VII. Während der Präsident bei Sophien war, saß Alfred einsam in seinem großen Hause. So allein hatte er auch darin gelebt, bald nachdem es ihm mit der Erbschaft zugefallen war...

VII. Während der Präsident bei Sophien war, saß Alfred einsam in seinem großen Hause. So allein hatte er auch darin gelebt, bald nachdem es ihm mit der Erbschaft zugefallen war. Er erinnerte sich des Tages, an dem er von dem palastähnlichen Gebäude Besitz genommen, und eines andern bald darauf, an dem er Julian mit Mutter und Schwester in demselben zum Frühstück bewirthet hatte. Damals hatte Therese viel mehr zu werden versprochen, als sie jetzt zu sein schien. Er fand sie freundlich und verständig, aber fast matronenhaft ernst; vornehm in der Form, wenngleich in anderm Sinne gewöhnlich. Das verstimmte ihn, ohne daß er selbst es wußte.

Dazu kam ein unbehagliches Gefühl anderer Art. Bei der eiligen Abreise hatte er nur die Dinge einpacken lassen, deren er am nöthigsten zu bedürfen geglaubt. Jetzt fehlte ihm Vieles, an das er gewöhnt war; nichts fand sich, wie er es wünschte.


Mißmuthig und zerstreut, ging er an den Schreibtisch, um die mitgebrachten Papiere zu ordnen, und zog mechanisch eine der Schubladen um die andere heraus. Die Mehrzahl derselben stand leer, in der einen lagen beschriebene Blätter; sie waren mit einem verblichenen Bande zusammengebunden. Er erkannte sie gleich wieder. Als er mit Julian an die Herausgabe seiner ersten Gedichte gegangen war, hatten sie diese Blätter ausgesondert, die sich weniger für den Druck zu eignen geschienen hatten. Das verblichene Band, das sie zusammenhielt, hatte Carolinen gehört.

Er las die Papiere durch. Es waren Klagen über die Trennung von der Geliebten und Liebeslieder mancher Art. Sie kamen ihm jetzt viel besser vor als früher. Jetzt lag jene Zeit mit ihrer jugendlichen Schwärmerei abgeschlossen, beendet vor ihm da. Er urtheilte über sie, als über eine geschichtliche Thatsache, eine Durchgangsepoche, die ihr volles Recht in Anspruch nehmen durfte; und wie er sich damals des weichen Liebelebens fast geschämt hatte, so freute es ihn jetzt, daß er einst dieses vollen, hingebenden Gefühles fähig gewesen war.

Es lag für ihn ein wehmüthiger Reiz darin, sein eigenes vergangenes Leben prüfend zu betrachten; denn so lange man von der Gegenwart beherrscht wird, kommt man zu keinem Urtheil über sich selbst. Der Tag macht sein Recht geltend, wir nehmen Partei für die Wünsche, die uns bewegen. Nur wenn wir gleichgültig gegen Etwas geworden sind, beurtheilen wir es unparteiisch. Da ist denn nichts so gut, nichts so schlimm geworden, als wir es gehofft oder gefürchtet hatten, was uns stürmisch bewegt, ist vollendet, ohne unsere Erwartungen befriedigt zu haben; was wir mit Angst herannahen gesehen, hat uns gefördert. Das Leben erscheint wie eine künstlerisch angelegte Dichtung. Wenn wir die Wirrnisse sich entwickeln und lösen gesehen, gewinnen wir Zutrauen zu dem schöpferischen Geist, der über und in uns waltet, und erwarten ruhig das Ende der Erscheinungen.

Alfred konnte mit ruhigem Gewissen auf sein Leben zurückblicken, mit Freude auf einzelne Punkte desselben. Er konnte sich nicht freisprechen von mancher Schwäche, manchem Irrthum, aber er hatte stets nach dem Besten gestrebt, es auf jede Weise zu fördern gesucht. Nichts hatte zu seinem Glücke gefehlt, als eine glückliche Ehe. Wie Julian in stets wechselnden Verhältnissen Genuß zu finden, hatte nie in seiner Art gelegen, sie hätten ihm keine innere Befriedigung gewährt. Er verlangte nach dauernder, voller Liebe, nach tiefem, gegenseitigem Verständniß, nach einer Ehe in ihrer idealsten Bedeutung.

Er konnte es sich nicht verbergen, daß ihm einst die achtzehnjährige Therese in seiner Jugend eine lebhafte Neigung eingeflößt, daß er ihrer im Gegensatz zu seiner Frau gedacht hatte, als seine Ehe eine so unglückliche Wendung genommen hatte. Daß er nun auch diese Therese nur als eine gewöhnliche Frau wiedersah, machte ihn nachsichtiger gegen Caroline.

Hier, in diesem Zimmer hatte er mit seiner Frau gelebt, hatte Felix gespielt. Oft hatten die jungen Gatten es sich ausgemalt, wie hier in dem großen Gebäude Raum sein werde für sie, für den verheiratheten Sohn und für blühende Enkel, wenn sie selbst an den Grenzen des Lebens stehen würden, denn die Jugend liebt es nur zu sehr, im Gefühl ihrer Kraft, der Zeit zu gedenken, in der sie ihr fehlen wird, und ist doch so voll Lebenslust, daß ihr die Gegenwart allein nicht genügt, daß sie das Glück der vergangenen und kommenden Lebensalter in fröhlicher Erinnerung und in ahnendem Vorgenusse auf einmal empfinden will.

Jetzt, von Caroline getrennt, fühlte er mehr als je, wie eng das Leben der Gatten ineinander verschlungen sei, wie Felix ein festes, heiliges Band zwischen ihnen bilde. Caroline schien ihm weniger Unrecht zu haben, da er augenblicklich nicht mehr von ihr verletzt ward, und in der mildesten Stimmung setzte er sich nieder, ihr zu schreiben, als er einen Brief von ihr vorfand, der am Abend angekommen war. Der Diener hatte ihn auf den Schreibtisch gelegt, er war unter andere Papiere gerathen und Alfred bemerkte ihn erst jetzt. Er lautete also:

„Lieber Alfred! Ich habe die ganze Nacht wachend und in Thränen zugebracht, habe Alles überlegt und kann Dein gestriges Betragen gegen mich weder entschuldigen noch begreifen. Ich bin mir bewußt, keine meiner Pflichten gegen Dich verletzt zu haben, ich habe kein anderes Interesse, als Dein Wohl und das Wohl von unserm Felix! Das weißt Du selbst.

Unser letzter Streit ist wegen der Unterstützung entstanden, die ich dem Kloster ohne Deine Erlaubniß zukommen ließ; aber fragst Du mich denn um Rath, wenn Du Wohlthaten ertheilst auf Deine Weise? Was heißt denn die Unabhängigkeit einer Frau, wenn ich Dich erst um Alles befragen soll? wenn Du außer Dir geräthst, sobald ich einmal selbstständig handle? – Und wegen Ruhberg kann und werde ich nicht nachgeben. Du hast und kannst gegen Ruhberg nichts haben, der ein edler, guter Mensch, ein treuer Seelsorger ist und den alle Welt achtet. Dich verdrißt es, daß ich überhaupt zur Beichte gehe, daß ich nicht wie Du, in stolzer Ueberhebung mir selbst genug bin und dadurch Gott verleugne. Dies kann und werde ich nie thun, und werde auch bis zum letzten Athemzuge Mutterpflicht an Felix erfüllen und wenigstens ihn vor Deiner Freigeisterei zu bewahren suchen. Lehre Du ihn, was Du willst; Gott fürchten und fromm sein, soll er von mir lernen. Gib mir nur darin nach und wir werden uns besser vertragen, denn daß Du jenen kleinen Streit so schwer nimmst, das ist sehr unrecht von Dir und nicht meine Schuld.

Mein Gott! wenn man in der Ehe jedes Wort auf die Goldwage legen, wenn man sich vor seinem Manne, wie vor einem Fremden, beherrschen soll, was wäre da das eheliche Vertrauen? Deine Dichterseele reißt Dich hin, Alfred, in der Ehe einen ewigen poetischen Brautstand zu suchen; laß mich die Vernünftigere, die Ruhigere sein und Dir sagen, daß das in der Prosa des Alltagslebens nicht bestehen kann. Man hat im täglichen Leben so viel Verdruß, daß man nicht immer in guter Laune sein kann, daß man einmal ein hartes Wort sagt; aber gerade Deine Weise ist von der Art, eine ruhige, verständige Frau verdrießlich und heftig zu machen. Du bist nicht wie andere Männer, Du bist gar zu überspannt und wir sind doch schon eilf Jahre verheirathet, da kann doch eine Frau nicht ewig sich gleich sein.

Ich hoffe, diese Vorstellungen bringen Dich mir zurück, denn ich sehne mich nach Dir, als ob Du nicht achtzehn Stunden, sondern achtzehn Monate fort wärest. Auch Felix fragt unablässig nach Dir, und daß in der Wirthschaft ohne den Herrn, trotz meiner strengen Aufsicht, Alles verkehrt gehen wird, kannst Du Dir denken. Ich habe nun gesehen, daß Du mich verlassen könntest; nun Du mir die harte Lehre gegeben hast, wird es wohl für beide Theile genug sein. Ich will vergeben und vergessen, darum komme nur bald zurück. Zugleich könntest Du mir ein Dutzend Handschuhe, halb hell, halb dunkel mitbringen, und der B. sagen, daß ich einen Herbsthut in rosa und einige Hauben spätestens kommende Woche haben muß. Adieu, lieber Alfred! auf baldige Rückkehr! Frage doch auch wegen der Ofenschirme nach, von denen wir neulich sprachen, und vergiß meiner nicht in Berlin, sondern denke an Deine treue, Dich liebende Caroline.“

Während des Lesens verdüsterte sich Alfred’s Stirne. Der Brief war ein so treues Bild von Carolinen’s unliebenswürdiger Weise, von der Unbildung ihres Geistes und Herzens, daß er ihn nicht zu Ende zu lesen vermochte. Er warf ihn verdrießlich auf den Schreibtisch, ging heftig im Zimmer umher und setzte sich dann zum Schreiben nieder, tief aufathmend wie Jemand, der an ein schweres Geschäft geht.

Er schrieb lange. Es ward spät in der Nacht, und als er geendet hatte und den Brief durchlas, fand er, der das Wort so gewaltig zu brauchen wußte, daß er nichts von alle Dem gesagt hatte, was er sagen wollen. Er wünschte Caroline nicht nur auf eine Trennung, sondern auf eine gänzliche Scheidung vorzubereiten, die ihn nach dem Empfang ihres Briefes nur noch unerläßlicher dünkte, weil er fühlte, daß zwei so verschiedene Naturen sich nie verstehen würden. Aber wo er mit höchster Schonung zu verfahren gewünscht, klangen seine Worte streng; wo er zart zu sein gestrebt, schien ihm die Wendung kränkend. An andern Stellen fürchtete er, Caroline könne den Wunsch nach neuer Vereinigung darin angedeutet finden, die ganz außer seiner Absicht lag.

Er fühlte, daß er in dieser Angelegenheit seine gewohnte Klarheit nicht besitze, daß er nicht Ruhe genug habe, selbst für sich zu handeln, deshalb zerriß er das Geschriebene wieder und seine Hoffnung richtete sich auf den Präsidenten. Er nahm sich vor, sobald als möglich mit diesem Rücksprache zu halten, was er für Caroline thun und wie man es anfangen solle, die schmerzliche Angelegenheit so gelinde als möglich zu behandeln und zu erledigen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Eine Lebensfrage. Erster Teil.