach all den Zugeständnissen, die ich ihm auf Ihr Anrathen gemacht, beharrt er dennoch auf den alten Vorsätzen, wie es scheint. – Sie hätte für sich und ihren Freund nichts Ungeeigneteres sagen können.

Alfred fuhr heftig auf. Also daher, sprach er, kamen die guten Lehren? Ich hätte es ahnen können. Nun denn! mein Herr Kaplan, da ich Ihnen vermuthlich all die freundlichen Vorwürfe über mein Thun und Treiben, und eine Menge von Ermahnungen verdanke, die mir in den letzten Briefen meiner Frau zu Theil geworden sind, so erlauben Sie mir Ihnen auch eine gute Lehre zu geben. Stören Sie nie durch Ihre Gegenwart das Wiedersehen einer Familie, gleichviel ob diese sich in Frieden oder in Unfrieden begegnet. Der Fremde ist dabei stets überflüssig.

Der Kaplan, ein großer, hagerer Mann mit scharfen Zügen und schlichtem blonden Haar, schoß einen tückischen Blick auf Alfred, während er mit Salbung sagte: Ich fürchtete, wie es sich denn auch bewährt, daß Sie sich nicht in Frieden begegnen würden; und ich blieb da, um der gnädigen Frau beizustehen, wie es dem Beichtvater geziemt, in der Stunde der Prüfung.

Ihres Beistandes wird Frau von Reichenbach mir gegenüber nie bedürfen, denn die Mutter meines Sohnes, die meinen Namen trägt, ist mir heilig wie meine Ehre, sagte Alfred mit Würde. Was wir aber mit einander abzumachen haben, das kümmert die Kirche bis jetzt noch nicht, und ich würde es Ihnen Dank wissen, mein Herr, wenn Sie sich entschlössen, die wenigen Tage, die ich hier verweile, uns selbst und unserm eigenen Nachdenken zu überlassen.

Das war mehr, als der Geistliche erwartet hatte, aber er suchte sich zu beherrschen, obschon er sich verfärbte. Ich bin nicht aus freiem Antrieb hier, entgegnete er mit erheuchelter Gelassenheit, ich kam nicht als Gast in Ihrer Abwesenheit in Ihr Haus, mein Herr von Reichenbach! Ich kam kraft meines Amtes auf den Ruf der verehrten gnädigen Frau, die Trost von mir verlangte, in der Vereinsamung, zu der Sie sie verdammt. Mit Ihrer Rückkehr ist mein Amt von selbst zu Ende! sagte er, und wollte sich, nach einer ehrfurchtsvollen Verbeugung vor der Hausfrau, hochgehobenen Hauptes entfernen; aber Caroline vertrat ihm rasch den Weg und, seine Hand ergreifend, sagte sie: Bleiben Sie, verehrter Freund, bleiben Sie und verlassen Sie mich nicht. Lassen Sie sich das Beispiel der Heiligen vorhalten, die wie Sie Schmähungen litten und Beleidigungen vergaben. Wie soll ich mir rathen oder wie soll ich Ruhe finden, ohne Ihren milden Trost, der seit Monaten hier meine einzige Zuflucht gewesen ist!

Wenn Sie mein bedürfen, gnädige Frau, erwiderte der Kaplan, werde ich Ihnen niemals fehlen. Dann verneigte er sich wieder, sagte Alfred mit einer Ruhe Lebewohl, als ob gar nichts Störendes zwischen ihnen vorgefallen wäre, und ging hinaus. Caroline folgte ihm auf dem Fuße nach.

Felix verstand natürlich den Vorgang in seiner wirklichen Bedeutung nicht, aber er sah, daß sein Vater verdrießlich sei, schmiegte sich befangen an ihn, blickte ihm mit seinen großen Augen lange ins Gesicht und sagte dann: Du bist traurig, lieber Vater! so warst Du auch an dem Abend, als Du abreistest, ohne mir Lebewohl zu sagen. Bist Du krank, mein Vater?

Ich habe Kummer, mein Sohn! antwortete er ihm; indeß es wird besser werden, und dann werden wir auch wieder fröhlich sein wie sonst.

Aber Du bist nicht böse auf mich?

Niemals, mein Felix, wenn Du brav bist, und das warst Du doch, nicht wahr?

Felix ward roth, wollte sprechen und schwieg dann still. Man sah, daß seine junge Seele mit einem gewaltsamen Entschlusse ringe. Endlich fragte er: Hat’s Dir die Mutter nicht geschrieben?

Sie hat mir geschrieben, daß Du artig und folgsam warst, und das hat mich gefreut, mein lieber Junge! sagte Alfred und zog den Knaben an sich, um ihn zu küssen. Da fiel Felix ihm an die Brust und rief, in Thränen ausbrechend: Es ist nicht wahr, Vater! ich war nicht brav und nicht artig. Ich war feig, als es blitzte, ganz feig; und ich habe auch den alten Leonhard geschlagen. Aber Mama und der Kaplan haben gesagt, sie wollten es Dir nicht schreiben und ich brauchte es Dir nicht zu erzählen. Ich solle es nur immer dem Herrn Kaplan sagen, wenn ich Unrecht gethan hätte, der würde mit mir Paternoster beten und mir Alles verzeihen.

Alfred fuhr mit einer Bewegung des Unmuthes empor. Der Knabe, welcher wähnte, dieser Zorn gelte ihm, rief traurig:

Sei nicht böse, Vater! ich thue es nie wieder. Ich werde nie mehr feig sein und Niemand schlagen. Ich wollte Dir es lieber verschweigen, aber ich dachte, wenn der Kaplan mir verzeiht, den ich gar nicht mag, so würdest Du mir’s ja auch verzeihen.

Damit schlang er seine kräftigen Arme um den Hals des Vaters, der ihn mit zärtlich ernsten Worten ermahnte und ihn fragte: Hast Du denn den alten Leonhard um Verzeihung gebeten?

Nein! zuerst wollte ich es thun, denn es that mir leid, aber die Mutter sagte, das sei gar nicht nöthig; ich sei ein Junker und der Leonhard ein Diener, dem hätte ich nichts abzubitten, antwortete der Knabe.

Alfred’s Unmuth stieg mehr und mehr. Dies war die Weise, in welcher Caroline und der Kaplan, der sie vollständig beherrschte, das Gemüth und den Verstand des Knaben verdunkelten; und es hatte ihm Mühe genug gekostet, dagegen anzukämpfen, ohne dem Kinde die Anhänglichkeit und die Verehrung für die eigne Mutter zu rauben. Auch jetzt mußte er sich begnügen, dem Knaben sein Betragen zu verweisen, so gern er ihn zu einer Abbitte bei dem alten Diener veranlaßt hätte; aber das Ereigniß bestärkte ihn in dem Vorsatz, so schnell als möglich abzureisen.

Vor allen Dingen mußte er dazu sich mit seiner Frau verständigen. Daß dies in mündlicher Unterredung nicht möglich sei, wußte er bestimmt. Er kam also auf den Gedanken, einen alten Geistlichen, einen Freund seines verstorbenen Onkels, der auch ihm zugethan war, zum Vermittler zu brauchen. Wie der Kaplan, war auch der Domherr Geistlicher am Domstifte zu Maria-Gnad, das ganz in der Nähe von Alfred’s Gütern lag, und Erbe der Güter werden sollte, falls die Reichenbach’sche Familie ausstürbe, oder sich durch Austritt aus dem Katholicismus des Besitzes verlustig machte.

Alfred schrieb dem geistlichen Freunde, bat ihn, sich zu ihm zu verfügen, und trat dann eine Wanderung durch seine Besitzungen an, auf der ihn Felix begleitete.

In der freien Natur erheiterte sich sein Gemüth. Es war spät im Jahre, aber die Sonne hatte, als sie in ihrem Höhepunkte stand, die Nebel des Herbstes besiegt und leuchtete warm und freundlich am klaren Himmel. Die Luft war belebend frisch; ein Theil des Laubes hing in buntfarbiger Pracht noch an den Bäumen; das Gras war noch grün an vielen Stellen und hier und da drängte sich eine Blume an das Licht hervor. Felix und sein großer Hund sprangen jubelnd neben Alfred her, der mit der Lust des Besitzers durch die Gegend ging. Des Feiertages wegen rasteten die Arbeiter; es war still und friedlich umher. Einzelne Männer und Frauen, die in behaglicher Sonntagsruhe in ihren Häusern saßen, traten, den Herrn erkennend, vor die Thüren, um ihn willkommen zu heißen. Jeder hatte ihm Etwas zu erzählen, ihn um Etwas zu fragen. Der Eine dankte für eine Unterstützung, die ihm geworden, der Andere bat um eine solche, mit der Zuversicht, welche die Gewißheit der Erhörung gibt. Dazwischen wurden denn auch Klagen laut. Man beschwerte sich, daß man auf Befehl des Herrn Kaplan zwei kleinere Festtage habe rasten müssen, was den Tagelohn verringert. Man machte dem Inspektor der Fabriken den Vorwurf, daß er die Kinder zwei Stunden länger an jedem Tage habe arbeiten lassen, als Alfred es festgesetzt, und daß er sie benutzt habe, am Sonntage in seinem Garten zu jäten, ohne sie dafür zu entschädigen. Alfred hörte theilnehmend zu, versprach für Alles zu sorgen, die Uebelstände abzustellen, lobte hier die Ordnung, die er fand, tadelte in andern Häusern manchen Mißbrauch. Ueberall aber begegnete ihm ein offenes Zutrauen, ein williger Gehorsam, denn seine Untergebenen kannten und verehrten ihn als einen wohlwollenden, gerechten Herrn.

Das gewährte ihm eine innige Befriedigung. Hier, das fühlte er, war sein eigentlicher Wirkungskreis; das Loos dieser Menschen hatte ein günstiges Geschick in seine Hände gelegt, es war seine Pflicht, für sie nach seiner besten Einsicht zu sorgen. Er hatte für die Güter und die Leute schon sehr viel gethan; die Insassen waren träge, arm und unbrauchbar gewesen. Aus einem dumpfen, bedürfnißlosen Leben hatte er sie zu einem verständigen Gebrauch ihrer Kräfte und ihrer Mittel erhoben. Hier wandelte er in einer Umgebung, die praktisch den Werth jener Theorien bewies, für die seine Feder kämpfte. Alles war ihm hier lieb und werth und mit freudigem Stolze hatte er oft Denen, die ihn einen Schwärmer schalten, geantwortet: Kommt zu mir hinaus und seht die Früchte meiner Schwärmerei. Tragen meine Felder weniger, gedeihen meine Fabriken minder, weil zufriedene Menschen sie bearbeiten? Fragt nach, ob ich mich über Ungehorsam zu beklagen habe, wo Jeder einsehen gelernt hat, daß ich nicht eigensüchtig nur an mich denke, sondern daß mir das Wohl Derer, die für mich ihre Kräfte anstrengen, lebhaft am Herzen liegt.

Es that ihm leid, daß die Sorge für die Erziehung seines Knaben ihn nöthigte, künftig ganz in der Stadt zu leben. Mit Therese, die eben so warm als er selbst für die Menschheit empfand, in vereinter Thätigkeit hier zu walten, schien ihm das neidenswertheste Glück. In der Stadt, nur auf literarische Beschäftigung angewiesen, kam er sich unthätig vor; hier, wo er mit ganzer Kraft sich der Bewirthschaftung seiner Güter überließ, fühlte er sich doppelt froh, in den Stunden der Muße sich geistiger Arbeit hinzugeben.

Eine Stunde und länger mochte er umhergegangen sein, als die Schloßglocke zum Mittag läutete und Felix ihn mit der Bemerkung aus seinen Gedanken riß, daß die Mutter auf sie warten werde. Anfangs hatte Alfred die Absicht gehabt, schon jetzt von seiner Frau getrennt, ganz in seinen Zimmern zu leben; allein Rücksicht auf den Knaben, dem dies befremdlich sein mußte, hielt ihn davon zurück. Er wollte den Schein des guten Einverständnisses vor Felix bewahren und verfügte sich mit ihm in das Schloß zur Tafel.

Die Mahlzeit ging traurig vorüber. Caroline, schwankend zwischen dem Wunsche einer Annäherung an Alfred und dem Groll über die Ausweisung des Kaplans, ging von freundlichen Scherzen zu bitterer Gereiztheit über. Sie fragte nach Alfred’s Treiben in der Stadt, nach den Personen, die er dort gesehen hatte. Sie klagte, daß er ihren besten Freund, den Einzigen, wie sie ihn nannte, so schnöde behandelt, und Alfred fühlte sich von diesem gezwungenen Beisammensein mehr als je gedrückt. Sobald es möglich war, beendete er die Tafel und zog sich auf sein Zimmer zurück.

Am Abend traf der Domherr bei ihm ein. Er hatte vermuthet, weshalb Alfred ihn beschieden, denn durch den Kaplan war er seit Wochen von den Absichten seines Freundes unterrichtet worden.

Ich ahnte eine solche Krisis lange, sagte er nach den ersten Besprechungen, aber wie Ihr Freund, der Präsident von Brand, rathe ich Ihnen von der Scheidung ab. Sie haben, wie Sie mir sagen, die Nachträge zu dem Testamente nicht dem Präsidenten vorgelegt; diese sprechen sich entschieden gegen Sie aus. Sie werden der Güter verlustig werden.

Alfred ging an sein Bureau, holte die Papiere hervor und sah sie durch. Als er es gethan hatte, erklärte er dem Freunde, daß er nichts Bedrohliches darin finde.

Geben Sie mir den dritten Nachtrag her, lieber Reichenbach, bat der Domherr, dieser enthält, was Ihnen gefährlich ist.

Den dritten? fragte Reichenbach, es existiren nur zwei.

So wissen Sie nicht, sagte Fernow verwundert, daß Ihr Onkel ein drittes Codicill in unsern Archiven niedergelegt hat?

Kein Wort weiß ich davon! entgegnete Alfred. Und was enthält dieses, wenn ich fragen darf?

Es bestimmt ausdrücklich, daß den Geistlichen unseres Stiftes eine strenge Beaufsichtigung der Besitzer von Rosenthal zur Pflicht gemacht wird, und daß eine Uebertretung der Satzungen unserer Kirche, Seitens der Besitzer, die Güter in unsere Hände liefert, wenn kein katholischer Reichenbach sie übernehmen kann.

Alfred hatte das nicht vermuthet, er schwieg nachdenkend eine geraume Zeit, dann sagte er gefaßt: Im Grunde erfahre ich durch Sie eigentlich Nichts, was ich nicht wußte; denn schon die früheren Nachträge bestimmen ziemlich dasselbe, und was Sie mir sagen, darf in meinem Entschlusse keine Aenderung machen.

Da nahm der Greis, dessen edles Wesen Zutrauen erweckte, Alfred’s Hand, drückte sie herzlich und sagte: Ich weiß, daß ich nicht in dem Geiste unserer Kirche verfahre, wenn ich Ihnen Rathschläge gebe, um Ihnen die Güter zu erhalten, denn unsere Kirche trachtet auch nach weltlichem Besitz. Ich bin es aber von je gewohnt gewesen, der Stimme meines Innern zu folgen und habe mein Ohr und mein Auge nie den Anforderungen der gegenwärtigen Zeit verschlossen. Ich sah Ihr Walten auf diesen schönen Besitzungen mit inniger Freude. Sie haben durch gutes Beispiel, durch vernünftige Lehren hier mehr gewirkt, als alle meine Amtsbrüder in ihren Diöcesen durch die Lehren der Kirche. Sie haben die Menschen zu dem Gefühl ihrer Menschenwürde herangebildet, indem Sie sie glücklich machten; Sie haben sie vor Verbrechen bewahrt, indem Sie sie vor Mangel und Verwilderung schützten. Mehr soll und kann die Kirche nicht. Alle diese Menschen sehen mit Zuversicht auf Sie, hoffen eine gesicherte Zukunft von Ihnen, und Sie denken nur an Ihr eigenes Glück? Darin, mein verehrter Freund! erkenne ich Sie zum ersten Mal nicht wieder!

Alfred versank in ernstes Sinnen. Der Domherr ließ ihn gewähren, dann sagte er: Bis zu der Großjährigkeit Ihres Sohnes würden wir, ich an der Spitze, die Verwaltung der Güter übernehmen; aber ich bin alt und kann jeden Augenblick abgerufen werden von der Erde. Der Kaplan Ruhberg wird, wie voraussichtlich, mein Nachfolger sein. Sie kennen ihn und seinen fanatischen Eifer. Wollen Sie ihm Ihr schönes Werk überlassen? – Felix ist zehn Jahre alt, noch vierzehn Jahre trennen ihn von dem Besitz, und vierzehn Jahre können all das Gute zerstören, das Sie geschaffen haben.

Mein edler, mein wackrer Freund! rief Alfred übermannt; glauben Sie mir, ich gehe nicht leichtsinnig von dem Posten, auf den das Geschick mich gestellt hat. Ich hänge an diesen Verhältnissen wie ein Vater an seinem Kinde. Ich liebe meine Schöpfung hier, wie ein Künstler sein bestes Werk; aber ich habe elf freudlose Jahre in unglücklicher Ehe verlebt. Ich habe die Frau wiedergefunden, deren Besitz mich hoch beglücken würde; ich liebe sie, ich habe sie längst geliebt, dessen bin ich mir jetzt bewußt. Fühlen Sie, welch schweren Kampf ich kämpfe?

Sobald Sie kämpfen, meinte der Domherr, werden Sie auch siegen, dafür bürgt mir die Redlichkeit Ihres starken Willens.

Ich persönlich hänge nicht übermäßig an Hab und Gut, sagte Alfred, aber ich wünsche natürlich meinem Sohne den Besitz und den Wirkungskreis, denen ich so reines Glück verdanke, einst zu hinterlassen. Ich hoffe ihn zu einem Manne zu erziehen, der mich bei den Kindern meiner Gutsinsassen vertreten, der für sie werden soll, was ich den Vätern bin, ein treuer Schutz und Schirm.

Und glauben Sie, daß man Ihnen die Erziehung Ihres Sohnes überlassen werde? fragte der Domherr.

Wer kann mir dieses Recht streitig machen? rief Alfred.

Die Kirche! antwortete der Domherr. Denn jenes Codicill bestimmt für diesen Fall ausdrücklich, daß ihr die Erziehung eines minorennen Erben zufalle.

O, das ist zu viel! sagte Alfred im Tone höchster Empörung. Das ist zu viel! Das ist mehr als Sklaverei. Wie konnten Sie mir dies Dokument bis jetzt verheimlichen, das mich ganz und gar in Ihre Hände gibt?

Ich glaubte Sie davon unterrichtet; ich war überzeugt, daß auch Sie eine Abschrift davon erhalten hätten. Ihr verstorbener Onkel übergab es mir nur kurze Zeit vor seinem Tode. Er hatte mit mir davon gesprochen, daß er Sie zu seinem Erben ernannt habe. Dann war ihm der Gedanke gekommen, daß bei Ihren ihm bekannten Gesinnungen ein Religionswechsel möglich sei, und diese Rücksicht scheint die Bestimmungen veranlaßt zu haben, welche das letzte Codicill enthält. Ich allein kenne dieses dritte Codicill; ich habe mir nie eine Beaufsichtigung Ihrer Handlungsweise erlaubt, denn ich kannte und schätzte Sie und Ihre Absichten und Thaten. Das ganze Stift aber kennt das Testament, und eine Ehescheidungsklage, von Ihnen angestellt, würde mehr als genug für Ruhberg sein, den Sie oft in seiner geistlichen Eitelkeit verletzt haben, gegen Sie aufzutreten und den Andern begreiflich zu machen, was man durch einen Angriff gegen Sie gewinnen könne.

Welch unwürdige Behandlung, welche verdammenswerthe Täuschung! rief Alfred mit zorniger Empörung. Man setzt mich unter Vormundschaft wie ein Kind; wie ein Kind, dem man nicht den freien Gebrauch seiner Kräfte gönnt, hält man mich an unsichtbaren Banden fest! Mein freudigstes Schaffen, mein redlichstes Bestreben wende ich für die Menschen an, denen ich Herr geworden bin; und nun, da Alles gedeihet und blühet, da ich ernten möchte, was ich gesäet, nun ruft man mich wie einen müßigen Knecht von der Arbeit, die mein Glück und meine Freude war. Und warum? Weil ich das Recht verlange, das auch dem Niedrigsten zusteht, das Recht, nach seinem freien Willen zu handeln.

Der Domherr antwortete ihm nicht, und Alfred fuhr nach einer Pause fort: Zusehen soll ich, wie blinder Fanatismus und Aberglaube die Vernunft Derer verdunkeln, die ich mühsam ans Licht gewöhnt! Man wird zerstören, was ich für eine Zukunft fruchtbringend gehofft; und meinen Sohn, meinen eignen Sohn will man mir rauben, um ihn zum Werkzeug einer Ansicht zu machen, die ich tief verdamme! Nimmermehr! Das soll und wird nun und nimmermehr geschehen!

Er ging heftig im Zimmer umher, der Domherr störte ihn nicht. Plötzlich blieb Alfred vor ihm stehen und sprach: Vergeben Sie mir, theurer Freund, wenn ich Sie gekränkt haben sollte. Ich kann der Empörung noch nicht Herr werden, mit der mich Ihre Mittheilungen erfüllten. Ich bin zu aufgeregt, ich weiß mich nicht zu entscheiden, haben Sie Nachsicht mit mir.

O! weit mehr als das! ich bedaure Sie, mein Freund! sagte der Greis sehr mild. Aber suchen Sie mit sich einig zu werden, und vor allen Dingen entscheiden Sie sich nicht schnell. Bedenken Sie, wie gleichgültig wir oft schon nach wenig Jahren gegen Dasjenige werden, was wir einst lebhaft gewünscht haben. Urtheilen Sie in Ihrer Angelegenheit mit dem kalten Blute des Greises, nicht mit Ihrem heißen Herzen, und lassen Sie mich wissen, wofür Sie sich entschieden haben.

Und was thäten Sie? fragte Alfred.

Ich habe durch vierzig Jahre gelernt, mein Glück in dem Wohle Anderer zu suchen; ich habe nichts für mich erstrebt; meine eignen Wünsche früh begraben. Fragen Sie mich nicht, es muß Jeder aus seiner eignen Natur den rechten Weg ermitteln. Gott sei mit Ihnen, werther Freund!

Alfred umarmte den Greis gerührt und eine Thräne perlte in seinen Augen. Ob sie der Zorn, ob sie der Schmerz erpreßt? wer wollte das entscheiden, in einer Stunde, in der so verschiedene Gefühle ihn bestürmten!

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Eine Lebensfrage. Erster Teil.